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Berufungskammer der Zentralkommission für die Rheinschiffahrt
Urteil
vom 17. Januar 2002
410 Z - 6/01
(auf Berufung gegen das Urteil des Rheinschifffahrtsgerichts Duisburg-Ruhrort vom 29.01.2001 - 5 C 16/00 BSch -)
Tatbestand:
Die Parteien streiten um die Folgen eines Schiffsunfalls, der sich am 03.07.1999 gegen 15.30 Uhr bei sonnigem Wetter und guter Sicht auf dem Rheinstrom bei Km 654 - Ortslage Bonn - ereignet hat.
Die Klägerin ist Eignerin des MS L (104,98 m lang; 9,50 m breit; 2.095 t groß; 885 KW stark), das zur Zeit nachbeschriebener Ereignisse von Schiffsführer S. verantwortlich geführt worden ist.
Die Beklagte zu 1 ist Eignerin des TMS G (110,12 m lang; 9,50 m breit; 2.119 t groß; 1.224 PS stark), das zur Zeit nachbeschriebener Ereignisse von dem Steuermann W. geführt worden ist.
Der Beklagte zu 2 ist zusammen mit seiner Ehefrau L. Geschäftsführer der Beklagten zu 1.
Am 03.07.1999 gegen 15.30 Uhr befand sich das mit ca. 2.000 t Gasöl beladene MTS G auf dem Rheinstrom unterhalb der Beueler Brücke in der Bergfahrt. Ihm entgegen kam das mit 1.992 t Steinsalz beladene MS L. Beide Fahrzeuge hielten sich rechtsrheinisch. Während der Begegnung kam es zur Kollision beider Schiffe. Nach dem Unfall setzte MS L zur Vermeidung eines Sinkens auf dem rechtsrheinisch gelegenen Beueler Grund auf. Aus Anlass des Unfalls ist das Verklarungsverfahren 5 II 6/99 Schifffahrtsgericht Duisburg-Ruhrort durchgeführt worden. Auch hat die Wasserschutzpolizei ermittelt.
Die Beklagte zu 1 hat in Kenntnis des Unfalls und seiner Folgen ihr Schiff zu neuen Reisen ausgesandt.
Mit der Klage verlangt die Klägerin Ersatz ihres Schadens.
Die Klägerin hat behauptet, der Schiffsführer von TMS G habe den Unfall verschuldet. Die beteiligten Schiffsführer hätten rechtzeitig abgesprochen, die Begegnung ihrer Schiffe Backbord an Backbord durchzuführen. Die Kurse beider Schiffe hätten so gelegen, dass eine gefahrlose Begegnung entsprechend dieser Absprache möglich gewesen sei. Als sich die Schiffe weitgehend angenähert gehabt hätten, habe TMS G seinen gestreckten Bergweg verlassen und sei mit starkem Backbordkurs auf MS L zugefahren. MS L habe noch versucht nach Steuerbord auszuweichen, habe aber die Kollision nicht mehr verhindern können.
Die Klägerin hat beantragt,
1. die Beklagten als Gesamtschuldner zu verurteilen,
2. festzustellen, dass für die Forderung ein Schiffsgläubigerrecht an dem TMS G seit dem 03.07.1999 gemäß § 102 Ziff. 4 BinnSchG besteht.
Die Beklagten haben beantragt, die Klage abzuweisen.
Die Beklagten bestreiten ein Verschulden der Schiffsführung des TMS G an der Kollision und tragen vor, Schiffsführer Schreck von MS L habe die Kursweisung des MTS G missachtet und habe unklare und widersprüchliche Kurse gefahren. Nach der Absprache einer Begegnung Backbord an Backbord habe MS L überraschend die blaue Seitenflagge gesetzt und habe einen harten Kurswechsel in Richtung auf das linke Ufer vorgenommen. Hierdurch hätten die Schiffe bei einem Abstand von 200 bis 300 m auf Kollisionskurs gelegen. In dieser Lage habe der Schiffsführer von TMS G, der in Steuerbordschräglage ebenfalls in Richtung auf das linke Rheinufer gefahren sei, Backbordruder gegeben, um sein Schiff aufzustrecken. Etwa gleichzeitig habe das MS L aus voller Fahrt erneut einen Kurswechsel nach rechtsrheinisch hin vorgenommen und die blaue Seitenflagge eingezogen. Für MTS G sei die Anfahrung nicht mehr vermeidbar gewesen. Das Rheinschifffahrtsgericht hat nach Beiziehung der genannten Verklarungsakten durch das am 29.01.2001 verkündete Urteil die Klage dem Grund nach für gerechtfertigt erklärt.
Zur näheren Begründung seiner Entscheidung hat das Rheinschifffahrtsgericht ausgeführt, Schiffsführer T. von TMS G habe gegen das Kursänderungsverbot, beim Begegnen nach § 6.03 Nr. 3 RhSchPV verstoßen und hierdurch den Unfall der Fahrzeuge verschuldet. Die beteiligten Schiffsführer hätten eine Begegnung Backbord an Backbord abgesprochen. Entsprechend dieser Abrede hätten die Kurse beider Schiffe zunächst so gelegen, dass diese Begegnung gefahrlos hätte durchgeführt werden können. Als sich die Schiffe schon weitgehend genähert gehabt hätten, die Entfernung von Bug zu Bug möglicherweise nur noch 100 m betragen habe, sei TMS G mit seinem Bug nach Backbord verfallen und in starker Schräglage auf das nach wie vor gestreckt zu Tal fahrende MS L zufahren, so dass MS L die Kollision nicht mehr habe verhindern können, obwohl es noch versucht habe, in Richtung des dortigen Grunde auszuweichen.
Gegen dieses ihr am 08.02.2001 zugestellte Urteil haben die Beklagten durch einen am 06.03.2001 eingegangenen Schriftsatz Berufung mit dem Antrag auf Entscheidung durch die Berufungskammer der Zentralkommission für die Rheinschifffahrt eingelegt und diese durch einen weiteren, am 29.03.2001, eingegangenen Schriftsatz begründet.
Der Beklagte zu 2 bestreitet eine Ersatzpflicht, weil er zur Unfallzeit das TMS G nicht geführt hat. Am Ruder habe Steuermann W. gestanden. Er selbst habe sich in der Wohnung aufgehalten. Als er in den Steuerstuhl gekommen sei, habe er nicht mehr eingreifen können. Neben W. habe sich seine Ehefrau L. im Steuerstuhl aufgehalten. Seine Ehefrau sei auch Patentinhaberin.
Im übrigen wenden sich die Beklagten gegen die Beweiswürdigung in dem angefochtenen Urteil und meinen, das alleinige Verschulden an dem Unfall liege nach dem Beweisergebnis bei der Schiffsführung des MS L.
Die Beklagten beantragen, unter Abänderung des angefochtenen Urteils die Klage abzuweisen. Die Klägerin beantragt, die Berufung zurückzuweisen.
Die Klägerin tritt den Ausführungen der Beklagten entgegen. Sie meint, die Schiffsführung des TMS G habe den Unfall verschuldet. Neben einem nautischen Verschulden treffe den Beklagten zu 2 auch ein organisatorisches Verschulden, weil er die Schiffsführung einem unpatentierten Rudergänger überlassen habe.
Entscheidungsgründe:
Die Berufung der Beklagten ist form- und fristgerecht eingelegt und begründet worden. In der Sache hatte die Berufung keinen Erfolg.
I.
Die Beklagten sind der Klägerin zum Ersatz ihres Schadens aus dem Unfall vom 03.07.1999 nach den §§ 3, 92b, 114 BinnSchG verpflichtet.
Mit dem Rheinschifffahrtsgericht ist auch die Berufungskammer aufgrund des Ergebnisses des Verklarungsverfahrens und der Ermittlungsakten der Wasserschutzpolizei unter angemessener Berücksichtigung aller Umstände des Falles der Überzeugung, dass der Unfall vom 03.07.1999 bei Bonn auf einem Verschulden des Steuermanns W. von TMS G beruht, weil er entgegen dem Verbot des § 6.03 Nr. 3 RheinSchPV den Kurs seines Schiffes geändert und so den Zusammenstoß der Schiffe schuldhaft verursacht hat.
Ihre Überzeugung stützt die Berufungskammer im einzelnen auf folgende Erwägungen:
1. Zwischen den Parteien steht außer Streit, dass die beteiligten Schiffe über Funk eine Begegnung Backbord an Backbord vereinbart haben, als die Schiffe noch etwa 500 bis 600 m voneinander entfernt waren. Zu dieser Zeit lagen beide Schiffe auf sicheren Kursen, MS L dicht an den rechtsrheinischen roten Tonnen und das TMS G etwas mehr zur Fahrrinnenmitte hin versetzt. Hätten beide Fahrzeuge ihren Kurs beibehalten, wäre eine gefahrlose Begegnung möglich gewesen. Unstreitig ist ferner, dass TMS G nach der Verständigung der Schiffe über Funk die bis dahin gezeigte blaue Seitentafel weggenommen hat.
2. Nach § 6.03 Nr. 3 RheinSchPV dürfen Fahrzeuge, deren Kurs jede Gefahr eines Zusammenstoßes ausschließen, ihren Kurs und ihre Geschwindigkeit nicht in einer Weise ändern, die die Gefahr eines Zusammenstoßes herbeiführen könnte.
Gegen dieses Verbot der Kursänderung hat zwar nicht der verantwortliche Schiffsführer des TMS G T. verstoßen, weil er sich zur Zeit der Annäherung der Schiffe noch unter Deck aufhielt, wohl aber der Rudergänger des Schiffes, der im Verklarungsverfahren als Zeuge gehörte Steuermann W. Insofern ist dem Rheinschifffahrtsgericht ersichtlich ein Irrtum unterlaufen. Da ein Rudergänger zur Schiffsmannschaft gehört, müssen sich die Beklagten jegliches Verschulden der Schiffsmannschaft an dem Unfall, für das der Schiffseigner nach § 3 BinnSchG persönlich haftet, in vollem Umfange zurechnen lassen. Wenn also Steuermann W. als Rudergänger das TMS G geführt hat, was ersichtlich zwischen den Parteien au0er Streit steht, und ihm unfallursächliche Fehler unterlaufen sind, geht das hier zu Lasten der Beklagten.
Aus gleichen Gründen geht zu Lasten der Beklagten, dass Frau L. als patentierte Schiffsführerin in der entstandenen Gefahrenlage nicht handelnd eingegriffen und den Unfall abgewendet hat.
Dass TMS G auf kurze Distanz zu MS L eine unzulässige und für den Unfall ursächliche Kursänderung unternommen hat, hat das Rheinschifffahrtsgericht zutreffend aufgrund den Angaben der neutralen Zeugen We., F., S. und O. - Al Tajir in Verbindung mit den zu den Verklarungsakten gereichten Fotos des Unfalls festgestellt. Der zutreffenden und überzeugenden Beweiswürdigung in dem angefochtenen Urteil tritt die Berufungskammer zur Vermeidung von Wiederholungen in vollem Umfange bei. Dieses Beweisergebnis wird zudem bestätigt, worauf ergänzend hinzuweisen ist, durch die Angaben des Schiffsführers Schreck im Verklarungsverfahren, wonach sich TMS G auf eine Distanz von etwa 100 m „mit unheimlicher Geschwindigkeit" in Richtung des Beueler Grundes, also nach rechtsrheinisch hin bewegt hat.
3. Die Beklagten stellen eine unzulässige und unfallursächliche Kursänderung des TMS G in Abrede.
Unter Hinweis auf die Bekundungen des Steuermanns W. haben die Beklagten ausgeführt, TMS G habe nach der Funkabsprache betreffend eine Begegnung Backbord an Backbord nach linksrheinisch gehalten, um den Raum für die Backbordbegegnung noch etwas zu vergrößern. Während dieses Manövers habe MS L überraschend auch nach linksrheinisch gehalten und gleichzeitig die blaue Seitenflagge gesetzt. Damit hätten die Schiffe auf Kollisionskurs gelegen. Um den drohenden Anfahrungsstoß in die empfindliche Flanke zu entgegen habe Steuermann W. sein Tankschiff aufgestreckt. Vor dem Anstoß habe MS L erneut den Kurs geändert, die blaue Seitenflagge entfernt und in einer Steuerbordbewegung nach rechtsrheinisch gehalten. Im Zuge dieser Bewegungen seien die Schiffe ungefähr in der Mitte der Fahrrinne zusammengestoßen.
Dem vermag sich die Berufungskammer nicht anzuschließen.
Den Beklagten ist zuzugeben, dass die Angaben des Zeugen W. bestätigt werden durch die der Zeugin L. Den Aussagen beider Zeugen vermochte die Berufungskammer jedoch keinen Beweiswert beizumessen.
Beide Zeugen stehen dem Ausgang dieses Rechtsstreits nicht unbefangen gegenüber. Sie sind vielmehr am Ausgang dieses Rechtsstreits unmittelbar interessiert. W. war der verantwortliche Rudergänger des TMS G; Frau L. ist Gesellschafterin der V.O.F. Scheepvaartbedrijf Galaxy, der das TMS G gehört.
Die Interessenverknüpfung eines Zeugen braucht allerdings nicht immer den Beweiswert einer Zeugenaussage auszuschließen oder zu schmälern. Im Rahmen der freien Beweiswürdigung sind aber alle Umstände des Falles zu berücksichtigen und zu werten. Hier sprechen die Aussagen aller neutralen Zeugen, die durch die zu den Akten gereichten Fotos bestätigt werden, gegen die objektive Richtigkeit der Angaben der Zeugen W. und L. Insoweit nimmt die Berufungskammer Bezug auf zutreffende Beweiswürdigung in dem angefochtenen Urteil.
Insoweit ist ergänzend darauf hinzuweisen, dass keiner der neutralen Zeugen eine Kursänderung des MS L nach Backbord, also nach linksrheinisch gesehen hat. Zwar mögen die Zeugen nicht ständig den Kurs des MS L verfolgt haben. Hätte aber MS L im Zuge der Annäherung an TMS G seinen Kurs nach linksrheinisch hin verlegt, wäre das den schiffskundigen Zeugen We. von FGS A und F. von MS B mit Sicherheit nicht entgangen. Beide Zeugen haben eine solche Kursänderung des MS L nicht wahrgenommen. Auch wenn der Zeuge F. kurze Zeit durch das Einschenken einer Tasse Kaffee abgelenkt worden ist, konnte ihm angesichts der Kürze dieser Tätigkeit eine Kursänderung des MS L nicht völlig entgehen. Ferner ergibt sich aus den zu den Akten gereichten Fotos, dass die Kollision rechtsrheinisch in der Nähe der dort ausliegenden roten Tonnen erfolgt ist. Wie die Fotos zeigen, ist MS L sogar über eine rote Tonne gefahren. Hätte sich MS L bei der Annäherung der Fahrzeuge vom rechten Fahrrinnenrand zur Strommitte hin durch eine Kursänderung wegbewegt, hätte die Kollision nicht in der Nähe der rechtsrheinisch ausliegenden Tonnen erfolgen können.
4. Zu Unrecht berufen sich die Beklagten zum Beweis für die Richtigkeit ihrer Darstellung auf die Aussage von Schiffsführer Schreck im Verklarungsverfahren.
Richtig ist, dass diese Aussage mehrdeutig ist und die Darstellung der Beklagten zu bestätigen scheint.
Die Würdigung dieser Aussage muss aber im Zusammenhang mit den Vorgängen gesehen werden, die sich vor der Kursverständigung über Funk ereignet haben. Alles, was Schreck auf Befragen angegeben und die Beklagten in ihrer Berufungsbegründung wörtlich wiedergegeben haben, betrifft nautische Maßnahmen und Beurteilungen, die vor der abschließenden Kursverständigung über Funk von Schiffsführer Schreck getroffen worden sind. Dass die Angaben von Schiffsführer Schreck nur in diesem Sinne verstanden werden können, ergeben seine folgenden Angaben, in denen er ausgeführt hat, dass eine Begegnung Steuerbord an Steuerbord hätte durchgeführt werden können, die Begegnung Backbord an Backbord aber sinnvoller, jedenfalls üblicher gewesen sei. Diese ergänzenden Bemerkungen von Schiffsführer Schreck zeigen, dass die von den Beklagten aufgezeigten Teile der Aussage Umstände vor der Kursverständigung betrafen, die auf die Vorgänge nach der Kursverständigung später ohne Einfluss waren.
Den aufgezeigten Aussagen von Schiffsführer S. kann nach alledem nicht entnommen werden, dass er abweichend von der Kursverständigung den Kurs seines Schiffes nach linksrheinisch gerichtet hat.
5. Auch die von den Beklagten vorgelegte Expertise des Sachverständigen I. vom 07.03.2001 rechtfertigt keine den Beklagten günstigen Rückschlüsse.
Wie groß der Anfahrungswinkel bei der Kollision tatsächlich gewesen ist, ist nach der Überzeugung der Berufungskammer ohne Bedeutung, da TMS G nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme eine deutliche Kursänderung vorgenommen hat. Ohne einen erheblichen Anfahrungswinkel ist im übrigen die Lage des TMS G im Strom nach dem Unfall, wie sie durch die Fotos dokumentiert wird, nicht zu erklären.
Nach alledem steht zur Überzeugung der Berufungskammer fest, dass allein die Schiffsführung des TMS G den Unfall verschuldet hat. Die Beklagten sind daher der Klägerin zum Schadensersatz verpflichtet.
II.
Auch der Beklagte zu 2 ist der Klägerin zum Schadensersatz verpflichtet. Denn der Beklagte zu 2 ist Gesellschafter der Beklagten zu 1) und daher persönlich nach niederländischem Recht für die oben erörterte Gesellschaftsschuld solidarisch verpflichtet.
III.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 ZPO.
IV.
Aus den dargelegten Gründen wird für Recht erkannt.
Die Berufung der Beklagten gegen das am 29.1.2001 verkündete Urteil des Rheinschifffahrtsgerichts Duisburg-Ruhrort - 5 C 16/00 BSch - wird auf ihre Kosten zurückgewiesen.
Die Festsetzung dieser Kosten gemäß Artikel 39 der Revidierten Rheinschifffahrtsakte erfolgt durch das Rheinschifffahrtsgericht Duisburg-Ruhrort.