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Leitsätze:
Wird ein vorausfahrendes Schiff in einer Stromkrümmung mit ausreichendem Seitenabstand überholt, muss sein Schiffsführer zur Aufrechterhaltung des Abstands seinen Kurs den Stromverhältnissen sowie der Lage im Revier anpassen und erforderlichenfalls gemäß § 6.10 Nr. 4 RheinSchPV nach der anderen Seite ausweichen. Sonst verletzt er die ihm nach § 1.04 RheinSchPV obliegende nautische Sorgfaltspflicht. Kann der Schiffsführer des überholenden Schiffs bei der im Rahmen eines Überholmanövers gebotenen Sorgfalt eine Verringerung des Überholabstandes feststellen, muss er seinen Kurs ebenfalls danach einrichten und gegensteuern.
Urteil der Berufungskammer der Zentralkommission für die Rheinschifffahrt
vom 22.11 .2000
- 395 Z - 5/00 -
(Rheinschifffahrtsgericht Duisburg-Ruhrort)
Zum Tatbestand:
Die Klägerin ist Versicherer des MS „Orca" (516 t groß, 350 KW stark), das am 7.4.1995 gegen 22.00 Uhr bei Rhein-km 764,6 - Ortslage Duisburg-Mündelheim - nach einem Schiffsunfall gesunken ist.
Die Beklagte zu 2 ist Eigentümerin des MS „Anita" (1.356 t groß, 800 PS stark), das der Beklagte zu 1 zur Unfallzeit verantwortlich geführt hat.
Zu der genannten Zeit befand sich das beladene MS „Orca" unter Führung von Schiffsführer R in der Bergfahrt. In der Ortslage Duisburg-Mündelheim hielt sich das Schiff rechtsrheinisch. Bei Rhein-km 765 setzte MS „Orca" zum Überholen des vorausfahrenden MS „Anita" an dessen Steuerbordseite mit normalem Seitenabstand an. Als sich das Achterschiff von MS „Orca" auf Höhe des Vorschiffes von MS „Anita" befand, verringerte sich der Seitenabstand der beiden Schiffe. Es kam zu einer Anfahrung, bei der das Steuerbordvorschiff des MS „Anita" gegen das Backbordachterschiff des MS „Orca" geriet. In der Folge drehte MS „Orca" nach Backbord, stieß mit seiner Backbordseite gegen den Steven des MS „Anita", wurde unter Wasser gedrückt und sank innerhalb weniger Sekunden. Hierbei ertranken die beiden Schifferkinder.
Gegen den Beklagten zu 1 hat die Staatsanwaltschaft ein Ermittlungsverfahren eingeleitet. Durch Beschluss vom 23.10.1997 hat das Schifffahrtsgericht die Eröffnung des Hauptverfahrens gegen den Beklagten zu 1 wegen eines Vergehens, strafbar nach den §§ 222, 230,324, 52 StGB, abgelehnt. die Klägerin hat behauptet, der Beklagte zu 1 habe wenig oberhalb der Unfallstelle in den linksrheinisch gelegenen Hafen Krefeld einfahren wollen. Er sei deshalb nicht der aus der Sicht der beiden Schiffsführer im Bereich der Unfallstelle vorhandenen Linkskrümmung des Stromes bis zur vollständigen Beendigung des Überholmanövers des MS „Orca" gefolgt, sondern habe stattdessen in „Geradeausfahrt" einen Kurs in Richtung des auf der anderen Rheinseite gelegenen Hafens Krefeld eingeschlagen. Ferner habe der Beklagte zu 1 während des Überholmanövers nicht die Geschwindigkeit seines Schiffes in dem erforderlichen Maße herabgesetzt. Schließlich hätte es der Wasserstand auch zugelassen, wenn er MS „Anita" weiter zum rechtsrheinischen Ufer gesteuert hätte.
Die Klägerin hat beantragt, die Beklagten als Gesamtschuldner zu verurteilen, an die Klägerin 1.195.839,60 DM nebst Zinsen zu zahlen.
Die Beklagten haben beantragt, die Klage abzuweisen. Sie haben vorgetragen, der Beklagte zu 1 habe langsamer gemacht und die Geschwindigkeit seines Schiffes auf ca. 3,5 bis 4 km/h reduziert, um MS „Orca" das Überholen zu erleichtern. Statt das Überholmanöver ordnungsgemäß zu beenden, habe Schiffsführer R von MS „Orca" zu früh nach Backbord gesteuert und habe den Kurs von MS "Anita" geschnitten. Hierdurch sei das Heck von „Orca" gegen den Bug von „Anita" geraten. Wegen seiner größeren Masse sei MS „Anita" kursstabiler gewesen, während das kleinere MS „Orca" in Sogwirkung geraten sei. MS „Anita" habe seinen Kurs nicht geändert. Schiffsführer R habe durch sein nautisches Fehlverhalten den Unfall verschuldet.
Das Rheinschifffahrtsgericht hat die Klage abgewiesen. Die Berufung hatte einen wesentlichen Teilerfolg.
Aus den Entscheidungsgründen:
„Die Beklagten schulden der Klägerin zu 2/3 Ersatz des bei dem Unfall vom 7. April 1995 bei Rhein-km 764,6 entstandenen Schadens gemäß den §§ 823, 249 BGB, 3 4, 92, 92c, 114 BinnSchG, 104 RheinSchPV. In Höhe von 1/3 muss sich die Klägerin ein Mitverschulden von Schiffsführer R nach §§ 92c Binn- SchG, 254 BGB schadensmindernd anrechnen lassen. Beide beteiligten Schiffsführer haben in dem angegebenen Umfang den Unfall vom 7. April 1995 verschuldet.
Diese Überzeugung stützt die Berufungskammer auf folgende Erwägungen: 1. Die gegenseitigen Pflichten der Beteiligten bei einem Überholmanöver auf dem Rhein sind in § 6.09 RheinSchPV bestimmt. a) Die Zulässigkeit eines Überholmanövers ist in Nr. 1 geregelt. Nach dieser Vorschrift ist das Überholen nur gestattet, nachdem sich der Überholende vergewissert hat, dass dieses Manöver ohne Gefahr ausgeführt werden kann.
Hier bestanden an der Zulässigkeit eines Überholmanövers zwischen MS „Anita" und MS „Orca" aufgrund der genannten Vorschrift keine Zweifel. Auch die Beklagten haben in diesem Rechtsstreit keine Bedenken gegen die Einleitung eines solchen Manövers vorgetragen. Denn das Revier war frei, und die Strombreite war in keiner Hinsicht eingeschränkt. Es bestand ausreichender Raum für das beabsichtigte Überholmanöver der Schiffe.
b) Bei der Einleitung eines Überholmanövers obliegt dem Überholer nach § 1.04 RheinSchPV die Pflicht, einen ausreichenden Seitenabstand der Schiffe zu wählen, da hierauf der Überholte zunächst keinen Einfluss hat. Hier hat Schiffsführer R nach den insoweit im wesentlichen übereinstimmenden Angaben beider beteiligten Schiffsführer einen Abstand von ca. 20 m als ausreichend erachtet, was zunächst auch die Beklagten in diesem Rechtsstreit bis zur Vorlage des Gutachtens des Privatsachverständigen G nicht als bedenklich angesehen haben.
Der gerichtliche Sachverständige H hat in seinem Gutachten einen Abstand von 20 m als ausreichend angesehen, um den bei einem Überholmanöver auftretenden Sog- und Druckkräften zu begegnen. Der Sachverständige G hat hingegen angenommen, ein Überholabstand von 20 m sei in einer Stromkrümmung, wie hier, zu gering. Schiffe müssten mit 30 m Seitenabstand überholen, um den Gefahren durch Sog und Druck und einer möglichen Schwankung der Kurse zu begegnen.
Diese Ansicht des Sachverständigen G steht mit den Erfahrungen der Schifffahrt auf dem Rhein nicht in Einklang. Selbst die durchaus schifffahrtskundigen Parteien und ihre Versicherer haben in diesem Rechtsstreit bis zur Vorlage des Privatgutachtens einen Seitenabstand der Schiffe von 20 m nicht als unfallursächlich angesehen. Auch in der Rechtsprechung der Rheinschifffahrtsgerichte sind gegen einen so bemessenen Seitenabstand bei normalen Fahrwasserverhältnissen keine Bedenken erhoben worden, wie die Ausführungen von Wassermeyer (Der Kollisionsprozess in der Binnenschifffahrt, 4. Aufl. S. 206) ergeben.
Die Berufungskammer ist deshalb und unter Berücksichtigung aller Umstände des Falles der Überzeugung, dass unter normalen Verhältnissen, wie sie hier vorlagen, ein Seitenabstand von 20 m für eine gefahrlose Überholung als ausreichend anzusehen ist.
Auch in einem Kurvenbereich braucht, wenn der Überholer auf der Außenbahn fährt, wegen der Zentrifugalkräfte und wegen der gegenseitigen Sogund Druckbeeinflussung der Schiffe kein größerer Überholabstand eingehalten zu werden. Das Bernouillische- Gesetz, das der Sachverständige H seiner Beurteilung zugrunde gelegt hat, ist nicht auf lineare Strömungsverhältnisse beschränkt, wie die Beklagten meinen.
Der gerichtliche Sachverständige H hat zur Überzeugung der Berufungskammer in seinem Gutachten dargelegt, dass das Bernouillische-Gesetz immer entlang einer Stromlinie gilt und, falls keine Wirbel (irrationale Strömungen) auftreten, auch in jedem Bereich einer Strömung als Ausdruck für das Gesetz der Energieerhaltung gilt. Hier haben die Parteien auch keine irrationalen Strömungen behauptet. Wenn die Berufungskammer einen Seitenabstand der Schiffe von 20 m als ausreichend erachtet hat, so war dafür auch die Erwägung maßgeblich, dass die Einwirkungen des strömenden Wassers in einer Stromkrümmung allen Schiffern vertraut ist. In diesem Zusammenhang durfte die Berufungskammer auch nicht das allgemeine Prinzip der Zentrifugalkraft übersehen: in einem Kurvenbereich fällt der schnellere Überholer stärker in den Hang als der langsamere Überholte. Daraus folgt hier, dass durch die Linkskurve das schnellere MS „Orca" den Überholabstand der Schiffe allenfalls erhöhte, jedenfalls nicht verringerte. Da im Unfallrevier nach linksrheinisch genügend Raum vorhanden war, kann einer geringen Erhöhung des Überholabstandes keine Bedeutung beigemessen werden. Im übrigen ist die Berufungskammer der Ansicht, dass jeder Schiffsführer kraft seiner beruflichen Erfahrung in der Lage ist, zur Aufrechterhaltung seines Überholabstandes seinen Kurs den Stromverhältnissen und der Lage im Revier anzupassen und Kursschwankungen entgegenzuwirken. In diese Richtung weisen alle Erfahrungen der Berufungskammer. Die Berufungskammer nimmt auch hier an, dass der Beklagte zu 1 als erfahrener Schiffsführer über entsprechende Erfahrungen verfügte und in der Lage gewesen ist, entsprechend seinen Verpflichtungen aus § 6.10 Nr. 4 RheinSchPV erforderlichenfalls nach Backbord auszuweichen, wenn der Überholabstand ihm zu gering erschien oder sich verringerte.
Letztlich vermochte die Berufungskammer in diesem Zusammenhang auch dem Umstand keine Bedeutung beizumessen, dass es Schiffsführer R von vornherein möglich gewesen ist, einen erheblich größeren Überholabstand zu MS „Anita" als 20 m zu wählen. Auch wenn das Revier frei war, musste R mit entgegenkommenden Talfahrern rechnen, denen er als Bergfahrer einen geeigneten Weg für eine gefahrlose Begegnung freihalten musste. Er genügte insoweit seinen nautischen Pflichten, wenn er den Vorausfahrenden beim Überholen mit ausreichendem Abstand anhielt.
3. Bei der Durchführung des Überholmanövers sind beiden Parteien Fehler unterlaufen, die zum Unfall geführt haben.
a) Bei der Durchführung eines Überholmanövers hat der Überholte das Manöver durch Verringerung seiner Geschwindigkeit zu unterstützen. Dass dem Beklagten zu 1 insoweit Fehler unterlaufen sind, kann dem Beweisergebnis nicht entnommen werden.
b) Der Beklagte zu 1 hat bei dem Überholmanöver des MS „Orca" die ihm als Schiffsführer des MS „Anita" obliegende nautische Sorgfalt (§ 1.04 RheinSchPV) verletzt.
Der Beklagte zu 1 ist mit Hilfe seines Autopiloten gefahren. Sein Wendeanzeiger zeigte ihm null Grad an. Er beachtete nicht, dass sich der Seitenabstand zu dem Überholer ständig verringerte, bis es zu einem seitlichen Anstoß der Schiffe kam, der letztlich zum Sinken von MS „Orca" führte. Das entnimmt die Berufungskammer seiner eigenen Aussage im Verklarungsverfahren. Danach betrug der Abstand der Schiffe zur Zeit des ersten Funkkontakts 20 m. Als er gemerkt habe, so hat der Beklagte zu 1 angegeben, dass „Orca" in Höhe seines Vorschiffs gewesen sei, habe Schiffsführer R ihn angerufen und erklärt: „Du rennst mir in die „Roef". Zu dieser Zeit habe sein Wendeanzeiger null Grad angezeigt. „Orca" habe dann begonnen, eine Kurve nach Backbord zu machen, weil der Rheinverlauf eine solche Biegung mache. R habe wohl nicht abgewartet, bis er „Anita" endgültig überholt gehabt habe.
Aus dieser Aussage des Beklagten zu 1 ist zu entnehmen, dass er seinen Kurs nicht der Linkskrümmung des Stromes angepasst hat, was aber nach der Überzeugung der Berufungskammer erforderlich gewesen wäre, um nicht den Abstand zu dem Überholer zu verringern. Wenn sein Wendeanzeiger auf null Grad stand, lief sein Schiff geradeaus und infolge der Stromkrümmung geriet sein Schiff also weiter nach linksrheinisch. Der Beklagte zu 1 verringerte hierdurch den Überholabstand. Bei Beachtung nautischer Sorgfalt hätte er seinen Kurs nach Backbord hin berichtigen müssen, um den zuvor bestehenden Abstand beizubehalten. Hierzu war er auch verpflichtet. Der Beklagte zu 1 hätte seinen Verpflichtungen aus § 6.10 Nr. 4 und 5 RheinSchPVO Rechnung tragen, und, nachdem MS „Orca" ein Überholmanöver an der Steuerbordseite des MS „Anita" gewählt hatte, genügend Raum an derjenigen Seite müssen lassen, an der das Überholen stattfinden sollte. Erforderlichenfalls hätte nach der anderen Seite ausweichen müssen.
Den aufgezeigten Pflichten hat der Beklagte zu 1 nicht genügt und hierdurch, wie der Sachverständige zur Überzeugung der Berufungskammer errechnet hat, im Kurvenverlauf den Seitenabstand der Schiffe laufend soweit verringert, bis der Abstand der Schiffe so gering geworden war, dass MS „Orca" nicht mehr steuerfähig war und in eine gefährliche Schleuderbewegung geriet, die zum Untergang des Schiffes führte. Der Sachverständige H hat näher erklärt, dass die Sogwirkung, die beim Überholen von Schiffen entsteht, in zwei Zonen einzuteilen sei und zwar in eine Fernzone und in eine Nahzone....
Weiter hat der Sachverständige H aufgrund des physikalisch-technischen Wissenstandes erläutert, dass durch die Verringerung des Seitenabstandes der Schiffe infolge des zwischen den Fahrzeugen strömenden Wassers ein sich laufend erhöhender Sog aufgebaut wurde, der in der Endphase zum Zusammenprall der jetzt manövrierunfähigen Schiffe geführt hat....
Der auf „Orca" einwirkende Sog wurde, wie der Sachverständige H zur Überzeugung der Berufungskammer weiter ausgeführt hat, durch das erste Ankommen an MS „Anita" zunächst beendet. Indem sich „Orca" aber von „Anita" löste, wurde eine neue Sogwirkung aufgebaut, die zu einem zweiten Ankommen von „Anita" an das schlingernde „Orca" führte. „Orca" erhielt einen solchen Stoß, dass dieses Schiff unter Wasser gedrückt wurde und sank. Der Sachverständige hat so das zweimalige Ankommen des „Orca" an MS „Anita" überzeugend erklärt. Auf ein zweimaliges Ankommen deuten auch die Schäden an beiden Fahrzeugen....
Für die Beurteilung des hier in rede stehenden Unfalls ergibt sich daraus folgendes: Der Beklagte zu 1 konnte zwar, als der Abstand der Schiffe kritisch geworden war, die Sogkräfte beider Schiffe nicht mehr durch die Maschinenkraft seines Schiffes beeinflussen. Bevor aber der Abstand der Schiffe überhaupt geringer wurde, hätte er durch geeignete Ruderbewegungen seinen Kurs im Kurvenbereich so korrigieren müssen, dass der ursprünglich eingehaltene Seitenabstand der Schiffe sich nicht verringerte. Das hätte er von vornherein in Rechnung stellen müssen. Schiffsführer R hat seinen Angaben zufolge seinen Kurs, den er mit Hilfe eines Autopiloten steuerte, laufend korrigiert. Ebenso hätte Schiffsführer M verfahren müssen, um seinen Sorgfaltspflichten bei der Durchführung des Überholmanövers zu genügen. Seinen Kurs hat er nach seiner eigenen Aussage jedoch nicht korrigiert, sondern ist mit Hilfe des Autopiloten geradeaus weitergefahren und hat dabei den Überholabstand der Schiffe laufend verringert, bis es zum Zusammenstoß kam. Im Rahmen seiner nautischen Sorgfaltspflichten war Schiffsführer M demgegenüber gehalten, ständig den Abstand zwischen den einander überholenden Schiffen im Auge zu halten, um bei der geringsten Verringerung des Abstandes zu reagieren. Das hat Schiffsführer M schuldhaft unterlassen.
c) Die Beklagten meinen im Rahmen ihrer Ausführungen zu dem Gutachten des Sachverständigen H, der Beklagte zu 1 habe von seinem Standort im Ruderhaus des MS "Anita" den sich verringernden Seitenabstand der Schiffe infolge der zur Unfallzeit herrschenden Dunkelheit nicht sehen können. Dieses Vorbringen vermag die Beklagten nicht zu entlasten. Die Sichtverhältnisse zur Unfallzeit schlossen nach der Überzeugung der Berufungskammer eine ausreichende Einschätzung des Überholabstandes während des ganzen Verlaufs des Überholmanövers durch den Beklagten zu 1 nicht aus. Auch wenn zur Unfallzeit Dunkelheit herrschte, war die Sicht zur Unfallzeit klar, wie zwischen den Parteien unstreitig ist. Gegen die Beleuchtung der Brücke bei Krefeld und die Uferbeleuchtung im Revier bei Krefeld-Uerdingen hatte der Beklagte zu 1 die Möglichkeit, den Überholer ständig im Blick zu haben und den Abstand der Schiffe laufend zu überwachen. MS „Orca" war für die Nachtfahrt hinreichend ausgerüstet und musste das nach § 3.08 Nr. 2 lit. c RheinSchPV vorgeschriebene Hecklicht führen, das nach Anlage 3 zur Rheinschifffahrtspolizeiverordnung (Bild 1) über einen Horizontbogen von 135 Grad sichtbar sein musste.
Zwar mag vom Standpunkt der praktischen Psychologie aus, wie der Privatsachverständige G angenommen hat, eine zutreffende Beurteilung des Abstandes zweier Schiffe in der hier gegebenen Situation und unter den hier gegebenen Bedingungen Schwierigkeiten bereiten und zu Fehlbeurteilungen führen. Eine Fehleinschätzung dieser Art kann nach der Überzeugung der Berufungskammer aber nur unerfahrenen Personen unterlaufen. Erfahrenen Schiffsführern unterläuft eine solche Fehlbeurteilung nicht, weil sie aufgrund ihrer beruflichen Erfahrung mögliche Fehlerquellen von vornherein in Rechnung stellen und ausschließen. Ein Schiffsführer kann im Unfallrevier gegen die Straßen- und Uferbeleuchtung sein Schiff bis zum Bug deutlich überblicken und an dem Schiffskörper des Überholens, insbesondere an dessen Hecklicht, den Abstand der Schiffe hinreichend deutlich einschätzen, so dass er in der Lage ist, eine Verringerung des Seitenabstandes rechtzeitig wahrzunehmen und dieser entgegenzuwirken.
4. Weitere Vorwürfe sind dem Beklagten zu 1 nicht zu machen. Insbesondere kann ihm nicht vorgeworfen werden, die Geschwindigkeit seines Schiffes nicht weiter reduziert zu haben, um MS „Orca" im letzten Teil der Geschehnisse den Abschluss des Überholmanövers zu erleichtern. Hierzu hat der Sachverständige H zur Überzeugung der Berufungskammer ausgeführt, dass eine zusätzliche Reduzierung der Geschwindigkeit das MS „Anita" ständig und damit manövrierunfähig gemacht hätte.
5. Auch Schiffsführer R trifft der Vorwurf eines mitwirkenden Verschuldens an dem Unfall.
a) Ein Überholer ist bei Durchführung dieses Manövers im Rahmen seiner nautischen Sorgfaltspflichten gehalten, jeglichen Gefährdungen des eigenen Schiffes und anderer Verkehrsteilnehmer vorzubeugen. Hier war Schiffsführer R verpflichtet, den Überholabstand ständig zu kontrollierten, um Gefahren vorzubeugen. Das aber hat er schuldhaft unterlassen. Der Sachverständige H hat berechnet, dass die Verringerung des Überholabstandes anfänglich nicht im wesentlichen durch die wechselseitige Sogwirkung hervorgerufen sein kann, sondern auf eine falsche Kurseinstellung des Autopiloten des MS „Anita" zurückzuführen ist, die je nach der Fehleinstellung der momentanen Winkelgeschwindigkeit und der wirkenden Zeitspanne einige Meter betragen könne. Hinzu komme, so hat der Sachverständige ausgeführt, eine Verschiebung des MS „Anita" nach Steuerbord durch das backbordseitig flach anströmende Wasser, das je nach der Fehleinstellung des Steuerbordruders relativ schwach wirke, dessen Strömungsgeschwindigkeit jedoch mehr als doppelt so hoch wie die Geschwindigkeit des MS „Anita" gewesen sei. Die von dem Sachverständigen H festgestellte Verringerung des Überholabstandes der Schiffe hätte auch Schiffsführer R bei der gebotenen Sorgfalt im Rahmen eines Überholmanövers feststellen können. Schließlich fuhren beide Schiffe mit geringem Abstand nebeneinander bei dem Überholvorgang und Schiffsführer R konnte von seinem Steuerhaus das MS „Anita" ohne Schwierigkeiten sehen. Auch die Dunkelheit hinderte ihn daran nicht. Bei der notwendigen Beobachtung des überholten Schiffes musste er auch ständig den Überholabstand im Auge halten und seinen Kurs danach einrichten. Verringerte sich dieser Abstand, gleichviel aus welchen Gründen, hätte er sofort nach Steuerbord hin ausweichen können und müssen, so hinreichend Raum vorhanden war. Bei den herrschenden Beleuchtungsverhältnissen wäre er dazu auch in der Lage gewesen, wenn er den Überholabstand ständig im Auge gehalten und überwacht hätte. Hätte Schiffsführer R seinen Sorgfaltspflichten entsprochen, wäre ihm nach der Überzeugung der Berufungskammer die Verringerung des Überholabstandes nicht entgangen und er hätte rechtzeitig gegengesteuert und so den Unfall verhindert. Hierin liegt sein Mitverschulden.
b) Soweit Schiffsführer R vorgeworfen worden ist, mit einem fahruntüchtigen Schiff gefahren zu sein und hierdurch den Unfall verschuldet zu haben, reichen die getroffenen Feststellungen zur Annahme von Vorwürfen in diese Richtung nicht aus....
6. Da der Unfall auf dem gemeinsamen Verschulden der beiden beteiligten Schiffe beruht, hatte die Berufungskammer im Rahmen des § 92 c BinnSchG nach dem ausdrücklichen Wortlaut des Gesetzes eine Schadensverteilung nach dem Verhältnis der Schwere des auf jeder Seite obwaltenden Verschuldens vorzunehmen. Das Maß der Verursachung war dabei nicht zu berücksichtigen. In diesem Rahmen hat die Berufungskammer berücksichtigt, dass das Primärverschulden bei dem Beklagten zu 1 liegt. Der Beklagte zu 1 hat durch die unterbliebene Korrektur seines mit Hilfe des Autopiloten gesteuerten Kurses die maßgebliche Unfallursache bewirkt. Denn sein Kurs musste zwangsläufig den des Überholers in der Linkskrümmung des Stromes schneiden. Sodann hat er durch die unterbliebene genaue Beobachtung des Überholabstandes beider Schiffe ebenso wenig wie Schiffsführer R die Verringerung des Abstandes wahrgenommen, so dass es zu Schlingerbewegungen dem MS „Orca" mit der folge des Sinkens dieses Schiffes kam. Diese Feststellungen rechtfertigen es, den Schaden zu 2/3 den Beklagten und zu 1/3 der Klägerin aufzuerlegen.
7. Zur Einholung eines weiteren Sachverständigengutachtens entsprechend den Anträgen der Beklagten sah die Berufungskammer keine Veranlassung.
8. Bei dieser Sachlage konnte das angefochtene Urteil keinen Bestand haben. Auf die Berufung der Klägerin musste das angefochtene Urteil teilweise abgeändert werden. Zu 2/3 war die Klage dem Grunde nach für gerechtfertigt zu erklären und im übrigen abzuweisen. Soweit die Klage dem Grunde nach für gerechtfertigt erklärt worden ist, war der Rechtsstreit zur weiteren Verhandlung und Entscheidung über die Höhe des Klageanspruchs an das Rheinschifffahrtsgericht Duisburg-Ruhrort zurückzuverweisen, dem auch die Entscheidung über die Kosten des Berufungsverfahrens zu übertragen war...."
Ebenfalls abrufbar unter ZfB 2001 - Nr.3 (Sammlung Seite 1818 ff.); ZfB 2001, 1818 ff.