Banque de données de juriprudence
Urteil der Berufungskammer der Zentralkommission für die Rheinschiffahrt
vom 16.04.2010
455 B - 1/10
Tatbestand:
Am 6.11.2007 führte der damals 70-jährige Betroffene, der ein am 15.7.1963 ausgestelltes Lotsenpatent für die Strecke von Mannheim bis Straßburg sowie ein am 23.8.1960 ausgestelltes Rheinschifferpatent besitzt, das TMS »S« auf dem Rhein bei Strom-km 409 zu Berg. Bei einer wasserschutzpolizeilichen Kontrolle legte er als weiteren Befähigungsnachweis eine Bescheinigung über eine ärztliche Untersuchung nach den Richtlinien der Binnenschifffahrt vom 30.4.2007 vor.
Mit Urteil vom 19.9.2008 hat das Rheinschifffahrtsgericht Mannheim den Betroffenen wegen fahrlässigen Führens eines Fahrzeuges auf dem Rhein, obwohl die Gültigkeit des Rheinpatents nach § 4.02 Nr. 1 Buchstabe b RheinPatV ruht, zu einer Geldbuße in Höhe von 75 € verurteilt.
Zur Begründung hat es im wesentlichen ausgeführt:
Der Betroffene habe den Tatvorwurf eingeräumt. Er habe bis zum Zeitpunkt der Kontrolle durch PHM B am 6.11.2007 beim Führen eines Schiffes das Lotsenpatent aus dem Jahr 1963 sowie das Rheinschifffahrtspatent aus dem Jahr 1960 mitgeführt. Außerdem habe er ein jährlich neu, zuletzt am 30. April 2007, ausgestelltes Zeugnis des Arbeitsmediziners Dr. P über die ärztliche Untersuchung nach den Richtlinien der Binnenschifffahrt bei sich geführt. Ihm sei schon bekannt gewesen, dass er mit Vollendung des 65. Lebensjahres ein jährlich zu erneuerndes ärztliches Attest benötige. Allerdings habe er angenommen, dass das Mitsichführen desselben ausreichend sei. Zuvor sei bei polizeilichen Kontrollen, bei denen er regelmäßig seine Fahrberechtigung habe vorlegen müssen, niemals beanstandet worden, dass dies nicht ausreichend sei. Er habe nicht gewusst, dass er das Attest bei der Schifffahrtsbehörde habe vorlegen müssen. Außerdem sei ihm nicht bewusst gewesen, dass nur bestimmte Ärzte für die Ausstellung einer den schifffahrtsrechtlichen Regelungen entsprechenden ärztlichen Bescheinigung zugelassen seien, zu denen Dr. P nicht gehöre. Deswegen habe er auch sofort einen zuständigen Arzt aufgesucht, nachdem ihm dies mitgeteilt worden sei. Darüber hinaus seien die ärztlichen Anforderungen von Dr. P sogar höher gewesen als diejenigen von Dr. Z. Dr. P habe ihm im Gegensatz zu Dr. Z das Tragen einer Sehhilfe auferlegt.
Der tatsächliche Geschehensablauf sei sowohl durch PHM B als auch durch den Zeugen H, Verwaltungsangestellter bei der Wasser- und Schifffahrtsdirektion (WSD) Südwest, vollumfänglich bestätigt worden.
Das Gericht sei davon überzeugt, dass der Betroffene als Inhaber des Rheinschifferpatents und des Lotsenpatents bei gehöriger Gewissenanspannung hätte erkennen können und müssen, dass es nicht ausreichend sei, ein ärztliches Attest lediglich mit sich zu führen. Vielmehr hätte ihm die Notwendigkeit bewusst sein müssen, dass dieses bei der patentausstellenden Behörde einzureichen sei, die sodann durch eine Überprüfung desselben über die Erneuerung des Tauglichkeitsnachweises entscheide, ansonsten er über keine ausreichende Fahrberechtigung verfüge. Dies lasse sich schon dem vorgedruckten Text der ärztlichen Bescheinigung von Dr. P vom 30. April 2007 entnehmen, in dem der Arzt je nach Befund entweder keine weitergehende Untersuchung wegen fehlender Beeinträchtigung körperlichen oder geistigen Leistungsvermögens oder eine weitergehende Untersuchung vor Erteilung der Fahrerlaubnis empfehle. Aus der Formulierung werde deutlich, dass diese Bescheinigung nicht schon für sich für eine Fahrberechtigung ausreichend sei, sondern dass diese der patentausstellenden Behörde als Entscheidungsgrundlage diene. Darüber hinaus könne diese Schlussfolgerung auch einer Parallelwertung in der Laiensphäre entnommen werden. Sei die Tauglichkeit beispielsweise nur eingeschränkt gegeben, müsse es der zuständigen Behörde möglich sein, den Tauglichkeitsnachweis gar nicht oder nur unter bestimmten Auflagen zu erteilen. Diese Befugnis ergebe sich dementsprechend aus § 4.01 Nr. 3 RheinPatV. Der Betroffene habe auch nicht ernsthaft davon ausgehen können, dass die zuständige Behörde die Wasserschutzpolizei sei. Dabei handle es sich um eine Behörde, die für die Gefahrenabwehr zuständig sei und nicht um eine Einrichtung, die über die Befugnis zum Führen von Schiffen entscheide. Schließlich müsse dem Betroffenen bereits mit
Vollendung des 50. Lebensjahres bewusst gewesen sein, dass der Tauglichkeitsnachweis durch Vorlage eines ärztlichen Zeugnisses bei der ausstellenden Patentbehörde zu erneuern sei. Denn gemäß § 4.01 Nr. 1 Satz 1 Buchstabe a RheinPatV sei ab diesem Zeitpunkt in dieser Weise zu verfahren, wenn auch in größeren Zeitabständen von jeweils fünf Jahren.
Der Betroffene habe somit fahrlässig gemäß Art. 4 Nr. 2 Buchstabe b RheinPatEV in Verbindung mit § 7 Abs. 1 Binnenschifffahrtsaufgabengesetz gegen eine Vorschrift der Rheinpatentverordnung verstoßen, indem er als Inhaber eines Rheinpatents auf dem Rhein ein Fahrzeug geführt habe, obwohl die Gültigkeit des Rheinpatents nach § 4.02 Nr. 1 Buchstabe b RheinPatV geruht habe. Nach dieser Vorschrift in Verbindung mit § 4.01 Satz 1 Nr. 1 Buchstabe b RheinPatV ruhe die Gültigkeit des Rheinpatents, wenn die Tauglichkeit nicht innerhalb von drei Monaten nach den Erneuerungsfristen erneut nachgewiesen werde. Der Tauglichkeitsnachweis werde erneuert durch Vorlage eines ärztlichen Zeugnisses bei der ausstellenden Behörde.
Unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles erachte das Gericht eine Geldbuße in Höhe von 75 Euro für tat- und schuldangemessen. Dieser Betrag entspreche der Festsetzung im Bußgeldbescheid und bewege sich unterhalb des Rahmens des Regelsatzes, der ohnehin lediglich von fahrlässiger Begehung ausgehe. Dabei habe das Gericht zugunsten des Betroffenen berücksichtigt, dass er sich redlich bemüht habe, den patentrechtlichen Vorschriften zu genügen, und sich einer ärztlichen Untersuchung bei einem Arzt unterzogen habe, der Bescheinigungen über die ärztliche Untersuchung nach den Richtlinien der Binnenschifffahrt ausstelle. Es könne nicht davon ausgegangen werden, dass gerade dieser Arzt konsultiert worden sei, um sich unberechtigte Vorteile durch besonders großzügige Handhabung bei den körperlichen Leistungsmerkmalen zu verschaffen. Weiterhin habe der Betroffene sich sofort, nachdem die Beanstandung erfolgt sei, an die WSD gewandt, um die erforderlichen Schritte zur Erneuerung des Tauglichkeitsnachweises einzuleiten. Seitdem verfüge der Betroffene über einen solchen Nachweis. Das Gericht sei davon überzeugt, dass er auch eine entsprechende Erneuerung erhalten hätte, wenn er in der Vergangenheit das ärztliche Attest jeweils bei der ausstellenden Patentbehörde vorgelegt hätte. Darüber hinaus seien in den Jahren zuvor bei den monatlich mindestens einmal stattfindenden Kontrollen durch die Wasserschutzpolizei keine Beanstandungen erfolgt. Zulasten des Betroffenen werte das Gericht, dass der Betroffene nach seinen eigenen Angaben bereits seit dem Jahr 2001 mit Vollendung des 65. Lebensjahres, also knapp sechs Jahre bis zur Kontrolle am 6.11.2007, ohne jeweiligen gültigen Tauglichkeitsnachweis als Schiffsführer Schiffe auf dem Rhein geführt habe. Eine Einstellung komme deshalb nicht in Betracht.
Gegen dieses in Anwesenheit des Betroffenen und seines Verteidigers verkündete Urteil hat der Verteidiger des Betroffenen zunächst fristgerecht Rechtsbeschwerde eingelegt. Diese hat er nach der am 26.9.2008 erfolgten Zustellung des mit einer Rechtsmittelbelehrung versehenen Urteils mit Schriftsatz vom 23.10.2008, eingegangen als Telefax bei Gericht am gleichen Tage, zurückgenommen. Mit weiterem Schriftsatz vom 23.10.2008, am gleichen Tage bei Gericht per Telefax eingegangen, hat er Berufung gegen das Urteil eingelegt und die Entscheidung der Zentralkommission verlangt. Mit Schriftsatz vom 21.11.2008, per Telefax eingegangen am gleichen Tage, hat er sein Rechtsmittel begründet. Im wesentlichen wird geltend gemacht, dass der Betroffene seiner Auffassung nach alles getan habe, um den gesetzlichen Vorschriften entsprechend die Voraussetzungen des Rheinschifffahrtspatents und des Lotsenpatents zu erfüllen.
Die Generalstaatsanwaltschaft Karlsruhe erachtet die Berufung des Betroffenen für unzulässig. Für den Fall der Bejahung ihrer Zulässigkeit durch die Berufungskammer stimmt sie einer Einstellung des Verfahrens zu.
Entscheidungsgründe:
Die Berufung ist zulässig.
Die Berufung mit dem Antrag auf Entscheidung durch die Berufungskammer der Zentralkommission für die Rheinschifffahrt ist innerhalb der in Art. 37Abs. 1 und 2 der Revidierten Rheinschifffahrtsakte geregelten Fristen formgerecht eingelegt und begründet worden.
Ihrer Zulässigkeit steht nicht entgegen, dass der Betroffene gegen das Urteil des Rheinschifffahrtsgerichts zunächst das Rechtsmittel der Rechtsbeschwerde zum nationalen Rheinschifffahrtsobergericht eingelegt hat. Dadurch hat der Betroffene sein Wahlrecht nach Art. 37 Abs. 2 der Revidierten Rheinschifffahrtsakte nicht verloren. Art. 37 Abs. 2 der Revidierten Rheinschifffahrtsakte macht den Zugang zur Berufung bei der Zentralkommission allein davon abhängig, dass die Berufung mit der Erklärung, dass die Entscheidung der Zentralkommission verlangt werde, vor Ablauf der 30-Tage-Frist eingelegt wird. Das ist im vorliegenden Fall geschehen.
Der Zulässigkeit der Berufung steht ebenso wenig entgegen, dass der Verteidiger des Betroffenen Berufung erst eingelegt hat, nachdem er – mit einem wenige Minuten zuvor per Telefax beim Rheinschifffahrtsgericht eingegangenen Schriftsatz – die zunächst eingelegte Rechtsbeschwerde nach Ablauf der Rechtsbeschwerdefrist zurückgenommen hatte. Denn wie bereits ausgeführt, ist es für die Zulässigkeit der Berufung bei der Zentralkommission ohne Bedeutung, ob der Betroffene zunächst den Weg des nationalen Rechtsschutzes beschritten hat. Da die Berufung bei der Zentralkommission auch in diesem Fall bis zum Ablauf der Frist des Art. 37 Abs. 2 der Revidierten Rheinschifffahrtsakte zulässig bleibt, hat die Rücknahme der Rechtsbeschwerde nicht zur Folge, dass die angefochtene Entscheidung des Rheinschifffahrtsgerichts in Rechtskraft erwachsen ist.
Die hiernach zulässige Berufung führt zur Einstellung des Verfahrens gemäß § 47 Abs. 2 OWiG. Der Betroffene hat zwar eingeräumt, dass er am 6.11.2007 das TMS »S« als Schiffsführer/Lotse geführt hat, obwohl zu diesem Zeitpunkt die Gültigkeit seines Rheinpatents nach § 4.02 Nr. 1 Buchstabe b RheinPatV ruhte. Dem Rheinschifffahrtsgericht ist auch darin beizupflichten, dass der Betroffene bei gehöriger Gewissensanspannung hätte erkennen können, dass es für den nach § 4.01 Nr. 1 Buchstabe b RheinPatV vorgeschriebenen, für den Betroffenen aufgrund seines Alters schon seit geraumer Zeit erforderlichen Nachweis der Tauglichkeit nicht ausreichen konnte, sich einer ärztlichen Untersuchung zu unterziehen und die hierüber ausgestellte ärztliche Bescheinigung lediglich mitzuführen, ohne sie der patentausstellenden Behörde vorzulegen.
Das hierdurch begründete Verschulden des Betroffenen ist jedoch nach Auffassung der Berufungskammer als gering zu bewerten. Der Betroffene hat sich, wovon auch das Rheinschifffahrtsgericht ausgeht, subjektiv redlich bemüht, den Bestimmungen der Rheinpatentverordnung zu genügen. Er hat sich regelmäßig ärztlichen Untersuchungen nach den Richtlinien der Binnenschifffahrt unterzogen und sich hierüber jeweils eine ärztliche Bescheinigung ausstellen lassen. Da ihm hierbei nach seiner unwiderlegten Einlassung jeweils die Tauglichkeit als Schiffsführer in der Rheinschifffahrt bescheinigt wurde, ist es ihm nicht als schwerwiegendes Versäumnis anzulasten, dass er nicht die Notwendigkeit erkannte, die Bescheinigungen der für die Patentausstellung zuständigen Behörde vorzulegen. Es kommt hinzu, dass der Betroffene, wie er sich weiter unwiderlegt eingelassen hat, in seinem Irrtum dadurch noch erheblich bestärkt worden ist, dass bei zahlreichen vorangegangenen Kontrollen durch die Wasserschutzpolizei der fehlende Tauglichkeitsnachweis nie beanstandet worden ist. Den Umstand, dass der Betroffene zum Tatzeitpunkt bereits seit knapp sechs Jahren ohne gültigen Tauglichkeitsnachweis als Schiffsführer Schiffe auf dem Rhein führte, wertet die Berufungskammer – anders als das Rheinschifffahrtsgericht – nicht zu Lasten des Betroffenen. Denn wenn der Betroffene, wie zu seinen Gunsten anzunehmen ist, subjektiv redlich in der irrigen Annahme handelte, alles nach der Rheinpatentverordnung Erforderliche getan zu haben, und in diesem Irrtum dadurch bestärkt wurde, dass das Fehlen eines gültigen Tauglichkeitsnachweises jahrelang bei polizeilichen Kontrollen unbeanstandet blieb, hatte der Betroffene keinen Anlass anzunehmen, er sei zum Führen von Schiffen auf dem Rhein nicht (mehr) befugt. Dass dieser Irrtum über einen Zeitraum von knapp sechs Jahren fortbestanden hat, ist kein Umstand, der zu Lasten des Betroffenen Berücksichtigung finden müsste.
Aus den dargelegten Gründen wird deshalb für Recht erkannt:
Das Verfahren wird eingestellt.
Der Betroffene trägt seine eigenen Auslagen selbst.