Banque de données de juriprudence
Leitsätze:
1) Die sachliche Zuständigkeit der Rheinschiffahrtsgerichte umfaßt in Strafsachen nicht Vergehen im Sinne der §§ 113, 12 Abs. 2 StGB. Die nach Art. 34 Nr. 1 MA auf die Untersuchung und Bestrafung aller Zuwiderhandlungen gegen die schiffahrts- und strompolizeilichen Vorschriften begrenzte Zuständigkeit der Rheinschiffahrtsgerichte kann nach den allgemeinen Regeln des Völkerrechts vor dem (nationalen) Gesetzgeber einzelner Vertragsstaaten der MA weder erweitert noch beschränkt werden. Ebenso kann die Verweisung einer Sache an ein Rheinschiffahrtsgericht dessen sachliche Zuständigkeit
nicht begründen.
2) Rheinschiffahrtsgerichte haben aufgrund von Staatsverträgen wie der MA einen besonderen Charakter. Deshalb sind sie auch nicht gleichrangige Spruchkörper innerhalb desselben Gerichts, zwischen denen die Abgabe und Übernahme von Strafverfahren erfolgen kann, wenn eine gesetzliche Regelung fehlt.
3) Wird eine Strafsache von einem nationalen Gericht an ein dafür sachlich nicht zuständiges Rheinschiffahrtsgericht verwiesen, kann es das Verfahren nicht an das zuständige Gericht verbringen, denn die MA sieht eine Verweisungsmöglichkeit an ein anderes Gericht nicht vor. Ebenso fehlt insoweit eine Regelung in der StPO. Das Rheinschiffahrtsgericht kann mangels eigener Zuständigkeit in der Sache nicht entscheiden; es muß vielmehr das Verfahren wegen mangelnder Sachzuständigkeit einstellen und die Kosten nebst den notwendigen Auslagen des Angeklagten der Staatskasse auferlegen.
Urteil der Berufungskammer der Zentralkommission für die Rheinschiffahrt
vom 23.01.1997
352 S - 6/96
(Rheinschiffahrtsgericht Mainz)
Zum Tatbestand:
Am 13.10.1992 ist gegen den Angeklagten ein Strafbefehl des Amtsgerichts Mainz ergangen. Darin hat dieses gegen ihn eine Geldstrafe von 1.500 DM festgesetzt, weil er am 12.05.1992 in Mainz Rheinkm 500,050 an Bord des GMS „F" bei einer Kontrolle durch die Polizei einem Amtsträger, der zur Vollstreckung von Gesetzen berufen ist, bei der Vornahme einer rechtmäßigen Diensthandlung Widerstand geleistet und ihn tätlich angegriffen habe - Vergehen strafbar gemäß § 113 Abs. 1 und 3, § 25 Abs. 2 des deutschen Strafgesetzbuches (StGB). Gegen den Strafbefehl hat der Angeklagte am 31.03.1994 - rechtzeitig - Einspruch eingelegt. In dem Schreiben hat er u. a. die Zuständigkeit des Amtsgerichts Mainz gerügt; zuständig sei das Schiffahrtsgericht Mainz. In der Hauptverhandlung am 17.03.1995 vor dem Amtsgericht Mainz hat er die Rüge wiederholt und beantragt, die Sache an das Schiffahrtsgericht Mainz zu verweisen. Hierauf hat das Gericht folgenden Beschluß erlassen:
„Das Amtsgericht - Strafrichter - Mainz erklärt sich für sachlich unzuständig und verweist das Verfahren an das sachlich zuständige Rheinschiffahrtsgericht bei dem Amtsgericht Mainz". Dessen Vorsitzender teilte am 17.05.1995 der Staatsanwaltschaft Mainz mit der Bitte um Stellungnahme mit, daß seines Erachtens das Verfahren eingestellt werden müßte,
da das Rheinschiffahrtsgericht nur für „Owi-Sachen", nicht aber für Strafsachen zuständig sei. Darauf hat diese am 21.06.1995 beantragt, das Verfahren gemäß § 270 Abs. 1 der deutschen Strafprozeßordnung (StPO) „an das zuständige nächst höhere Schiffahrtsgericht in Mainz zu verweisen". Nunmehr hat sich das Rheinschiffahrtsgericht Mainz mit Beschluß vom 10.07.1995 „für sachlich unzuständig erklärt und das Verfahren weiter an das sachlich zuständige Amtsgericht - Schiffahrtsgericht - Mainz verwiesen".
Gegen diese dem Verteidiger des Angeklagten am 20.07.1995 zugestellte Entscheidung hat dieser am 26.07.1995 „Beschwerde" eingelegt; für den Fall, daß das Rheinschiffahrtsgericht der Beschwerde nicht abhelfe, hat er beantragt, „eine Entscheidung der Berufungskammer der Rheinzentralkommission herbeizuführen". Nach seiner Ansicht sieht die StPO nicht die Möglichkeit einer Verweisung vom sachlich unzuständigen Rheinschiffahrtsgericht an das Schiffahrtsgericht vor; das Rheinschiffahrtsgericht hätte deshalb das Verfahren einstellen müssen. Die Generalstaatsanwaltschaft Karlsruhe hat nach der Erklärung des Rheinschiffahrtsgerichts, dem Rechtsmittel nicht abzuhelfen, die Akten der Berufungskammer vorgelegt. Sie hält „die Beschwerde" des Angeklagten für unzulässig; nach ihrer Ansicht handelt es sich bei dem angefochtenen Beschluß des Rheinschiffahrtsgerichts Mainz vom 10.07.1995 entgegen dessen Bezeichnung der Sache nach nicht um eine Verweisung, sondern um eine Abgabe innerhalb desselben Gerichts.
Aus den Entscheidungsgründen:
„Das Rechtsmittel des Angeklagten, das als Berufung im Sinne des Artikels 37 der Revidierten Rheinschiffahrtsakte anzusehen ist, hat Erfolg.
1. Nach der ständigen Rechtsprechung der Berufungskammer umfaßt die Zuständigkeit der Rheinschiffahrtsgerichte in Strafsachen die Untersuchung und Bestrafung aller Zuwiderhandlungen gegen die schiffahrts- und strompolizeilichen Vorschriften (Art. 34 Nr. I der Revidierten Rheinschiffahrtsakte), hingegen nicht die' strafrechtlichen Vergehen und Verbrechen im Sinne des § 12 StGB (Urt. d. BK v. 06.10.1994, Az 314 S - 10/94 sowie v. 19.12.1986, Az 209 S - 15/87). Da es vorliegend um ein Vergehen im Sinne der §§ 113, 12 Abs. 2 StGB geht, hat das Rheinschiffahrtsgericht Mainz zu Recht angenommen, daß dieser Fall nicht unter die sachliche Zuständigkeit der Rheinschiffahrtsgerichte fällt.
2. Die sachliche Zuständigkeit des Rheinschiffahrtsgerichts Mainz konnte nicht dadurch begründet werden, daß sich in der Hauptverhandlung am 17.03.1995 „das Amtsgericht" - Strafrichter- Mainz für sachlich unzuständig erklärt und das Verfahren an das sachlich zuständige Rheinschiffahrtsgericht bei dem Amtsgericht Mainz" verwiesen hat.
Die sachliche Zuständigkeit der Rheinschiffahrtsgerichte in Strafsachen, wird ausschließlich durch Art. 34 Nr. I der Revidierten Rheinschiffahrtsakte bestimmt (vgl. auch Urt. d. BK v. 19.12.1986,Az. 209 - 15/87). Dieser Bereich kann nach den allgemeinen Regeln des Völkerrechts von dem (nationalen) Gesetzgeber einzelner Vertragsstaaten der Akte weder erweitert noch beschränkt werden (vgl. auch Urt. d.BK v. 07.12.1987, Az. 204 S - 13/87). Das gilt ebenso für die Rechtsprechung der (nationalen) Gerichte einzelner Vertragsstaaten der Akte. Sie können deshalb nicht durch Verweisung einer Sache an ein Rheinschiffahrtsgericht dessen sachliche Zuständigkeit begründen, wenn diese, wie hier, nach der Revidierten Rheinschiffahrtsakte nicht gegeben ist.
3. Eine andere Frage ist es, wie ein Rheinschiffahrtsgericht zu verfahren hat, wenn ein nationales Gericht eine Sache an dieses verwiesen hat, für die es nicht zuständig ist. Zweifellos kann es in der Sache mangels eigener sachlicher Zuständigkeit, also wegen Fehlens einer Verfahrensvoraussetzung, selbst nicht entscheiden.
Allerdings obliegt ihm bei dem hier anzuwendenden deutschen Recht bei sachlicher Unzuständigkeit die Pflicht, das Verfahren an das zuständige Gericht zu verbringen, wenn das Gesetz diese Möglichkeit vorsieht (Karlsruher Kommentar zur Strafprozeßordnung 3. Aufl. § 6 Rdnr. 1; Kleinknecht/Mayer-Großner, Strafprozeßordnung 42. Aufl. § 6 Rdnr.2) andernfalls muß das Verfahren nach § 206a oder § 260 Abs. 3 StPO eingestellt werden (vgl.
auch Urt. d. deutschen BGH v. 20.07.1962 - 4 StR 194/62, BGHSt. 18, I ff.).
4. Die Revidierte Rheinschiffahrtsakte sieht keine Verweisungsmöglichkeit an ein anderes Gericht vor, wenn ein Rheinschiffahrtsgericht mit einer Sache befaßt wird (hier auf Grund einer Verweisung „des Amtsgerichts - Strafrichter"), für deren Entscheidung es nicht zuständig ist. Ebenso fehlt insoweit eine Regelung in der StPO. Das Rheinschiffahrtsgericht Mainz hätte deshalb das Verfahren einstellen müssen (vgl. vorstehend unter 3. ; vgl. ferner, Schetter, Die Rheinschiffahrtsgerichte in Strafsachen in ihrem Verhältnis zu den ordentlichen Gerichten, 1960, S. 46/47) ; das war ursprünglich auch die Ansicht des Rheinschiffahrtsgerichts Mainz, wie dessen Schreiben vom 17.05.1995 an die Staatsanwaltschaft Mainz zu entnehmen ist. Richtig ist, daß der deutsche Bundesgerichtshof im Wege richterlicher Rechtsfortbildung entschieden hat, daß auch bei Fehlen einer gesetzlichen Regelung die Abgabe und Übernahme von Strafverfahren zwischen gleichrangigen Spruchkörpern desselben Gerichts erfolgen kann, um unnötige Verfahrensverzögerungen infolge von Irrtümern über die gerichtliche Zuständigkeit zu vermeiden (Urt. v. 12.01.1977, BGHSt. 17,99,102). Um einen solchen Fall geht es vorliegend jedoch nicht. Bei der Verweisung des Verfahrens seitens des „Amtsgerichts-Strafrichter" - Mainz an das Rheinschiffahrtsgericht Mainz sowie bei dessen Weiterverweisung an das Schiffahrtsgericht Mainz handelt es sich nicht um die übereinstimmende Abgabe und Übernahme des Strafverfahrens gegen den Angeklagten. Auch kann insoweit nicht die Rede von gleichrangigen Spruchkörpern desselben Gerichts sein. Was jedenfalls die Rheinschiffahrtsgerichte anbetrifft, ist zu beachten, daß Grundlage für deren Bildung und Tätigkeit allein die Revidierte Rheinschiffahrtsakte mit ihren hierfür wesentlichen, den nationalen Regelungen vorgehenden Vorschriften ist. Das gibt den Rheinschiffahrtsgerichten einen besonderen Charakter (vgl. auch § 14 des deutschen Gerichtsverfassungsgesetzes, worin es wörtlich heißt: „Als besondere Gerichte werden Gerichte der Schiffahrt für die in den Staatsverträgen bezeichneten Angelegenheiten zugelassen").
5. Aus alledem folgt, daß sich das Rheinschiffahrtsgericht Mainz in der vorliegenden Sache zutreffend für sachlich unzuständig erklärt hat. Jedoch durfte es diese nicht an das Schiffahrtsgericht Mainz weiterverweisen. Vielmehr hätte es das Verfahren wegen mangelnder Sachzuständigkeit einstellen und die Kosten nebst den notwendigen Auslagen des Angeklagten der Staatskasse auferlegen müssen (§ 467 Abs. 1 StPO). Da das Rechtsmittelgericht grundsätzlich die Entscheidung herzustellen hat, die bei richtiger Behandlung der Sache durch den Vorderrichter zu treffen gewesen wäre (Urt. d.BK v. 01.02.1996, Az. 349 B - 2/96), war das im Rahmen des vorliegenden Berufungsverfahrens auszusprechen.
6. Danach wird für Recht erkannt:
a) Der Beschluß des Rheinschiffahrtsgerichts Mainz v. 10.07.1995 wird aufgehoben, soweit er das Verfahren an das Schiffahrtsgericht Mainz verwiesen hat. Das Verfahren wird eingestellt.
b) Die Kosten des Verfahrens und die notwendigen Auslagen des Angeklagten fallen der Staatskasse zur Last. Deren Festsetzung gemäß Artikel 39 der Revidierten Rheinschiffahrtsakte erfolgt durch das Rheinschiffahrtsgericht Mainz."
Ebenfalls abrufbar unter ZfB 1997 - Nr.8 (Sammlung Seite 1633f.); ZfB 1997, 1633 f.