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Leitsätze:
1) Die Bekämpfung der Gefahren, die der Schiffahrt durch natürliche Veränderungen der Fahrrinne entstehen, gehört zur Verkehrssicherungspflicht, deren Regelung den allgemeinen privatrechtlichen Vorschriften über unerlaubte Handlungen unterliegt.
2) Die Anforderungen an die Verkehrssicherungspflicht richten sich nach dem jeweils Gebotenen und Zumutbaren.
Urteil des Oberlandesgerichts - Schiffahrtsobergericht in Karlsruhe
vom 19. Januar 1971
3 U 8/69 Sch
(Schiffahrtsgericht Mannheim)
Zum Tatbestand:
Das den Klägern gehörende MS S fuhr, nachdem die wegen Hochwasser gesperrte Fahrt wieder freigegeben war, aus der rechten Kammer der Schleuse Stuttgart-Hafen talwärts, um am Dalbensteg am linken Ufer anzulegen. Es kam dort auf Grund, verfiel mit dem Achterschiff nach Steuerbord und erlitt außerhalb des Fahrwassers Schäden am Achterschiff. Die am nächsten Tage erfolgte Peilung ergab, daß die Wassertiefe an der Unfallstelle infolge einer aus kurzen Holzstückchen, Autoreifen, Tierkadavern, Kleidungsstücken und dergleichen bestehenden Schwemmgutansammlung nur 1,20 m betrug.
Die Klägerin verlangt von der beklagten Bundesrepublik die Erstattung des Schadens in Höhe von ca. 8700,- DM, weil die Beklagte die Verkehrssicherungspflicht verletzt habe.
Die Beklagte bestreitet ein Verschulden. Die Untiefe an der Unfallstelle sei nicht vorauszusehen gewesen. Im übrigen hafte sie nur nach § 839 BGB.
Das Schiffahrtsgericht hat den Klageanspruch dem Grunde nach für gerechtfertigt erklärt. Das Schiffahrtsobergericht hat die Klage abgewiesen.
Aus den Entscheidungsgründen:
Entgegen der Auffassung der Beklagten bemißt sich ihre Verantwortlichkeit auch im Streitfall nach bürgerlich-rechtlichen Grundsätzen. Mag auch die Zulassung der Wiederaufnahme der Schifffahrt nach Abfluß eines Hochwassers, wie sie die zur Unfallzeit geltende Fassung der Binnenschiffahrtsstraßenordnung vorsah, in Ausübung öffentlicher Gewalt geschehen sein, so ist dennoch die Frage, ob es die Verkehrssicherungspflicht im konkreten Fall gebot, das Fahrwasser für die zugelassene Schiffahrt in der erforderlichen Tiefe und Breite sowie frei von natürlichen oder künstlichen Hindernissen zu halten oder wenigstens auf solche Hindernisse hinzuweisen, privatrechtlicher Natur (BGHZ 9, 373; 20, 57; MDR 1966, 662; VersR 1969, 133). Bezweckte die Sperre der Schiffahrt bei Hochwasser und die Entscheidung über den Zeitpunkt ihrer Wiederfreigabe aus der Sicht der Wasser- und Schiffahrtsverwaltung, wie die Beklagte vortragen läßt, vorwiegend den Schutz der Wasserstraße und ihrer Einrichtungen, so blieb dadurch die Verpflichtung der Beklagten unberührt, dafür zu sorgen, daß die dem Verkehr freigegebenen Strecken sich in einem dem regelmäßigen Verkehrsbedürfnis genügenden Zustand befanden und eine möglichst gefahrlose Benutzung gestatteten. Auch die Bekämpfung der Gefahren, die der Schiffahrt durch natürliche Veränderungen der Fahrrinne entstehen, gehört zur Verkehrssicherungspflicht, deren Regelung den allgemeinen privatrechtlichen Vorschriften über unerlaubte Handlungen unterliegt.
Da es unmöglich ist, alle Teile einer dem öffentlichen Verkehr gewidmeten Wasserstraße jederzeit überall gefahrlos zu erhalten, richten sich die Anforderungen, die an den Verkehrssicherungspflichtigen zu stellen sind, nach dem jeweils Gebotenen und Zumutbaren.
Es besteht keine allgemeine Pflicht, die Wasserstraße nach einem Hochwasser in ihrer ganzen Länge auf etwa vorhandene Untiefen abzusuchen. Der dafür erforderliche Aufwand und der für die Schiffahrt damit verbundene Zeitverlust stünden in keinem vertretbaren Verhältnis zu dem Ausmaß der dadurch abwendbaren Gefahr. Die Pflicht der Wasser- und Schiffahrtsverwaltung zur Überprüfung der Fahrwassertiefe unmittelbar nach einem Hochwasser beschränkt sich deshalb auf diejenigen Stellen, bei denen wegen ihrer Lage und Beschaffenheit erfahrungsgemäß mit Ablagerungen gerechnet werden muß.
Da nach dem Ergebnis der im 1. Rechtszug durchgeführten Beweisaufnahme davon auszugehen ist, daß eine Anschwemmung des Ausmaßes, wie sie sich an der Unfallstelle gebildet hatte, zuvor im Bereich des zuständigen Wasser- und Schifffahrtsamtes Stuttgart überhaupt noch nicht festgestellt worden war, und daß im Unterwasser der Schleuse Hofen nach einem Hochwasser bisher noch nie gebaggert werden mußte, war die Beklagte aufgrund ihrer Verkehrssicherungspflicht nicht verpflichtet, vor Freigabe der Schiffahrt am 2. 6. 1965 die Fahrwassertiefe an der bisher nicht als gefährlich bekannten Unfallstelle zu überprüfen. Diese Verpflichtung bestand umso weniger, als nach den bisherigen Erfahrungen die an anderer Stelle beobachteten Anschwemmungen nie höher als 50 cm gewesen sind, und bei Freigabe der Schiffahrt am Unfalltag im Unterwasser der Schleuse Hofen ein Überstau von 56 cm über Normalstau bestand.
Abgesehen davon, daß aufgrund des zur Unfallzeit vorhandenen Wissens eine Untersuchung der Unfallstelle nicht geboten erschien, wäre eine systematische Überprüfung des Fahrwassers außerhalb des strömungslosen Vorhafenbezirks nur mit unverhältnismäßigem Aufwand möglich gewesen. Der Einsatz des Abstreifrahmens und die Verwendung des Echolots setzen, wie gerichtsbekannt ist, annähernd normale Strömungsverhältnisse voraus, die nicht gegeben sind, solange das Hochwasser abläuft. Das Abpeilen der Flußsohle von einem Nachen aus erbringt in stark strömendem Wasser keine zuverlässigen Ergebnisse.
Schließlich ist die Beklagte für den eingetretenen Schaden nicht deshalb verantwortlich, weil sie ihre Pflicht, die Benutzer der Wasserstraße auf mögliche Gefahren hinzuweisen, verletzt hätte. Da das Unterwasser der Schleuse Hofen, wie zuvor dargelegt wurde, der Beklagten nicht als gefährliche Strecke bekannt war, bestand keine Veranlassung zu einer besonderen Warnung. Insofern unterscheidet sich der Streitfall grundlegend von dem Sachverhalt, der Gegenstand der in VersR 1969, 133 veröffentlichten Entscheidung des BGH gewesen ist. Eines allgemeinen Hinweises darauf, daß das Fahrwasser vor Freigabe der Schiffahrt nicht in seiner Gesamtheit auf Hindernisse überprüft worden ist, und daß jeder Schiffsführer demgemäß die Fahrt auf eigenes Risiko antrete, bedurfte es deswegen nicht, weil die Schiffahrttreibenden mit den Verhältnissen und Möglichkeiten hinreichend vertraut sind, um zu wissen, daß eine solche Gesamtüberprüfung binnen kurzer Zeit nicht stattfinden kann, und daß in der Schiffahrt stets mit dem Einwirken von Naturgewalten zu rechnen ist, deren schädliche Auswirkungen nicht vorauszusehen und deshalb nicht rechtzeitig zu beseitigen sind. Schon vor Inkrafttreten der heutigen Fassung der Binnenschiffahrtsstraßenordnung, die keine Freigabe der Schiffahrt durch die Strom- und Schiffahrtspolizeibehörde mehr vorsieht, hatte der Schiffsführer aufgrund seines Wissens, daß Hochwasser Ablagerungen im Flußbett verursachen kann, in eigener Verantwortung zu entscheiden, ob er eine wegen Hochwassers vorübergehend nicht befahrene Strecke als erster oder als einer der ersten wieder befahren sollte. Das damit verbundene Risiko war und ist allgemein bekannt und wurde der Schiffahrt durch die zur Unfallzeit noch vorgesehene Freigabeerklärung nicht abgenommen."