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Urteil der Berufungskammer der Zentralkommission für die Rheinschiffahrt
vom 17. August 1994
315 Z -11/94
(auf Berufung gegen das Urteil des Rheinschiffahrtsgerichts Mannheim vom 23. September 1993 C 102/93 RhSch)
Tatbestand:
In dem vorliegenden Rechtsstreit geht es um einen Schiffsunfall, der sich am 26.02.1991 um 8.15 Uhr bei dichtem Nebel im Bereich der Schleuse S ereignet hat.
Die Klägerin ist Eignerin des TMS «A» (105,08 m lang; 10,50 m breit; 2.499 t; 1.280 PS). Dieses Fahrzeug schleuste unmittelbar vor dem Unfall mit einer Ladung von 1.204 t Heizöl in der rechten Kammer der Schleuse S zu Berg. Anschließend verließ es als zweites Fahrzeug die Kammer und lief in das Oberwasser der Schleuse. Dort lagen - Kopf zu Tal - an den linksrheinischen Dalben das unbeladene TMS « M » (110 m lang; 9 m breit; 2.045 t; 945 PS) und an den rechtsrheinischen Dalben ein weiteres Fahrzeug - beide auf etwa gleicher Höhe - still. Ferner verhielt backbords des rechtsrheinischen Stilliegers das der Beklagten zu 1 gehörende Containerschiff « N » (95 m lang; 11,40 m breit; 1.992 t; 1.200 PS). Schiffsführer des mit 300 - 400 t beladenen MS « N » war der Beklagte zu 2. Dieser hielt das Fahrzeug mit der Maschine und dem Bugstrahlruder ständig, da er nach Ausfahrt der Bergfahrer aus der Schleusenkammer in diese zu einer Talschleusung einlaufen wollte. TMS « A » passierte die Fahrzeuge im Oberwasser der Schleuse zwischen der Backbordseite des MS « N » und der Steuerbordseite des TMS « M ». Dabei geriet es mit dem Steuerbord-Achterschiff gegen das Steuerbord-Vorschiff des TMS « M », das abriß und ebenso wie TMS « A » beschädigt wurde. Nachfolgend drehte TMS « A » oberhalb des Schleusenvorhafens über Backbord auf. Dabei geriet es mit dem Heck gegen die rechte Uferböschung und erlitt Schäden an der Ruderanlage. Die Klägerin verlangt von den Beklagten ihren Unfallschaden ersetzt sowie - aus abgetretenem Recht - denjenigen der Interessenten des TMS « M » und der Schleusenverwaltung. Sie hat beantragt, die Beklagten als Gesamtschuldner zur Zahlung von 310.183,01 DM nebst Zinsen zu verurteilen, die Beklagte zu 1 außer dinglich mit MS « N » auch persönlich im Rahmen des Binnenschiffahrtsgesetzes haftend. Sie wirft dem Beklagten zu 2 vor, sein Schiff beim Warten auf die Schleusung nicht festgemacht zu haben. Infolgedessen habe es nicht ruhig gelegen und sei langsam nach Backbord abgegangen, als TMS «A» aus der Schleusenkammer ausgelaufen sei. Dieses Schiff sei darauf nach Steuerbord in Richtung TMS «M» ausgewichen. Gleichwohl sei MS «N » immer näher gekommen. Nunmehr habe der Beklagte zu 2, um sein Fahrzeug aufzustrecken, das Bugstrahlruder mit voller Kraft in Betrieb genommen. Das habe zur Folge gehabt, daß der Ruderstrahl das Hinterschiff des TMS «A » gegen den Kopf des TMS « M » gedrückt habe. Damit TMS « A » nicht in voller Länge an der Steuerbordseite des stilliegenden TMS « M » entlangschramme, habe der Schiffsführer des TMS « A » volle Fahrt voraus gemacht, Gegenruder gegeben und das Bugstrahlruder seines Fahrzeugs umgestellt. Ferner habe er, um beim Aufstrecken seines dadurch in Backbordschräglage geratenen Schiffes nicht gegen die Dalben oder die Mauer des Schleusenvorhafens zu geraten, nach dem Passieren des Mauerkopfes unter Einsatz des Backbordbugankers über Backbord aufgedreht. Dabei sei TMS « A» zu weit ausgeschwenkt und mit dem Ruder auf die Steine des rechten Rheinufers gekommen.
Die Beklagten haben Klagabweisung beantragt. Schuld an dem Unfall sei allein der Schiffsführer des TMS « A ». Dieser sei bei dem dichten Nebel viel zu schnell aus der Schleusenkammer ausgefahren, habe sodann plötzlich - viel zu spät - TMS « M » als stilliegendes Fahrzeug erkannt und darauf mit fehlerhaften Ruder- und Maschinenmanövern reagiert. Zu dieser Zeit habe MS « N » bereits wieder parallel neben dem rechtsrheinischen Stillieger bei einem Seitenabstand von etwa 8 bis 10 m verhalten. Nautisch falsch seitens der Führung des TMS « A » sei außerdem gewesen, daß sie zum Anhalten ihres Fahrzeugs zu Berg gedreht habe anstatt es mit Hilfe des Heckankers talwärts zu stoppen.
Das Rheinschiffahrtsgericht hat den Klageanspruch dem Grunde nach zur Hälfte für gerechtfertigt erklärt, soweit er die Schäden infolge der Anfahrung des TMS « M » durch TMS « A » betrifft. Abgewiesen hat es hingegen den Anspruch auf Ersatz der beim Aufdrehen des TMS « A » an diesem Fahrzeug entstandenen Schäden. Seine Entscheidung hat es wie folgt begründet ;
Sowohl der Beklagte zu 2 als auch der Schiffsführer vL des TMS « A » hätten die Anfahrung des TMS « M » gleichermaßen verschuldet. Dem Beklagten zu 2 sei vorzuwerfen, daß er MS «N » trotz starken Nebels und der Ausfahrt des TMS « A » aus der Schleusenkammer nicht dicht neben dem rechtsrheinischen Stillieger gehalten und das Abfallen seines Fahrzeugs nach Backbord nicht durch rechtzeitige Inbetriebnahme des Bugstrahlruders verhindert habe; das sei um so mehr geboten gewesen, als die Durchfahrtsöffnung zwischen den beiden Stilliegern durch das praktisch auf deren Höhe treibende MS « N » eingeschränkt gewesen sei. Hingegen treffe Schiffsführer vL der Vorwurf, mit TMS « A » in die - spätestens durch das Abgehen des MS « N » nach Backbord - unklare Lage hineingefahren zu sein anstatt aufzustoppen und bis zu deren Klärung mit der Weiterfahrt zu warten. Keine Ersatzpflicht der Beklagten komme für jene Schäden in Betracht, die erst zeitlich nach der Anfahrung des TMS «M » durch das Aufdrehmanöver des TMS « A » an diesem Fahrzeug entstanden seien; insoweit fehle ein adäquater Kausalzusammenhang zwischen der Anfahrung und diesem Manöver.
Die Klägerin verfolgt mit ihrer Berufung den abgewiesenen Teil der Klage weiter. Die Berufung der Beklagten erstrebt die vollständige Abweisung der Klage.
Entscheidungsgründe:
Die Berufung der Klägerin ist teilweise begründet. Die Berufung der Beklagten hat keinen Erfolg.
1. Zum Sachverhalt :
Die Schleuse S hat zwei Kammern, von denen die rechte 24 m und die linke 12 m breit ist. Der bergseitige Schleusenvorhafen beginnt 30 m oberhalb der Schleusentore; er ist 400 m lang und 135 m breit. Parallel zum rechten und zum linken Ufer steht je eine Dalbenreihe mit jeweils neun Dalben; zwischen den beiden Reihen besteht eine Durchfahrtsbreite von 115 m. Zum Unfallzeitpunkt hatte in der oberen Hälfte des Vorhafens TMS « M » an den linksrheinischen Dalben 5 bis 7 - Kopf zu Tal -festgemacht. Auf seiner Höhe befand sich an den rechtsrheinischen Dalben ein weiterer Stillieger - ebenfalls Kopf zu Tal. Neben dessen Backbordseite verhielt etwa 15 m entfernt MS « N », das auf eine Schleusung zu Tal wartete. Der Abstand zwischen dem Kopf des MS « N » und der Schleuseneinfahrt betrug etwa 150 bis 200 m. In der rechten Kammer schleusten zwei Schiffe zu Berg. Von ihnen verließ zuerst MS « MA » die Kammer, sodann TMS « A ». Beide Fahrzeuge hatten wegen des starken Nebels (optische Sicht nicht über 50 m) ihr Radargerät eingeschaltet. Sie meldeten sich jeweils vor der Ausfahrt über Funk (Kanal 10), ohne von MS « N », das ebenfalls mit Radar fuhr, Antwort zu erhalten. Dieses Schiff ist spätestens im Verlauf der Vorbeifahrt des MS « MA » mit dem Kopf nach Backbord abgegangen. Als Schiffsführer vL das bemerkte, hat er den Beklagten zu 2 über Funk angesprochen. Dieser antwortete nicht, obwohl er nach seinen Angaben im Verklarungsverfahren die Anfrage gehört hat. Ferner hat er bekundet, daß TMS « A » ein Ausweichmanöver nach Steuerbord gemacht hat, « weil mein Vorschiff nach Backbord verfallen ist». Diese Angabe bestätigt die Aussage des Schiffsführers vL, auf Grund des Verfallens des MS « N » nach Backbord den (bis dahin leichten Steuerbord-) Kurs des TMS « A » unter Einsatz des Bugstrahlruders und der hinteren Schraube verstärkt zu haben, um weiter an TMS «M» heranzukommen. Im weiteren Verlauf ist er mit dem Heck seines Fahrzeugs gegen den Kopf des TMS « M » geraten.
Daß hierbei der Schraubenstrom aus dem Bugstrahlruder des MS « N » zumindest mitgewirkt hat, das der Beklagte zu 2 in Betrieb genommen hatte, um dem Abgehen seines Schiffes nach Backbord zu begegnen und es aufzustrecken, ist mit dem Rheinschiffahrtsgericht im Hinblick auf den von diesem fehlerfrei festgestellten Mindestabstand von etwa 5 bis 10 m zwischen dem Vorschiff des MS « N » und TMS « A » zu bejahen. Nicht bewiesen ist die Behauptung der Beklagten, MTS « A » sei mit unangemessen hoher Geschwindigkeit im Schleusenbereich gefahren, die es selbst nach der Anfahrung des TMS « M » nicht reduziert, sondern noch weiter erhöht habe, was bei beiden Fahrzeugen verheerende Schäden hätte entstehen lassen. Die Behauptung wird nicht durch die Aussage des Schiffsführers B (TMS « M ») im Verklarungsverfahren bestätigt. Der Zeuge hat bis zur Anfahrung seines Fahrzeugs in seiner Wohnung geschlafen. Er konnte deshalb zu der Geschwindigkeit des TMS « A » bis zu diesem Zeitpunkt nichts sagen. Als er an Deck gekommen ist, hat er TMS « A » gesehen, wie es bereits in Backbordschräglage an dem Vorschiff seines Fahrzeugs entlanggefahren und dann im Nebel verschwunden ist mit einem, wie er erklärt hat, « ganz schönen Gang ». Das läßt sich damit erklären, daß Schiffsführer vL nach dem Ankommen seines Fahrzeugs gegen TMS « M » mit seiner 1.280 PS starken Maschine voll voraus gemacht hat, um nicht mit seinem Achterschiff die ganze Seite des TMS « M » entlangzuschrammen.
Verschulden des Beklagten zu 2 :
Die Berufungskammer ist in Übereinstimmung mit dem Rheinschiffahrtsgericht der Ansicht, daß der Beklagte zu 2 den Schiffsunfall verschuldet hat. Zutreffend hat das Rheinschiffahrtsgericht darauf hingewiesen, daß er bei den hier gegebenen Umständen (dichter Nebel; Verhalten seines Schiffes 1 1/2 bis 2 Schiffslängen oberhalb der Ausfahrt der rechten Schleusenkammer bei einem Seitenabstand von etwa 15 m zu dem rechtsrheinischen Stillieger; erhebliche Einengung der Durchfahrtsbreite des Schleusenvorhafens durch die drei auf gleicher Höhe liegenden Schiffe; notwendiges Passieren der aus der Kammer kommenden Fahrzeuge zwischen der Backbordseite des MS « N » und der Steuerbordseite des TMS « M ») nicht nur sein Fahrzeug hätte nahe des rechtsrheinischen Stilliegers gestreckt halten müssen, sondern auch auf die Funkmeldungen der beiden Bergfahrer hätte antworten müssen. Daß letzteres selbst dann nicht geschehen ist, als der Kopf seines Fahrzeugs nach Backbord in den Kurs des TMS « A » abging und dadurch den Durchfahrtsraum für dieses Schiff zusätzlich verengte, ist nahezu unverständlich, zumal Schiffsführer vL ihn deshalb über Funk noch gefragt hat, was denn los sei. Das alles hat bewirkt, daß der Beklagte zu 2 unter Verstoß gegen die ihm als Schiffsführer obliegende nautische Sorgfaltspflicht die gefährliche Lage geschaffen hat, in der TMS « A » gegen TMS « M » geraten ist.
Mitverschulden des Schiffsführers vL :
Ein solches hat das Rheinschiffahrtsgericht ebenfalls mit Recht bejaht. Ihm ist zum Vorwurf zu machen, daß er sein Schiff nicht sofort aufgestoppt hat, als er auf dem Radargerät das Abgehen des MS « N » nach Backbord in den Kurs seines TMS « A » bemerkt hat, zumal er keine Antwort auf seine Funkanfrage erhalten hat und deshalb nicht wußte, was mit dem Fahrzeug oberhalb war. In dieser unklaren Lage lediglich stärker nach Steuerbord auszuweichen anstatt anzuhalten war deshalb falsch.
Verschuldensabwägung :
Nicht zu folgen vermag die Berufungskammer der Auffassung des Rheinschiffahrtsgerichts, daß das unfallursächliche Verschulden des Beklagten zu 2 lediglich gleich schwer wie dasjenige des Schiffsführers vL zu bewerten ist. Nach ihrer Ansicht wiegt das Verschulden des Beklagten zu 2, der durch das Verfallen seines Fahrzeugs nach Backbord die erste Unfallursache gesetzt und die dadurch eingetretene Gefahrenlage durch sein nahezu unverantwortliches Nichtbeantworten der Anfrage des Schiffsführers vL noch erhöht hat, nicht unerheblich schwerer als dessen Versäumnis, TMS « A » wegen der unklaren Lage sofort aufzustoppen. Mit Rücksicht darauf erscheint der Berufungskammer eine Schadensteilung im Verhältnis von 2 (Beklagte) zu 1 (Klägerin) angemessen.
Ersatz der Schäden des TMS « A» aus dem Aufdrehmanöver :
Nach Meinung der Berufungskammer gilt die vorstehend genannte Schadensquote auch insoweit. Entgegen den Ausführungen des Rheinschiffahrtsgerichts sind diese Schäden eine adäquate Folge des fehlerhaften Verhaltens des Beklagten zu 2. Eine solche liegt vor, wenn ein Ereignis im allgemeinen und nicht lediglich unter besonders eigenartigen, unwahrscheinlichen und nach dem gewöhnlichen Verlauf der Dinge außer Betracht zu lassenden Umständen geeignet ist, einen Erfolg der eingetretenen Art herbeizuführen. Nach dem Beweisergebnis hat Schiffsführer vL die Geschwindigkeit seines Schiffes im Zusammenhang mit der Anfahrung des TMS « M » nicht unbeträchtlich erhöht und dessen Kopf nach Backbord gedreht, um möglichst schnell von dem Stillieger freizukommen und nicht mit dem Heck an der Steuerbordseite von « M » entlangzuschrammen, was zu erheblichen zusätzlichen Schäden an diesem Fahrzeug hätte führen können. Auch war es vernünftig, daß Schiffsführer vL wegen der Enge des Schleusenvorhafens erst oberhalb des Trenndamms zwischen dem Hafen und dem rechts daneben befindlichen Kraftwerkskanal über Backbord aufgedreht hat, weil dort für ein solches Manöver ein hinreichend breites Fahrwasser vorhanden ist. Allerdings mag es sein, daß er den Backbordbuganker zu nahe am rechten Ufer gesetzt und das Drehen seines Schiffes anscheinend nicht durch solche Ruder- und Maschinenmanöver unterstützt hat, die ein Ankommen des Achterschiffes gegen die Uferböschung hätten verhindern können. Indessen ist zu bedenken, daß Schiffsführer vL sein Schiff nicht unter normalen Gegebenheiten aufdrehen konnte, sondern dies bei dichtem Nebel nach vorangegangener Anfahrung eines anderen Fahrzeugs und erhöhter Geschwindigkeit zum Freifahren des eigenen Fahrzeugs zu geschehen hatte. Unter solchen besonderen Umständen ist es nicht außergewöhnlich, wenn es zu Fehleinschätzungen oder - handlungen eines Schiffsführers kommt, zumindest dann nicht, wenn diese nicht grob schuldhaft waren. Hierfür besteht vorliegend aber kein Anhalt. Infolgedessen gehören die Ruderschäden des TMS « A » zu den adäquaten Folgen des fehlerhaften Verhaltens des Beklagten zu 2.
Aus den dargelegten Gründen ist wie folgt zu entscheiden:
1. Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Rheinschiffahrtsgerichts Mannheim vom 23.9.1993 wird zurückgewiesen.
2. Auf die Berufung der Klägerin werden die Ziffern 1 und 2 des vorgenannten Urteils - unter Zurückweisung des Rechtsmittels im übrigen - teilweise abgeändert und wie folgt gefaßt:
Der Klageanspruch wird dem Grunde nach zu 2/3 für gerechtfertigt erklärt. Die weitergehende Klage wird abgewiesen.
3. Die Sache wird, soweit der Klageanspruch dem Grunde nach für gerechtfertigt erklärt worden ist, zur Verhandlung und Entscheidung über Höhe des Anspruchs, an das Rheinschiffahrtsgericht Mannheim zurückverwiesen.
4. Die Entscheidung über die Kosten des Berufungsverfahrens bleibt dem Schlußurteil des Rheinschiffahrtsgerichts vorbehalten.