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Leitsatz:
Liegt ein Verstoß gegen das nach § 6.18 Nr. 1 RheinSchPVO bestehende Verbot vor, Anker, Trossen oder Ketten schleifen zu lassen und entsteht dadurch einem Dritten ein Schaden, spricht ein Beweis des ersten Anscheins für ein Verschulden der Schiffsführung an dem Schaden. Aus der Bestimmung des § 1.12 Nr. 2 RheinSchPVO, daß aufgeholte Anker nicht unter den Boden oder den Kiel des Fahrzeugs reichen dürfen sowie aus § 1.04 RheinSchPVO folgt die persönliche Pflicht des Schiffsführers, die Anker daraufhin zu kontrollieren, daß sie ordnungsgemäß eingeholt sind. Das gilt insbesondere, wenn er unmittelbar nach Antritt einer Reise eine Stelle passieren muß, an der es durch schleifende oder zu tief hängende Anker zu erheblichen Schäden Dritter kommen kann.
Urteil der Berufungskammer der Zentralkommission für die Rheinschiffahrt
vom 10.5.1995
332 Z - 5/95
(Rheinschiffahrtsgericht Duisburg-Ruhrort)
Zum Tatbestand:
Die Parteien streiten über eine Beschädigung der im Rheinhafen Wesseling/Godorf seit November 1987 verlegten Druckluft-Ölsperre. Zu dieser gehört eine 150 m lange, aus Kunststoff bestehende Düsenleitung, die innerhalb der Hafenausfahrt liegt, von 180 mit ihr verbundenen Steinen auf dem Hafenboden festgehalten wird und ca. 30 m bzw. 60 m hinter den Molenköpfen der Hafenausfahrt endet. Für den Ausfahrtbereich besteht ein durch Tafelzeichen kenntlich gemachtes Ankerverbot. Außerdem sind die Schiffsführer der den Hafen benutzenden Fahrzeuge durch ein Merkblatt mit Skizze auf die genaue Lage der Ölsperre hingewiesen worden, "damit nicht aus Versehen oder im Gefahrenfalle die Düsenleitung durch Ankersetzen oder Schleifenlassen des Ankers beschädigt wird".
Die Klägerin betreibt den vorgenannten Hafen. Sie klagt aus übergegangenem Recht ihrer Rechtsvorgängerin. Der Beklagte zu 1 hat am 18.10.1989 das Schubboot K, das jetzt der Beklagten zu 2 gehört und den Namen A trägt, verantwortlich geführt. Mit dem Boot hat er an diesem Tag vier leere Schubleichter, die nahe der Hafenausfahrt gelegen sind und bereits für eine Reise nach Rotterdam zusammengestellt waren, aufgenommen. Hierbei lag das Schubboot mit dem Heck in Richtung Hafenausfahrt. Nach dem Vorspannen der Leichter lag SL E backbords unmittelbar vor dem Schubboot mit dem Kopf in Fahrtrichtung. Der neben dem SL E an dessen Backbordseite befindliche SL war dem Schubboot in umgekehrter Lage vorgespannt. Vor den beiden Leichtem befanden sich zwei weitere, ebenfalls nebeneinander gemehrte Schubleichter.
Gegen 15.30 Uhr trat der Beklagte zu 1 mit dem Schubverband die Reise nach Rotterdam an. Um aus dem Hafen Kopf voraus in den Rhein fahren zu können, fuhr er zunächst über Steuer einen Bogen in den Hafen hinin. Sodann näherte er sich in Vorausfahrt dem Hafenmund. In dessen Bereich stoppte er den Verband und kündigte über Kanal 10 die Ausfahrt an. Wegen eines Talfahrers auf dem Rhein konnte er allerdings den Hafen noch nicht verlassen. Das geschah, nachdem dieser die Ausfahrt passiert hatte.
Nach der Behauptung der Klägerin war der Buganker des SL E nicht ordnungsgemäß in die Klüse hochgezogen, sondern graste über den Grund. Dabei habe er die Ölsperren-Druckluftleitung mitgerissen. Deren Beschädigung sei sofort durch das automatische Einschalten eines gelben Blinklichts im Bereich der Hafenausfahrt angezeigt worden. Daß der Buganker des SL E nicht ordnungsgemäß hochgezogen gewesen sei, sei dem Schiffsführer des MS M, das gegen 17 Uhr mit dem Schubverband auf Höhe von Leverkusen bei Rhein-km 700 begegnet sei. aufgefallen. Hierauf habe er den Beklagten zu 1 über Sprechfunk hingewiesen. Auch sei unstreitig, daß sich nach der Ankunft des Schubverbandes in Rotterdam an dem Buganker des SL E die ca. 150 m lange Ölsperren-Druckluftleitung des Hafens Wesseling/Godorf (mit noch 10 Steinen daran) befunden habe.
Die Beklagten bestreiten ein Verschulden des Beklagten zu 1 an der Beschädigung der Ölsperren-Druckluftleitung. Dieser habe vor Antritt der Reise die Anker der Schubleichter ordnungsgemäß lichten lassen. Insbesondere sei der Steuerbordbuganker des SL E, an dem in Rotterdam die Leitung gefunden worden sei, vorschriftsgemäß hochgeholt worden. Richtig sei lediglich, daß ihn der Schiffsführer des MS M bei der Begegnung darauf hingewiesen habe, daß etwas im Anker hänge. Darauf habe er den Leichter von seinem Steuermann H überprüfen lassen; dieser habe aber nichts Ungewöhnliches festgestellt. Im übrigen hätte ein grasener Anker zweifellos Auswirkungen auf seinen Verband gehabt und wäre deshalb sofort bemerkt worden. Allenfalls hätte der Geschehensablauf so sein können, daß die Kunststoff-Rohrleitung schon bei Aufnahme der Leichter durch das Schubboot - für ihn allerdings unerkennbar - im Anker des SL E gehangen habe.
Das Rheinschiffahrtsgericht hat den Schadensersatzanspruch dem Grunde nach für gerechtfertigt erklärt. Die Berufung der Beklagten hatte keinen Erfolg.
Aus den Entscheidungsgründen:
"1. Es ist unbestritten, daß SL "E mit dem Steuerbordbuganker die 150 m lange Ölsperren-Luftdruckleitung des Hafens Wesseling/Godorf abgerissen und nach Rotterdam mitgeschleppt hat. Da die Druckluftleitung durch 180 mit ihr verbundene Steine auf der Hafensohle festgehalten worden ist, kann sie von dem Anker nur dort erfaßt worden sein. Jedoch bestehen keine Anhaltspunkte, daß das nicht im Zusammenhang mit der Reise des Schubverbandes K, sondern schon zuvor erfolgt ist. Die Behauptung der Beklagten, die Luftdruckleitung sei bereits in den Anker des SL E geraten, als dieses Fahrzeug nach dem Löschen (am 13.10.1989) von einem Bugsierboot an seinen Liegeplatz nahe der Hafenausfahrt verbracht und vor Anker gelegt worden ist, ist lediglich eine nicht näher belegte Vermutung. Davon abgesehen, kann nicht festgestellt werden, daß das Bugsierboot den Leichter beim Verholen über die in der Hafenausfahrt liegende Luftdruckleitung gezogen oder dessen Bug in der Nähe der Leitung geankert hat. Infolgedessen muß angenommen werden, daß die Luftdruckleitung erst nach Beginn der Reise des Schubverbandes K von dem Anker des SL E aufgefischt worden ist, also dieser geschleift oder sich unter Wasser nahe am Grund und keinesfalls in der Klüse befunden hat. Das bestätigt mittelbar auch die Aussage des Schiffsführers K der mit seinem MS M zu Berg kommend in der Ortslage Leverkusen etwa gegen 17.30 Uhr mit dem Schubverband Backbord an Backbord in einem seitlichen Abstand von ungefähr 20 m begegnet ist, hierbei nur die Ankerkette des SL E, hingegen nicht den Anker selbst oder den Ankerwirbel gesehen hat, weshalb er dem Beklagten zu 1 über Sprechfunk gesagt hat, "er solle mal nach seinem Anker schauen, der hinge zu tief". Dem allen läßt sich nicht mit Erfolg die Angabe des Steuermanns H des Schubverbandes K entgegenhalten, er habe auf einem der vorderen Leichter die Anker hochgedreht und beim Zurückgehen in Richtung Schubboot beobachtet, daß die Anker des SL E vor Antritt der Reise "ordnungsgemäß in der Klüse waren" und sich nach dem Funkgespräch des Beklagten zu 1 mit dem Schiffsführer des MS M im Auftrag des Beklagten zu 1 davon nochmals überzeugt. Insoweit ist zu bedenken, daß es sich bei dem Zeugen H um ein Besatzungsmitglied des Schubverbandes gehandelt hat, das erst mehr als 2 Jahre nach dem Unfall vernommen werden konnte - weitere Besatzungsmitglieder konnten die Beklagten ohnehin nicht zur Vernehmung stellen - und welches das sich automatisch bei einer Beschädigung der Luftdruckleitung am Hafenausgang einschaltende gelbe Blinklicht nicht wahrgenommen haben will, obwohl mehrere sich im Hafen aufhaltende Landzeugen das Aufleuchten des Lichts während der Ausfahrt des Schubverbandes bemerkt haben, der übrigens dabei dreimal den Bereich der Luftdruckleitung überquert hat, was die Beklagten haben einräumen müssen.
2. Nach § 6.18 Nr. 1 RheinSchPV ist es von wenigen, hier nicht interessierenden Ausnahmen abgesehen, verboten, Anker, Trossen oder Ketten schleifen zu lassen. Liegt ein Verstoß gegen diese ein bestimmtes Unterlassen vorschreibende Bestimmung vor und entsteht dadurch einem Dritten ein Schaden, so spricht auf Grund allgemeiner Erfahrung ein Beweis des ersten Anscheins für ein Verschulden der Schiffsführung an dem Schaden. Diesen kann sie allerdings durch Aufzeigen der Möglichkeit eines anderen Geschehensablaufs entkräften.
3. Nach § 1.12 Nr. 2 RheinSchPV dürfen aufgeholte Anker nicht unter den Boden oder den Kiel des Fahrzeugs reichen. Hieraus sowie aus § 1.04 RheinSchPV 1983 folgt die Pflicht, Anker ordnungsgemäß einzuholen. Seine Anker daraufhin zu kontrollieren, ist ein Schiffsführer persönlich (Bemm/Kortendick, RheinSchPV 1983 § 1.12 Rn. 4; vgl. auch § 1.02 Nr. 5 Abs. 1 RheinSchPV). Das gilt insbesondere, wenn er unmittelbar nach Antritt einer Reise eine Stelle passieren muß, wo es durch schleifende oder zu tief hängende Anker zu erheblichen Schäden Dritter kommen kann. Treten solche durch einen nicht ordnungsgemäß hochgezogenen Anker auf, dann spricht auch hier nach allgemeiner Erfahrung ein Beweis des ersten Anscheins für ein Verschulden des Schiffsführers, sofern er ihn nicht erschüttert.
4. Im Streitfall ist, wie weiter oben bereits dargelegt wurde, die Beschädigung der Ölsperren-Luftdruckleitung durch den Anker des SL E dadurch eingetreten, daß dieser bei der Hafenausfahrt entweder auf der Hafensohle geschleift oder sich unter Wasser nahe der Sohle befunden hat. Unabhängig davon, ob der erste oder der zweite Fall vorgelegen hat, spricht jeweils ein Beweis des ersten Anscheins für ein Verschulden des Beklagten zu 1 an dem Unfallschaden. Diesen Beweis haben die Beklagten nicht ausräumen können. Insoweit fehlt es bereits an einem hinreichenden Vortrag....."
Ebenfalls abrufbar unter ZfB 1995 - Nr.11 (Sammlung Seite 1560 f.); ZfB 1995, 1560 f.