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Leitsätze:
1) Eine Haftungsbeschränkung wegen gefahrengeneigter Tätigkeit setzt das Bestehen eines Arbeitsverhältnisses voraus, gilt jedenfalls nicht für Dienstverträge selbständiger Lotsen.
2) Das Übersehen der blauen Seitenflagge durch einen Lotsen ist als ganz grober nautischer Fehler anzusehen.
Urteil des Amtsgerichts - Rheinschiffahrtsgericht in St. Goar
vom 28. Dezember 1966
4 C 58/64 BSch.
(rechtskräftig)
Zum Tatbestand:
Der beklagte Lotse ging in Kaub an Bord eines bei der Klägerin versicherten, der Firma X gehörenden Motorschleppers W, der auf der Talfahrt den leeren Tankkahn H im Anhang hatte. Zwischen Tauberwerth und Jungferngrund, als sich der Schleppzugführer in der Wohnung aufhielt und der Beklagte das Ruder allein führte, passierte der Motorschlepper das zu Berg fahrende, die blaue Seitenflagge führende Motortankschiff D auf der Backbordseite, während der Anhang dem Bergfahrer auf der Steuerbordseite begegnete. Die Klägerin hat den Interessenten die dabei an dem Anhang und dem Motortankschiff entstandenen Schäden ersetzt und verlangt vom Beklagten Schadensersatz mit der Behauptung, daß dieser die Seitenflagge zu spät erkannt und sodann falsche Manöver durchgeführt habe.
Nachdem die vom Beklagten erhobene Einrede der Unzuständigkeit des Gerichts, weil er als Lotse Arbeitnehmer sei, durch Zwischenurteil verworfen worden war (s. ZfB. 1965 S. 428), wurde erneut zur Sache verhandelt. Das Rheinschiffahrtsgericht hat der Klage gegen den Lotsen in vollem Umfang des Klageanspruchs (ca. 15000,DM) stattgegeben.
Aus den Entscheidungsgründen:
„Der Beklagte hat den Zusammenstoß verschuldet, weil er infolge Unaufmerksamkeit die auf MTS D gesetzte blaue Seitenflagge nicht erkannt, dadurch die Kursweisung des Bergfahrers nicht befolgt hat und entgegen § 38 Nr. 1, 3 a RhSchPVO die Begegnung Backbord auf Backbord durchführen wollte.
Daß auf MTS Diersch X' schon in größerer Entfernung die Seitenflagge gezeigt war, haben die Zeugen A., B., C. und D. bekundet. Die Zeugen E. und F. haben nach ihren Angaben ebenfalls die Seitenflagge des Bergfahrers gesehen, allerdings erst später, weil sie zunächst nicht darauf geachtet hatten. Der Beklagte stellt nicht ausdrücklich in Abrede, daß die Seitenflagge gesetzt war; nach seiner polizeilichen Aussage kann er das auch nicht ernsthaft bestreiten. Danach war der Beklagte verpflichtet, mit dem von ihm gesteuerten Schlepper das MTS D an der Steuerbordseite zu passieren. Das wäre, wenn er die blaue Seitenflagge gesetzt und den ursprünglichen Kurs beibehalten hätte, auch reibungslos geschehen. Der Kurswechsel des Beklagten, der dann in der Annahme, der Bergfahrer verlange backbordseitige Begegnung, nach Steuerbord hinüberfuhr, mußte dann zwangsläufig zu dem Zusammenstoß führen. Die Beweisaufnahme hat nichts dafür ergeben, daß der Schiffsführer des Bergfahrers seinerseits den Unfall hätte vermeiden können oder daß er sonstwie schuldhaft zur Entstehung des Unfalls beigetragen hätte.
Nach der Bekundung des Lotsen B. und des Schiffsführers A. ist sofort nach dem Kurswechsel des Schleppzugs ein akustisches Signal gegeben und die Maschine abgestoppt worden. Mehr konnte man auf dem Tanker nicht unternehmen. Man hatte auch keine Veranlassung, wie der Beklagte meint, schon früher ein akustisches Kurssignal zu geben, weil der Schlepper die auf MTS D gesetzte blaue Seitenflagge nicht erwiderte.
Die Haftung des Beklagten ist nicht, wie er meint, aus dem Gesichtspunkt der gefahrengeneigten Tätigkeit beschränkt. Eine derartige Haftungsbeschränkung setzt das Bestehen eines Arbeitsverhältnisses voraus, gilt jedenfalls nicht für Dienstverträge der selbständig Tätigen (BGH, NJW 1963 S. 1100). Wie im Zwischenurteil vom 5. Mai 1965 ausführlich dargelegt ist, sind die rechtlichen Beziehungen zwischen dem Beklagten und der Schiffseignerin von MTS D nicht als Arbeitsverhältnis zu betrachten; im Verhältnis zu den Interessenten von TSK H liegen überhaupt keine vertraglichen Beziehungen vor. Im übrigen könnte der Beklagte sich auch deshalb nicht auf diese Art der Haftungsbeschränkung berufen, weil seine vertraglich übernommene Tätigkeit gerade bezweckte, die Gefahren, die dem belotsten Schiff drohen könnten, von diesem abzuwehren. Schließlich, aber muß das Verschulden des Beklagten, das zu dem Unfall führte, nämlich das Übersehen der blauen Seitenflagge als ganz grober nautischer Fehler angesehen werden. Grobes Verschulden schließt aber eine Schadensverteilung zwischen den Vertragspartnern aus, sie kommt nur bei einfacher oder leichter Schuld in Betracht.
Der Beklagte ist daher in vollem Umfang schadensersatzpflichtig. Da die Höhe der Forderung von ihm nicht ernsthaft bestritten wird, war er antragsgemäß zu verurteilen."