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Leitsätze:
1) Läuft ein Schiff aus seinem Kurs in den des entgegenkommenden Schiffes, so begründet dies einen Anscheinsbeweis für ein Verschulden der Besatzung des ersteren Schiffes.
2) Beruft sich der Eigner dieses Schiffes auf ein Ruderversagen, so hat er zu beweisen, dass das Ruder im Zeitpunkt der Havarie tatsächlich versagt hat. Darüber hinaus muss er beweisen, dass die Ruderanlage nach Konstruktion und Einbau tauglich war, kein havarieursächlicher Bedienfehler vorlag, so schnell wie möglich auf Handbetrieb umgestellt und in geeigneter Weise versucht worden ist, die Havarie abzuwenden
Urteil des Rheinschiffahrtsgerichtes Duisburg-Ruhrort
vom 17. September 2007
Aktenzeichen 5 C 27/06 BSch (rechtskräftig)
Tatbestand:
Die Klägerin ist Eigner des TMS »A« Der Beklagte ist Eigner des MS »M« und war zum Zeitpunkt des nachstehend beschriebenen Schiffsunfalls verantwortlicher Führer dieses Schiffes. Am 07.11.2005 gegen 12.00 Uhr befuhr das TMS „A" den Rhein in Höhe der Ortslage Xanten linksrheinisch zu Berg. Zu Tal entgegen kam rechtsrheinisch das MS „M" Die Kurslinien beider Schiffe lagen für eine problemlose Begegnung Backbord an Backbord. In Höhe Rheinkilometer 827 scherte MS »M« jedoch aus seinem Kurs aus und fuhr in Backbordschräglage in den Kurs des TMS »A«. Im Fahrweg der Bergfahrt kam es zur Kollision Kopf auf Kopf. Die Klägerin trägt vor, der Beklagte habe den Unfall verschuldet und habe sich auch nicht hinreichend durch ein Berufen auf ein Ruderversagen entlastet. Zu bestreiten sei bereits, dass der Vorgang auf einem Ruderversagen beruhe. Aber selbst wenn, habe der Beklagte nicht hinreichend zu der von der Rechtsprechung verlangten Entlastungsmöglichkeit vorgetragen. Durch den Unfall sei dem Beklagten ein Schaden in Höhe von 77.080,55 € entstanden. Außerdem werde er von seinem Vertragspartner aus dem Transportvertrag, zu dessen Erfüllung er seinerzeit unterwegs gewesen sei, wegen des Ladungsschadens in Anspruch genommen, wobei sich dieser wiederum Ansprüchen des Absenders der Ladung ausgesetzt sehe. Ein rechtskräftiges Urteil in jenem Verhältnis liege noch nicht vor. Deshalb sei das Feststellungsbegehren gerechtfertigt... Der Beklagte trägt vor, er sei zu einem Schadensersatz nicht verpflichtet, weil er den Unfall nicht verschuldet habe. Die Kollision sei auf einen plötzlichen Ruderausfall auf MS »M« zurück zu führen. Auch das sofort eingesetzte Notruder habe nicht funktioniert. Am 09.11.2005 sei die Ruderanlage auf der Werft überprüft worden. Bei dieser Überprüfung sei festgestellt worden, dass ohne Einwirkung auf die Ruderanlage diese im elektrischen Betrieb das Ruder nach Backbord verlegte. Die Ruderanlage sei zum Einbau in das MS »M« tauglich gewesen und sei regelmäßig gewartet worden. Bis zum Unfalltag habe sie keine Probleme bereitet. Hilfsweise werde die Höhe des geltend gemachten Schadens, insbesondere zum Klageantrag zu 2) bestritten. Vertragliche Ansprüche der Ladungsinteressenten gegenüber der Klägerin seien zudem verjährt, so dass gegen den Beklagten keine Regressansprüche mehr bestünden. Deliktische Ansprüche scheiterten an der Voraussetzung der Schuld... Das Rheinschiffahrtsgericht hat der Zahlungsklage dem Grunde nach stattgegeben und festgestellt, dass der Beklagte der Klägerin alle weiteren Schäden zu ersetzen und sie von Ansprüchen Dritter, insbesondere der Interessenten der Ladung, freizustellen hat.
Entscheidungsgründe:
A. Die Zahlungsklage: Schifffahrtsüblich erging zunnächst ein Grundurteil. Danach ist festzuhalten, dass die Zahlungsklage dem Grunde nach gerechtfertigt ist. Denn die Klägerin hat gegen den Beklagten gern. §§ 3,92ff., 114 Binnenschifffahrtsgesetz einen Schadensersatzanspruch, soweit der Beklagte als Eigner in Anspruch genommen wird und gern. §§ 92 ff. Binnenschifffahrtsgesetz, 823 BGB, soweit der Beklagte als Schiffsführer in Anspruch genommen wird. Denn der Beklagte hat den Unfall wegen Verstoßes gegen § 6.03 Nr. 3 Rheinschifffahrtspolizeiverordnung verschuldet. Als Eigner muss er sich dieses Verschulden als Schiffsführer zurechnen lassen. Nach § 6.03 Nr. 3 Rheinschifffahrtspolizeiverordnung dürfen beim Begegnen Fahrzeuge, deren Kurse jede Gefahr eines Zusammenstoßes ausschließen, ihren Kurs nicht in einer Weise ändern, die die Gefahr eines Zusammenstoßes herbeiführen könnte. Diese Vorschrift ist vorliegend nicht eingehalten worden, denn MS »M« hat kurz vor der Begegnung den Kurs für eine problemfreie Begegnung Backbord an Backbord verlassen und ist in Backbordschrägfahrt in den Kurs des entgegenkommenden TMS »A« gefahren. Es besteht ein Beweis des ersten Anscheins dafür, dass dies schuldhaft war (vgl. BGH Versicherungsrecht 1964, 713; Bemm/v. Waldstein, Rheinschifffahrtspolizeiverordnung, 3. Autl., Einführung Rdn 120). Diesen Beweis des ersten Anscheins hat der Beklagte nicht entkräftet. Erforderlich dazu ist der Nachweis der ernsthaften Möglichkeit eines anderen als des erfahrungsgemäßen Ablaufs; wobei die Tatsachen, aus denen eine solche Möglichkeit abgeleitet werden soll, des vollen Beweises bedürfen (vgl Zöller, Kommentar zur ZPO, 25. Auflage, vor § 284, Rd-Nr. 29 mwN.). Vorliegend fehlt bereits der Nachweis, dass die Kursänderung tatsächlich auf einem Ruderversagen beruht und nicht etwa auf einem menschlichen Fehlverhalten im Steuerhaus von MS »M«. Aus den Aussagen des Beklagten und seiner Ehefrau im Verklarungsverfahren kann sich das Gericht keine Überzeugung dahin bilden, dass ein technisches Versa- gen der Ruderanlage vorlag. Dies haben der Beklagte und seine Ehefrau zwar so bekundet. Bei diesen Aussagen ist aber zu berücksichtigen, dass sie in eigener Sache erfolgt sind. Gegen die Glaubhaftigkeit der Aussagen spricht insbesondere, dass es der Beklagte unterlassen hat, unverzüglich nach dem Unfall dafür zu sorgen, dass die Ruderanlage seines Schiffes durch einen Sachverständigen untersucht wurde und ein Gutachten über das Untersuchungsergebnis erstellt wurde. Dies hätte sofort nach der Havarie erfolgen können, zumal das Schiff ohnehin auf die Werft musste. Spätestens aber im Verklarungsverfahren hätte eine solche Untersuchung beantragt werden können und müssen. Durch das Unterlassen hat er eine zuverlässige Aufklärung vereitelt, was ihm zur Last gereicht. Die Benennung des Zeugen »G« dafür, dass der Zeuge gemeinsam mit dem Beklagten zwei Tage nach dem Vorfall überraschend festgestellt habe, dass ohne Einwirkung auf die Ruderanlage diese im elektrischen Betrieb das Ruder nach Backbord verlegte, genügt nicht. Eine Vernehmung dieses Zeugen war entbehrlich. Denn selbst wenn die in das Wissen des Zeugen gestellte Tatsache erwiesen würde, könnte hierauf nicht hinreichend auf einen technisch bedingten Ruderausfall bei MS »M« zum Unfallzeitpunkt geschlossen werden. Es fehlte nach wie vor eine hinreichende Feststellung, welcher konkrete Defekt an der Ruderanlage vorlag mit dem daraus möglichen Schluss, dass hieraus ein Ruderversagen am 07.11.2005 gegen 12.00 Uhr plausibel erscheint. Dahinstehen kann nach alledem die weitere Frage, ob der Beklagte sich bei Vorliegen eines Ruderversagens hinreichend entlastet hat, nämlich durch die Klarstellung, a) dass die Ruderanlage nach Konstruktion und Einbau tauglich war, b) dass sie sich auch in der Zeit vor der Havarie in einem Zustand befunden hat, der es erlaubte, sie in Betrieb zu nehmen (auch in dem Zusammenhang hätte erst die Feststellung der konkreten Störung eine Bewertung ermöglicht, ob eine mangelhafte Wartung der Ruderanlage vorlag oder nicht), c) dass bei ihrer Bedienung unmittelbar vor der Havarie keine Fehler gemacht worden sind, die zu ihrem Ausfall geführt haben, d) dass nach dem Ausfall der Anlage das Ruder so schnell wie möglich auf Handbetrieb umgestellt und in geeigneter Weise versucht worden ist, die Havarie mit Hilfe des handbetrieblichen Ruders abzuwenden (vgl. OLG Köln, ZfB 1997, Sammlung Seite 1623; Bemm/v. Waldstein a. a. 0., § 1.08 Rdn 12).
B. Die Feststellungsklage: Die Feststellungsklage ist zulässig gern. § 256 ZPO. Das Feststellungsinteresse entfällt nicht we- gen Verjährung möglicher Ansprüche gegen die Klägerin. Denn nach dem unwidersprochenen Vortrag der Klägerin ist die Verjährungsfrist noch gar nicht angelaufen. Nach § 439 Abs. 2 S. 3 beginnt die Verjährung von Rückgriffsansprüchen mit dem Tag des Eintritts der Rechtskraft des Urteils gegen den Rückgriffsgläubiger oder, wenn kein rechtskräftiges Urteil vorliegt, mit dem Tag, an dem der Rückgriffsgläubiger den Anspruch befriedigt hat, es sei denn, der Rückgriffsschuldner wurde nicht innerhalb von 3 Monaten, nachdem der Rückgriffsgläubiger Kenntnis von dem Schaden und der Person des Rückgriffsschuldners erlangt hat, über diesen Schaden unterrichtet. Vorliegend wird der Vertragspartner der Klägerin von dem Absender wegen eines Ladungsschadens in Anspruch genommen. Ein rechtskräftiges Urteil in diesem Verhältnis liegt noch nicht vor und der Vertragspartner der Klägerin hat den Absender auch noch nicht befriedigt. Die Klägerin hat natürlich auch Kenntnis von dem Schaden. Es besteht damit die Möglichkeit, dass die Klägerin noch in Anspruch genommen wird. Anmerkung der Redaktion: Die Klägerin hat nach Erörterung vor dem Rheinschiffahrtsobergericht Köln die gegen das Urteil des Rheinschiffahrtsgericht Duisburg-Ruhrort gerichtete Berufung zurückgenommen. (Rechtsanwalt Dr. Martin Fischer, Frankfurt)
Ebenfalls abrufbar unter ZfB 2008 - Nr. 12 (Sammlung Seite 2004 f.); ZfB 2008, 2004 f.