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Tatbestand:
Am 10. März 2013 fuhr der Schubverband GMS V / GSL V II (Länge: 193 m, Breite: 11.45 m, Tiefgang: 3,35 m) bei Rhein-km 773 zu Tal. Dabei wurde er von der Wasserschutzpolizei kontrolliert. Bei der Kontrolle wurde festgestellt, dass sich der Schubverband in der Betriebsform A2, S2, Stufe 4 befand. An Bord befanden sich als Besatzung zwei Schiffsführer, ein Steuermann und zwei Decksmänner.
Am 29. April 2013 erließ die Wasser- und Schifffahrtsdirektion West gegen den Betroffenen – als Eigentümer des Schubverbandes - einen Bußgeldbescheid. Der Betroffene wurde zur Zahlung einer Geldbuße von 200 Euro wegen qualitativer Unterbesetzung seines Schiffs verpflichtet. Die Besatzung hätte aus zwei Schiffsführern, einem Bootsmann und zwei Leichtmatrosen bestehen müssen, wobei einer der Leichtmatrosen durch einen Decksmann ersetzt werden durfte. Tatsächlich waren aber beide Leichtmatrosen durch Decksmänner ersetzt worden.
Der Betroffene erhob Einspruch gegen den Bußgeldbescheid. Er führte aus, die Besatzung seines Schiffs sei nicht unterqualifiziert, sondern überqualifiziert gewesen: Er habe einen Bootsmann durch einen Steuermann und einen Leichtmatrosen durch einen Decksmann ersetzt. Ein Steuermann sei „2 Stufen höher“ als ein Bootsmann zu qualifizieren; ein Decksmann sei dagegen nur eine Stufe niedriger als ein Leichtmatrose zu werten. Man müsse dies „einander gegenüber wegstreichen“ können. Die geltende Besatzungsregelung sei im Übrigen veraltet und revisionsbedürftig.
Mit Beschluss vom 29. November 2013 setzte das Amtsgericht Duisburg-Ruhrort gegen den Betroffenen wegen fahrlässigen Verstoßes gegen die Bemannungsvorschrift des Artikels 6 Abs. 1 Nr. 1 Rheinschiffspersonaleinführungsverordnung in Verbindung mit § 3.16 Nr. 1 Schiffspersonalverordnung-Rhein eine Geldbuße in Höhe von 200,00 Euro fest.
Zur Begründung führte es aus, der Betroffene habe dafür zu sorgen, dass die für die jeweilige Betriebsform und Einsatzzeit des Fahrzeugs vorgeschriebene Besatzung während der Fahrt ständig an Bord sei. Es hätten zwei Schiffsführer, ein Bootsmann und zwei Leichtmatrosen an Bord sein müssen, von denen einer der beiden Leichtmatrosen durch einen Decksmann hätte ersetzt werden können. Es ergebe sich aus der gesetzlichen Vorschrift eindeutig, dass nur einer der beiden Leichtmatrosen durch einen Decksmann ersetzt werden dürfe, nicht jedoch beide. Insofern sei die Besatzung trotz der Tatsache, dass statt eines Bootsmanns ein Steuermann an Bord gewesen sei, qualitativ unterbesetzt. Für den festgestellten fahrlässigen Verstoß, das Ersetzen eines Leichtmatrosen durch einen Decksmann, sei im Bußgeldkatalog eine Regelbuße von 200,00 Euro vorgesehen. Entlastende Umstände, die zu einer Reduzierung der Geldbuße hätten führen können, seien keine zu erkennen.
Der Beschluss des Rheinschifffahrtsgerichts wurde dem Betroffenen per Post zugestellt; überdies wurde die Wasserschutzpolizei darum ersucht, den Beschluss dem Betroffenen auszuhändigen.
Der dem Rheinschifffahrtsgericht zugeleitete Rückschein der Postsendung ist zwar unterzeichnet, aber nicht datiert. Die Aushändigung des Beschlusses durch die Wasserschutzpolizei an den Betroffenen erfolgte am 27. Januar 2014.
Mit einem vom 10. Januar 2014 datierten und am 20. Januar 2014 beim Rheinschifffahrtsgericht eingegangenen Schreiben teilte der Beschwerdeführer mit, er erhebe Rechtsbeschwerde.
Mit Schreiben vom 22. Januar 2014 teilte das Rheinschifffahrtsgericht dem Beschwerdeführer mit, die einwöchige Frist zur Einreichung der Rechtsbeschwerde sei nicht eingehalten worden.
Am 31. Januar 2014 teilte der Betroffene dem Rheinschifffahrtsgericht per Fax mit, er lege „Berufung an die Zentralkommission der Rheinschifffahrt“ ein; er fügte bei, der Beschluss sei am 8. Januar 2014 zugestellt worden.
Mit Fax-Mitteilung vom 12. Februar 2014 an das Rheinschifffahrtsgericht erklärte der Betroffene erneut, eine „Berufung an die Zentralkommission der Rheinschifffahrt“ zu erheben.
Mit Fax-Mitteilung vom 28. Februar 2014 reichte der Betroffene eine in niederländischer Sprache abgefasste Begründung seiner Berufung ein. Das Amtsgericht Duisburg-Ruhrort ließ von dieser Begründung eine deutsche Übersetzung anfertigen.
Der Betroffene betont in der Berufungsbegründung, dass er trotz der von der Polizei festgestellten Abweichung von der Bemannungsregelung dem Ziel der Gesetzgebung, nämlich der Sicherheit für Schiff, Mannschaft und Umgebung, Genüge geleistet habe. Es seien drei Personen an Bord gewesen, die für die nautischen Tätigkeiten an Bord qualifiziert seien: Zwei Personen, die Art. 1.02 RheinSchPV genügten, und ein Steuermann. Dies sei ausreichend, um vom nautischen Blickpunkt aus die Sicherheit der Fahrt zu garantieren. Daneben seien zwei Decksmänner an Bord gewesen: ein 25-Jähriger mit 370 Fahrtagen und ein 22-Jähriger mit 300 Fahrtagen. Er habe mit diesen fünf qualifizierten Personen (durch Ausbildung und Erfahrung) die nautischen und andere Tätigkeiten sicher und verantwortungsvoll verrichten können.
Die Regelung, wonach in jedem Falle ein Leichtmatrose anstelle eines Decksmanns an Bord sein müsse, habe nichts mit der Sicherheit der Fahrt und der Tätigkeit an Bord zu tun. Diese Regelung bezwecke, das Absolvieren einer Ausbildung zu stimulieren. Im niederländischen System müsse ein Leichtmatrose neben dem Arbeiten an Bord auch die Schule besuchen; während der Schulzeit könne er nicht an Bord sein und es stehe nicht immer ein anderer Leichtmatrose zur Verfügung, um ihn zu ersetzen. Der Betroffene habe dieses Problem so gelöst, dass er an Stelle eines Vollmatrosen einen Steuermann an Bord genommen habe. Der Unterschied in der Qualifikation zwischen einem Vollmatrosen und einem Steuermann sei wesentlich gewichtiger als der Unterschied in der Qualifikation zwischen einem Leichtmatrosen und einem Decksmann. Es müsse auch berücksichtigt werden, dass der Betroffene zwei Decksmänner mit reichlicher Erfahrung an Bord gehabt habe. Der Betroffene müsse daher die Auffassung des Amtsgerichts, unterqualifiziert gefahren zu sein, mit Nachdruck bestreiten.
Die geltende Bemannungsregelung sei wenig flexibel. Sie stamme im Wesentlichen aus dem Jahre 1988. In der Zwischenzeit hätten sich die Schiffe und auch die Umstände an Bord tiefgreifend verändert. Es sei festzustellen, dass der Gesetzgeber weit hinter den Entwicklungen in der Binnenschifffahrt hinterherhinke. Trotz aller Signale aus dem Sektor seien erst im laufenden Jahr die Evaluation und mögliche Anpassungen der Bemannungsregelung in das Arbeitsprogramm der CCR aufgenommen worden.
Bei der Auslegung der Bemannungsregelung sei das Ziel – die Sicherheit für Schiff, Mannschaft und Umgebung – in den Vordergrund zu stellen; man dürfe sich nicht „in den Mitteln verfangen“.
Der Betroffene sei sich bewusst, dass es im Prinzip nicht Sache des Richters sein könne, anders zu urteilen, als es der Gesetzgeber vorschreibe. Die Gewaltenteilung sei in der westlichen Demokratie ein hohes Gut. Es sei jedoch anzumerken, dass die demokratische Kontrolle eines gesetzgebenden Organs wie der CCR minimal sei. Die Bürger hätten keinerlei direkten Einfluss darauf. Dies sei der Grund, weshalb sich der Betroffene an die Berufungskammer wende; hierbei sei die Höhe des Bußgelds selbstverständlich von untergeordneter Bedeutung.
Die Staatsanwaltschaft Duisburg hat zur Berufungsbegründung mit Schriftsatz vom 3. Februar 2015 Stellung genommen. Sie führt namentlich folgendes aus:
Der eindeutige Wortlaut des § 3.16 Nr. 1 Schiffspersonalverordnung-Rhein verlange, dass zwei Leichtmatrosen an Bord seien, wonach nur einer dieser beiden durch einen Decksmann ersetzt werden könne. Die Besatzung mit zwei Decksmännern und ohne einen Leichtmatrosen sei offensichtlich unzulässig. Die klare Regel könne nicht zu einer flexiblen Bemannungsregel umgedeutet werden; eine solche Umdeutung wäre „weder gesetzeskonform noch praktikabel noch im Hinblick auf den Gleichbehandlungsgrundsatz gerecht“.
Der Betroffene berufe sich zu Unrecht auf den Umstand, dass ein Leichtmatrose ausbildungsbedingt zeitweise die Berufsschule besuchen müsse. Dieser Problematik sei in der Schiffspersonalverordnung-Rhein durch eine Ausnahmeregelung Rechnung getragen worden; im vorliegenden Fall seien allerdings die Voraussetzungen für die Anwendung der Ausnahmeregelung nicht erfüllt.
Der Umstand, dass eines der Besatzungsmitglieder überqualifiziert gewesen sei (Steuermann statt Bootsmann) lasse den Vorwurf der Zuwiderhandlung gegen die Mindestbesatzungsregel nicht entfallen; dies ergebe sich aus der Rechtsprechung der Berufungskammer.
Die Generalstaatsanwaltschaft Karlsruhe hat einen Schriftsatz vom 27. April 2015 eingereicht. Sie anerkennt darin die Rechtzeitigkeit der Berufung; inhaltlich wird zu den strittigen Fragen keine Stellung genommen.
Entscheidungsgründe:
Die Berufung ist gemäß Art. 37 Abs. 2 der revidierten Rheinschifffahrtsakte „binnen 30 Tagen nach der in Gemäßheit der Landesgesetze erfolgten Insinuation des Urteils“ anzumelden. Unter den Begriff der „Insinuation“ fällt die rechtsgültige Zustellung eines Urteils. Im vorliegenden Fall ist der angefochtene Beschluss dem Betroffenen zweimal zugestellt worden. Man könnte die Frage aufwerfen, ob die erste oder die zweite Zustellung für die Fristwahrung maßgebend sein soll. Die Frage kann im vorliegenden Fall offengelassen werden, da die 30-tägige Frist für die Anmeldung der Berufung in jedem Falle gewahrt ist: Die Anmeldung der Berufung erfolgte (erstmals) am 31. Januar 2014 und war somit ungeachtet der Tatsache, ob die Zustellung am 8. oder am 27. Januar erfolgt war, rechtzeitig. Die Begründung der Berufung wurde am 28. Februar 2014 eingereicht und ist daher innerhalb der Frist von „30 Tagen nach erfolgter Appellation“ (Art. 37 Abs. 3 Rheinschifffahrtsakte) erfolgt. Dass diese Begründung – anders als die Anmeldung – nicht in deutscher, sondern in niederländischer Sprache formuliert war, ändert nichts an ihrer Gültigkeit. Der Betroffene war gemäß Art. 10 der Verfahrensordnung der Berufungskammer (Verf-BK) berechtigt, eine der Amtssprachen nach seiner Wahl zu gebrauchen. Zwar verweist Art. 37 Abs. 2 Rheinschifffahrtsakte für die Frage, „in welcher Weise die Anmeldung“ der Berufung zu erfolgen hat, auf die „Landesgesetzgebung“, d.h. auf das deutsche Verfahrensrecht, welches seinerseits vorschreibt, dass alle Eingaben in deutscher Sprache abzufassen sind (vgl. § 184 GVG). Indessen geht es vorliegend nicht um die „Anmeldung“ der Berufung. Es geht um die Begründung, bei deren Abfassung sich der Betroffene auf das Wahlrecht im Sinne von Art. 10 Verf-BK berufen kann. Die Frage, ob dieses Wahlrecht bei der Anmeldung der Berufung gegen das Urteil eines deutschen Rheinschifffahrtsgerichts ebenfalls in Anspruch genommen werden dürfte, kann im vorliegenden Fall offen bleiben.
Die Berufung ist somit zulässig.
In der Sache bleibt das Rechtsmittel ohne Erfolg.
Es ist davon auszugehen, dass für den Schubverband GMS V / GSL V II zum Zeitpunkt der polizeilichen Kontrolle der Ausrüstungsstandard S 2 galt und dass er in der Betriebsform A 2 fuhr. Gemäß § 3.16 Nr. 1 Stufe 4 der Verordnung über das Schiffspersonal auf dem Rhein (RheinSchPersV) ist folgende Mindestbesatzung vorgeschrieben: zwei Schiffsführer, ein Bootsmann und zwei Leichtmatrosen; einer der Leichtmatrosen darf durch einen Decksmann ersetzt werden.
Der Betroffene anerkennt, statt der beiden vorgeschriebenen Leichtmatrosen zwei Decksmänner an Bord gehabt zu haben. Diese Besatzung widerspricht der klaren Mindestbesatzungsregelung, weil nur einer der Leichtmatrosen durch einen Decksmann ersetzt werde darf.
Der Betroffene meint, sich damit rechtfertigen zu können, dass er statt des vorgeschriebenen Bootsmannes einen Steuermann an Bord hatte. Dieses Besatzungsmitglied war überqualifiziert und der Betroffene ist der Meinung, mit dieser Überqualifizierung des einen Besatzungsmitgliedes die Unterqualifizierung eines anderen Besatzungsmitgliedes (Decksmann statt Leichtmatrose) ausgleichen zu können. Mit Recht macht die Staatsanwaltschaft Duisburg darauf aufmerksam, dass ein solcher Ausgleich zwischen Über- und Unterqualifikation nicht nur dem klaren Wortlaut der anwendbaren Norm widerspricht, sondern auch von der Rechtsprechung als unzulässig bezeichnet worden ist. Im Urteil 462 P vom 2. Mai 2011 hat die Berufungskammer entschieden, dass bei einer vorgeschriebenen Besatzung von zwei Schiffsführern, einem Steuermann, einem Bootsmann, einem Leichtmatrosen und einem Maschinisten oder Matrosen-Motorwart die effektive Besatzung von zwei Schiffsführern, drei Steuermännern und einem Decksmann ungenügend sei; die Überqualifikation von zwei Steuermännern vermöge die Unterqualifikation des fehlenden Matrosen-Motorwarts nicht aufzuwiegen. Der Betroffene ist der Auffassung, die Vorinstanz habe nicht berücksichtigt, dass es hauptsächlich auf das Ziel der Mindestbesatzungsregeln – die „Sicherheit für Schiff, Mannschaft und Umgebung“ - ankomme. Die Besatzung auf seinem Schubverband habe diesem Ziel mit Sicherheit in gleichem Umfang entsprochen wie die vom Wortlaut der RheinSchPersV vorgeschriebene Besatzung. Bei dieser Überlegung beachtet der Betroffene zu wenig, dass die Mindestbesatzungsvorschriften zwar bezwecken, die Sicherheit der Schifffahrt zu gewährleisten. Mit Sicherheit in diesem Sinne ist jedoch nicht nur der gegenwärtige, sondern auch der künftige Schiffsverkehr gemeint. Es entspricht daher dem Zweck der Bestimmung, wenn sie dafür Sorge trägt, dass die in der Ausbildung stehenden Leichtmatrosen nicht durch Besatzungsmitglieder ohne jede Ausbildung verdrängt werden dürfen.
Der Betroffene bringt im Weiteren das Argument vor, der Gesetzgeber in Rheinschifffahrtssachen hinke „weit hinter den Entwicklungen der Binnenschifffahrt“ hinterher. Die Regelung über die Mindestbesatzung sei nicht mehr zeitgemäß und müsse revidiert werden. Ob diese Behauptung zutrifft oder nicht, kann im vorliegenden Fall offen gelassen werden. Es ist nicht Sache der Berufungskammer, die geltenden Gesetze zur Rheinschifffahrt zu ändern. Wie der Betroffene selber einräumt, ist auch im Gebiet des Rheinschifffahrtsrechts der Grundsatz der Gewaltenteilung zu beachten. Der Betroffene meint, diesem Grundsatz komme eine beschränkte Wirkung zu, wenn die „demokratische Kontrolle“ über den Gesetzgeber minim sei. Die Berufungskammer kann dieser Meinung nicht folgen. Allfällige Mängel in der Organisation der gesetzgebenden Gewalt können nicht dadurch behoben werden, dass die Justiz deren Aufgaben ganz oder zum Teil übernimmt. Im übrigen fehlt eine überzeugende Begründung für die These des Betroffenen, wonach die „demokratische Kontrolle“ über das Gesetzgebungsorgan in Rheinschifffahrtssachen geringer sein soll als im Bereich des einzelstaatlichen Rechts. Jeder Versuch der Berufungskammer, eine klare – und in ihren Grundgedanken nachvollziehbare – Regel des Rheinschifffahrtsrechts als unanwendbar zu erklären oder in ihrem Inhalt zu verändern, müsste als unzulässige Verletzung des Grundsatzes der Gewaltenteilung bezeichnet werden.
Aus den dargelegten Gründen wird daher für Recht erkannt:
Die Berufung des Betroffenen gegen den Beschluss des Amtsgerichts - Rheinschifffahrtsgerichts – Duisburg-Ruhrort vom 29. November 2013 – 18 OWi 69/13 BSch – wird zurückgewiesen.
Das Verfahren ist gerichtsgebührenfrei. Die notwendigen Auslagen fallen dem Betroffenen zur Last.
Die Gerichtskanzlerin: Der Vorsitzende: