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Leitsätze:
1) Die Fristenregelung in Art. 37 der Rheinschiffahrtsakte ist eng auszulegen und anzuwenden.
2) Stützt der Kläger seinen Schadensersatzanspruch auf § 3 BSchG, kann der Beklagte nicht den Entlastungsbeweis aus § 831 BGB antreten.
3) Wer wegen schuldhafter Beschädigung von Schleusenanlagen ersatzpflichtig gemacht wird, kann sich nicht darauf berufen, daß die vor 50 Jahren gebauten und von den zuständigen Stellen in ihrer Konstruktion genehmigten Anlagen nicht mehr dem modernen technischen Stand entsprechen und daß es bei einer rechtzeitigen Modernisierung nicht zu der Schleusenbeschädigung gekommen wäre. Werden neue Schiffskonstruktionen, wie z. B. Schubschiffe, in Verkehr gebracht, so trägt die Schiffahrt das Risiko für Schäden an Anlagen der Wasserstraße, sofern diese - wenn auch veralteten - Anlagen fehlerfrei erstellt und ordnungsmäßig unterhalten sind.
Urteil der Berufungskammer der Zentralkommission für die Rheinschiffahrt
vom 15. September 1975
35 Z - 8/75
(Rheinschiffahrtsgericht Straßburg)
Zum Tatbestand:
Das MS K mit dem auf Backbord seitlich gekoppelten Tank-Schubleichter T - beide unbeladen und der Beklagten gehörend - fuhr talwärts in die große Schleuse Kembs ein. Dabei stieß der Schubleichter mit seinem vorn schräg ansteigenden Schiffsboden über die linke Plattform der Schleuse hinaus gegen den ersten Stützpfeiler eines der dort lotrecht über den Schleusenaußenwänden errichteten Windenhäuser, in denen die Schieber der Schleusenfüllkammern hochgezogen werden. Die Stützpfeiler ragen nicht in die Schleusenkammer hinein. Durch den Anprall wurde der Stützpfeiler beschädigt. Der Schubverband wurde dadurch nach rechts gegen die Stützpfeiler eines weiteren Windenhauses geworfen, das infolge dieses Rammstoßes um 25 m verschoben wurde und aufgrund eines Sachverständigengutachtens nicht mehr reparabel war.
Die Klägerin - Electricite de France - verlangt Ersatz eines Schadens von 358.758 ffr, unter Berücksichtigung der zwischenzeitlichen Kostenteuerung erhöht auf insgesamt 415.000 ffr.
Die Beklagte bestreitet ein Verschulden des Schiffsführers. Das Manometer der Druckflasche des Hilfsruders habe einen Druckabfall von 30 auf 12 kg nicht angezeigt, was der Schiffsführer nicht habe entdecken können und worauf es zurückzuführen sei, daß das Hilfsruder nicht tauglich gewesen sei, um eine unfallfreie Einfahrt des Schubverbandes in die Schleuse zu ermöglichen. Außerdem sei der Schubverband dem Wind stark ausgesetzt gewesen. Aus diesem Grunde sei es als Konstruktionsfehler anzusehen, daß die Schleuse Kembs noch keine Leitplanken oder Leitmauern aufweise, damit auch große Leichter risikolos in die Schleuse einfahren könnten, auch wenn sich die Schiffe schräg stellten. Ferner sei der Stützpfeiler des Windenhauses falsch konstruiert gewesen. Die Haftung könne nicht auf § 8 BSchG gestützt werden, zumal nach § 831 des „Code civil local" der Exculpationsbeweis erbracht werden könne. Die Windenhäuser seien ohnehin dem Abbruch geweiht. Bei der Schadensberechnung sei kein Altersabzug vorgenommen worden. Das Rheinschiffahrtsgericht hat der Klage teilweise, und zwar in Höhe von 350.000 ffr stattgegeben. Die Berufungskammer der Rheinzentralkommission hat die Berufung der Klägerin abgewiesen, auf die Berufung der Beklagten die Klage in Abänderung des vorinstanzlichen Urteils in Höhe von rd. 250.000 ffr. für begründet erklärt.
Aus den Entscheidungsgründen:
„...
Nach Art. 37, Abs. 3 der Rheinschiffahrts-Akte hat das Rheinschiffahrtsgericht eine Berufungsbegründung dem Berufungsbeklagten mit einer zu bestimmenden (nach der deutschen Fassung der Akte als „präklusiv" bezeichneten) Frist zur Beantwortung zuzustellen. Die französische Fassung der Rheinschiffahrts-Akte enthält den Begriff der „präklusiven" Frist nicht, wie diese in der deutschen Fassung verdeutlicht wird. Die Berufungskammer ist entgegen der früheren, jedoch nicht einläßlich begründeten Praxis der Zentralkommission (Urteil vom 4. 3. 1955 in Sachen Dame Dina Verschuren ca. Port Autonome de Strasbourg) der Ansicht, daß die Beantwortungsfrist im Berufungsverfahren nach Art. 37 im Sinne der generellen Absicht der Rheinschiffahrts-Akte, ein beschleunigtes Verfahren vorzusehen, sowie um die Parteien eines Berufungsverfahrens fristenmäßig gleich zu behandeln, eine unerstreckbare, präklusive Frist sein muß, und daß der Wortlaut der deutschen Fassung der Akte den Willen der vertragschließenden Staaten in dieser Frage richtig zum Ausdruck bringt. Die der Klägerin vom Vorderrichter am 16. Januar 1975 gesetzte Frist von 4 Wochen für die Beantwortung der Berufung konnte somit auch vom Vorderrichter nicht erstreckt werden. Die Frist von 4 Wochen war angemessen, wenn die dem Berufungskläger nach der Akte zur Verfügung stehende Begründungsfrist von ebenfalls 4 Wochen berücksichtigt wird.
Die Berufungskammer sieht deshalb keine Veranlassung, wegen Unangemessenheit der angesetzten Antwortfrist einzuschreiten, eine Möglichkeit, die ihr gewahrt bleiben muß. Da die Vorinstanz in Widerspruch zu Art. 37 der Rheinschiffahrts-Akte dem Fristverlängerungsgesuch der Klägerin vom 13. Februar 1975 stattgegeben hat, kann die Berufungskammer die erst am 13. März 1975 von der Klägerin eingereichte Berufungsantwort als verspätet grundsätzlich nicht mehr berücksichtigen. Diese prozessuale Strenge drängt sich auf, damit Berufungskläger und Berufungsbeklagter über gleich lange Begründungsfristen verfügen. Es ließe sich nach Sinn und Zweck von Art. 37 nicht rechtfertigen, den Berufungskläger auf die einmalige, präklusive Begründungsfrist von 4 Wochen festzulegen, gleichzeitig aber dem Berufungsbeklagten längere Fristen für die Beantwortung über den Weg von Fristerstreckungsgesuchen zuzubilligen. Bei der fristenmäßigen Gleichbehandlung der Parteien kann jedoch berücksichtigt werden, daß dem Berufungskläger eine erste Frist von 30 Tagen für die Berufungserklärung und anschließend eine weitere Frist von 4 Wochen zur Begründung zur Verfügung stehen, während der Berufungsbeklagte nur auf eine Frist Anspruch hat, die aber vom Vorderrichter schon erstmalig entsprechend lang festgesetzt werden kann. Die Berufungskammer sieht in der strengen Interpretation von Art. 37 der Rheinschiffahrtsakte keine ungebührliche Einschränkung der Verteidigungsmöglichkeit des Berufungsbeklagten, da im Unterschied zum früheren, rein schriftlichen Verfahren vor der Zentralkommission heute nach der Verfahrensordnung vom 23. Oktober 1969 der Berufungsbeklagte noch in einem späteren Verfahrensstadium eine öffentliche Verhandlung verlangen und sich an dieser mündlich zur Streitsache äußern kann.
Im vorliegenden Rechtsstreit soll indessen die Klägerin und Berufungsbeklagte daraus keinen Nachteil erleiden, daß sie auf die vom Vorderrichter ohne kontradiktorisches Verfahren gewährte Fristerstreckung für die Berufungsantwort vertraute und möglicherweise auch auf die frühere, weniger strenge Praxis der Zentralskommission Rücksicht nahm. Es war für sie auch nicht vorauszusehen, daß die Berufungskammer zur strengen Interpretation von Art. 37 der Rheinschiffahrts-Akte zurückkehrt. Von der Opposition der Gegenpartei bezüglich der Fristerstreckung erhielt die Klägerin erst Kenntnis, als die erste Beantwortungsfrist bereits abgelaufen war. Diese Umstände rechtfertigen, daß die Klägerin in ihrem Vertrauen auf die bisherige Praxis und die gewährte Fristerstreckung des erstinstanzlichen Richters zu schützen ist, so daß ihre Berufungsantwort noch ausnahmsweise Berücksichtigung finden kann.
Die Rheinschiffahrts-Akte sieht keinen zweifachen Schriftenwechsel im Berufungsverfahren vor, so daß die Replik der Beklagten vom 10. April 1975 auf die Berufungsantwort der Klägerin als unzulässig zurückzuweisen ist. Es bleibt beiden Parteien unbenommen, in der mündlichen Verhandlung Stellung zu den Vorbringen der Gegenpartei zu nehmen.
Die Vorinstanz erwähnt als Haftungsnorm lediglich Artikel 8 des deutschen Binnenschiffahrtsgesetzes (BSchG), das in französischer Übersetzung wörtlich in Elsaß-Lothringen als sog. "loi locale" weiter in Kraft steht (Code des voies navigables et de la navigation interieure du 13 octobre 1956, No 56-1033, article 234). Die Beklagte ist als Eigentümerin des Schubverbandes eingeklagt worden, so daß bezüglich ihrer außervertraglichen Haftung für Verschulden der Schiffsbesatzung § 3 Abs. 1 des BSchG anzuwenden ist.
Es ist zutreffend, daß im Ursprungsland des Binnenschiffahrtsgesetzes der Geschädigte seit 1936 nach der Gerichtspraxis die Wahl hat, sich bei einer unerlaubten Handlung entweder auf § 3 BSchG oder auf § 831 BGB zu berufen, soweit jeweils deren Voraussetzungen nachgewiesen werden können (vgl. Vortisch-Zschucke: Binnenschiffahrts- und Flößereirecht, Kommentar, 3. Aufl., 1964, Anm. 2 b zu § 3 BSchG und die daselbst zitierte deutsche Rechtsprechung). BGB § 831 regelt die Haftung des Geschäftsherrn für seine Verrichtungsgehilfen, verlangt jedoch nicht, daß der Geschädigte ein Verschulden der letzteren nachweist, ermöglicht aber dem Haftpflichtigen den Entlastungsbeweis der fehlenden „culpa in eligende, instruendo et custodiendo". Weiterhin ermöglicht die Anwendung von BGB § 831 nicht die dinglich-beschränkte Haftung nach BSchG § 4. Es kann indessen dahingestellt bleiben, ob die sog. ,,loi locale" in Elsa߬Lothringen nach wie vor als Sonderrecht für dieses Gebiet eine Haftungsnorm, gleichlautend dem deutschen § 831 BGB, beibehalten hat oder nicht, denn maßgebend ist, auf welche Haftung sich der geschädigte Kläger beruft. Die Beklagte geht somit fehlt, wenn sie sich auf die weiterbestehende Geltung von BGB § 831 als „loi locale" beruft, um den erleichterten Entlastungsbeweis zu erbringen, nachdem die Klägerin, der allein die Wahl zusteht, die Haftung auf § 3 BSchG stützt.
Die Berufungskammer wendet aus diesen Gründen für die Beurteilung der Haftung der Beklagten ausschließlich § 3 BSchG an. Es dürfte auch gerechtfertigt sein, diese Haftungsregel unter Ausschluß der allgemeinen und weitaus strengeren Norm des allgemeinen französischen Rechtes (Code Civil, article 1384, al. 1) anzuwenden. BSchG § 3 ist bezüglich der Haftung des Schiffseigentümers eine „lex specialis", auf die sich auch der haftpflichtige Schiffseigentümer berufen können muß. Andernfalls wäre die Anwendung von BSchG § 3 als weitergeltende „loi locale" in Frankreich ausgeschlossen, was nicht die Absicht des Gesetzgebers gewesen sein kann, um so mehr als die strengere Haftungsregel des Artikels 1384 des französischen Zivilgesetzbuches älteren Datums ist.
Bei Anwendung von BSchG § 3 hat die Klägerin ein Verschulden einer Person der Schiffsbesatzung in Ausführung ihrer dienstlichen Verrichtungen nachzuweisen. Dabei ist nach der anerkannten Gerichtspraxis der allgemeine Erfahrungssatz heranzuziehen, daß auf irgendein schuldhaftes und ursächliches Verhalten desjenigen Schiffes zu schließen ist, das in Fahrt befindlich ein stilliegendes Schiff oder eine feste Anlage beschädigt. Im vorliegenden Fall drängt sich dieser Primafacie-Schuldbeweis auf. (Vgl. Wassermeyer: Kollisionsprozeß in der Binnenschiffahrt, 4. Aufl. 1971, Seiten 97 ff., insb. die auf Seite 100 zitierte Judikatur). Die Schleusenanlage der Klägerin war eine sichtbare und bekannte feste Anlage, deren Eigenschaften einem Schiffsführer mit Oberrhein-Schifferpatent bekannt sein mußten, verlangt doch die Ausstellung eines Schifferpatentes den Nachweis mehrfacher Befahrung der Strecke. Die örtliche Lage, das Ausmaß der Vorhäfen, die Anordnung der Leitplanken sowie die Breite der Schleusenkammer mußten dem Schiffsführer der Beklagten bekannt sein. Er mußte sich auch über die Länge und Breite seines Schubverbandes (20,40 m) unter Berücksichtigung der Breite der Schleusenkammer (25 m) bewußt sein, wie auch er in erster Linie die Höhe und Konstruktion seiner Schiffe kennen mußte, insbesondere die weit über die Schleusenplattformen und die Oberkanten der Schleusenkammer hinausragende Bugkonstruktion des Leichters. Der Schiffsführer mußte auch die Gefahren berücksichtigen, welche sich aus der Größe seiner Schiffe bei Windeinfluß, insbesondere in unbeladenem Zustand ergeben. Nach § 1.04 RSchPolVO hatte der Schiffsführer alle Vorsichtsmaßnahmen zu treffen, welche die allgemeine Sorgfaltspflicht und berufliche Übungsgebieten, um Beschädigungen der „Strombauwerke" und „Anlagen jeder Art in der Wasserstraße" zu vermeiden. Wenn demnach der Schubverband der Beklagten fahrend die Windenhäuser der Schleuse rammte, so muß der Erfahrungssatz des Beweises des ersten Anscheins seine Anwendung finden (vgl. Wassermeyer: 1.c. Seite 109). Die Beklagte gibt auch zu, daß ihr Schubverband nicht parallel, sondern in einem bestimmten Winkel auf die Schleusenkammer zu und in diese hineingefahren ist. Für diese Fahrweise und Fahrrichtung des Verbandes war der Schiffsführer der Beklagten verantwortlich.
Die Vorinstanz und die Klägerin werfen der Beklagten einen konkreten Umstand als Verschulden vor, nämlich den Mangel des Hilfsmotors des Leichters, dessen Druckflasche für die pneumatische Ruderbewegung nicht den erforderlichen Druck von 30 kg, sondern nur 12 kg aufwies. Hierin liege eine Mißachtung von BSchG § 8. Die Beklagte anerkennt, daß der erforderliche Druck fehlte, wendet aber zur Entlastung ein, daß der Druckmesser nicht richtig funktionierte und den vollen, erforderlichen Druck angezeigt habe, so daß der Schiffsführer den Mangel nicht habe erkennen können. Laut Feststellung der Polizei hat indessen der Manometer auch nach dem Unfall nur einen Druck von 12 kg angezeigt. Es ist richtig, daß nach BSchG § 8 der Schiffsführer vor Antritt einer Reise darauf zu sehen hat, daß das Schiff sich in fahrtüchtigem Zustand befindet, und wenn er diese Sorgfaltspflicht verletzt, nach BSchG § 7 dem Eigentümer, den Ladungsbeteiligten und den beförderten Personen und der Schiffsbesatzung gegenüber haftet. Diese Haftung des Schiffsführers schließt aber die Haftung, des hier allein angeklagten Schiffseigentümers für die Fahrtüchtigkeit des Schiffes nicht aus. Letzterer haftet nicht nur adjektizisch für eine Sorgfaltsvernachlässigung seiner Besatzung, sondern auch direkt, wenn er ein fahruntüchtiges Schiff aussendet. Es gehört zu den Kardinalpflichten des Schiffseigentümers, für die Fahrtüchtigkeit seines Schiffes zu sorgen. Liegt ein persönliches Verschulden des Schiffseigentümers vor, so geht er auch der Haftungsbeschränkung nach BSchG § 4 verlustig. Der Mangel des Hilfsmotors löst somit eine außervertragliche eigene Haftung der Beklagten aus. Die Beklagte wendet zu ihrer Entlastung vor allem ein, daß Konstruktionsfehler der Schleuse in Kembs vorliegen, die für den zu beurteilenden Schadensfall ursächlich gewesen seien. Für diese Mängel habe die Klägerin einzutreten, und es liege somit ein Selbstverschulden des Geschädigten vor. Die Anlagen der Schleusen würden der modernen Schiffahrt nicht mehr gerecht. Es würden Leitplanken und -mauern vor der Schleuseneinfahrt fehlen, die jedes Schiff sicher in die Schleusenkammer einführen könnten, obwohl die einschlägigen Vorschriften solche Einrichtungen vorschreiben würden. Das Anfahren an Schleusenwände sei auch ein normales und natürliches Ereignis, und der Eigentümer der Schleuse müsse damit rechnen. Die Stützpfeiler der Windenhäuser seien deshalb fehlerhaft versetzt worden.
Es ist richtig, daß nach Art. 358 des Versailler Vertrages vom 28. Juni 1919, der Frankreich zur Erstellung des Elsässischen Seitenkanals und des Kraftwerkes Kembs ermächtigte, dafür zu sorgen ist, daß die Schiffahrt nicht beeinträchtigt oder erschwert wird. Alle Bauentwürfe müssen deshalb der Zentralkommission für die Rheinschiffahrt zur Feststellung, ob diese Bedingungen erfüllt sind, mitgeteilt werden. Dies ist anläßlich der Erstellung der Baustufe Kembs und der Schleusenanlagen in Kembs ge¬schehen, und die Zentralkommission hat die Baupläne genehmigt und dadurch bekundet, daß keine Beeinträchtigung der Schiffahrt vorliege.
Es ist zuzugeben, daß die Schiffahrtsanlagen in Kembs im Jahre 1932 unter Berücksichtigung der damals vorherrschenden Konstruktion der Schiffe geplant und erstellt worden sind. Die Parteien haben nichts vorgetragen, daß seit diese Schleusen in Betrieb stehen, also während über 40 Jahren, sich ein Unfall wie der vorliegende ereignet habe.
Es bestand somit weder für die internationalen und nationalen Aufsichtsbehörden noch für die Beklagte selber eine Veranlassung, die Schleusenkonstruktion zu ändern. Schiffe klassischer Bauart mit Bugspitze sind nicht in der Lage, Aufbauten über den Schleusenaußenwänden, die nicht in die Schleusenkammer ragen, zu beschädigen, denn wenn sie auch an eine Schleusenwand seitlich und in einem schrägen Winkel anstoßen, werden sie durch die Form der Schiffaußenwand und des Bugs zurückgehalten, und über der Schleusenwand erstellte Einrichtungen werden nicht berührt. Die modernen Schubleichter mit ihrem hochgezogenen Vorderschiff können aber über die seitlichen Schleusenplattformen hinausstoßen und Aufbauten berühren und beschädigen. Mit diesen Schiffstypen mußte die Klägerin anläßlich der Erstellung der Schleusen nicht rechnen, denn sie waren damals unbekannt. Dasselbe gilt für die Behörden, welche die Baupläne zu genehmigen hatten.
Werden Neukonstruktionen in Verkehr gebracht, welche größere Risiken zur Folge haben und bei der Durchfahrt durch die geschilderten, bereits bestehenden Engpässe schwieriger oder anders als klassische Typen zu steuern sind, um Schäden zu vermeiden, so gehen diese Risiken zu Lasten der Schiffahrt und nicht der Eigentümer von Schiffahrtsanlagen, die an sich fehlerfrei erstellt und richtig unterhalten sind. So muß der Schiffsführer eines modernen Schubverbandes mit 20,40 m Breite der seitlich gekoppelten Schiffe, deren Bugspitzen nach vorne und oben über die Schleusenplattformen und die Oberkanten der Schleusenwände hinausranken können, darauf achten, daß er nicht in einem Winkel, sondern parallel zur Schleusenkammer einfährt, um Schäden an Aufbauten zu vermeiden. Fährt er auf eine Schleusenplattform auf und verursacht er dadurch einen Schaden, so kann er nicht einwenden, die Schleusenanlage, die er zuvor kannte, weise einen Konstruktionsfehler auf. Die gleiche Gefahr besteht für ihn auch beim Anlegen an eine Hafenkaimauer, auf der Krananlagen oder andere Einrichtungen nahe oder bündig mit der Oberkante der Mauer aufgebaut sein können. Der Schiffsführer hat auch hier sein Schiff so anzulegen, daß seine hohe und ausrankende Bugspitze die Landanlagen nicht beschädigt. Wenn es auch wünschenswert ist, daß die Schiffahrtsanlagen der Entwicklung des Schiffsbaus Rechnung tragen, so kann es sich dabei nur um ein Anliegen für künftige Anlagen handeln. Ein rechtlicher Anspruch des einzelnen Schiffseigentümers besteht nicht, daß bestehende Anlagen entsprechend der von ihm bestimmten Schiffsgröße abgeändert werden. Selbst wenn eine Anlage, wie z. B. ein Brückpfeiler, ein Hindernis für die Schiffahrt darstellen würde oder eine Brückenöffnung für neue Großschiffe nur mit Erschwernissen passiert werden könnte, so läge, abgesehen von den Fällen vorschriftswidriger Signalisierung oder Sperrung, kein Konstruktionsmangel vor. Würde anders entschieden, so könnte ein Schiffseigentümer, dessen Schiff in Niederwasser festfährt, mit gleichem Recht einen Mangel der Wasserstraßen rügen, weil diese nicht tiefergelegt worden sei. Im Rahmen eines Haftpflichtprozesses muß sich die Schiffahrt mit dem richtig konstruierten Ist-Zustand der Schiffahrtsanlagen zurechtfinden, und sie kann sich nicht auf einen nautisch besseren Soll-Zustand zum Zwecke der Entlastung berufen. Wie sich aus der nachstehenden Beurteilung der Berufungsanträge der Beklagten ergibt, ist der Ersatzanspruch der Klägerin niedriger als verlangt festzusetzen. (wird ausgeführt)
Wenn die Klägerin nach ihren eigenen Ausführungen und den Feststellungen des Experten für den Betrag von Fr. 328.650,- zuzüglich 15 % Teuerungszuschlag ein neues identisches Windenhaus erstellen kann, so gelangt sie in den Genuß eines Neubaus anstelle der rd. 44 Jahre alten Anlage. Der Neubau wird eine längere Lebensdauer und niedrigere Unterhaltungskosten zur Folge haben. Einen Abzug hat deshalb auch die Vorinstanz mit gleicher Begründung vorgesehen, jedoch nur im Umfang von Fr. 65.000,-. Dieser Betrag erscheint der Berufungskammer zu niedrig zu sein. Wie der vorliegende Fall zeigt, und wie die Parteien selber darlegen, soll sich eine Neukonstruktion aus technischen und nautische Gründen aufdrängen. Die Beklagte beanstandet, daß dem technischen Fortschritt nicht Rechnung getragen worden sei, und auch die Klägerin will eine neue Konstruktionsart vorziehen. Daraus darf der Schluß gezogen werden, daß beide Parteien schon nach rd. 47 Jahren eine Neukonstruktion, welche dem technischen Fortschritt Rechnung trägt, vorziehen. Der Experte S. geht von einer Lebensdauer von 200 Jahren aus und errechnet eine Abschreibung von 22 °%. In Abwägung aller Umstände vertritt die Berufungskammer die Ansicht, daß eine Lebensdauer von 200 Jahren zu hoch sein dürfte, wenn man den raschen technischen Fortschritt der heutigen Epoche berücksichtigt. Andererseits erscheinen 50 Jahre als zu kurz, denn es darf angenommen werden, daß die Klägerin sich wahrscheinlich nicht schon heute zu einer neuen Konstruktionsmethode entschlossen hätte, wenn ihr Windenhaus nicht irreparabel beschädigt worden wäre. Zugegeben, es handelt sich bei der Beurteilung der möglichen technischen und ökonomischen Lebensdauer einer Schiffahrtsanlage weitgehend um eine die Zukunft vorwegnehmende Deutung, worauf auch der Experte hingewiesen hat. Eine weitere Expertise wäre indessen ebenso spekulativ wie die vorliegende, so daß die Berufungskammer vorzieht, „ex aequo et bono" unter Berücksichtigung aller Umstände selber eine voraussichtliche Lebensdauer des beschädigten Windenhauses von höchstens 100 Jahren als angemessen zugrunde zu legen. Dies führt zu einer jährlichen Abschreibung von 1 % oder insgesamt 43 % entsprechend der effektiven Lebensdauer seit der Inbetriebnahme - 1932 bis zum Jahr 1975, indem die Klägerin mit der Rekonstruktion beginnen will. Dieser Altersabzug schließt eine künftige Einsparung an Unterhaltskosten bei einem Neubau ein.
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