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Leitsätze:
1) Eine Kursweisung durch Setzen der blauen Seitenflagge, die sich um den Flaggenstock verwickelt hat und daher bis kurz vor der Begegnung nicht erkennbar ist, entspricht nicht der Forderung in § 6.04 RSchPVO nach Klarheit und Eindeutigkeit.
2) Zu den Folgen einer Reaktion auf unklare Kursweisungen.
Urteil der Berufungskammer der Zentralkommission für die Rheinschiffahrt
vom 15. September 1975
38 Z - 6/75
(Rheinschiffahrtsgericht Duisburg-Ruhrort)
Zum Tatbestand:
Das bei der Klägerin versicherte und zu Tal fahrende MS B kollidierte bei Rhein-km 805 mit dem der Beklagten zu 1 gehörenden, vom Beklagten zu 2 geführten, zu Berg fahrenden MS E. Die Beklagten haben die Hälfte des an MS B entstandenen Schadens (insgesamt etwa 25 200,- DM) ausgeglichen. Unstreitig ist, daß MS E die blaue Seitenflagge gesetzt hatte, die sich jedoch bei dem starken Wind ganz oder fast ganz um ihren Stock gewickelt hatte, was auf MS E unbemerkt oder unbeachtet geblieben war. MS B sah die blaue Flagge zunächst nicht und richtete sich auf Backbord-Begegnung ein. Erst als in einer Entfernung von etwa 200-250 m ein Zipfel der blauen Flagge sichtbar wurde, versuchte die Führung von MS B dieser Kursweisung zu entsprechen und verlegte den Kurs nach Backbord. Der Versuch mißlang und führte zum Zusammenstoß der beiden Schiffe. Die Klägerin verlangt Erstattung auch der anderen Hälfte des Schadens, also Erstattung weiterer rd. 12 600,- DM mit der Begründung, daß die Führung von MS E infolge ihrer unklaren Kursweisung den Schaden allein verursacht habe. Das Schiff sei in der Mitte des Stromes gefahren, während MS B in der rechtsrheinischen Stromhälfte gefahren sei. Die Beklagten behaupten ein Mitverschulden von MS B, weil dieses Schiff seinen vorher sicheren Kurs kurz vor der Begegnung in denjenigen von MS E hineinverlegt habe. Auf die unklare Kursweisung ihres Schiffes hätte MS B durch ein Achtungssignal hinweisen müssen. Das Rheinschiffahrtsgericht hat der Klage stattgegeben. Die Berufungskammer der Zentralkommission für die Rheinschiffahrt hat die Berufung der Beklagten zurückgewiesen.
Aus den Entscheidungsgründen:
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„Jede Kursweisung eines Bergfahrers muß klar und eindeutig sein. Diesen Grundsatz spricht § 6.04 RSchPVO einmal dadurch aus, daß er in Absatz 3 bestimmt, die zur Kursweisung gegebenen Zeichen maßten von vorne und hinten sichtbar sein. Gegen ihn verstieß die Weisung des MS E an MS B dadurch, daß sich die blaue Seitenflagge des Schiffes infolge starken Windes um ihren Stock gewickelt hatte und deshalb nicht oder fast nicht zu erkennen war. Der auf Kursweisung achtende Talfahrer, der die Flagge nicht sah, mußte deshalb den Eindruck gewinnen, E zeige die blaue Seitenflagge nicht und gebe die Weisung, an seiner Backbordseite vorbeizufahren. Entsprechend konnte er deshalb seinen Kurs legen. Die notwendige Klarheit und Eindeutigkeit der Kursweisung normiert weiter § 6.04 Abs. 1 RSchPVO, wo es heißt, die Bergfahrer müssen den Talfahrern unter Berücksichtigung der örtlichen Umstände und des übrigen Verkehrs einen geeigneten Weg frei lassen. Das bedeutet, daß der Kurs des Bergfahrers seiner Weisung an den Talfahrer entsprechen muß, so daß bei diesem Zweifel über den von ihm einzuschlagenden Fahrweg nicht entstehen können. Dieser Anforderung kann der Kurs von MS E nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme des Rheinschiffahrtsgerichts nicht entsprochen haben, denn bei seinen Beobachtern erweckte er einen unterschiedlichen Eindruck.
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Zusammenfassend stellt die Berufungskammer fest, daß für einen Talfahrer, der auf Kurs und blaue Seitenflagge des MS E achtete, der Eindruck entstehen konnte, das Schiff verlange eine Begegnung an seiner Backbordseite. Einen anderen Eindruck konnte der Talfahrer haben, der nur auf den Kurs des Bergfahrers achtete und unterstellte, ihm entspreche die Kursweisung durch Zeichen. Er konnte meinen, es werde eine Begegnung an der Steuerbordseite verlangt. Insgesamt war deshalb die Kursweisung unklar und ein Verstoß gegen § 6.04 RSchPVO. Nun hat man auf B in einer Entfernung zu E, die das Rheinschiffahrtsgericht auf 200-250 m wohl richtig festgestellt hat, einen Zipfel der blauen Seitenflagge des Bergfahrers gesehen und damit erkannt, welche Kursweisung in Wirklichkeit gegeben wurde. Da nichts zwingend dafür spricht, daß diese Kenntnis bei gehöriger Aufmerksamkeit früher hätte gewonnen werden können, ist ihr zu später Erwerb nicht vorwerfbar. Die Frage kann deshalb nur sein, ob die Reaktion des Rudergängers von B auf die wirkliche Kursweisung schuldhaft falsch war. Nach der Ansicht der Berufungskammer ist dem nicht so. Die Talfahrer müssen nach § 6.04 Abs. 5 RSchPVO den Weg nehmen, den ihnen die Bergfahrer weisen. Die Befolgung dieses Gebotes kann nur unter ganz außergewöhnlichen Umständen falsch und vorwerfbar sein. Das könnte z. B. dann der Fall sein, wenn die Befolgung einer Kursweisung mit Sicherheit zu einer Havarie führte, während ihre Mißachtung mit der gleichen Sicherheit folgenlos sein würde, etwa deshalb, weil der Bergfahrer einen Kurs fährt, der eine gefahrlose Befolgung, seiner Weisung ausschließt. Ähnlich könnte der Fall bewertet werden, in dem eine Kursweisung des Bergfahrers zunächst unklar ist und erst in einer Entfernung für den betroffenen Talfahrer erkennbar wird, in der ihre Befolgung eine Havariegefahr heraufbeschwört, während ihre Mißachtung sie ausschließt. Der vorliegende Fall entspricht aber den bisher geschilderten nicht. Als die Kursweisung von E auf B erkennbar wurde, war die Situation keineswegs so, daß ihre Befolgung eine Havariegefahr heraufbeschwor, während ihre Nichtbefolgung eine solche ausschloß. Beide Maßnahmen bargen vielmehr die Gefahr eines Zusammenstoßes in sich. Bei einer Befolgung der Kursweisung mußte B den Kurs des Bergfahrers kreuzen. Es war zweifelhaft, ob dies ohne Havarie gelingen werde. Jedenfalls war dies der Eindruck des Zeugen Q., eines erfahrenen Schiffsführers und sachkundigen Beobachters der Lage. Auf der anderen Seite bestand die Möglichkeit, daß E seinen Kurs mit seiner Weisung in Einklang brachte und ihn nach Backbord, d. h. weiter zum rechtsrheinischen Ufer hin verlegte. Behielt man auf B dann den eigenen Kurs bei, so kreuzte diesen jetzt der Bergfahrer mit dem Ergebnis, daß ebenfalls die Gefahr eines Zusammenstoßes entstand. Beide Möglichkeiten hatte der Rudergänger auf B schnell abzuwägen, denn die Entfernung zum Bergfahrer war kurz und das eigene Schiff fuhr mit hoher Geschwindigkeit. Wenn er sich in dieser Lage zur Befolgung der Kursweisung entschloß, so verdient er keinen Vorwurf. Das gilt auch dann, wenn aus der Rückschau gesehen, eine Nichtbefolgung die Havarie verhindert hätte, denn eine solche Betrachtungs- und Bewertungsweise ist unzulässig, da sie der Situation nicht gerecht wird, in der sich der Rudergänger von B befand, als er schnell seine Entscheidung zu treffen hatte. Dieser Zwang zu einer schwierigen Entscheidung unter Zeitdruck barg die Gefahr einer objektiv falschen Entscheidung. Verantwortlich auch hierfür wäre die Führung von E, welche die Lage herbeigeführt hatte, in der die geschilderte Entscheidung zu treffen war. Auch andere Fehler auf B sind nicht feststellbar. Mit dem Rheinschiffahrtsgericht ist die Berufungskammer der Ansicht, daß ein akustisches Signal sowie eine Bestätigung der Kursweisung oder eine optische Erwiderung der Kursweisung keine Wirkung hätte erzielen können, die über diejenige der erkennbaren Kurse hinausgegangen wäre.
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Schließlich ist unerheblich, ob der Rudergänger auf B erfahren oder unerfahren war, da nicht feststeht, daß er einen Fehler gemacht hat.
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