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Berufungskammer der Zentralkommission für die Rheinschiffahrt
Urteil
vom 2. Juni 1976
(auf Berufung gegen das Urteil des Rheinschiffahrtsgerichtes St. Goar vom 14. Mai 1975 - 4 C 39/73 BSchRh -)
Tatbestand:
Das der Beklagten zu 1.) gehörende Motorschiff "E" befand sich am 20. Januar 1972 unter Führung des Beklagten zu 2) im rechtsrheinischen Fahrwasser des Ehrenthaler Werths auf Talfahrt und begegnete dort gegen 14.30 Uhr dem zu Berg fahrenden Motortankschiff "P", das Eigentum der Klägerin war. MTS "P" habe bei dieser Begegnung Grundberührung erlitten, weil MS "E" trotz des niedrigen Wasserstandes von 0,79 m (Kauber Pegel) mit voller Fahrt MS "J" auf Steuerbord überholt habe und dabei bis auf 1 m an MTS "P" herangekommen sei, das sich schon nahe der rechtsrheinischen Kribben befunden habe. Der Schaden, den MTS "P" erlitten habe, wird auf Grund einer kontradiktorischen Schadentaxe auf hfl. 19.636,35 beziffert. Die Beklagte zu 1.) habe ihr Schiff in Kenntnis des Unfalls zu neuen Reisen ausgeschickt. Mit Klage vom 10.12.1973 beantragte die Klägerin, die Beklagten gesamtschuldnerisch, und zwar die Beklagte zu 1) ausser dinglich mit MS "E" auch persönlich haftend, zur Zahlung von hfl. 19.636,35 nebst 4 % Zinsen seit dem 10.6.1972 zu verurteilen eventuell zu demjenigen Betrag in Deutscher Mark, welcher am Zahlungstage zum amtlichen Kurse umgerechnet dem vorgenannten hfl-Betrag entspricht.
Mit Antwort vom 28.12.1973/4.2.1974 beantragten die Beklagten Abweisung der Klage, notfalls den Beklagten nachzulassen, die Zwangsvollstreckung gegen Sicherheitsleistung abzuwenden. Die Beklagten bestritten vor allem, dass es bei der Vorbeifahrt ihres Schiffes zu den behaupteten Schäden gekommen sei, und erklärten, dass MTS "P" in Anbetracht des niedrigen Wasserstandes (Kauber Pegel 0.,79 m) mit mehr als 1,40 zu tief gelegen habe. MS "E" habe zudem, als MTS "P" in Sicht kam, die ursprüngliche Überholabsicht aufgegeben und sei mit gedrosselter Maschine hinter MS "J" geblieben. Um nicht MS "J" ins Achterschiff zu fahren, habe MS "E" den Kopf etwas nach Steuerbord gelegt und sei mit seiner vorderen Hälfte dem MS "Johanna" zwangsläufig aufgelaufen. MTS "P" habe dann in geringem Abstand MS "E" passiert, ohne nach rechtsrheinisch auszuweichen, obwohl genügend Platz gewesen sei. Mit Grundurteil gemäss dt. ZPO § 304 vom 14. Mai 1975, das den Beklagten am 4. Juni 1975 zugestellt worden ist, hat das Rheinschiffahrtsgericht St. Goar die Klage dem Grunde nach als gerechtfertigt erklärt.
Gegen dieses Urteil haben die Beklagten am 1. Juli 1975 Berufung mit Antrag auf Entscheidung durch die Berufungskammer der Rheinzentralkommission erklärt und erneut Abweisung der Klage unter Kostenfolge für die Klägerin beantragt.
Die Klägerin beantragte am 14. Juli 1975 die Berufung kostenpflichtig zurückzuweisen.
Die Beklagten und Berufungskläger beanstanden die Beweiswürdigung der Vorinstanz und bestreiten, dass MTS "P" anlässlich der Begegnung gerakt oder sonstwie Grundberührung erlitten habe oder festgesessen sei. Die vom Gericht beigezogenen Querprofile würden zeigen, dass trotz des niedrigen Wasserstandes am Unfalltag eine genügend breite Fahrwasserfläche von 100-120 m zum Ausweichen zur Verfügung stand. Auch liege kein fahrlässiger Verstoss des Schiffsführers gegen § 6.03 Nr. 1 und 6.09 Nr. 1 RhSchPVO vor. Die Klägerin und Berufungsbeklagte pflichtet der Beweiswürdigung der Vorinstanz bei und lehnt die abweichende Interpretation der Beweisergebnisse durch die Berufungskläger ab. Für die Einzelheiten wird auf die beidseitigen Begründungen im Berufungsverfahren verwiesen.
Entscheidungsgründe:
1. Die Berufung und ihre Begründung sind form- und fristgerecht eingereicht worden.
2. Der vorliegende Streitfall ist vornehmlich auf Grund von Zeugenbeweisen zu beurteilen. Die Berufungskammer geht bei der Würdigung der Zeugenaussagen davon aus, dass als Grundlage der Erkenntnis des Richters im vorliegenden Falle in erster Linie auf die sofort oder kurz nach dem Schiffahrtsunfall vor Beamten der Wasserschutzpolizei abgegebenen Erklärungen abgestellt werden soll. Diese Vernehmungen erfolgten im engen zeitlichen Zusammenhang mit den von den Zeugen zu schildernden Ereignissen. Deren Erinnerung daran war somit noch frisch und unbeeinflusst von spateren Diskussionen über den Vorfall. Nach dieser Erfahrung beurteilt die Berufungskammer somit die Zeugenaussagen des dem Zivilprozess im vorliegenden Falle vorausgegangenen Strafverfahrens:
a) Am 20. Januar 1972, also am Unfalltage, erklärte der im Strafverfahren beschuldigte Beklagte zu 2), er habe das vor ihm fahrende Schiff überholen wollen, das Überholmanöver aber, weil ein Bergfahrer kam, abbrechen müssen. Er sei rechtsrheinisch mit geringer Fahrstufe hinter seinem Vordermann talwärts gefahren. Das vor ihm fahrende Schiff habe gestoppt, weil MTS "P" in der Einfahrt des rechtsrheinischen Fahrwassers zu Berg kam. Er hätte hierauf sein Fahrzeug freifahren müssen, um nicht mit dem vorderen Schiff zu kollidieren. Deshalb habe er mit etwas stärkerer Maschinenkraft fahren müssen. Wörtlich führte der Befragte aus:
"... MTS "Pefo" hielt mich so hart an, obwohl dieses Fahrzeug noch mehr als eine Schiffsbreite zum rechtsrheinischen Ufer hätte fahren können, dass ich wieder Backbordkurs geben musste. Dadurch kam ich fast längsseits vom MS "J". Als ich in gleicher Höhe - Kopf an Kopf - mit dem MTS "P" war, kamen zwei Mann aus dem Ruderhaus und zeigten mir einen Vogel (Sie tippten mit dem Finger an die Stirn). Weiterhin führte Schiffsführer B. aus, dass MS "J" (dies stellte sich als der richtige Name des Schiffes heraus) ganz dicht am Längswerk war, und wenn noch die Breite seines Schiffes dazugerechnet würde, MTS "P" fast in der Mitte des rechtsrheinischen Fahrwassers zu Berg kam. Durch Handzeichen habe er MTS "P" angezeigt, dass dieses Schiff noch weit zum rechten Ufer fahren könne. Nach der Begegnung mit MTS "P" sei erst das vorausfahrende Talschiff überholt worden. Der Schiffsführer von MTS "Pefo" habe nicht Grundberührung angezeigt. Schiffsführer B. legte ein von ihm gezeichnete Skizze zu den Polizeiakten, aus der hervorgeht, dass sich MS "J" und MTS "P" ungefähr auf gleicher Höhe kreuzten, als MS "E" satt hinter MS "J" auffuhr und nach Steuerbord überholen wollte, dann aber, um nicht mit MTS "P" frontal zu kollidieren, wieder nach Backbord einschwenkte.
b) Schiffsführer S. von MTS "P" meldete ebenfalls am 20.1. 1972 den Vorfall der Wasserschutzpolizei und sagte aus, sein Schiff habe das rechtsrheinische Fahrwasser benützt und die dortigen Kribben (ca. 1.5 - 17 m von. den Kribben) angehalten sowie der Talfahrt die blaue Begegnungsflagge gezeigt. Das unbeladene MS "E" sei aus dem Ehrenthaler Werth ausgefahren und habe mit hoher Fahrstufe das vorausfahrende Schiff mit gesetzter Überholflagge überholen wollen. MS "E" habe genau den Kopf seines Fahrzeuges angehalten. ("Wir hatten Kollisionskurs") MTS "P" habe, als sich MS "E" auf ca 80-90 m in Kollisionskurs genähert hatte, nach Backbord Richtung Kribben auszuweichen. versucht. In dieser Situation sei MS "E" in leichter Schräglage entgegengekommen. MS "J" sei soweit wie möglich zum Ehrenthaler Werth ausgewichen. MTS "P" habe zweimal einen langen Signalton abgegeben. Durch das Ausweichmanöver habe sein Schiff ca. 6m von den Kribben entfernt dreimal Grundberührung gehabt. Unmittelbar darauf habe MS "E" in einem Abstand von knapp einem Meter mit voller Fahrtstufe passiert, wodurch nochmals eine Grundberührung eintrat.
c) Steuermann M. von MTS "P" sagte am 20.1.1972 vor der Wasserschutzpolizei aus, dass er die Grundberührung seines Fahrzeuges festgestellt habe, worauf das Klingelzeichen ertönte und er sich an Oberdeck begeben habe.
d) Der Schiffsführer von MS "J" sagte am 6. April 1972 aus, dass er sich an das Überholmanöver von MS "E" vom 20.1.1972 erinnere, und dass dabei ein Tankmotorschiff entgegen kam. Ob es zu einer Grundberührung gekommen sei, entziehe sich aber seiner Kenntnis.
e) Am 26. August 1973 wurde Schiffsführer S. von der niederländischen Polizei auf Begehren der deutschen Behörden nochmals einvernommen. Dabei verneinte er die Richtigkeit der Ausführungen von Schiffsführer B.
3. Am 13. September 1972 erstattete die Wasserschutzpolizei St. Goar Übertretungsanzeige gegen den Beklagten zu 2), indem sie ihm vorwarf, am 20.1.1972 zwischen Km 560-561 beim Überholen von MS "J" einen Sog bewirkt zu haben, wodurch das zu Berg fahrende MTS "P" Grundberührung bekam. Beim niedrigen Wasserstand (Kauber Pegel 79 cm) sei es auf besagter Stromstrecke unverantwortlich gewesen, ein Überholmanöver durchzuführen, zumal Bergfahrt entgegen kam. Am 8. Dezember 1972 verhängte das Rheinschifffahrtsgericht St. Goar gegen den Beklagten zu 2) eine Geldbusse von DM 80,--. Gegen diese Strafverfügung wurde Einspruch erhoben. Am 10. Juli 1974 und 24. Juli 1974, also 2 1/2 Jahre nach dem Vorfall, verhörte das Amtsgericht St. Goar nochmals Schiffsführer S. von MTS "P" und den Matrosen K., der als Matrose auf MS "E" fuhr. Am 30. September 1974 wurde auch der Beklagte zu 2) nochmals vom Richter einvernommen. Diese Aussageergebnisse beanstanden die Beklagte und Berufungskläger vor allem. Zeuge K., der als Besatzungsmitglied auf MS "E" fuhr, wusste am 20.1.1972 vor der Wasserschutzpolizei über die Fahrweise der beteiligten Schiffe nichts, da er sich unter Deck befunden habe. Am 10.7.1974 konnte er sich aber wieder an ein akustisches Signal und an das Überholen eines beladenen Talfahrers, der Platz gemacht habe, sowie an das Entgegenkommen eines holländischen Schiffes auf Steuerbordseite, dessen Steuerhaus sich dabei auf der Hohe des eigenen Fahrzeuges befunden habe, erinnern. Auch konnte er sich erinnern, dass sein Schiff neben dem beladenen Talfahrer herfuhr. Von der Grundberührung des MTS "P" habe er aber nichts beachtet. Schiffsführer S. bestätigte seine früheren Aussagen und präzisierte, dass sein Fahrzeug von 1330 t (79,98 m lang, 9,09 m breit und 2,76 m hoch) 430 Tonnen Ladung geladen und vorne und hinten 1,40 m tief gelegen habe. Beim Ausweichen nach Backbord, habe sein Abstand gegen MS "J" 15 - 18 m betragen. MS "Express 233" sei zwischen ihm und MS "Johanna" durchgefahren und sei noch in einem Abstand von nur 2 m - 2,5 m geblieben. MS "E" habe die blaue Überholflagge gesetzt. Der Beklagte zu 2) führte in der späterer richterlichen Vernehmung aus, er sei mit verminderter Geschwindigkeit gefahren und habe MS "J" erst später bei Kestert überholen wollen. Da das vorausfahrende Schiff die Geschwindigkeit gedrosselt habe, sei er zwangsläufig aufgelaufen und habe, nach Steuerbord ausweichen müssen. Die Begegnung mit MTS "P" habe in einem sehr geringen Abstand stattgefunden. Er wisse nicht mehr genau, ob er die Überholflagge gesetzt habe, nehme dies aber an. Er sei dann wieder schnell gefahren, da er beim Herausfahren an MS "J" vorbei die Fahrt habe verstärken müssen, um sein Fahrzeug wieder aufzustrecken. Der Abstand zu MS "J" habe 5 - 6 m betragen.
Die Berufungskammer übersieht gewisse, auch von der Vorinstanz festgestellte Widersprüchlichkeiten in den Zeugenerklärungen nicht, kommt aber selbst dann, wenn nur auf die Angaben des Beklagten zu 2) abgestellt wird, zum Ergebnis, dass ein schuldhaftes nautisches Verhalten vorliegt. MS "E" wollte als Talfahrer überholen. Die Oberholabsicht hat der Beklagte zu 2) bei der polizeilichen Einvernahme bestätigt. Sein Schiff sei auch fast langsseits von MS "J" gekommen. Schiffsführer B. bestreitet auch nicht ernsthaft, dass er die Überholflagge gesetzt habe, sondern nimmt dies als gegeben an. Nach § 6.03 RhSchPVO ist das Überholen aber nur gestattet, wenn das Fahrwasser unter Berücksichtigung aller örtlichen Umstände und des übrigen Verkehrs hinreichenden Raum für die Vorbeifahrt gewährt. Diese allgemeine, dem überholenden Fahrzeug obliegende Sorgfaltspflicht hatte der Beklagte zu 2) verletzt, indem er zwischen die sich begegnenden Schiffe MS "J" und MTS "P" hineingefahren ist, was aus der vom Beklagten zu 2) am Unfalltage selber erstellten und der Wasserschutzpolizei übergebenen Skizze deutlich hervorgeht. Dass MS "J" seine Fahrt verlangsamt hat, entsprach der Schiffahrtsübung und seiner reglementarischen Pflicht nach § 6.09, Ziffer 2 Rheinschiffahrtspolizeiverordnung, und der Beklagte zu 2) musste mit der Geschwindigkeitsverringerung des Vormannes rechnen.
Er musste somit mangels restloser Übersicht auch seine eigene Geschwindigkeit entsprechend einrichten. Dass er dies nicht getan hat, geht aus seiner eigenen Darstellung hervor, wonach er, um nicht auf den Vordermann aufzulaufen, nach Steuerbord ausweichen musste und seitlich zu MS "J" zu liegen kam. Als Überholer musste er auch die Vorschrift von § 6.09 RhSchPVO beachten wonach das Überholen nur gestattet ist, nachdem sich der Überholende vergewissert hat, dass dieses Manöver ohne Gefahr ausgeführt werden kann. Er musste damit rechnen, dass ein Bergfahrer dem Vormann begegnen könne, wenn er den Bergfahrer, der die blaue Begegnungsflagge, gezeigt hat, zu. Beginn seines Überholmanövers noch nicht gesehen haben sollte, sodass dieser für ihn unerwartet auftauchte, so würde dies zeigen, dass er sich nicht im Sinne von § 6.09 vergewissert hat, dass sein Oberholmanöver ohne Gefahr vollständig ausgeführt werden konnte. Die Gewissheit der Gefahrlosigkeit muss sich auf das ganze Überholmanöver von Anfang bis Ende erstrecken, und der Überholende kann sich nicht entschuldigen, er hatte zu Beginn des Manövers noch die erforderliche Gewissheit annehmen dürfen, und nur und erst während des Manövers erkannt, dass das Überholen nicht mehr möglich war. Die Fahrweise des überholenden Talfahrers muss, wenn er schon zu einem Überholmanöver ansetzt, derart sein, dass er auch bei Auftreten selbst unerwarteter Umstände, wie einer grosseren Verlangsamung der Fahrt des Vordermannes oder Entgegenkommen eines Bergfahrers seine eigene Fahrt hinreichend drossein kann, um sich wieder hinter dem Vordermann einzureihen. Wenn er aber, wie der Beklagte zu 2) selber ausfuhrt, nach Steuerbord ausweichen muss, um nicht auf den Vordermann aufzulaufen, so war seine Fahrt nach den örtlichen Umständen zu schnell. Und wenn er zudem sofort wieder nach Backbord einschwenken musste, um nicht mit einem Bergfahrer frontal zusammenzustossen, so zeigt dieser Umstand, dass keine ausreichende Gewissheit vorlag, dass das ganze Überholmanöver gefahrlos durchgeführt werden konnte. So oder so zeigt die Fahrweise vom MS "E", dass das Überholmanöver im Gange und eingeleitet war, sodass die spatere Behauptung, es hätte erst weiter talwärts bei Kestert überholt werden sollen, nicht zutreffend sein kann. Weder aus den Akten noch aus den Zeugenaussagen lässt sich entnehmen, dass MS "J" seine Fahrt unerwartet stark oder übermässig gedrosselt habe, zum mindesten nicht über das Mass hinaus, das ein überholendes Schiff erwarten darf, um überholen zu können. Am Unfalltag sagte Schiffsführer B. aus: "Dort wollte ich überholen. Da aber ein Bergfahrer kam, brach ich das Überholmanöver ab." Das Überholmanöver ist also in Kenntnis der Fahrgeschwindigkeit des Vordermannes eingeleitet worden, und nur das Entgegenkommen des Bergfahrers und nicht die unerwartete Fahrtverminderung des Vordermannes veranlasste zum Abbruch des Überholmanövers.
6. Die Berufungskläger wenden ein, MTS "P" hatte weiter gegen das rechtsrheinische Ufer ausweichen können, womit gesagt werden soll, dass das Überholen von MS "E" zwischen MS "J" und MTS "P" hindurch gefahrlos und ohne Sogeffekt möglich gewesen wäre. Es kann jedoch dahin gestellt bleiben, wie gross die Abstände zwischen den drei Schiffen genau gewesen sind. Einmal gibt der Beklagte zu 2) zu, dass sein Schiff in eine Schräglage kam und die Geschwindigkeit wieder ver-grössern musste, um sein Schiff aufzustrecken. Zeuge K. bezeichnet einen Abstand zwischen MS "J" und MS "E" von 5-6 m und denjenigen zwischen letzterem Schiff und MTS "P" als noch etwas grosser. Der Beklagte zu 2) führte aus,dass sein Abstand zu MS "J" so gering war, dass er eine Kollision befürchtete. Als er MS "J" bis zum Vorderschiff aufgelaufen sei und ihm MS "P" begegnet sei, seien die seitlichen Abstände sehr gering gewesen. In Metern kann er sie nicht mehr ausdrücken. Nach der eigenen Unfallskizze des Beklagten zu 2) müssen die seitlichen Abstände seines Schiffes gegenüber MS "J" und MTS "P" ungefähr die gleichen gewesen sein. Es darf davon ausgegangen werden, dass der seitliche Abstand zwischen MS "J" und MTS "P" für die ordnungsgemässe Begegnung ausreichte. Wenn sich nun aber ein Schiff dazwischen schob, und dies war die Fahrweise des MS "E" mit einer Breite von 9.09 m, so ergaben sich zwangsläufig zu geringe seitliche Abstände nach beiden Seiten. Es ist richtig, dass nach § 6.04, Ziffer 1 RhSchPVO der Bergfahrer beim Begegnen unter Berücksichtigung der örtlichen Umstände und des übrigen Verkehrs dem Talfahrer einen geeigneten Weg frei lassen muss. Der erste begegnende Talfahrer war MS "J", und diesem wurde der geeignete Weg frei gelassen und das Begegnen auf Steuerbordseite durch die blaue Begegnungsflagge angezeigt. MTS "P" musste aber nicht damit rechnen, dass ein Talfahrer, der dafür die Verantwortung trägt und sich ausreichend vergewissern muss, dass keine Gefahr besteht, gleichzeitig in das Begegnungsmanöver hineinfahren und zwischen zwei Schiffen auch noch seinen Überholungsraum beanspruchen will. Der niedrige Wasserstand und der nahe Abstand zu den Kribben erschwerte auch ein weiteres Ausweichen nach dem rechtsrheinischen Ufer. Es kann indessen auch bei dieser Frage dahingestellt bleiben, ob das Fahrwasser objektiv ein weiteres Ausweichen von MTS "P" nach dem rechtsrheinischen Ufer erlaubte, denn als sich MS "E" und MTS "P" plötzlich frontal begegneten, weil "E" nicht mehr hinter MS "J" bleiben konnte, sondern seitlich aufgelaufen ist, hatte ein plötzliches Ausweichen nach Backbord im zeitlichen Ablauf der Ereignisse nicht mehr zur Folge haben können, einen ausreichenden Abstand ohne Sogeffekt zu schaffen. Ein allzu brüsker Kurswechsel von MTS "P" nach Backbord hätte eine Gefahr für das Auflaufen auf die Kribben bedeutet, ja das Schiff in eine zu grosse Schräglage bringen und das Hinterschiff nach Steuerbord drucken können, sodass eine physische Kollision mit MS "E" nicht aus-zuschliessen gewesen wäre. Neben all diesen Erwägungen ist indessen entscheidend, dass MTS "P" nicht damit rechnen musste, dass MS "E" hinter MS "J" auflief, weil es seine Geschwindigkeit nicht mehr so stark drosseln konnte, um das eingeleitete Überholmanöver hinter dem Vordermann abzubrechen und in dessen Kurs zu bleiben. Die Berufungsinstanz sieht sich aus diesen Gründen auch nicht veranlasst, weitere Erhebungen über effektiv zur Verfügung stehende Fahrwasserbreite zu machen. Der Kenntnis der Vorinstanz, dass das Fahrwasser im mittleren Teil des Ehrenthaler Werths verhältnismässig seicht ist, und dass die Schiffahrt es möglichst vermeidet, den rechtsrheinischen Kribben zu nahe zu kommen, kann beigepflichtet werden, und die Berufungsinstanz kann sich der Ortskenntnis des örtlich zuständigen Rheinschiffahrtsgerichts anschliessen, insbesondere auch seiner Feststellung, dass an besagter Stelle bei niedrigem Wasserstand (Kauber Pegel 79 cm) die Talfahrt erschwert ist, und dass sich wegen der erhöhten Sogwirkung ein Fahren von zwei Talfahrern auf gleicher Flöhe bei der Vorbeifahrt an einem Bergfahrer verbot.
7. Die Berufungskläger wenden weiterhin ein, dass eine Grundberührung von MTS "P" nicht erwiesen sei, weil dies von anderen Schiffen und ihren Besatzungen nicht festgestellt worden sei. Sie bestreiten damit, dass die Fahrweise von MS "E" den schädigenden Erfolg verursacht habe. Dieser, erst im Prostess erhobene Einwand kann indessen nicht gehört werden. Schon am Unfalltage meldete Schiffsführer S. von MTS "P" die erfolgte Grundberührung der Wasserschutzpolizei. Der einvernommene Beklagte zu 2) erklärte lediglich, der Schiffsführer von MTS "P" habe ihm in keiner Weise angedeutet, dass er durch seine Vorbeifahrt eine Grundberührung erlitten habe. Das gemachte Handzeichen will er dagegen als Beleidigung angesehen haben. Den Aussagen des Schiffsführers des beschädigten Schiffes darf deshalb in diesem Punkte Glauben geschenkt werden. Sie werden, auch durch diejenigen des Steuermanns M. bekräftigt, der auch schon am 20.1.1972 die Grundberührung festgestellt und bestätigt hat.
8. Den Einwand, MTS "P" sei am Unfalltag zu tief abgeladen gewesen, halten die Berufungskläger nicht mehr ernsthaft aufrecht. Das Schiff hatte eine Tragfähigkeit von 1330 Tonnen und war mit 430 Tonnen Ladung beladen. Eine grössere Ladungsmenge ist nicht behauptet worden. Bei einer Höhe des Schiffes von 2,76 m und einer Beladung von rund 1/3 der Tragfähigkeit darf somit ein Tiefgang von 1,40 m als richtig angenommen werden. Die Beklagten behaupten auch keinen grösseren Tiefgang, Der Feststellung der Vorinstanz kann beigepflichtet werden, dass an der Unfallstelle ein Soll-Wasserstand von ca. 1,89 - 1,94 m vorhanden war, wenn der Kauber Pegel 0,79 m betrug. MTS "P" hatte somit ein "Sicherheitspolster" von ca. 50 cm., das für normale Begegnungsvorgänge ausgereicht hätte. Ein Vorwurf zu tiefer Abladung lässt sich somit nicht aufrechterhalten.
9. Die Berufungskläger bestreiten nicht, dass die Schiffe in so nahem Abstand aneinander vorbeigefahren sind, dass die Talfahrer eine Sogwirkung ausstrahlten, die dem Bergfahrer Fahrwasser entzog. Dass sich die Sogwirkung umso stärker bemerkbar macht, je geringer die umgebende Wassermenge ist, ist eine der Berufungskammer bekannte Tatsache, die keines weiteren Beweises bedarf. Dass bei der Begegnung von zwei Talfahrern mit einem Bergfahrer dem letzteren noch mehr Fahrwasser durch den Sog entzogen wird, ist gleichermassen allgemein in der Schiffahrt bekannt, sodass sich auch aus diesem Grunde keine Beweiserhebungen über das Vorliegen und das Ausmass der Sogwirkung aufdrängen. In Anbetracht der Fahrwassertiefe, der örtlichen Verhältnisse und der Umstände der Begegnung darf auch ohne weiteres darauf geschlossen werden,dass die Grundberührung von MTS "P" die Folge der Sogwirkung war.
10. Es steht somit fest, dass der Beklagte zu 2) in Verletzung der Vorschriften von § 6.03 Ziffer 1 und § 6,09 Nr. 1 RhSchPVO den Unfall fahrlässig verschuldet hat. Nach Art. 1 Abs. 1 und 2, Art. 2 und Art. 3 des Übereinkommens zur Vereinheitlichung einzelner Regeln über den Zusammenstoss von Binnenschiffen vom 15. März 1960, das laut Gesetz vom 30. August 1972 (BGbl II, 1005) in der Bundesrepublik Deutschland gilt und den §§ 92 a bis 92 f BschG, sowie nach § 3 BschG und § 830 BGB haften somit die Beklagten zu 1) und zu 2) als Gesamtschuldner für den von der Klägerin erlittenen Schaden. Dass die Beklagte zu 1) in erster Linie nach § 4 BSchG nur dinglich und im Rahmen von § 114 BSchG auch persönlich haftet, ist in der Berufung nicht angefochten worden, sodass auch in diesem Punkte das Urteil der Vorinstanz bestätigt werden kann. Die Zinsforderung ist desgleichen unangefochten geblieben.
Es wird deshalb für Recht erkannt:
Die Berufung der Beklagten und Berufungskläger gegen das am 14. Mai 1975 verkündete Urteil des Rheinschiffahrtsgerichtes St. Goar wird als unbegründet abgewiesen.
Das Urteil des Rheinschiffahrtsgerichtes wird bestätigt.
Die Kosten des Berufungsverfahrens tragen die Berufungskläger als Gesamtschuldner.
Die Festsetzung der Kosten unter Berücksichtigung des Artikels 39 der Revidierten Rheinschiffahrtsakte erfolgt durch das Rheinschiffahrtsgericht St. Goar.
Der Gerichtskanzler : Der Vorsitzende:
(gez.) Doerflinger (gez.) L. Specht