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Leitsatz:
Befindet sich ein Bergfahrer im Bereich der „Geregelten Begegnung" nach § 9.02 Nr. 1b) RheinSchPVO, in dem die Vorbeifahrt Backbord an Backbord stattzufinden hat, ist diese „Kursanweisung" vom Talfahrer zu beachten. Eine andere Kursweisung kann er, außer in Fällen des § 9.02 Nr. 3,4 RheinSchPVO, weder erwarten noch verlangen. Das gilt auch in den Grenzbereichen der Strecken, auf denen die „Geregelte Begegnung" vorgeschrieben ist.
Urteil der Berufungskammer der Zentralkommission für die Rheinschiffahrt
vom 15.06.1994
309 Z - 8/94
(Rheinschiffahrtsgericht Duisburg-Ruhrort)
Zum Tatbestand:
Am 26.1.1992 gegen 8.15 Uhr kollidierten bei Rhein-.km 769,1 (Ortslage Duisburg, oberhalb von Huckingen) das zu Berg fahrende MS R der Klägerin, geführt von Schiffsführer P. und das zu Tal fahrende Containerschiff T des Beklagten zu 1, geführt vom Beklagten zu 2. Die Sicht war eingeschränkt. Auf MS R war das Radargerät in Betrieb; es fuhr jedoch nach optischer Sicht. Beide Schiffe fuhren zunächst linksrheinisch. Der weitere Kurs des MS R, das weder die blaue Seitentafel noch das Funkellicht gezeigt hatte, ist streitig.
Die Klägerin hat behauptet, Schiffsführer P. von MS R habe MS T über Funk angesprochen und eine Begegnung Backbord/Backbord verlangt. Der Beklagte zu 2 habe erwidert, das gehe nicht, er wünsche eine Begegnung Steuerbord/Steuerbord. Obwohl Schiffsführer P. die Kursweisung zur Begegnung Backbord/ Backbord wiederholt habe, sei MS T auf Kollisionskurs geblieben. MS R habe vergeblich versucht, noch nach Steuerbord auszuweichen. Bei der Annäherung habe MS R seinen Kurs nicht nach rechtsrheinisch gerichtet.
Die Beklagten haben behauptet, als MS R erstmalig auf dem Radarschirm des MS T sichtbar geworden sei, sei dieses Schiff etwa 30 m aus dem linken Ufer gefahren. MS T habe einen Kurs etwa 50 m aus dem linken Ufer gehabt und die blaue Tafel sowie das Funkellicht gezeigt. Kurze Zeit später habe R eine Schräglage nach Backbord eingenommen, was den Beklagten zu 2 zu der Frage veranlaßt habe, ob R bei Hochfeld den Übergang mache. Eine Antwort sei nicht erfolgt. Die Fahrweise des MS R sei jedoch eindeutig gewesen. R habe aufgestreckt und habe seine Fahrt in der rechtsrheinischen Hälfte des Stromes fortgesetzt. Als sich beide Schiffe bis auf ca. 800 m genähert hätten, sei MS R etwas nach Schiffe zueinander dann nur noch ca. 400 bis 500 m betragen habe, habe MS R plötzlich und unvermittelt Kurs nach Steuerbord genommen und gleichzeitig über Kanal 10 eine Begegnung Backbord an Backbord verlangt. Angesichts des geringen Abstandes und des Kurses von MS „Regensburg" sei es für MS T nicht möglich gewesen, dieser Kursweisung nachzukommen. Der Beklagte zu 2 habe deshalb auch gleich geantwortet, Backbord an Backbord gehe nicht, man müsse Steuerbord an Steuerbord machen. Gleichwohl habe MS R den Kollisionskurs fortgesetzt und erneut die Begegnung Backbord an Backbord verlangt. Die Kollision sei Steuerbord gegangen, einer Begegnung Steuerbord/Steuerbord habe zu dieser Zeit aber nichts im Wege gestanden. Als der Abstand beider jetzt nicht mehr zu verhindern gewesen.
Das Rheinschiffahrtsgericht hat die Schadensersatzklage dem Grunde nach für gerechtfertigt erklärt. Die Berufung hatte keinen Erfolg.
Aus den Entscheidungsgründen:
„Mit dein Rheinschiffahrtsgericht nimmt auch die Berufungskammer an, daß die Beklagten der Klägerin zum Ersatz ihres Schadens aus dem Unfall vom 26.1.1992 nach den §§ 3,4,92 b, 1 14 BinSchG, 823, 249 BGB verpflichtet sind; denn der Beklagte zu 2 hat diesen Unfall verschuldet. Er hat nicht die ihm zu einer Begegnung Backbord/Backbord erteilte Kursweisung befolgt und ist deshalb mit dem zu Berg kommenden MS „Regensburg" kollidiert. Hingegen trifft die Besatzung des MS R keinen Schuldvorwurf.
1. Nach dem Ergebnis der in dem Verklarungsverfahren durchgeführten Beweisaufnahme hat MS R dem entgegenkommenden MS T keine Weisung zu einer Begegnung Steuerbord/Steuerbord erteilt. Weder war auf dem zu Berg fahrenden MS R die blaue Seitentafel verbunden einem Blinklicht gesetzt, noch ist über Kanal 10 eine entsprechende Durchsage folgt.
Soweit die Beklagten unter Berufung auf die Angaben der .....Zeugen Sch. und St. anführen, zwischen MS R und MS T sei zunächst eine Begegnung Steuerbord/Steuerbord vereinbart worden, hat bereits das Rheinschifffahrtsgericht zutreffend ausgeführt, daß keine Gewißheit darüber besteht, wem die von diesen Zeugen wahrgenommenen Kurs- absprachen zuzuordnen sind. Darin stimmt die Berufungskammer zu. Wäre bei der Annäherung der Schiffe rechtzeitig eine Kursabsprache Steuerbord/Steuerbord vereinbart worden, hätte sich darauf die Besatzung des MS T mit Sicherheit zu ihrer Entlastung berufen. Bei ihren Vernehmungen im Verklarungsrverfahren haben jedoch weder der Beklagte zu 2 noch der Zeuge F., der ebenfalls Schiffs- führer des MS T gewesen ist, eine solche Kursabsprache erwähnt
Aus dem Kurs des MS R bei der Annäherung der unfallbeteiligten Schiffe kann nicht entnommen werden, R habe dem Talfahrer eine Weisung Steuerbord/Steuerbord erteilt. MS R befand sich bei der Annäherung an die spätere Unfallstelle bei etwa Rhein-km 769,1 noch im Bereich der nach § 9.02 Nr. 1 lit. b) RheinSchPV bestimmten und sich bis Rhein-km 769 erstreckenden „Geregelten Begegnung" und hatte dort seinen Kurs so einzurichten, um mit Talfahrern Backbord/Backbord passieren zu können. Selbst wenn Schiffsführer W. von MS T nach seinen Angaben im Verklarungsverfahren bei der Annäherung der Schiffe aus der Fahrweise des MS R den Eindruck gewonnen hatte, R wolle bei Hochfeld einen Übergang nach rechtsrheinisch machen, durfte ihn eine solche Annahme nicht veranlassen, sich über die unterbliebenen Zeichen zur Kursweisung bei der bevorstehenden Begegnung hinwegzusetzen. Zudem hätte er, als er nach seinen weiteren Angaben im Verklarungsverfahren auf 500 bis 600 m Abstand von MS R über Kanal 10 angesprochen und von ihm ausdrücklich eine Begegnung Backbord/Backbord verlangt wurde, dieser Weisung, die der bisherigen Zeichengebung des Bergfahrers entsprach, noch ohne Schwierigkeiten auch mit seinem großen und beladenen Containerschiff entsprechen können.
Sind aber bei der Annäherung der unfallbeteiligten Schiffe keine Zeichen zur Kursweisung auf MS R gesetzt worden und wurde auch über Kanal 10 keine ausdrückliche Kursweisung erteilt, war damit dem zu Tal entgegenkommenden MS T die Weisung zu einer Begegnung Backbord/Backbord erteilt, die dieses Schiff zu befolgen hatte. Bei dieser Sachlage beruht der Unfall auf der schuldhaften Nichtbefolgung der dem Beklagten zu 2 erteilten Kursweisung.
2. Ein mitwirkendes Verschulden der Schiffsführung des MS R braucht sich die Klägerin im Rahmen der §§ 92 c BinSchG, 254 BGB nicht schadensmindernd anrechnen zu lassen.
Wie sich aus vorstehenden Ausführungen ergibt, hat MS R dem Talfahrer bei der Annäherung der Fahrzeuge rechtzeitig Weisung zu einer Begegnung Backbord/Backbord erteilt. Da das rechtsrheinische Fahrwasser nach dem Ergebnis des Verklarungsverfahrens frei gewesen ist, stand dort für eine gefahrlose Vorbeifahrt hinreichender Raum zur Verfügung, so daß MS T der Kursweisung des Bergfahrers entsprechen konnte. Aus der Fahrweise und der Kursweisung des MS R können deshalb gegen die Schiffsführung dieses Schiffes keine Vorwürfe hergeleitet werden, zumal sich dem Beweisergebnis nicht entnehmen läßt, daß MS R von seinem linksrheinischen Kurs wesentlich abgewichen ist.
Richtig ist, daß Schiffsführer P., der verantwortliche Schiffsführer des MS R seinen Angaben im Verklarungsverfahren zufolge erst am 24.1.1992 als Ablöser auf MS R zugestiegen war. Da er über ein Patent als Rheinschiffer verfügt, muß von seiner Eignung als Schiffsgegangen werden. Insoweit haben die Beklagten nichts dargetan.
Schiffsführer P. kann auch nicht vorgeworfen werden, daß er bei dem zur Unfallzeit herrschenden unsichtigen Wetter nach optischer Sicht gefahren ist und das Radargerät zu Übungszwecken in Betrieb genommen hat. Es ist nicht verboten. ein Radargerät zu Übungszwecken in Betrieb zu nehmen.
Das Schiffsführer P. nach Radar gefahren wäre, obwohl er kein Radarschifferzeugnis hatte, behaupten selbst die Beklagten nicht. Wie aus seinen Angaben und denen seines Matrosen J. zu entnehmen ist, ist MS R nach optischer Sicht gefahren. Es waren auch nicht die Vorhänge seines Steuerstuhls zugezogen worden, anderenfalls man keine optischen Wahrnehmungen hätte machen können. Eine Fahrt nach optischer Sicht war unter den gegebenen Umständen für MS R als Bergfahrer auch als zulässig zu erachten, weil die Sicht etwa 400 m betragen hat, wie die Beklagten selbst unter Hinweis auf das Ergebnis des Verklarungsverfahrens vorgetragen haben. In ihrem Urteil vorn 7.12.1972 - 15 Z - 2/72 - (ZfB 1973, 524) hat die Berufungskammer ausgesprochen, daß bei einer Sichtweite von 200 bis 400 in die Bergfahrt noch fortgesetzt werden darf. Der vorliegende Fall gibt keine Veranlassung, von dieser Rechtsprechung abzuweichen.
Fuhr aber Schiffsführer P. zulässigerweise nach optischer Sicht, brauchte er auch nicht die Schallzeichen nach § 6.32 Nr. 5 RheinSchPV zu geben oder die dort bestimmten Ansagen zu machen. Zwar hat P. nicht die in § 6.33 RheinSchPV bestimmten Schallsignale abgegeben, die auch während der Fahrt bei Sichtweiten von 500 m nicht unterbleiben dürfen (vgl. dazu Urteil der Berufungskammer vom 16.10.1972 - 14 Z - 1/72); diese Unterlassung war jedoch nicht unfallursächlich, weil die Schiffsführung des MS T das MS R bei der Annäherung der Schiffe auf dem Radarschirm rechtzeitig geortet hatte.
Nach alledem ist die Berufung der Beklagten unbegründet....."
Ebenfalls abrufbar unter ZfB 1994 - Nr.18 (Sammlung Seite 1492 f.); ZfB 1994, 1492 f.