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Urteil der Berufungskammer der Zentralkommission für die Rheinschifffahrt
vom 16. April 2007
435 Z - 2/07
Tatbestand:
Die Parteien streiten über Schadensersatzansprüche aus einer Schiffskollision, die sich am 26.3.2003 in der Ortslage Rhein-Dürkheim bei Rheinkilometer 451 ereignet hat.
Die Klägerin ist Eignerin des aus dem MS "D" und dem Schubleichter "R" bestehenden Schubverbandes. MS "D" ist 104 m lang und 11,40 m breit, der SL "R" ist 109 m lang und ebenfalls 11,40 m breit. Die Beklagte zu 1) ist die Schiffseignerin und der Beklagte zu 2) der Schiffsführer des MS "V", das 135 m lang und 11,45 m breit ist.
Am 26.3.2003 gegen 23.00 Uhr befuhr der von Schiffsführer Fokkens verantwortlich geführte Schubverband „D/R“ den Rhein bergwärts und näherte sich der Ortslage Rhein-Dürkheim bei Rheinkilometer 451. Zum gleichen Zeitpunkt kam MS "V", das von dem Beklagten zu 2) als verantwortlicher Schiffsführer geführt wurde, talwärts. Im Zuge der Annäherung der Schiffe erfolgten von beiden Seiten Funkdurchsagen, wobei jeder der beiden Schiffsführer vom jeweils anderen Schiff ein Ausweichen verlangte. Schließlich stießen die Schiffe etwa bei Rheinkilometer 451 jeweils mit ihrem Backbordvorschiff zusammen, wobei an beiden Schiffen Schäden entstanden. Die am Schubleichter entstandenen Schäden sind Gegenstand der Klage.
Die Klägerin hat vorgetragen: Bei der Annäherung der Schiffe habe Schiffsführer Fokkens zunächst einen Kurs gestreckt in einem Abstand von 50 m am linksrheinischen Ufer vorbei eingehalten. Bei der Annäherung des Talfahrers habe er gesehen, dass der Talfahrer zwischen der ersten und zweiten roten Tonne des Nordheimer Grundes hinter dem Tonnenstrich gefahren sei. Nach Passieren der zweiten Tonne hätte der Talfahrer Steuerbordruder geben müssen. Stattdessen sei er aber zunächst geradeaus weiter genau auf den Kopf des Verbandes zugefahren. Schiffsführer "F" habe dies zum Anlass genommen, den Talfahrer auf Kanal 10 zweimal anzusprechen mit der Aufforderung, die 135 m Talfahrt bei Rhein-Dürkheim solle Platz machen. Als er darauf keine Antwort erhalten und der Talfahrer seinen Kurs noch immer nicht geändert habe, habe Schiffsführer Fokkens kurz die Scheinwerfer eingeschaltet und noch einmal auf Kanal 10 gerufen. Erst darauf sei eine Antwort des Talfahrers gekommen mit den Worten, der Bergfahrer solle Platz machen. Schiffsführer "F" habe erwidert, dass er nicht einmal mehr 50 m vom Ufer entfernt sei und nicht weiter beifahren könne. Gleichzeitig habe Schiffsführer "F" beide Maschinen auf vollan zurück gestellt und mit dem Bugstrahlruder des Leichters den Kopf des Verbandes noch weiter nach Steuerbord gedrückt. Erst zu diesem Zeitpunkt habe der Talfahrer mit der Einleitung des längst erforderlichen Steuerbordmanövers begonnen, das schon hätte eingeleitet werden müssen, als das Vorschiff des MS "V" in Höhe der zweiten roten Tonne am Nordheimer Grund gewesen sei. Obwohl er mit Hilfe des Bugstrahlruders des Schubleichters die Spitze des Verbandes bis auf nur noch 20 m zum links-rheinischen Ufer hin beigefahren habe, sei der Schubleichter vorn an Backbordseite von dem Backbordvorschiff des in Backbordschräglage befindlichen MS "V" gerammt worden. Infolge der Kollision sei MS "V" mit dem Achterschiff nach Backbord herumgefallen und in eine Parallellage zum Schubverband geraten. Der Verband sei infolge des Kollisionsstoßes mit dem Steuerbordvorschiff des Leichters gegen das linksrheinische Ufer gedrückt worden. MS "V" habe anschließend den Schubverband in gestreckter Lage und geringem seitlichen Abstand passiert, ohne diesen noch einmal zu berühren. Die Kollision beruhe also auf dem alleinigen Verschulden des Beklagten zu 2) als dem verantwortlichen Schiffsführer des MS "V".
Die Klägerin hat beantragt, die Beklagten zu 1) und 2) gesamtschuldnerisch haftend zu verurteilen, an die Klägerin 29.878,69 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 29.06.2003 zu zahlen.
Die Beklagten haben beantragt, die Klage abzuweisen.
Sie haben vorgetragen: Der Beklagte zu 2) habe bei der Annäherung an die Ortslage Rhein-Dürkheim die rote Fahrwassertonne am Nordheimer Grund bei Kilometer 450,5 dicht angehalten und dann Kurs auf die rote Tonne unterhalb Kilometer 451 genommen. Hierbei sei MS „V“ in seiner Hälfte der Fahrrinne geblieben. Der zu Berg kommende Schubverband sei in der Fahrwassermitte zu Berg gekommen und habe entsprechend dem Verlauf der Linkskurve, die aus seiner Sicht zu durchfahren gewesen sei, in Backbordschräglage gelegen. Damit hätten die Vorschiffe des MS "V" und des Leichters des Verbandes auf Kollisionskurs gelegen. Über Funk habe der Beklagte zu 2) den Bergfahrer angesprochen und aufgefordert, nach Steuerbord auszuweichen und mehr Raum zu geben. Gleichzeitig habe er sein Bugstrahlruder eingeschaltet, um den Kopf des Schiffes noch mehr nach Steuerbord zu drücken. Weil der Schubverband seinen Kurs beibehalten habe und nicht nach Steuerbord ausgewichen sei, seien die Backbordvorschiffe in einer seitlichen Berührung gegeneinander geraten. Durch Rückwärtsmanöver sei es dem Schiffsführer „T“ nach dem ersten Anstoß gelungen, eine weitere Berührung zu vermeiden und den Schubverband in Parallelfahrt zu passieren. Wegen der Notmanöver sei MS "V" dann aber in den linksrheinischen Hang verfallen und habe
Mühe gehabt, sich vor einem weiteren linksrheinischen Bergfahrer, dem Schubverband "Gebr. Grieshaber", wieder auf einen rechtsrheinischen Kurs zu bringen. Die Bergfahrt habe somit entgegen ihrer Verpflichtung der Talfahrt keinen genügenden Raum gelassen, so dass den Beklagten zu 2) an dem Unfall kein Verschulden treffe.
Das Rheinschifffahrtsgericht hat Beweis erhoben durch Vernehmung des Beklagten zu 2) so-wie der Zeugen L „T“, „F“, „R“ und „B“ sowie durch Beiziehung der Bußgeldakten der Staatsanwaltschaft Mainz (Az.: 3255 Js 184/04 OWi).
Mit Urteil vom 11.5.2006 hat das Rheinschifffahrtsgericht die Klage mit der Begründung abgewiesen, aufgrund des Ergebnisses der Beweisaufnahme könne nicht mit der erforderlichen Sicherheit festgestellt werden, dass sich die Kollision, wie von der Klägerin behauptet, auf der äußersten linksrheinischen Seite des Fahrwassers ereignet habe und damit von dem Beklagten zu 2) verschuldet worden sei. Die Angaben der Parteien zu dieser Frage widersprächen sich diametral. Genau beobachtet worden sei der Unfallhergang allein von den beiden Schiffsführern, deren jeweilige Aussagen sich unvereinbar gegenüberstünden. Die Aussagen der Zeugen L „T“ und „R“ sprächen dafür, dass die Kollision sich in der Mitte des Fahrwassers ereignet habe. Der Zeuge „B“ habe zum Unfallhergang keine Angaben machen können.
Gegen diese Entscheidung richtet sich die form- und fristgerecht eingereichte und begründete Berufung der Klägerin, mit der diese ihren Klageantrag weiterverfolgt.
Die Klägerin wiederholt ihr erstinstanzliches Vorbringen zum Unfallhergang und beanstandet die Beweiswürdigung des Rheinschifffahrtsgerichts. Sie verweist insbesondere auf die Angaben, die der Beklagte zu 2) gegenüber der Wasserschutzpolizei gemacht hat und aus denen sich ergebe, dass MS „V“ angesichts einer Fahrwasserbreite von 145 m an der Unfallstelle selbst dann für die Begegnung genügend freier Raum in einer Breite von 70 m zur Verfügung gestanden habe, wenn der Schubverband in der Fahrwassermitte entgegengekommen sein sollte. Tatsächlich habe MS „V“ ein noch breiterer Raum zur Verfügung gestanden, weil der Schubverband zur Vermeidung der Kollision mit dem Vorschiff bis auf 20 m und mit dem Achterschiff bis auf ca. 30 m zum linksrheinischen Ufer beigefahren sei. Diese Darstellung der Klägerin werde entgegen der Auffassung des Rheinschifffahrtsgerichts durch die Angaben der Zeugen „R“ und „B“ bestätigt. Nach der Aussage des Zeugen „R“ habe der Abstand des Vorschiffs des Schubleichters zum linksrheinischen Ufer noch 10 bis 15 m betragen, als der Zeuge wenige Sekunden nach dem Einschalten des Bugstrahlruders auf volle Kraft an Deck gekommen sei; in der Zwischenzeit habe das Vorschiff mittels des Bugstrahlruders keine größere Entfernung als ca. 10 m nach Steuerbord zurücklegen können. Auch der Zeuge Büche habe bestätigt, dass MS „V“ – nach der Kollision – zu nahe am linksrheinischen Ufer gefahren sei und zur Ermöglichung einer gefahrlosen Begegnung mit dem von dem Zeugen geführten Koppelverband „Gebr. Grieshaber“ eine starke Kurskorrektur nach Steuerbord durchgeführt habe. Die Richtigkeit der Darstellung der Klägerin werde schließlich auch durch die Art der eingetretenen Beschädigungen beider Fahrzeuge bestätigt.
Die Klägerin beantragt, das Urteil des Amtsgerichts – Rheinschifffahrtsgericht – Mainz vom 11.5.2006 zu ändern und die Beklagten gesamtschuldnerisch haftend zu verurteilen, an die Klägerin 29.878,69 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 29.06.2003 zu zahlen.
Die Beklagten beantragen, die Berufung zurückzuweisen.
Sie wiederholen und vertiefen ihr erstinstanzliches Vorbringen und sehen dasselbe durch das Ergebnis der erstinstanzlichen Beweisaufnahme bestätigt.
Entscheidungsgründe:
Die form- und fristgerecht angebrachte Berufung ist zulässig, hat in der Sache jedoch keinen Erfolg. Zu Recht und mit zutreffender Begründung hat das Rheinschifffahrtsgericht entschieden, dass ein Verschulden des Beklagten zu 2) an der Kollision des Schubverbandes mit dem MS „V“ nicht mit der für eine Verurteilung der Beklagten erforderlichen Sicherheit festgestellt werden kann, weil nicht geklärt werden kann, auf welcher Seite des Fahrwassers sich der Zusammenstoß ereignet hat.
I.
Die Aussagen der beiden Augenzeugen – der jeweiligen Schiffsführer – stehen sich, wie auch die Berufung nicht verkennt, diametral und unvereinbar gegenüber. Während der Zeuge "F" bekundet hat, zum Zeitpunkt der Kollision habe er mit dem Bug des Koppelverbandes noch ca. 20 m vom linksrheinischen Ufer entfernt schon praktisch still gelegen und durch den Anstoß sei der Leichter dann noch gegen die Steine am Ufer gekommen, hat der Beklagte zu 2) ausgesagt, der Koppelverband sei ihm in der Rheinkrümmung mitten im Fahrwasser entgegengekommen und so weit vom linksrheinischen Ufer weg gewesen, dass er praktisch in seiner, des Beklagten zu 2), Fahrrinne gefahren sei und ihm keinen Platz gelassen habe. Welche dieser gegensätzlichen Darstellungen der Wahrheit entspricht, lässt sich, wie das Rheinschifffahrtsgericht richtig gesehen hat, auch nicht mit Hilfe der Aussagen der übrigen Zeugen klären.
Der Zeuge Leendert „T“, der seinen Angaben zufolge unmittelbar nach dem Zusammenstoß ins Steuerhaus des MS „V“ kam, als das Steuerhaus von MS "V" etwa in Höhe des Vorschiffes des Schubleichters war, hat ausgesagt, er habe sehen können, dass die Schiffe etwa in der Mitte des Fahrwassers, mehr zur roten Tonne hin, zusammengestoßen seien. Das spricht gegen die Darstellung der Klägerin.
Demgegenüber hat der Zeuge „R“, der sich als Verantwortlicher auf dem Schubleichter befand, zwar ausgesagt, er sei nach dem Knall an Deck gelaufen und habe gesehen, dass das Achterschiff von MS "V" noch einmal leicht gegen die Backbordseite des Leichters angekommen sei, und zwar in etwa der Mitte des Leichters. Er habe dann an Land gesehen und festgestellt, dass er 10 - 15 m vom Land weg gewesen sei. Das Schiff habe zu diesem Zeitpunkt keinen Vorausgang mehr gehabt und sei mit ziemlichen Tempo dem Land zugegangen, denn das Bugstrahlruder habe das Schiff nach Steuerbord gezogen und das Schiff habe ja auch durch den Zusammenstoß mit MS „V“ einen Schub in Richtung Ufer bekommen. Als er nach achtern geschaut habe, sei das Achterschiff des Verbandes etwa 30 - 35 m vom Land weg gewesen. Auch dieser Zeugenaussage ist indessen nicht sicher zu entnehmen, dass sich die Kollision im linksrheinischen Teil des Fahrwassers ereignet hat. Denn als der Zeuge seine Beobachtungen zum Abstand des Schubverbandes vom linksrheinischen Ufer machte, waren seit dem Zusammenstoß bereits 35 bis 40 Sekunden vergangen, in denen der Koppelverband infolge des Anstoßes und zusätzlich durch das mit voller Kraft laufende, 600 PS starke Bugstrahlruder des Schubleichters nach Steuerbord versetzt wurde. Diese Zeitspanne errechnet sich aus den von der Klägerin angegebenen Geschwindigkeiten beider Fahrzeuge und der von dem Zeugen bezeichneten Position des Achterschiffs des MS „V“ im Zeitpunkt des Erscheinens des Zeugen an Deck des Schubleichters. Da die Kollision jeweils mit dem Backbordvorschiff erfolgte, muss das 135 m lange MS „V“ rund 180 m zurückgelegt haben, um mit dem Achterschiff etwa die Mitte des 109 m langen Schubleichters zu erreichen, wo es sich befand, als der Zeuge an Deck kam. Da der Schubverband nach der Aussage des Zeugen Fokkens im Augenblick des Zusammenstoßes schon praktisch still gelegen hat, während MS „V“ mit unverminderter Geschwindigkeit von 17 km/h zu Tal gefahren sein soll, benötigte MS „V“ rund 38 Sekunden, um mit dem Achterschiff die von dem Zeugen Rings angegebene Position zu erreichen. Die Aussage des Zeugen Rings gibt unter diesen Umständen keinen sicheren Aufschluss darüber, wo sich der Kopf des 214 m langen Koppelverbandes, der die Linkskrümmung des Stroms in Backbordschräglage durchfahren musste, vor der Kollision befunden hat.
Schließlich ergibt sich auch aus der Aussage des unbeteiligten Zeugen Büche nicht, auf wel-cher Seite des Fahrwassers die Kollision erfolgt ist. Den Zusammenstoß selbst hat der Zeuge nicht wahrgenommen, weil er sich außerhalb seines Radarbereichs ereignete. Die Tatsache, dass MS „V“ im Anschluss an die Kollision dem von dem Zeugen „B“ geführten Schubverband „Gebr. Grieshaber“ auf der linksrheinischen Seite entgegenkam und eine starke Kurskorrektur nach Steuerbord vornahm, um eine gefahrlose Begegnung zu ermöglichen, belegt entgegen der Auffassung der Klägerin nicht, dass MS „V“ auch zum Zeitpunkt des Zusammenstoßes bereits zu weit linksrheinisch gefahren sei. Wie das Rheinschifffahrtsgericht richtig gesehen hat, kann die von dem Zeugen Büche angegebene Position des MS „V“ vielmehr ebenso gut darauf zurückzuführen sein, dass der Schubverband sich beim Zusammenstoß in Backbordschräglage befand und MS „V“ beim parallelen Vorbeigleiten zwangsläufig in das linksrheinische Fahrwasser der Bergfahrt geriet.
II.
Da in Anbetracht dieses Ergebnisses der Beweisaufnahme ein Verschulden des Beklagten zu 2) nicht mit der erforderlichen Sicherheit festgestellt werden kann, hat das Rheinschifffahrtsgericht die Klage zu Recht abgewiesen.
III.
Da sich das angefochtene Urteil damit als zutreffend erweist, ist die Berufung der Klägerin zurückzuweisen. Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO.
IV.
Aus den dargelegten Gründen wird deshalb für Recht erkannt:
Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Rheinschifffahrtsgerichts Mainz vom 11.5.2006 – 76 C 9/05.BSchRh – wird zurückgewiesen.
Die Klägerin hat die Kosten des Berufungsverfahrens zu tragen.