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Leitsatz:
Pflichtverletzung des Kapitäns eines Hafendampfers liegt bei einem heftigeren Anlegemanöver nicht vor.
Urteil des Landgerichts Kiel
vom 15. 2.1990
6 0 342/89
Zum Tatbestand:
Die Klägerin macht aus übergegangenem Recht Ansprüche aus einem Unfall geltend, den ihr Mitglied, die Zeugin A, am 11. Juni 1987 erlitten hat. Am Unfalltag fuhr die damals 81jährige Zeugin, der ein künstliches Hüftgelenk eingesetzt worden war, als Mitglied einer Flensburger Reisegruppe mit einem Hafendampfer der Beklagten von Schilksee nach Laboe. Während des Anlegemanövers in Laboe stürzte sie und erlitt einen Oberschenkelhalsbruch. Unstreitig hat sich die an der Backbordseite stehende A nicht festgehalten. Durch die Versorgung, der Verletzungen der Zeugin entstanden der Klägerin Aufwendungen in Höhe von insgesamt 23989,40 DM.
Die Klägerin behauptet, am Unfalltage habe Wind mit einer Stärke von 2 bis 3 Beaufort aus Südost bis Süd geherrscht. Die Überfahrt sei zunächst reibungslos verlaufen. Beim Anlegen in Laboe habe es zunächst einen kleinen Ruck gegeben. Der Dampfer habe sich aber dann wieder von der Brücke entfernt. Daraufhin habe der Kapitän sein Schiff mit so großer Wucht gegen die Brücke gesetzt, dass es einen völlig unerwarteten, kräftigen Anstoß gegeben habe, der einen mächtigen Ruck durch die Fähre gehen ließ. Sämtliche Passagiere des Schiffes seien dadurch durcheinander gewirbelt worden. Hierin sieht die Klägerin ein Verschulden des Kapitäns, welches sich die Beklagte zurechnen lassen müsse. Ein Verschulden der Beklagten an dem Zustandekommen des Unfalls leitet die Klägerin ferner daraus her, dass die Beklagte unstreitig vor Beginn des Anlegemanövers dieses nicht durch eine entsprechende Lautsprecherdurchsage angekündigt hat.
Die Beklagte behauptet, das Anlegemanöver sei normal und ordnungsgemäß gefahren worden. Lediglich durch den Wind, Südwest 4, sei das Schiff etwas unsacht gegen die Brücke gedrückt worden, wobei es aber lediglich einen kleinen Ruck gegeben habe, der sich im Bereich dessen gehalten habe, was bei Dampferfahrten unvermeidlich sei.
Das Landgericht hat die Klage als unbegründet abgewiesen.
Aus den Entscheidungsgründen:
„.... Ein Anspruch aus positiver Verletzung des Beförderungsvertrages scheidet aus, da die Klägerin nicht beweisen konnte, dass der Unfall auf eine Pflichtverletzung der Beklagten bzw. ihres Kapitäns als Erfüllungsgehilfen zurückzuführen ist.
Das Gericht vermag dabei die Auffassung der Klägerin, nach den Grundsätzen über die Umkehr der Darlegungs- und Beweislast treffe die Beklagte die Beweislast dafür, dass der Unfall nicht auf eine Pflichtverletzung des Kapitäns zurückzuführen ist, nicht zu folgen. Allerdings wird in der höchstrichterlichen Rechtsprechung die Auffassung vertreten, dass den Beförderungsunternhmer die Darlegungs- und Beweislast für eine mangelnde Pflichtverletzung trifft, wenn die zu befördernde Person unterwegs durch Beförderungsvorgänge oder Beförderungseinrichtungen verletzt wird (vgl. BGHZ 8, Seite 238, 242). Das Gericht hält diese Grundsätze aber jedenfalls auf den vorliegenden Fall nicht für anwendbar: Zum einen ergibt sich aus Artikel 2 Absatz 3 des Gesetzes zur Änderung des Handelsgesetzbuches und anderer Gesetze (2. Seerechtsänderungsgesetz) vom 25. Juli 1986, veröffentlicht im Bundesgesetzblatt Teil 1, Jahrgang 1986, S. 1120 ff., der Umkehrschluss, dass dann, wenn der Unfall nicht durch Schiffbruch, Zusammenstoß, Strandung, Explosion, Feuer oder durch einen Mangel des Schiffes entstanden ist oder mit einem dieser Ereignisse in Zusammenhang steht, kein Verschulden des Beförderers - und damit erst recht keine Pflichtverletzung - vermutet wird. Dieses Ereignis ergibt sich zum andern auch aus folgenden
Erwägungen:
Allerdings ist der Sturz der A während des Anlegemanövers erfolgt. Auf einer Seereise jedoch lassen sich Bewegungen des Schiffes nicht vermeiden, die dann, wenn sich der Reisende nicht ordnungsgemäß festhält, auch zu einem Unfall führen können. Allein aus dem Umstand, dass sich ein solcher Unfall ereignet hat, lässt sich daher kein Rückschluss auf eine Pflichtverletzung des Beförderers ziehen. Um zu einer Umkehr der Darlegungs- und Beweislast hinsichtlich der Pflichtverletzung zu kommen, müsste vielmehr vom Reisenden ein solcher Tatbestand vorgetragen und bewiesen werden, der zumindest den wahrscheinlichen Schluss auf eine Pflichtverletzung zulässt.
Einen solchen Tatbestand konnte die Klägerin aber im vorliegenden Fall nicht beweisen: Allerdings hat die Zeugin A bekundet, beim zweiten Anleger sei das Schiff mit einem derartigen Ruck zurückgekommen, dass auch die anderen Senioren und sie selbst, die an der Steuerbordseite des Schiffes versammelt waren, umgefallen wären, wenn sie nicht so eng am Ausgang gestanden und sich teilweise auch gegenseitig festgehalten hätten. Der Ruck beim Anlegen sei so kräftig gewesen, dass eine Senioren noch gesagt habe, der Kapitän solle sich man sein Patent zurückgeben lassen. Sie selbst, die Zeugin, habe einen solchen Ruck beim Anlegen noch nie erlebt. Diese Aussage wird bestätigt durch die Aussage der Zeugin B, die ebenfalls bekundet hat, sie habe einen so starken Ruck beim Anlegen eines Schiffes noch nicht erlebt. Diesen Aussagen stehen aber die Aussagen nicht nur der Zeugen C und D, sondern auch der Zeugin E entgegen. Die Zeugen C und D haben übereinstimmend bekundet, es habe sich um ein ganz normales Anlegemanöver gehandelt, bei dem ihnen nichts Ungewöhnliches aufgefallen sei. Auch die Zeugin E hat lediglich bekundet, es habe einen Stoß gegeben, der ihr stärker erschiene als sonst bei Anlegemanövern von Förderschiffen üblich, sie könne aber nicht mehr sagen, ob sie durch den Stoß selbst in Schwierigkeiten gekommen sei. Das Gericht geht davor aus, dass dann, wenn tatsächlich ein ganz ungewöhnlicher Ruck erfolgt wäre, durch den sie selbst in Schwierigkeiten geraten wäre, sich die Zeugin daran auch noch erinnern könnte. Nach alledem sieht es das Gericht nicht als bewiesen an, dass überhaupt ein ungewöhnlich heftiges Anlegemanöver stattgefunden hat, aus dem sich gegebenenfalls eine von den Beklagten zu vertretende Pflichtverletzung herleiten ließe.
Auch in dem Umstand, dass die Beklagten weder durch Hinweisschilder auf dem Förderschiff selbst noch durch eine Lautsprecherdurchsage darauf hingewiesen hat, dass sich die Passagiere während des Anlegemanövers festzuhalten haben, lässt sich keine Pflichtverletzung der Beklagten herleiten. Es ist allgemein bekannt, dass es auf Schiffen, insbesondere beim Anlegemanöver, zu nicht vermeidbaren, heftigeren Bewegungen kommen kann, denen man nur damit begegnen kann, dass man sich ordnungsgemäß festhält. Eines besonderen Hinweises auf diesen Umstand bedurfte es daher nicht... "
Ebenfalls abrufbar unter ZfB 1991 - Nr.6 (Sammlung Seite 1315); ZfB 1991, 1315