Banque de données de juriprudence
Leitsätze:
1) Zur Zuständigkeit der Rheinschiffahrtsgerichte für Rechtsstreitigkeiten bezüglich des Ausgleichs unter Gesamtschuldnern.
2) Rechtliche Folgen eines „Wettrennens" zwischen 2 oder mehreren Schiffen bei Überholmanövern.
Urteil der Berufungskammer der Zentralkommission der Rheinschiffahrt
vom 14. Januar 1976
44 Z - 1/76
(Rheinschiffahrtsgericht St. Goar)
Zum Tatbestand:
In Höhe des Bopparder Hamm überholten das den Beklagten gehörende MS G und das zunächst dahinterliegende, der Klägerin gehörende TMS D gleichzeitig den rechtsrheinisch hart an den Fahrwasserbegrenzungsbojen zu Berg fahrenden Schub-Koppelverband K. Die Überholungsmanöver führten, ohne daß nachgewiesen ist, wer die Überholung als erster begonnen hat, dazu, daß alle 3 genannten Fahrzeuge nebeneinander mit äußerst geringen Seitenabständen auf gleicher Höhe lagen. Die in diesem Augenblick zu Tal kommenden Talfahrer MS T und MS Ke hatten nicht mehr genügenden Raum zur Begegnung und fuhren deshalb außerhalb der Fahrrinne über einen Grund, wobei sie durch Grundberührung zum Teil erhebliche Schäden erlitten. Die Klägerin hat diese Schäden ausgeglichen. Sie verlangt nunmehr von den Beklagten die Hälfte des für die Schäden an MS Ke gezahlten Betrages von 1.400.000,- bfrs., nämlich 700.000,- bfrs. Das Rheinschiffahrtsgericht hat diesem Klageanspruch stattgegeben. Die Berufung wurde von der Berufungskammer als unbegründet zurückgewiesen.
Aus den Entscheidungsgründen:
„...
Die Berufungskammer ist der Ansicht, daß die Rheinschiffahrtsgerichte auch für die Entscheidungen von Rechtsstreitigkeiten zuständig sind, die den Ausgleich unter Gesamtschuldnern zum Gegenstand haben, wenn die Gesamtschuldnerschaft auf eine Beschädigung zurückzuführen ist, welche Schiffe auf dem Rhein „während der Fahrt" oder beim Anlanden anderen zugefügt haben. Bei der Würdigung der durchgeführten Beweisaufnahme kommt die Berufungskammer zu dem gleichen Ergebnis wie die bisher mit dieser Aufgabe befaßten Gerichte. Grundlage ihrer Erkenntnis sind dabei in erster Linie die Protokolle über die Vernehmung von Zeugen durch Beamte der Wasserschutzpolizei im Rahmen des Strafverfahrens gegen den Kapitän von D. Für die Feststellung der Einzelheiten des umstrittenen Überholvorgangs sind die Aussagen der Schiffsführer P. des Verbandes K und W. von MS „L." von besonderer Bedeutung. Beide Zeugen haben diesen Vorgang, der auch für ihre Schiffe von Bedeutung war, beobachtet. Beide können als sachkundige Beobachter gelten, die kein Interesse am Ausgang des Rechtsstreites haben, das ihre Aussagen hätte beeinflussen können. Leider sind diese im entscheidenden Punkte unvereinbar. Sie haben alle die Situation so gesehen, daß der Verband K gleichzeitig von G und D überholt wurde. Wie es zu dieser Situation gekommen war, haben sie nicht erkannt. Die Aussagen der Schiffsführer der Parteien sind so unterschiedlich wie die der Zeugen P. und W. Die Frage, wer mit der Uberholung des Schub-Koppelverbandes begann und wer später als zweiter Überholer der Talfahrt keinen hinreichenden Raum mehr gelassen hat, bleibt also ohne Antwort.
Unstreitig ist aber, daß die Führer der beiden überholenden Schiffe jeweils dem anderen gegenüber die Priorität des Überholvorganges geltend machten und entschlossen waren, sie durchzusetzen. Beide haben bei ihren Vernehmungen erklärt, als erster mit der Überholung begonnen zu haben. Beide haben ihr Manöver selbst dann nicht abgebrochen, als sie mit K auf gleicher Höhe lagen und die herankommende Talfahrt sahen, der kein hinreichender Raum für die Vorbeifahrt zur Verfügung stand. Diese Erklärungen und Verhaltensweise zeugen von einem Beharren auf dem eigenen vermeintlichen Recht und von einer Mißachtung des Rechts der Talfahrt auf hinreichenden Raum. Hierin liegt ein schwerer Verstoß gegen die allgemeine nautische Sorgfaltspflicht, wie sie § 4 der zur Unfallzeit geltenden Rheinschiffahrtpolizeiverordnung normierte. Diese Pflicht gebietet es auch, auf die Ausübung von Rechten zu verzichten, wenn deren Durchsetzung mit Sicherheit andere Einheiten in Gefahr bringen würde. So war es im vorliegenden Falle, wo das Verhalten der Überholer die Talfahrer dazu zwang, außerhalb der amtlichen Fahrrinne über einen Grund zu fahren und zur Vermeidung einer Kollision eine fast sichere Grundberührung mit ihren möglichen Folgen in Kauf zu nehmen. Der Verzicht jedes Überholers auf sein angebliches Vorrecht war gefahrlos möglich und deshalb zumutbar. Das den Weg der Talfahrt einengende TMS D konnte sich hinter G zurückfallen lassen mit der Folge, daß die Talfahrt hinreichenden Raum hatte. Das MS G konnte sich hinter K fallen lassen, mit dem Ergebnis, daß D näher an den Schubverband hätte herangehen und dadurch der Talfahrt den Weg hätte freimachen können. Nichts spricht dafür, daß das Schiff der Beklagten, wie diese vortragen, bei einem solchen Manöver in Schwierigkeiten geraten wäre. Es hätte lediglich rechtzeitig durchgeführt werden müssen. Die Berufungskammer läßt offen, ob die beiden Überholer schließlich in der Weise schräg zu einander lagen, daß ihre Köpfe sich berührten und ob gerade hierdurch der Weg der Talfahrt entscheidend eingeengt worden ist. Wenn dem so gewesen sein sollte, so wäre auch das die Folge des geschilderten Verstoßes der Führer der Schiffe der Parteien gegen die allgemeine nautische Sorgfaltspflicht. Die Tatsache, daß D der Talfahrt am nächsten war und sein schräg liegendes Heck deren Weg einengte, würde nicht dazu zwingen, diesem Schiff die alleinige Verantwortung für die Schäden der Talfahrer aufzubürden. Diese selbst hält auch die Berufungskammer für schuldlos. Es war die Pflicht der Schiffsführer der Parteien, ihr den Weg freizumachen. Die Talfahrt durfte darauf vertrauen, daß dies geschehen werde. Es kann nicht festgestellt werden, daß zu einem Zeitpunkt, als dieses Vertrauen angesichts der Verhaltensweise der Überholer nicht mehr gerechtfertigt war, den Talfahrern noch eine andere Verhaltensweise möglich war, als außerhalb der Fahrrinne über den Grund zu fahren.
Aus den dargelegten Gründen bleibt es bei der Feststellung des Rheinschiffahrtsgerichtes, die Parteien hätten die Schäden der Talfahrer im Verhältnis zueinander zu gleichen Teilen auszugleichen. Da die Klägerin diejenigen des MS Ke, über deren Höhe kein Streit besteht, im vollen Umfange bezahlt hat, kann sie gemäß Artikel 4 Absatz 1 und 3 des Übereinkommens zur Vereinheitlichung einzelner Regeln über den Zusammenstoß von Binnenschiffen vom 15. März 1960 Erstattung der Hälfte des bezahlten Betrages verlangen.
...“