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Leitsatz:
Ein Schiffsführer handelt nicht schuldhaft, wenn ihm entgegen § 9.02 Nr. 3 RheinSchPV der Kurs versperrt wird und er zur Vermeidung einer Kollision mit dem begegnenden Schiff das rechte Ufer so hart anhält, daß er gegen eine Stegbrücke fährt.
Urteil der Berufungskammer der Zentralkommission für die Rheinschiffahrt
vom 15.12.1998
379 C - 15/98
(Rheinschiffahrtsgericht Straßburg)
Zum Tatbestand:
Der Beklagte zu 1, Schiffsführer des MTS D, stieß am 30.7.1991 gegen 0.30 Uhr bei km 285, 345 gegen eine durch eine Radarboje gekennzeichnete Grundwasserentnahmestelle. Die Klägerin, die V N. F., ist mit der Verwaltung, der Polizei und der Instandhaltung der öffentlichen Binnengewässer beauftragt. Sie verlangt von dem Beklagten zu 1 und von dessen Versicherer, der Beklagten zu 2, Schadensersatz. Die Beklagten bestritten die Aktivlegitimation der Klägerin. Hilfsweise verneinten sie, irgendeinen nautischen Fehler begangen zu haben. Nach ihrer Auffassung sei der Unfall ausschließlich dem der Schiffsgemeinschaft M. U. und B. U. gehörenden MS M anzulasten, das MTS D gezwungen habe, nach Steuerbord auszuweichen. Die Beklagten haben der Schiffsgemeinschaft den Streit verkündet. Diese behauptet, die Kurse der Schiffe hätten eine normale Begegnung erlaubt, so daß zwischen dem behaupteten Fehlmanöver des MS M und der Berührung der Wasserentnahmestelle durch MTS D kein Kausalzusammenhang bestehe.
Das Rheinschiffahrtsgericht hat durch Urteil vom 9.1.1995 die Klage für zulässig erklärt und durch Urteil vorn 8.9.1997 die Schiffsführer von MTS D und von MS M je zur Hälfte für den Schaden haftbar erklärt. Die Beklagten und die Schiffsgemeinschaft haben Berufungen eingelegt. Diese hatten Erfolg.
Aus den Entscheidungsgründen:
„1. Zulässigkeit der Klage
Die Wasserentnahmeanlage des Bauerngrundwassers wurde 1989 auf Antrag der Bundesrepublik Deutschland von der Electricite de France errichtet, die Konzessionärin des Grundstücks ist, auf dem der Deich des kanalisierten Rheins gebaut worden ist und die für dessen Wartung verantwortlich ist. Durch eine am 18. und 30. Oktober 1990 unterzeichnete Übereinkunft wurde die Anlage von der Bundesrepublik Deutschland dem französischen Staat übertragen.
Art. 124 des Finanzgesetzes für 1991 vom 29. Dezember 1990 hat den Betrieb, die Wartung, Verbesserung sowie den Ausbau der Schiffahrtsstraßen und deren Nebengewässer sowie die Verwaltung des Staatsgebietes, das sie für die Erfüllung ihrer Aufgaben benötigt, der öffentlichen Anstalt übertragen, die gern. Art. 67 des Gesetzes vom 27. Februar 1912 gegründet worden ist.
Art. 1 des Erlasses Nr. 91.696 vom 18. Juli 1991 hat dieser Anstalt öffentlichen Rechts die Bezeichnung „Voies Navigables de France" gegeben und sie dem für die Wasserstraßen zuständigen Minister unterstellt. Sie wurde damit beauftragt, die Wasserstraßen, Binnenhäfen und sonstigen Nebengewässer des Staatsgebietes, dessen Verwaltung ihr übertragen worden war, zu betreiben, zu unterhalten und zu verbessern. Der Erlaß Nr. 91.796 vom 20. August 1991 legt in Art. 1 fest, daß es sich bei dem Staatsgebiet, dessen Verwaltung Voies Navigables de France in Anwendung von Art. 124 des Gesetzes vom 29. Dezember 1990 übertragen worden ist, bis auf gewisse Ausnahmen um das Staatsgebiet handelt, das in Art. 1 der Wasserstraßenordnung beschrieben ist. Dieser Art. 1 der vorgenannten Verordnung zählt insbesondere die schiffbaren Wasserläufe sowie deren Seitenarme, die selbst nicht schiffbar sind, ihre Abzweigungen oder künstlichen Wasserentnahmeeinrichtungen, die Schiffahrtskanäle und ihre Nebengewässer, die im Flußbett oder an den Ufern der Schiffahrtswege gebauten Anlagen auf. Sowohl der kanalisierte Rhein, der die Straßburger Schleusen bedient, als auch das Bauerngrundwasser fallen in die Kategorien.
Der Erlaß vom 20. August 1991 führt sie nicht in dem Verzeichnis der hiervon ausgenommenen Wasserstraßen und Schifffahrtsanlagen auf. Folglich ist für ihre Verwaltung die V N. F. zuständig seit dem Inkrafttreten des vor dem Unfall erlassenen Gesetzes vom 29. Dezember 1990 und dessen Ausführungsverordnung vom 18. Juli 1991. Sowieso hatte der französische Staat schon lange vor der Klageeinreichung am 25. September 1992 seine Klagerechte an V N. F. übergeben.
Das Urteil vom 9. Januar 1995, das die Einrede der Unzulässigkeit zurückgewiesen hat, muß bestätigt werden.
2. Zur Schuldfrage
Der kanalisierte Rhein, auf dem sich der Unfall zugetragen hat, ist 142 m breit. Die Wasserentnahmeanlage, die von ihrem Steg aus Metall überspannt wird, ragt etwa 6,50 m in den Kanal hinein, dessen Uferböschung schräg ist. Nach dem Bericht, den am 1. August 1991 Herr M. U. in Karlsruhe gemacht hat, fuhr er mit Autopilot, als er eine Unregelmäßigkeit beim Kühlwasserdruck der Maschine feststellte. Er versuchte daraufhin, per Telefon seinen Vater zu erreichen, um ihn um Rat zu fragen. Dieser war in Kehl von Bord gegangen. Als er einen Blick auf das Radarbild warf, stellte er plötzlich fest, daß sich ein Talfahrer ihm Kopf auf Kopf näherte. Er stellte dann fest, daß er sich nur 30 - 35 m vom rechten Ufer entfernt befand. Er gab Steuerbordruder, um wieder die Kanalmitte zu erreichen, anschließend steuerte er dann nach Backbord, damit sich beide Schiffe begegnen konnten, und zwar nach seiner Schätzung mit einem seitlichen Abstand von ungefähr 10 m. Er entschuldigte sich bei dem Rudergänger des Talfahrers, daß er sich etwas zu weit am rechten Ufer befunden habe und nicht früher ausgewichen wäre. Nach der Aussage von Herrn M. U. hat es vorher keine Sprechfunkverbindung gegeben, noch waren optische, akustische oder Radarsignale ausgetauscht worden. Die Begegnung habe sich 150 oder 200 m oberhalb der Stegbrücke zugetragen. Anschließend hat der Schiffsführer von MTS D ihn angerufen, um ihm mitzuteilen, daß er die Stegbrücke angefahren habe. Bei seiner Vernehmung am 30. Juli 1991 durch die Wasserschutzpolizei in Straßburg hat der Beklagte zu 1 ausgesagt, daß, als er sich anschickte, dem MS M Backbord an Backbord zu begegnen, er auf eine Entfernung von ungefähr 200 m gesehen habe, daß sich dieser ihm Kopf auf Kopf näherte. Er habe das Typhon betätigt und versucht, ihn über Sprechweg 10 zu erreichen, allerdings ohne eine Antwort zu erhalten. Um ihm auszuweichen habe er Steuerbord halten müssen, was den Anprall gegen die Anlage zur Folge gehabt hätte...
Gem. Art. 9.02 RhSchPVO müssen die Fahrzeuge auf dem kanalisierten Rhein von Straßburg im Falle der Begegnung nach Steuerbord halten, soweit dies erforderlich ist, damit eine Begegnung Backbord an Backbord gefahrlos erfolgen kann. Nach den allgemeinen Regeln gern. §§ 6.03 und 6.04 RhSchPVO müssen die Bergfahrer unter Berücksichtigung der örtlichen Umstände und der Bewegung anderer Fahrzeuge den Talfahrern einen geeigneten Weg freilassen. Im Falle der Begegnung dürfen Fahrzeuge, deren Kurse jede Gefahr einer Kollision ausschließen, weder ihren Kurs noch ihre Geschwindigkeit in einer Weise ändern, die die Gefahr einer Kollision herbeiführen könnte. Indem Herr U den Kanal von links in Richtung auf das rechte Ufer soweit überquert hat, daß er sich diesem bis auf rund 30 m genähert hat, hat er all diesen Vorschriften zuwidergehandelt. Dem Rudergänger von MTS D kann kein Vorwurf daraus gemacht werden, daß, er, als ihm plötzlich der Kurs versperrt war, ein Ausweichmanöver auf das rechte Ufer hin ausgeführt hat. Die Kollision ist nur knapp verhindert worden, denn nach der eigenen Aussage von Herrn U sind die Fahrzeuge sich in einem Abstand von 10 m begegnet. Wenn man die Position von MTS D berücksichtigt, das das rechte Ufer hart anhielt, denn es ist anschließend gegen die Stegbrücke gefahren und wenn man die Breite der Schiffe berücksichtigt, kann davon ausgegangen werden, daß die Begegnung in der Kanalhälfte erfolgt ist, die der Talfahrt vorbehalten ist. Die Fehler von Herrn U stehen somit fest. Dagegen gibt es keinerlei geeignete Anhaltspunkte, die bestätigen könnten, daß der Rudergänger von D noch die Möglichkeit gehabt hätte, die Anfahrung zu vermeiden, indem er nach der Begegnung schneller seinen Kurs nach Backbord gelegt hätte, denn bezüglich der Entfernung, die ihn zu dieser Zeit noch von der Anlage trennte, besteht eine große Ungewißheit. Deshalb steht sein Verschulden nicht fest und die Beklagten sind deshalb nicht verpflichtet, den Schaden zu ersetzen. Deshalb wird ihre Streitverkündung gegen die Streitverkündeten U gegenstandslos. Da V N. F. nicht gegen letztere geklagt hat, ist ihre Schadensersatzforderung in dieser Instanz nicht begründet..."
Ebenfalls abrufbar unter ZfB 1999 - Nr.2 (Sammlung Seite 1724f.); ZfB 1999, 1724 f.