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Leitsatz:
War dem Schiffsführer eines zu Berg fahrenden Schiffs bei der Annäherung an eine Fahrwasserenge die Sicht auf Talfahrer wegen einer Stromkrümmung versperrt und fehlte ihm auch über Funk jeglicher Hinweis auf einen Gegenkommer, mit dem es in der Enge zu einer Begegnung kommen könnte, kann ihm nach der Begegnung mit einem Talfahrer nicht vorgeworfen werden, mit seiner Einfahrt in die Fahrwasserenge gegen die §§ 1.22, 6.07 Abs. 1 c, 6.08 Nr. 1 RheinSchPV verstoßen zu haben.
Urteil der Berufungskammer der Zentralkommission für die Rheinschiffahrt
vom 23. Januar 1997
356 B - 5/97
(auf Berufung gegen den Beschluß des Rheinschiffahrtsgerichts St. Goar vom 18. Januar 1996 - 2109 Js 13998/95-4 OW BSchRh -)
Tatbestand:
Am 22.03.1994 hat die Wasser- und Schiffahrtsdirektion Mainz gegen den Betroffenen eine Geldbuße von 150 DM verhängt. In dem Bußgeldbescheid heißt es hierzu: « Sie mißachteten die schiffahrtspolizeiliche Anordnung Nr. 13/1993, indem Sie als Bergfahrer dem zu Tal fahrenden TMS B von Rotterdam in Höhe des Baggers S, der gerade arbeitete, bei Rheinkilometer 543,3 begegneten. Sie wären verpflichtet gewesen, unterhalb der Verbotsstrecke anzuhalten, bis o.g. Talfahrer die Fahrwasserenge passiert gehabt hätte. Zuwiderhandlungen gegen §§ 1.22 und 6.07 Abs. 1 c sowie § 6.08 Nr. 1 RheinSchPV, in Verbindung mit Art. 5 Abs. 2 Nr. 4 und 15 b RheinSchPEV ».
Gegen den Bußgeldbescheid hat der Betroffene form- und fristgerecht Einspruch eingelegt: Er habe sich am 02.11.1993 mit seinem MS L bei Bacharach Rheinstromkilometer 543 auf Bergfahrt befunden (hier hat nach der obengenannten Anordnung wegen Bauarbeiten von Rhein-km 542,20 bis 543,9 ein mit Schiffahrtszeichen A.4 nach Anlage 7 RheinSchPV gekennzeichnetes Begegnungs- und Überholverbot gegolten); er habe sich erstmals über Sprechfunk Kanal 10 als Bergfahrer gemeldet, als er sich noch 100 m vor dem Verbotsschild befunden habe; er habe keine Antwort von der Talfahrt erhalten, auch nicht auf eine zweite Meldung in Höhe des Verbotsschildes; zu Tal kommende Fahrzeuge habe er wegen einer starken Krümmung des Rheins nicht ankommen sehen; als er sich ca. 400 m in der Engstelle befunden habe, habe sich das zu Tal kommende TMS B über Kanal 10 gemeldet; danach sei er bis Rheinstrom-km 543,3 weitergefahren, wo die beste Möglichkeit für eine Begegnung gewesen sei.
Das Rheinschiffahrtsgericht hat gegen den Betroffenen ebenfalls eine Geldbuße von 150 DM festgesetzt, und zwar wegen einer Ordnungswidrigkeit gemäß §§ 1.22, 6.07 Abs. 1 c, 6.08 Nr. 1 RheinSchPV in Verbindung mit Art. 5 Abs. 2 Nr. 4 und 15 b RheinSchPEV: Nach dem Unfallbericht der Wasserschutzpolizei vom 18.11.1993 und dessen Ergänzung vom 03.07.1995 stehe fest, daß sich der Talfahrer rechtzeitig über Funk gemeldet habe und es dem Bergfahrer möglich gewesen wäre, vor der Einfahrt in die Engstelle zu verhalten und die Passage des MTS B abzuwarten; hingegen habe sich nicht feststellen lassen, daß auch der Betroffene sich über Funk als Bergfahrer gemeldet habe.
Der Betroffene hat gegen den Beschluß des Rheinschiffahrtsgerichts St. Goar vom 18.01.1996 form und fristgerecht Berufung eingelegt. Er beantragt, ihn freizusprechen.
Entscheidungsgründe:
Die Berufung hat Erfolg.
Das Rheinschiffahrtsgericht wirft - wie schon die Wasser- und Schiffahrtsdirektion Mainz - dem Betroffenen vor, gegen § 6.08 Nr. 1 RheinSchPV in Verbindung mit § 6.07 Nr. 1 c) RheinSchPV verstoßen zu haben. Dem kann nicht gefolgt werden.
§ 6.08 Nr. 1 RheinSchPV bestimmt, daß « bei der Annäherung an Strecken, die - wie hier - durch das Tafelzeichen A.4 (Anlage 7) gekennzeichnet sind, § 6.07 gilt ». Nach § 6.07 Nr. 1 c) RheinSchPV « müssen Bergfahrer, wenn sie feststellen, daß ein Talfahrer im Begriff ist, in eine Fahrwasserenge hineinzufahren, unterhalb der Enge anhalten, bis der Talfahrer sie durchfahren hat ». An dem Nachweis für eine solche Feststellung fehlt es hier. Weder konnte der Betroffene, als er sich mit seinem MS L der Fahrwasserenge näherte, das zu Tal kommende TMS B sehen, noch kann ihm nachgewiesen werden, daß er zu diesem Zeitpunkt Kenntnis von dem Gegenkommer, geschweige dessen Entfernung und Geschwindigkeit erfahren hat:
a) Nach der Schiffahrts- und Industriekarte des Rheins verläuft der Strom zwischen km 542 und km 544 in einer starken Rechtskrümmung an die sich talwärts eine Linkskrümmung anschließt. Da sich die damalige Fahrwasserenge zwischen km 542,2 und 543,9 befunden hat und es sich um eine Gebirgsstrecke handelt, war dem Betroffenen bei der Annäherung an das untere Ende der Enge die Sicht auf Talfahrer oberhalb des Scheitelpunktes (km 543) der Rechtskrümmung versperrt, zumal dort die Fahrrinne rechtsrheinisch verlief. Da MS L und TMS B nach dem Bericht der Wasserschutzpolizei, die ein Streifenboot linksrheinisch am Steiger von Bacharach (km 543) zwecks Überwachung der schiffahrtspolizeilichen Anordnung Nr. 13/1993 liegen hatte, bei km 543,3 begegnet sind, muß sich der Talfahrer noch eine ganz erhebliche Strecke oberhalb des Scheitelpunkts der Rechtskrümmung des Stromes befunden haben, als sich der Bergfahrer dem unteren Ende der Enge näherte. Insoweit hat der Betroffene in seiner Berufungsbegründungsschrift unwidersprochen darauf hingewiesen, daß die Geschwindigkeit des leer talwärts fahrenden TMS B wenigstens dreimal so hoch als die des beladen zu Berg kommenden MS L gewesen sein muß.
b) In dem Bericht der Wasserschutzpolizei heißt es, daß die Besatzung des Streifenbootes über Schiffsfunk « Kanal 10 » gehört habe, daß sich der Talfahrer ordnungsgemäß in Höhe des Lorcher Steigers (dieser liegt rechtsrheinisch etwa bei km 540) gemeldet habe. Dazu hat die Wasserschutzpolizei in ihrem Ergänzungsbericht noch bemerkt, « Es kann aufgrund funktechnischer Schwierigkeiten (Gebirgsstrecke) nicht ausgeschlossen werden, daß der Betroffene den Talfahrer nicht gehört hat ». Im Hinblick darauf ist davon zu Gunsten des Betroffenen auszugehen, zumal die Meldung erfolgt ist, als der Talfahrer bei ihrer Abgabe noch etwa 4 km von dem unteren Ende der Fahrwasserenge entfernt und der Bergfahrer in diese noch nicht eingefahren war. Damit fehlte dem Betroffenen auch über Funk jeglicher Hinweis auf einen Gegenkommer und daß es mit diesem in der Enge zu einer Begegnung kommen konnte. Infolgedessen verletzte der Betroffene mit seiner Einfahrt in die Fahrwasserenge nicht die Regelung des § 6.07 Nr. 1 c) RheinSchPV. Demgemäß war er von einem solchen gegen ihn in dem Bußgeldbescheid erhobenen Tatvorwurf freizusprechen.
Aus den dargelegten Gründen wird für Recht erkannt:
1. Auf die Berufung des Betroffenen wird der Beschluß des Rheinschiffahrtsgerichts
St. Goar vom 18.01.1996 aufgehoben.
2. Der Betroffene wird freigesprochen.
3. Die Staatskasse trägt die Kosten des Verfahrens einschließlich der notwendigen Auslagen des Betroffenen.
Ebenfalls abrufbar unter ZfB 1997 - Nr.10 (Sammlung Seite 1536); ZfB 1997, 1536