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Leitsätze:
1 )Die Verhaltensregeln des §§ 6.32 RhSchPV sind abschließend, solange keine besonderen Umstände über diesen Pflichtenkatalog hinaus zum Beispiel eine Pflicht zum Aufdrehen und Verlassen der Fahrrinne begründen. Eine bevorstehende Begegnung zweier Schiffe auf dem Rhein ist generell auch bei unsichtigem Wetter und Radarfahrt keine Gefahrensituation, die nach allgemeiner Sorgfaltspflicht ein Verlassen der Fahrrinne gebieten könnte.
2) Eine Kursänderung des Bergfahrers ist zulässig, solange ein geeigneter Talweg freigehalten wird. Der Talfahrer trägt die Beweislast für die Behauptung, eine Kursweisung sei über Funk zu spät angesagt worden, um den gewiesenen Weg zu nehmen.
3) Will das Berufungsgericht, die Bekundungen eines Zeugen anders verstehen oder würdigen als die Vorinstanz, ist die Zeugenvernehmung zu wiederholen. Die Verfahrensordnung der Berufungskammer der Rheinzentralkommission erlaubt es, in einem solchen Fall die Sache an das Gericht erster Instanz zur neuen Entscheidung zurückzuverweisen.
Berufungskammer der Zentralkommission für die Rheinschifffahrt
519 Z - 3/19
Urteil
vom 31. Oktober 2019
(auf Berufung gegen das Urteil des Rheinschifffahrtsgerichts St. Goar vom 25. Oktober 2018 - 4 C 2/17 BSchRh -)
Tatbestand:
Die Parteien streiten über die die Verantwortlichkeit für eine Schiffskollision, die sich am 23. November 2016 kurz nach 7 Uhr bei Rheinkilometer 608,7 ereignete.
Beteiligte waren das TMS „R“ (110 m lang, 9,50 m breit, Tragfähigkeit 2149 t, Maschinenleistung 1280 PS), das von Schiffsführer H geführt wurde und sich leer mit einem Tiefgang von 1,23 m auf der Talfahrt nach Rotterdam befand, und das MS „D“ (110 m lang, 10,45 m breit, Tragfähigkeit 2595 t, Maschinenleistung 1115 PS), das von Schiffsführer Y geführt wurde und beladen mit 1300 t Kunstdünger und einem Tiefgang von ca. 2,5 m auf der Fahrt von Antwerpen nach Kehl war.
Die Klägerin ist der Schiffsversicherer des TMS „R“. Sie hat dessen Ausrüster Lux-Tank wegen des streitgegenständlichen Unfalls Deckung gewährt und den Schaden reguliert. Mit der Klage nimmt sie die Beklagte zu 1 als Ausrüsterin und den Beklagten zu 2 – Schiffsführer Y – aus übergegangenem und abgetretenem Recht auf vollen Ersatz des entstandenen Schadens, den sie mit 184.377,57 € beziffert, in Anspruch.
Zum Unfallzeitpunkt herrschte Dunkelheit und Nebel mit Sichtweiten um 100 bis 150 m. Beide Fahrzeuge fuhren mit Radar.
TMS „R“ wollte in Weißenthurm anlegen und fuhr aus diesem Grund mit zunächst geringer Geschwindigkeit am linksrheinischen Fahrrinnenrand zu Tal. Weil alle Anlegestellen belegt waren, entschloss Schiffsführer H sich, rechtsrheinisch im Neuwieder Stromarm vor Anker zu gehen. Er fuhr deshalb weiter am grünen Tonnenstrich talwärts, um unterhalb des Weißenthurmer Werthers über Steuerbord aufzudrehen.
Beim Passieren der Straßenbrücke Weißenthurm-Neuwied (Rheinkilometer 607,7) bemerkte Schiffsführer H auf dem Tresco-Bildschirm in ca. 1.500 m Entfernung einen Bergfahrer (MS „D“), den er in der Folgezeit über Funk ansprach und um eine Begegnung Steuerbord an Steuerbord bat, weil er unterhalb des Weißenthurmer Werthers aufdrehen wolle. Wie oft Schiffsführer H den Bergfahrer ansprach und wann und wie dieser reagierte, ist streitig.
Nach der Darstellung der Partei „R“ sprach Schiffsführer H den Bergfahrer insgesamt viermal an, wobei drei Ansprachen unbeantwortet blieben. Erst auf die vierte Ansprache habe MS „D“ geantwortet, dass die Begegnung Backbord an Backbord stattfinden solle, was bei einem Abstand Bug zu Bug von nur noch 80 bis 100 m nicht mehr durchführbar gewesen sei.
Die Partei „D“ behauptet demgegenüber, Schiffsführer Y habe den Talfahrer als erster und sofort angesprochen, als er diesen in einer Entfernung von etwa 1.150 m auf dem Radarbildschirm wahrgenommen habe, und als Bergfahrer die dort übliche Begegnung Backbord an Backbord verlangt. Der Talfahrer habe dem allerdings widersprochen. Schiffsführer Y habe dann aber unmissverständlich klargemacht, dass er als Bergfahrer die Kursweisung erteile und bei der Begegnung Backbord an Backbord bleibe.
TMS „R“ fuhr weiter am grünen Tonnenstrich zu Tal. MS „D“, das bis dahin etwa in der Strommitte gefahren war, verlegte seinen Kurs nach Steuerbord, als die Fahrzeuge sich auf etwa 300 m Kopf zu Kopf genähert hatten. Gleichzeitig steuerte Schiffsführer H über den grünen Tonnenstrich hinaus nach Backbord, um MS „D“ auszuweichen. Bei Rheinkilometer 608,7 kollidierten die Schiffe dergestalt, dass MS „D“ in einem Winkel von ca. 60° mit dem Bug gegen die Steuerbordseite des TMS „R“ stieß.
Beide Seiten halten die jeweils andere für allein verantwortlich.
Die Klägerin hat beantragt,
die Beklagten als Gesamtschuldner zu verurteilen, an sie 184.377,57 € sowie 2.912,00 € vorgerichtliche Anwaltskosten, jeweils nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit 1. Mai 2017 zu zahlen.
Die Beklagten haben beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie haben den geltend gemachten Schaden auch der Höhe nach teilweise bestritten und geltend gemacht, ein Privatgutachten zur Unfallursache sei nicht erforderlich gewesen und der Nutzungsausfall um zwei Tage übersetzt.
Das Rheinschifffahrtsgericht hat die Besatzungsmitglieder beider Schiffe und den Zeuge V – Schiffsführer des vor TMS „R“ zu Tal fahrenden MS „K“ – in dem Verklarungsverfahren 4 UR II 1/16 BSch als Zeugen vernommen und zum Unfallhergang ein schriftliches Sachverständigengutachten eingeholt, das der Sachverständige B in der mündlichen Verhandlung erläutert hat.
Mit Urteil vom 25. Oktober 2018 hat das Rheinschifffahrtsgericht der Klage im Wesentlichen zu 2/3 stattgegeben, die Beklagten als Gesamtschuldner zur Zahlung von 117.579,88 € sowie 2.166,50 € vorgerichtlichen Rechtsanwaltsgebühren, jeweils nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit 1. Mai 2017, verurteilt und die weitergehende Klage abgewiesen.
Zur Begründung hat es im Wesentlichen ausgeführt:
Die Beklagten hafteten für den der Partei „R“ entstandenen Schaden gesamtschuldnerisch gemäß §§ 2, 3, 92 ff. BinSchG, §§ 823 Abs. 1, 840 BGB zu 2/3, während der Talfahrer „R“ für den Unfall zu 1/3 verantwortlich sei.
Der Bergfahrer habe entgegen § 6.32 Nr. 2 RheinSchPV keine rechtzeitige Absprache über Funk getroffen, weil er auf mehrfaches Anrufen der Talfahrt nicht reagiert habe. Dies ergebe sich zur Überzeugung des Gerichts aus der Zeugenvernehmung im Verklarungsverfahren. Sowohl Schiffsführer H als auch die drei weiteren Besatzungsmitglieder des TMS „R“ hätten übereinstimmend und glaubhaft bekundet, dass Schiffsführer Y erst auf die vierte Funkansprache Schiffsführer Hs reagiert und dann eine Begegnung Backbord an Backbord verlangt habe, obwohl es dafür bereits viel zu knapp gewesen sei.
Der unabhängige Zeuge V habe tendenziell eher die Richtigkeit der Aussagen der Zeugen von TMS „R“ bestätigt. Nach seinen Angaben sei die Kontaktaufnahme wegen der Art der Begegnung von TMS „R“ und nicht von der Bergfahrt ausgegangen. Sinngemäß habe der Zeuge darüber hinaus bestätigt, dass es mehrere Funksprüche gegeben habe, die Schiffsführer H in Richtung des Bergfahrers gesendet habe. Der Zeuge V habe so objektiv gewirkt, dass seiner Aussage bei der Gewichtung des Wahrheitsgehalts der Angaben der Zeugen aus dem Lager des Talfahrers und dem Lager des Bergfahrers die entscheidende Bedeutung beizumessen sei.
Die Bekundung des Zeugen V, er habe später im Funk noch einiges gehört, bedeute einerseits, dass es zur Frage der Begegnung mehrere Funksprüche von Schiffsführer H ausgehend in Richtung des Schiffsführers Y gegeben habe, und andererseits, dass die Aussage des Schiffsführers Y, der erste Funkkontakt zu TMS „R“ sei von ihm ausgegangen, falsch sei.
Unrichtig sei auch die weitere Behauptung des Schiffsführers Y, er sei parallel zum linken Fahrrinnenrand mit einem Abstand von etwa 3 m von den grünen Tonnen gefahren. Der Sachverständige B habe nämlich durch Auswertung der ECDIS-Daten beider Schiffe festgestellt, dass der Bergfahrer zunächst etwa flussmittig gefahren sei und erst bei Rheinkilometer 608,8 das Ruder stark nach Steuerbord gelegt habe. Aus Anlage 38 zu dem Sachverständigengutachten ergebe sich ferner, dass die von Schiffsführer Y im Verklarungsverfahren skizzierte Kollisionsposition unzutreffend sei; Schiffsführer Y habe nämlich MS „D“ parallel zum Fahrrinnenrand eingezeichnet, obwohl es ebenso wie der Talfahrer eine Winkelposition von geschätzten 45° eingenommen habe. Bei dieser Sachlage könne auch nicht von der Behauptung Schiffsführer Ys ausgegangen werden, er habe kurz vor der Kollision noch ein Schallsignal gesetzt, auch wenn dies von dem Zeugen G (Besatzungsmitglied des MS „D“) bestätigt worden sei, denn dieser habe hinsichtlich der Position des Schiffs ebenso gelogen wie Schiffsführer Y.
Bei einer Gesamtschau dieser Argumente ergebe sich, dass Schiffsführer Y sich viel zu spät auf die Funksprüche des Talfahrers gemeldet habe. Er habe erst auf den vierten Funkspruch des Schiffsführer H reagiert, wie dies auch von der Besatzung des TMS „R“, insbesondere von dem Zeugen Adamiuk, bestätigt worden sei. Bringe man dies mit den visualisierten Schiffspositionen in den Anlagen zum Gutachten des Sachverständigen B in Einklang, so ergebe sich, dass Schiffsführer H den ersten Funkspruch abgesetzt habe, als sich TMS „R“ mit dem Bug etwa bei Rheinkilometer 607,9 und MS „D“ mit dem Bug bei Rheinkilometer 609,2 befunden hätten bei einem Abstand Bug zu Bug von ca. 1.300 m. Als der Talfahrer sich mit dem Führerhaus etwa in Höhe der rot/grünen Trennungstonne bei Rheinkilometer 608,2 befunden habe, zeige Anlage 17 des Sachverständigengutachtens den Bug des Talfahrers etwa bei Rheinkilometer 608,3 und den Bug des Bergfahrers bei Rheinkilometer 609,0. Zu diesem Zeitpunkt habe Schiffsführer H bereits den dritten Funkspruch abgesetzt. Den vierten Funkspruch habe Schiffsführer H abgesetzt, als er die Kursänderung des Bergfahrers nach Steuerbord bemerkt habe, die andeutungsweise auf dem Bild Anlage 27 und besser noch auf Anlage 28 zum Sachverständigengutachten zu erkennen sei. Die Entfernung der Schiffe Bug zu Bug habe hier maximal noch 300 m betragen. Nach den Ausführungen des Sachverständigen sei diese Situation für eine gefahrlose Begegnung Steuerbord an Steuerbord schon kritisch gewesen, weil der Bergfahrer eine Steuerbordruderlage eingenommen gehabt habe und aus dieser Position einige Zeit benötigt hätte, um in eine Backbordposition zu fahren.
Jedenfalls belegten diese Überlegungen, dass es bei der vierten Ansprache durch Schiffsführer H, auf die Schiffsführer Y erstmals reagiert habe, für eine gefahrlose Kursänderung schon fast zu spät gewesen sei und die unterbliebene Reaktion des Schiffsführers Y auf die Funkansprache des Talfahrers diese Situation verursacht habe. Wenn Schiffsführer Y flussmittig geradeaus weitergefahren wäre, ohne Steuerbordruder zu legen, hätte die Begegnung gefahrlos Steuerbord an Steuerbord stattfinden können.
Somit sei gerade die Kursänderung des Bergfahrers für die Kollision ursächlich gewesen. Wie die Anlagen 26 und 27 zum Sachverständigengutachten zeigten, habe Schiffsführer Y sich zu der Kursänderung entschlossen, als der Abstand der beiden Schiffe Bug zu Bug keine 300 m mehr betragen habe, was nach den Erläuterungen des Sachverständigen für eine gefahrlose Begegnung zu spät gewesen sei. Durch diese Kursänderung habe der Bergfahrer auch gegen § 6.03 Nr. 3 RheinSchPV verstoßen und der Talfahrt unter Verstoß gegen § 6.04 Nr. 1 und 2 RheinSchPV keinen geeigneten Weg für die Begegnung frei gehalten.
Schließlich stelle dies alles einen Verstoß gegen das allgemeine Rücksichtnahmegebot gemäß § 1.04 RheinSchPV dar. Wenn Schiffsführer Y früher auf die Funksprüche Schiffsführer Hs reagiert hätte, wäre die Gefahr problemlos vermeidbar gewesen, denn dann hätte sich der Talfahrer zwanglos und in einem angemessenen Zeitrahmen auf die gewünschte Begegnung einstellen können. Durch seine verspätete Reaktion auf die Funksprüche des Talfahrers und die erkennbar zu spät eingeleitete Ausweichbewegung nach Steuerbord habe Schiffsführer Y die Schiffskollision im Wesentlichen verursacht.
Andererseits sei zu berücksichtigen, dass der Talfahrer nach den nachvollziehbaren Überlegungen des Sachverständigen B ohne Not vor der Begegnung mit dem Bergfahrer hätte aufdrehen und in den Neuwieder Strom einfahren können. Gerade weil der Bergfahrer sich auf mehrfaches Anrufen nicht gemeldet habe, wäre dies im Hinblick auf § 1.04 RheinSchPV zur Vermeidung einer Gefahr geboten gewesen. Das Aufdrehen vor der Bergfahrt wäre weniger gefährlich gewesen, weil dadurch ein weiteres Manöver, nämlich eine Begegnung bei schlechter Sicht, vermieden worden wäre. Auf dem Radarbildschirm und den ECDIS-Aufzeichnungen habe der Talfahrer erkennen können, dass kein weiteres Schiff im Revier gewesen sei und der Abstand zur Bergfahrt etwa 700 m betragen habe, was nach den Ausführungen des Sachverständigen B für ein gefahrloses Wendemanöver ausgereicht hätte.
Der Fahrfehler des Talfahrers sei allerdings weniger gravierend als derjenige des Bergfahrers, der durch seine Fahrweise gegen mehrere gewichtige Vorschriften der Rheinschifffahrtspolizeiverordnung verstoßen habe. Die Verletzung des allgemeinen Rücksichtnahmegebots sei demgegenüber weit weniger gravierend, so dass eine Haftungsquotelung von 1/3 zu 2/3 zu Lasten der Beklagten sachgerecht erscheine.
Der von der Klägerin geltend gemachte Schadensersatzbetrag sei um die Kosten des Privatgutachtens Gu in Höhe von 1.819 € zu kürzen, da das Gutachten nicht erforderlich gewesen sei. Zu kürzen sei ferner der verlangte Nutzungsausfallschaden um 6.188,74 € für zwei Tage, so dass sich ein Gesamtschaden von 176.369,83 € ergebe, den die Klägerin zu 2/3 ersetzt verlangen könne. Ihr seien daher 117.579,88 € zuzuerkennen. Die vorgerichtlichen Anwaltskosten reduzierten sich auf 2.166,50 €. Beide Beträge seien ab dem unstreitigen Verzugseintritt gemäß §§ 286, 288 BGB zu verzinsen.
Gegen dieses Urteil haben die Klägerin und die Beklagten jeweils mit dem Antrag auf Entscheidung durch die Berufungskammer der Zentralkommission für die Rheinschifffahrt form- und fristgerecht Berufung eingelegt und ihre Rechtsmittel form- und fristgerecht begründet.
Die Klägerin verfolgt die Klageforderung im Umfang der Teilabweisung durch das Rheinschifffahrtsgericht weiter und trägt zur Begründung im Wesentlichen vor:
Der Auffassung des Rheinschifffahrtsgerichts, TMS „R“ hätte vor der Begegnung mit der Bergfahrt aufdrehen und in den Neuwieder Stromarm einfahren müssen, könne nicht gefolgt werden. Ein solches Manöver sei angesichts der Sichtverhältnisse nicht ungefährlich und in Anbetracht der ursprünglichen Kurse für die anstehende Begegnung auch nicht erforderlich gewesen. Zudem hätte TMS „R“ sich durch ein Wendemanöver zu der bereits zweimal über Funk geäußerten Bitte um eine Begegnung Steuerbord an Steuerbord in Widerspruch gesetzt. Erkennbar problematisch sei die anstehende Begegnung erst dann geworden, als MS „D“ bei einer Entfernung Bug zu Bug von etwa 290 m den Kurs nach Steuerbord geändert habe. Zu diesem späten Zeitpunkt habe der Talfahrer „R“ nur noch als Manöver des letzten Augenblicks nach Backbord aus der Fahrrinne herausfahren können, um ins flache Fahrwasser auszuweichen. Es sei daher nicht gerechtfertigt, dem Talfahrer „R“ ein Mitverschulden vorzuwerfen, und jedenfalls unverhältnismäßig, ein solches mit 1/3 zu bewerten.
Zur Schadenshöhe habe das Rheinschifffahrtsgericht zu Unrecht den Klägervortrag unberücksichtigt gelassen, dass die Begutachtung des Unfalls durch das Sachverständigenbüro G schon vor der Einleitung des Verklarungsverfahrens und auf Weisung des Befrachters in Auftrag gegeben worden sei, um den Schaden so gering wie möglich zu halten.
Die Kürzung des Nutzungsausfalls um zwei Tage sei nicht gerechtfertigt. Das Nachmessen und Ausrichten der Hauptmaschine sei erst möglich gewesen, nachdem das Schiff von der Helling wieder zu Wasser gelassen worden sei und die durch das Schweißen im Rumpf entstandenen Spannungen sich im Wasser gegeben hätten. Das Rheinschifffahrtsgericht habe den Vortrag der Klägerin übergangen, dass die Klassifizierungsgesellschaft erst nach Ausführung auch dieser Arbeiten die eingezogenen Papiere wieder ausgehändigt und die Erlaubnis zur Weiterfahrt erteilt habe.
Die vorgerichtlichen Anwaltsgebühren habe das Rheinschifffahrtsgericht fehlerhaft berechnet. Sie beliefen sich bei einem Streitwert von 117.579,88 € auf 2.402 €.
Die Klägerin beantragt,
das angefochtene Urteil teilweise zu ändern und die Beklagten als Gesamtschuldner zu verurteilen, an die Klägerin weitere 66.797,69 € sowie weitere 745,50 € vorgerichtliche Rechtsanwaltsgebühren, jeweils nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 1. Mai 2017, zu zahlen.
Die Beklagten beantragen,
das angefochtene Urteil teilweise zu ändern, die Klage in vollem Umfang abzuweisen und die Berufung der Klägerin zurückzuweisen.
Sie beanstanden die Beweiswürdigung des Rheinschifffahrtsgerichts im Einzelnen und sehen insbesondere durch die Angaben des Zeugen V die eigene Schilderung des Unfallgeschehens und die Aussage des Schiffsführers Y bestätigt. Im Übrigen bestreiten sie das Vorbringen der Klägerin und machen im Wesentlichen geltend:
Bei Zugrundelegung der – bestrittenen – Darstellung der Klägerin sei die Auffassung des Rheinschifffahrtsgerichts zutreffend, die Schiffsführung des TMS „R“ hätte rechtzeitig vor der Begegnung mit der Bergfahrt über Steuerbord wenden und in den Neuwieder Stromarm einfahren müssen. Denn wenn MS „D“ auf wiederholte Funkdurchsagen nicht reagiert hätte, hätte für die Schiffsführung des Talfahrers eine unklare und damit gefährliche Situation bestanden, die eine sofortige Reaktion erfordert hätte.
Die Klägerin beantragt,
die Berufung der Beklagten zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe:
Die Berufungen der Klägerin und der Beklagten sind zulässig. In der Sache führen sie zur Aufhebung des erstinstanzlichen Urteils und zur Zurückverweisung der Sache an das Rheinschifffahrtsgericht zu neuer Entscheidung.
I.
Das angefochtene Urteil beruht, wie die Beklagten mit ihrer Berufung zu Recht geltend machen, hinsichtlich der zentralen Frage der Haftungsverteilung auf einer Beweiswürdigung des Rheinschifffahrtsgerichts, die auf erhebliche Bedenken stößt.
Die Gewichtung der Verursachungsbeiträge und des jeweiligen Verschuldens der beteiligten Schiffsführer hängt entscheidend davon ab, wie sich der Funkverkehr zur Absprache der Begegnung gestaltete. Die Angaben der Parteien zu dieser Frage stimmen nur darin überein, dass der Schiffsführer des zu Tal fahrenden TMS „R“ um eine Begegnung Steuerbord an Steuerbord bat, der Schiffsführer des Bergfahrers MS „D“ dagegen eine Begegnung Backbord an Backbord verlangte. Völlig kontrovers sind dagegen die beiderseitigen Darstellungen des Funkverkehrs im Einzelnen.
Auch die Aussagen der hierzu im Verklarungsverfahren vernommenen Zeugen beider Lager widersprechen einander in den entscheidenden Punkten. Die Besatzungsmitglieder des TMS „R“ haben im Kern übereinstimmend bekundet, Schiffsführer H habe den ersten Funkspruch abgesetzt, den Bergfahrer insgesamt viermal angesprochen und erst beim vierten Mal eine Antwort – die Kursweisung Backbord an Backbord – erhalten, als es dafür zu spät gewesen sei.
Schiffsführer Y von MS „D“ hat dagegen ausgesagt, er habe den Talfahrer als erster angesprochen und eine Begegnung Backbord an Backbord verlangt, als der Abstand der Schiffe 500 bis 600, vielleicht auch 800 m betragen habe, und die Kursweisung noch einmal bekräftigt, nachdem der Talfahrer widersprochen und eine Begegnung Steuerbord an Steuerbord gefordert habe.
Einziger unbeteiligter Zeuge ist der Zeuge V, der Schiffsführer des MS „K“, der den Funkverkehr vor der Kollision wie folgt wiedergegeben hat (Verklarungsakte Bl. 108 f.):
„R“ fragte ein anderes Schiff, wie man sich begegnen könnte bzw. sie bat um eine bestimmte Begegnung. Wie die Begegnung sein sollte, habe ich nicht mehr in Erinnerung. Das andere Schiff sagte aber nein, die Begegnung müsse so und so stattfinden. Darüber gab es dann einen Streit. Das habe ich gehört und dann war es auf einmal still und kurz danach muss es zur Kollision gekommen sein.“
Bei der vorausgegangenen Vernehmung durch die Wasserschutzpolizeiwache Duisburg hat der Zeuge seine Wahrnehmungen wie folgt geschildert:
„Ich war bereits an der TMS „R“ vorbei, da hörte ich, wie dieser sich über Funk mit einem anderen Bergfahrer über die Vorbeifahrt auseinandersetzte. Der Bergfahrer sagte daraufhin „nein, das mache ich nicht, ich fahre so wie es die Bergfahrt will.“ Dann hörte ich nichts mehr. Irgendwie wollte die TMS „R“ auch noch drehen, aber so genau weiß ich es nicht. Man hat dann am Funk viel gestritten.“
Diese Angaben hat der Zeuge bei seiner Vernehmung im Verklarungsverfahren auf Vorhalt als
richtig bestätigt.
Das Rheinschifffahrtsgericht hat der Aussage des Zeugen V entscheidende Bedeutung beigemessen und sie wie folgt gewürdigt und seinem Urteil zugrunde gelegt (S. 7 des Urteils):
„Der Zeuge V … bestätigte … die Aussage der Zeugen des Talfahrers, dass die Kontaktaufnahme wegen der Art der Begegnung von TMS „R“ und nicht, wie von (Sf Y) behauptet, von ihm ausging. Sinngemäß bestätigte der Zeuge V darüber hinaus, dass es mehrere Funksprüche gab, die der Zeuge H in Richtung des Bergfahrers sendete. …
Wenn der Zeuge V dann sagte, dass er später im Funk noch einiges gehört hätte, so bedeutet dies …, dass es durchaus mehrere Funksprüche von dem Zeugen H ausgehend in Richtung des (Sf Y) gegeben hat zu der Frage, wie man sich begegnen könne …“
Daraus folgert das Rheinschifffahrtsgericht (S. 9 des Urteils):
„… dass es bei der vierten Ansprache durch den Zeugen H, auf welche der (Sf Y) erstmals reagierte, für eine gefahrlose Kursänderung schon fast zu spät war und die unterbliebene Reaktion des (Sf Y) auf die Funkansprache des Talfahrers diese Situation verursacht hat.
…
Hätte (Sf Y) früher auf die Funksprüche des Zeugen H reagiert, wäre die aufgetretene Gefahr problemlos zu vermeiden gewesen … Durch seine verspätete Reaktion auf die Funksprüche des Talfahrers … hat (Sf Y) die Schiffskollision im Wesentlichen verursacht.“
Dieser Beweiswürdigung vermag die Berufungskammer sich nicht anzuschließen. Die oben wiedergegebene Aussage des Zeugen V gibt nichts für die Feststellung her, Schiffsführer Y habe auf die ersten drei Funkdurchsagen des TMS „R“ nicht geantwortet und erst auf die vierte Ansprache (und damit unfallursächlich zu spät) reagiert. Der Zeuge V hat vielmehr ausgesagt, es habe nach dem „nein“ des Bergfahrers einen Streit über die Frage der Begegnungsweise gegeben, man habe am Funk viel gestritten.
Dem protokollierten Inhalt der Aussage des Zeugen V ist daher gerade nicht zu entnehmen, dass es lediglich mehrere unbeantwortet gebliebene Funkdurchsagen des Schiffsführers H an die Bergfahrt gegeben habe und dass der Bergfahrer erst auf die letzte Funkansprache reagiert habe, als es für eine Kursänderung zu spät gewesen sei.
II.
Auch den Berufungsangriffen der Klägerin hält das angefochtene Urteil nicht stand. Die Auffassung des Rheinschifffahrtsgerichts, der Klägerin sei eine schuldhafte Pflichtverletzung der Schiffsführung des TMS „R“ deswegen zuzurechnen, weil Schiffsführer H nicht schon vor der anstehenden Begegnung mit dem Bergfahrer aufgedreht hat, ist abzulehnen. Ein solches Manöver mag in Anbetracht des Abstands und der gefahrenen Geschwindigkeiten der beiden Fahrzeuge gefahrlos möglich gewesen sein, wie das Rheinschifffahrtsgericht im Einklang mit den Ausführungen des Sachverständigen B angenommen hat. Eine Pflicht, der anstehenden Begegnung mit der Bergfahrt auf diese Weise aus dem Weg zu gehen, lässt sich indessen nicht begründen. Sie lässt sich entgegen der Auffassung des Rheinschifffahrtsgerichts auch nicht aus der nach § 1.04 RheinSchPV gebotenen allgemeinen Sorgfaltspflicht herleiten. Die bevorstehende Begegnung zweier Schiffe auf dem Rhein ist generell keine Gefahrensituation, die nach allgemeiner Sorgfaltspflicht ein Verlassen der Fahrrinne gebieten könnte. Das ist auch bei schlechter Sicht nicht anders. Welche Vorsichtsmaßnahmen zur Verhütung von Unfällen bei schlechter Sicht geboten sind, ergibt sich für – wie hier – mit Radar fahrende Fahrzeuge aus den Verhaltensregeln des § 6.32 RheinSchPV, deren Einhaltung auch bei unsichtigem Wetter eine Kollisionsgefahr so weit wie möglich ausschließt. Geregelt sind dort auch die Verhaltenspflichten für den Fall, dass eine Begegnungsabsprache über Funk nicht zustande kommt. Hiernach muss ein Schiff in der Radarfahrt, wenn mit den entgegenkommenden Fahrzeugen kein Sprechfunkkontakt zustande kommt, einen "langen Ton" geben, der so oft wie notwendig zu wiederholen ist, sowie seine Geschwindigkeit vermindern und, falls nötig, anhalten (§ 6.32 Nr. 2 Buchst. d RheinSchPV). Besondere Umstände, die über diesen Pflichtenkatalog hinaus eine Pflicht zum Aufdrehen und Verlassen der Fahrrinne zur Vermeidung der mit einer Begegnung verbundenen Gefahren begründen könnten, sind weder festgestellt noch vorgetragen worden und auch nicht ersichtlich.
III.
Nach alledem kann das angefochtene Urteil mit der gegebenen Begründung keinen Bestand haben. Zu einer eigenen abschließenden Entscheidung des Rechtsstreits sieht sich die Berufungskammer nicht in der Lage.
Die Berufungskammer ist aus prozessualen Gründen gehindert, ihrer Beurteilung ein von der Beweiswürdigung des Rheinschifffahrtsgerichts abweichendes Verständnis der Aussage des Zeugen V zugrunde zu legen.
Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs, der die Berufungskammer folgt, muss das Berufungsgericht, wenn es die Bekundung eines Zeugen anders verstehen oder würdigen will als die Vorinstanz, die Zeugenvernehmung wiederholen ( z. B. BGH, Urteil vom 19. 2. 1998 - I ZR 20/96: „Eine erneute Vernehmung ist nach gefestigter Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs nicht nur dann erforderlich, wenn das Berufungsgericht die Glaubwürdigkeit eines Zeugen anders beurteilen will, sondern auch dann, wenn es die protokollierte Aussage anders verstehen oder würdigen will als die Vorinstanz.“). Da die protokollierte Aussage des Zeugen V dagegen spricht, dass Schiffsführer Y erst auf die vierte Ansprache des Talfahrers reagierte, bestehen zugleich Zweifel an der Glaubhaftigkeit der Aussagen der Besatzungsmitglieder des TMS „R“, die dies übereinstimmend bekundet haben und für deren Glaubhaftigkeit das Rheinschifffahrtsgericht gerade die Aussage des Zeugen V ins Feld führen will. Dies wiederum führt dazu, dass die gesamte Beweisaufnahme wiederholt und die Beweise von Grund auf neu gewürdigt werden müssen. Hierzu kann die Berufungskammer die Sache an das Gericht erster Instanz zur neuen Entscheidung zurückverweisen (Art. 24 Abs. 3 der Verfahrensordnung). Von dieser Möglichkeit macht die Berufungskammer Gebrauch.
Die neue Entscheidung setzt zunächst eine weitere Sachaufklärung hinsichtlich der Frage voraus, zu welchem Zeitpunkt und in welcher Position Schiffsführer H die Kursweisung des Bergfahrers für die anstehende Begegnung empfangen hat. Dazu wird es erforderlich sein, den Zeugen V nach den Einzelheiten (Inhalt, Dauer, Anzahl der gewechselten Funkdurchsagen) des von ihm erwähnten Streits der beteiligten Schiffsführer zu befragen und die Besatzungsmitglieder des TMS „R“ mit diesen Angaben zu konfrontieren.
Vom Ergebnis der neuen Beweiserhebung und Beweiswürdigung wird es abhängen, ob dem Schiffsführer des MS „D“ ein Verstoß gegen § 6.32 Nr. 2 und gegen § 6.03 Nr. 3 sowie § 6.04 Nr. 1 RheinSchPV anzulasten ist. Sollte die erneute Beweiswürdigung nicht ergeben, dass die Kursweisung für eine Begegnung Backbord an Backbord erst so spät erfolgte, dass eine solche Begegnung nicht mehr durchführbar war – die Beweislast dafür trägt der Talfahrer (Urteil der Berufungskammer vom 18. September 2013 – 479 Z) –, kann die Verlegung des Kurses des MS „D“ nach Steuerbord nicht als unzulässige Kursänderung qualifiziert werden. Sollte bei erneuter Beurteilung nicht auszuschließen sein, dass der Schiffsführung des TMS „R“ nach dem Empfang der Kursweisung noch ausreichend Zeit und Raum für die Durchführung der gewiesenen Begegnung verblieb, hätte dem Talfahrer ein geeigneter Weg für die gewiesene Begegnung Backbord an Backbord offen gestanden, den der Steuerbordkurs des Bergfahrers nicht eingeschränkt, sondern im Gegenteil noch vergrößert hätte.
Bei der erneuten Beurteilung und Gewichtung der Verursachungsbeiträge und des jeweiligen Verschuldens der beteiligten Schiffsführer wird schließlich auch zu prüfen sein, wie das Verhalten des Talfahrers zu werten ist, der sich der Bergfahrt am linksrheinischen Fahrrinnenrand mit hoher Geschwindigkeit näherte, ohne – nach den eigenen Angaben der Klägerin – auf mehrfache Funkansprache das Einverständnis des Bergfahrers mit einer Begegnung Steuerbord an Steuerbord erreicht zu haben.
Das Rheinschifffahrtsgericht wird in seine Beurteilung ferner die Tatsache einzubeziehen haben, dass nach den Ausführungen des Sachverständigen B zur Erläuterung seines Gutachtens eine Begegnung Backbord an Backbord noch gefahrlos möglich gewesen wäre, wenn TMS „R“ in der aus Anlage 29 zum Sachverständigengutachten ersichtlichen Position Steuerbordruder gelegt hätte.
Bei der neuen Entscheidung wird das Rheinschifffahrtsgericht schließlich Gelegenheit haben, sich mit dem Berufungsvorbringen der Parteien zur Erstattungsfähigkeit der Kosten des Privatgutachtens Gu, zur Dauer des Nutzungsausfalls und zur Höhe der vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten zu befassen.
IV.
Aus den dargelegten Gründen wird daher für Recht erkannt:
Auf die Berufungen der Klägerin und der Beklagten wird das Urteil des Amtsgerichts – Rheinschifffahrtsgerichts – St. Goar vom 25. Oktober 2018 – 4 C 2/17 BSchRh – aufgehoben.
Die Sache wird zu neuer Entscheidung, auch über die Kosten des Berufungsverfahrens, an das Rheinschifffahrtsgericht zurückverwiesen.
Die Gerichtskanzlerin: Der Vorsitzende: