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Leitsatz:
Fällt während der Fahrt eines Schiffes einer der beiden Motoren zeitweilig aus, so daß sich die Fahrt verlangsamt und ein nachfolgendes Schiff zum Überholen ansetzt, ist dieses Manöver nach § 6.09 Nr. 2 RheinSchPV zu erleichtern. Gegen diese Pflicht verstößt, wer die verlangsamte Fahrt vor Abschluß des Überholvorgangs mehrmals wieder beschleunigt und auch die Funkanfrage, ob er nun schneller oder langsamer fahren wolle, nicht einmal beantwortet.
Urteil der Berufungskammer der Zentralkommission für die Rheinschiffahrt
vom 10. Juni 1998
368 B – 4/98
(auf Berufung gegen den Beschluß des Rheinschiffahrtsgerichts St. Goar vom 11. Oktober 1996 - 2109 Js 18591/96-4 OW BSchRh -)
Tatbestand:
Der Betroffene, L, fuhr am 6. April 1995 um 8 Uhr morgens als Schiffsführer des GMS F bei Koblenz auf rechtsrheinischem Kurs zu Berg. Hinter seinem Schiff befand sich - ebenfalls auf Bergfahrt - das GMS G, das von Schiffsführer Hukema gesteuert wurde.
Das GMS F hatte Probleme mit der pneumatischen Steuerung der Backbordmaschine, mit der Folge, daß diese gestoppt und die Fahrt verlangsamt wurde. Das GMS G, das nun schneller als das GMS F fuhr, holte auf. Während die beiden Schiffe nebeneinander zu Berg fuhren, wurden sie ihrerseits vom GMS L, mit Schiffsführer M am Steuer, überholt. Nachdem die Schwierigkeiten am Backbordmotor von GMS F behoben waren, wurde der Motor erneut in Betrieb gesetzt und das Schiff fuhr wieder schneller. In diesem Moment verlangsamte GMS G seine Fahrt, um GMS F neben sich vorfahren zu lassen und anschließend die Fahrt hinter diesem Schiff fortzusetzen. Bei diesem Manöver geriet GMS G in den Sogbereich von GMS F und es kam zu mehreren Anstößen der beiden Fahrzeuge.
Die Wasserschutzpolizei warf Schiffsführer L vor, einem anderen Fahrzeug den bereits begonnenen Überholvorgang nicht ermöglicht und Schiffsführer H nicht darauf aufmerksam gemacht zu haben, daß er nach der erneuten Inbetriebsetzung des Backbordmotors seinerseits zum Überholer wurde. Sie ahndete diese Verstöße mit einem Bußgeld von 200 DM. Der Betroffene erhob Einspruch; daraufhin bestätigte das Rheinschiffahrtsgericht St. Goar mit Entscheid vom 11. Oktober 1996 die Buße. Gegen diesen Entscheid hat der Betroffene Berufung bei der Zentralkommission eingelegt. Er beantragt Freispruch.
Entscheidungsgründe:
1. Das Rheinschiffahrtsgericht hat seinem Urteil folgenden Sachverhalt zugrundegelegt: Nachdem der Backbordmotor des GMS F ein erstes Mal ausgefallen war, setzte das GMS G zum Überholen an. Dieser Vorgang war noch nicht abgeschlossen, als der Betroffene die Maschine wieder in Gang setzte und mit der dadurch bewirkten Beschleunigung die Überholung ausschloß. Später wiederholte sich der Vorgang: Ausfall der Backbordmaschine, Beginn eines erneuten Überholmanövers, das wiederum wegen der Wiederinbetriebnahme des Motors verhindert wurde. Irgendwelche Funkmitteilungen oder Schallsignale wurden von GMS F nach der erneuten Inbetriebsetzung des Backbordmotors nicht abgegeben. Als sich bei Rheinkilometer 586,9 wegen der dort ausgelegten roten Tonne das Fahrwasser auf 150 m verringerte und sich GMS G hinter GMS F zurückfallen lassen wollte, wurde es von dem neben ihm fahrenden, wesentlich größeren GMS F angesogen, was zur Kollision führte.
Der Betroffene schildert den Hergang anders: Er habe seine Backbord-Maschine nur ein einziges Mal stoppen lassen. Durch die Verlangsamung seiner Fahrt habe GMS G aufholen können. Nachdem sein Backbordmotor wieder habe angefahren werden können, seien die beiden Schiffe « mit annähernd gleicher Fahrt bergwärts an der roten Tonne bei Rheinkilometer 586,9 vorbei weiter » gefahren, bis etwa die Höhe des KD-Steigers erreicht worden sei. Während dieser Parallelfahrt seien die beiden Schiffe von GMS L überholt worden. Auf der Höhe des KD-Steigers seien die beiden Schiffe mit einem Querabstand von ca. 100 m nebeneinandergefahren; das Fahrwasser sei etwa 200 m breit gewesen; GMS L sei bereits etwa 400 m weiter bergwärts auf der linksrheinischen Seite gefahren. In diesem Moment habe sich GMS G von der Fahrwassermitte « nach Backbord mit gleichbleibender Fahrt in Richtung GMS F mit Backbord-Ruderlage zusacken » lassen. Für ein solches Manöver habe keinerlei Notwendigkeit bestanden, da die ganze linksrheinische Seite des Fahrwassers frei gewesen sei. Offensichtlich habe Schiffsführer H von GMS G beabsichtigt, « sich mit seinem Schiff bewußt in den Heckbereich von GMS F hineinzumanövrieren, um die achterliche Sogwirkung bei der weiteren Bergfahrt auszunutzen und so Treibstoff zu sparen ». Hierbei habe sich Schiffsführer H offensichtlich verschätzt, so daß sein Schiff in den Heck-Sogbereich von GMS F geraten sei.
Die Berufungskammer geht davon aus, daß sich die Geschehnisse so ereignet haben, wie sie vom Rheinschiffahrtsgericht dargestellt wurden. Das ergibt sich aus der Aussage des unbeteiligten Zeugen M, der als Schiffsführer des GMS L ca. 1000 m vor der Südbrücke Koblenz einen Funkspruch von GMS F hörte, wonach eine seiner Maschinen ausgefallen sei. Etwas später sah er GMS F am rechten Ufer langsam zu Berg fahren, während GMS G in einem Abstand von 30 - 40 m das GMS F überholen wollte. Als GMS G mit seinem Heck in Höhe des Kopfes des GMS F gefahren sei, sei die zweite Maschine wieder in Betrieb genommen worden, so daß der Eindruck entstanden sei, GMS F wolle jetzt wohl das GMS G an seiner Backbordseite überholen ». Als sich die beiden Fahrzeuge in gleicher Höhe befunden hätten, sei GMS F erneut langsamer geworden. « Das gleiche Spiel » habe sich nochmals wiederholt. « Als das GMS G eine Schiffslänge voraus » gewesen sei, habe GMS F wieder nachgezogen. Über Kanal 10 habe sich der Schiffsführer von GMS G gemeldet und gefragt, ob der Schiffsführer des GMS F nun schneller oder langsamer fahren wolle, « worauf er keine Antwort bekam ».
Der unbeteiligte Zeuge M hat klar und widerspruchsfrei ausgesagt. Es kann daher auf seine Darstellung der Ereignisse abgestellt werden. Der Betroffene hat sich demgegenüber auf das Zeugnis von Herrn D berufen. Dieser Zeuge hat bezüglich des seitlichen Abstandes der Schiffe gleich wie der unbeteiligte Zeuge ausgesagt (30 – 40 m), was zur Schilderung des Betroffenen (ca. 100 m) im klaren Widerspruch steht. Im übrigen hat der Zeuge Lehmann in seiner Aussage vor der Wasserschutzpolizei die Schilderung des Betroffenen, wonach die beiden Schiffe während längerer Zeit nebeneinander zu Berg gefahren seien, in keiner Weise bestätigt.
Es ist somit davon auszugehen, daß GMS G während der langsameren Fahrt von GMS F dieses Schiff überholen wollte. Der Steuermann von GMS F mußte in dieser Situation gemäß § 6.09 der Rheinschiffahrts-polizeiverordnung « das Überholen, soweit dies notwendig und möglich ist, erleichtern ». Dadurch daß der Betroffene seine verlangsamte Fahrt vor Abschluß des Überholvorgangs mehrmals wieder beschleunigte und die Funkanfrage von GMS G nicht einmal beantwortete, hat er gegen die genannte Pflicht verstoßen. Er wurde deshalb zu Recht zur Zahlung einer Geldbuße verurteilt.
2. Aus den dargelegten Gründen wird für Recht erkannt:
1. Die Berufung des Betroffenen gegen den Beschluß des Rheinschiffahrtsgerichts St. Goar vom 11.10.1996 wird zurückgewiesen.
2. Der Betroffene hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
3. Deren Festsetzung gemäß Art. 39 der Revidierten Rheinschiffahrtsakte erfolgt durch das Rheinschiffahrtsgericht St. Goar.
Ebenfalls abrufbar unter ZfB 1998 - Nr.20 (Sammlung Seite 1707f.); ZfB 1998, 1707 f.