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Leitsätze:
1) Kursveränderung im Sinne von § 6.03 BSchStrO setzt vorsätzlich oder fahrlässig falsche Betätigung des Ruders voraus.
2) Kommt es infolge anderweitiger Sorgfaltsverletzung zum Ausscheren des Schiffes aus seinem Kurs und zu einer Kollision mit einem Gegenkommer, so kann ein Verstoß gegen § 1.04 BSchStrO vorliegen.
Beschluß des Oberlandesgerichts - Schiffahrtsobergericht – Hamm
vom 8. März 1976
5 Ss Oft 188/76
(Schiffahrtsgericht Minden)
Zum Sachverhalt:
Der vom Schiffahrtsgericht zu einer Geldbuße von 150,- DM verurteilte Steuermann hatte als Rudergänger - der Schiffsführer befand sich zur Tatzeit unter Deck - das leere TMS „D" auf der Talfahrt bei Mittellandkanal-km 60,8 mit höherer Geschwindigkeit am nördlichen Kanalufer durch ein Wendebecken auf das westliche, engere Kanalprofil gebracht. Zu Beginn des engeren Kanalteils kollidierte TMS „D" mit dem deutlich langsamer, am südlichen Kanalufer entgegenkommenden TMS „M". Die Kollision erfolgte mit den Backbordvorschiffen, wobei TMS „M" mit seinem Steuerbordvorschiff gegen die Uferböschung gedrückt und beschädigt wurde.
Das Schiffahrtsgericht erkannte auf Verstoß gegen § 6.03 BSchStrO, weil TMS „D" sich wegen zu hoher Geschwindigkeit nach Verlassen des Wendebeckens an der nördlichen Böschung des engeren Kanals festgesogen habe und dadurch zum Gegenkommer hin ausgeschert sei, was der Betroffene habe voraussehen müssen.
Die Rechtsbeschwerde wurde zugelassen, aber - wenn auch aus anderen Rechtsgründen - als unbegründet verworfen.
Aus den Gründen:
„...
Zwar bestehen Bedenken dagegen, daß das Schiffahrtsgericht ein fahrlässiges Zuwiderhandeln nach § 6.03 Abs. 3 BSchStrO für gegeben angesehen hat. Hiernach dürfen Fahrzeuge beim Begegnen oder Überholen weder ihren Kurs noch ihre Geschwindigkeit in einer Weise ändern, die die Gefahr eines Zusammenstoßes herbeiführen könnte. Dies setzt aber im hier nur interessierenden Fall der Kursänderung voraus, daß das Ruder (vorsätzlich oder fahrlässig) falsch betätigt wird.
Nach den rechtsbedenkenfreien Feststellungen des Schiffahrtsgerichts hat der Betroffene durch keinerlei Ruderbetätigung den Kurs verändert. Nach dem durchaus möglichen, keinem rechtlichen Zweifel unterliegenden Schluß des Schiffahrtsgerichts hat der Betroffene die angesichts des wechselnden Kanalprofils naheliegende Möglichkeit eines starken, auf das Heck des leeren Schiffes einwirkenden Sogs nicht vorausgesehen - er ist auch dem weniger erfahrenen Kanalschiffer bekannt - der das Hinterschiff nach Steuerbord zog, das weniger tiefliegende Vorderschiff aber nach backbord aus der Fahrlinie gieren ließ. Diesem voraussehbaren Verhalten des Schiffes hätte der Betroffene durch entsprechende Maßnahmen vorbeugen können (Gegenruder, Herabsetzung der Geschwindigkeit, Vergrößerung des Abstandes zum nördlichen Kanalufer), die der Gefahr der Kreiselbewegung des Schiffes und die dadurch herbeigeführte Havarie vermieden hätte. Das Verhalten des Betroffenen erfüllt deshalb nicht das nach §6.03 Abs. 3 BSchStrO untersagte Rudermanöver, sondern stellt eine nach § 1.04 BSchStrO zu ahndende Sorgfaltsverletzung dar. Nach dieser, dem § 1 StVO ähnlichen Vorschrift haben Schiffsführer bzw. verantwortliche Rudergänger über die Bestimmungen der Binnschiffahrtsstraßenordnung hinaus alle Vorsichtsmaßregeln zu treffen, die die allgemeine Sorgfaltspflicht und die berufliche Übung gebieten, um - u. a. - Beschädigungen anderer Fahrzeuge zu vermeiden. In diesem Sinne war der Schuldspruch richtigzustellen.
Eines besonderen rechtlichen Hinweises bedurfte es nicht, weil lediglich die speziellere Bestimmung, die - hätte sie Anwendung gefunden - im vorliegenden Fall ohnehin in Idealkonkurrenz zu § 1.04 BSchStrO hätte stehen müssen, in Fortfall gelangt, und ausgeschlossen werden kann, daß sich der Betroffene gegen den Vorwurf der Zuwiderhandlung gegen § 1.04 BSchStrO anders verteidigt hätte als bisher (vgl. dazu OLG Hamm, VRS 28/138; OLG Köln, VRS 30/180; Löwe-Rosenberg, StPO, 22. Aufl., § 354, Anm. 1 7 b mit weiteren Nachweisen).
Auch die Höhe der erkannten Geldbuße unterliegt im Ergebnis keinen durchgreifenden Bedenken. Das Schiffahrtsgericht hat sich am Regelsatz des seit 1. Januar 1975 bundeseinheitlich geltenden Bußgeldkatalogs (VBI. 1975, 14 - VBKat Bin-See -) orientiert, der für eine Zuwiderhandlung nach § 6.03 BSchStrO eine Geldbuße von 250,- DM vorsieht; es hat wegen der schlechten wirtschaftlichen Verhältnisse des Betroffenen die Geldbuße auf 150,DM festgesetzt. Für eine Zuwiderhandlung nach § 1.04 BSchStrO sieht lfd. Nr. 1.4 des Katalogs eine nach Schadenshöhe zu differenzierende Geldbuße vor, für leichten Schaden 100,- DM, für einen schweren Schaden 300,- DM. Angesichts der Beschädigungen an TMS „M", über deren Ausmaß das Urteil zwar nichts sagt, die aber nicht als leicht bezeichnet worden sind, erschien dem Senat, der bei den im übrigen klaren Feststellungen des Urteils nach § 79 Abs. 6 OWiG in der Lage war, selbst zu entscheiden, die erkannte Geldbuße - auch mit Bedacht auf die wirtschaftlichen Verhältnisse des Betroffenen - angemessen.
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