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OBERLANDESGERICHT KÖLN
IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
In der Rheinschifffahrtssache
hat der 3. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Köln als Rheinschifffahrtsobergericht auf die mündliche Verhandlung vom 3. Dezember 2010
für Recht erkannt :
Die Berufung der Beklagten gegen das am 30.03.2009 verkündete Urteil des Amtsgerichts Duisburg-Ruhrort – Rheinschifffahrtsgericht – 5 C 28/07 BSch – wird auf ihre Kosten zurückgewiesen.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Gründe :
Die zulässige Berufung der Beklagten hat in der Sache keinen Erfolg.
Das Rheinschifffahrtsgericht hat der Schadensersatzklage gegen beide Beklagte zu Recht stattgegeben.
I.
Die Beklagte zu 1) ist als Ausrüsterin des Schubverbandes X N gemäß §§ 2 Abs. 1, 3, 92 Abs. 2, 92 b BSchG i. V. m. § 9.04 Ziffer 1 b, Ziffer 2 RhSchPV zum Ersatz des Schadens verpflichtet, der am 15.03.2006 an MS W infolge des Zusammenstoßes mit einem Leichter des Schubverbandes Y IX ent-standen ist.
1.
Der Schiffsführer des Talfahrers SB X N hat schuldhaft gegen § 9.04 Ziffer 1 b, Ziffer 2 RhSchPV verstoßen, weil er seine Fahrt bei Rheinkilometer 811 nicht so weit nach Steuerbord gerichtet hat, dass eine Vorbeifahrt durch MS W ohne Gefahr backbord an backbord stattfinden konnte.
a)
Dem Talfahrer kann nicht schon allein daraus ein Vorwurf gemacht werden, dass er sich im Bereich der geregelten Begegnung auf der Strecke zwischen Duisburg (KM 769) und der deutsch-niederländischen Grenze (KM 857,68) nicht auf der rechtsrheinischen Seite der Fahrrinne gehalten hat. Ein dem Straßenverkehr vergleichbares Rechtsfahrgebot gibt es hier nicht. Im Rahmen der Rheinschifffahrtspolizeiverordnung bestehen Rechtsfahrgebote nur aus Gründen der Verkehrssicherung im engen Fahrwasser, nicht aber allgemein bei der geregelten Begegnung. Deshalb ist das Fahrwasser im Bereich der geregelten Begegnung nicht zwischen Berg- und Talfahrt aufgeteilt, sondern die beiderseitigen Pflichten beim Begegnungsverkehr sind an den bei diesem Manöver möglichen Gefahren ausgerichtet. § 9.04 Ziffer 2 RhSchPV gebietet es nur, dass die Bergfahrer und die Talfahrer beim Begegnen ihren Kurs so weit nach steuerbord richten, dass die Vorbeifahrt ohne Gefahr backbord an backbord stattfinden kann (vgl. Berufungskammer der Zentralkommission Strasbourg, Urteil vom 10.05.2001 – 406 Z – 2/01).
Diese Pflicht traf den Talfahrer SB X N auch gegenüber dem überholenden Bergfahrer MS W. Nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme steht auch zur Überzeugung des Senats fest, dass der Überholvorgang zulässig war.
Der Überholer darf den Gegenverkehr nicht in eine Lage bringen, in der nur ganz besondere Geschicklichkeit einen Unfall vermeidet oder ein leichtes Versehen ihn herbeiführt. Jeder Zweifel an der „Genüge des Raumes“ muss ausgeschlossen sein (vgl. BGH, Urteil vom 12.05.1960 in NJW 1960, 1452).
Nach den überzeugenden Ausführungen des Sachverständigen Dr. F in seinem schriftlichen Gutachten vom 29.04.2010 mit der Ergänzung vom 03.11.2010 sowie seinen Erläuterungen in der mündlichen Verhandlung vom 03.12.2010 ist auch der Senat davon überzeugt, dass der Überholvorgang von MS W mit dem vollabgeladenen Vorspannleichter Pavero bei Rheinkilometer 811 – beginnend bei ca. Rheinkilometer 813,85 – ohne Gefährdung der Talfahrt (Schubverband X N, 176,75 m lang, bestehend aus einem Schubboot und 9 vorgespannten beladenen Leichtern) und der überholten Bergfahrt (Schubverband Y IX mit 4 beladenen Leichtern, je 2 nebeneinander, 175 m lang) unter Berücksichtigung der Länge und Breite der Schubverbände, der Geschwindigkeitsdifferenz zum überholten Verband von ca. 2 km/h sowie der starken Strömung und dem damaligen hohen Wasserstand unbedenklich war. Dem Talfahrer stand im Überholbereich eine Fahrwasserbreite von ca. 140 m zur Verfügung. Das Fahrwasser war wegen des hohen Wassers am Unfalltag mindestens 220 m breit. MS W fuhr im Seitenabstand von ca. 10-15 m zum überholten Schubverband, der wiederum einen Seitenabstand zu den linksrheinischen Kribben von 20-30 m hielt. Die dem Talfahrer zur Verfügung stehende Wasserbreite reichte aus, um den Schubverband mit genügendem Abstand zum überholenden Bergfahrer durch die Rheinbiegung zu manövrieren, und zwar auch unter Berücksichtigung des Umstandes, dass bei dem erhöhten Wasserstand und damit der erhöhten Fließgeschwindigkeit für die Talfahrt eine erhöhte Neigung bestand, in der Rechtskurve stark in den linksrheinischen Hang zu fallen. Der Talfahrt war es möglich, in der Rechtskurve etwa in der Mitte des Stromes zu fahren, also maximal 100 m vom rechten Ufer entfernt.
Der Überholvorgang war auch nicht deshalb unzulässig, weil er ohne Gefährdung des Talfahrers nur mit einem zu geringen Seitenabstand zum Überholten hätte durchgeführt werden können. Denn unabhängig davon, ob der Seitenabstand von einer Schiffsbreite zu gering war, hätte die Talfahrt auch bei Einhaltung eines in jedem Fall ausreichenden Sicherheitsabstandes von 30 m genügend Platz gehabt.
b)
Steht somit fest, dass MS W an der Unfallstelle den Überholvorgang durchführen durfte, so musste SB X N seinen Kurs so weit nach steuerbord richten, dass die Vorbeifahrt gefahrlos stattfinden konnte. Gegen diese Pflicht hat der Talfahrer schuldhaft verstoßen, weil er nach dem eigenen Vortrag der Beklagten leicht über die Mitte der an der Unfallstelle überwiegend linksrheinisch verlaufenden Fahrrinne gekommen ist und damit mindestens 140 m aus dem rechten Ufer. Nach den überzeugenden Ausführungen des Sachverständigen Dr. F war für den Unfall ursächlich, dass der Führer des Schubverbandes X N, der Zeuge S, nicht rechtzeitig aufgestreckt hat, wie sich aus der Aussage des Zeugen ergebe. Er musste unter Berücksichtigung der wesentlich größeren Strömungsgeschwindigkeit als normal infolge des Hochwassers und der hohen Fahrgeschwindigkeit den Steuerbordkurs so rechtzeitig legen, dass der Schubverband in der Rechtskurve nicht so weit zum linksrheinischen Ufer abgetrieben wurde, dass es zu einer Gefährdung der Bergfahrt kam. Dies wäre ohne Probleme möglich gewesen. Bei rechtzeitiger Einleitung des Steuerbordmanövers hätte der Talfahrer – wie oben ausgeführt – maximal 100 m vom rechten Ufer entfernt fahren können. Er musste auch mit dem Überholvorgang der Bergfahrt im Kurvenbereich rechnen, da er die Absprache der beiden Bergfahrer über Kanal 10 hätten mithören müssen.
c)
Aufgrund des Fahrfehlers war MS W gezwungen, nach rechts auszuweichen, um eine Kollision mit dem in seinen kursfahrenden Schubverband X N zu vermeiden, - der Seitenabstand betrug nach den Aussagen der Zeugen E und D, die mit der Berufung nicht angegriffen werden, nur noch 2-3 m - und geriet dabei gegen einen der vorgespannten Leichter des Schubverbandes Y IX, dessen Schiffsführer T nach seiner Aussage versuchte, den Schubverband in Richtung Strommitte aus den Kribben herauszudrücken, um nicht im Land zu landen. Ein Mitverschulden der Schiffsführerin von MS W lässt sich hieraus nicht herleiten.
Ein solches Mitverschulden ist auch nicht aus anderen Gründen festzustellen.
Ob die Schiffsführerin wegen der Dunkelheit ihr Radar hätte in Betrieb setzen müssen, kann dahinstehen, da das Unterlassen nicht unfallursächlich geworden ist. Auch mit Radar hätte sie ebenso wie der mit Radar fahrende Schiffsführer T die Situation als problemlos zum Überholen geeignet einschätzen dürfen.
Ferner kann nicht festgestellt werden, dass die Schiffsführerin von MS W durch einen frühzeitigen Einsatz des Bugstrahlruders den Unfall hätte verhindern können. Der Sachverständige Dr. F hielt dies für unwahrscheinlich, weil das Bugstrahlruder angesichts der relativ hohen Fließgeschwindigkeit des Rheins wenig Wirkung hatte und außerdem der Schubverband Y IX nach backbord drückte.
Schließlich ist der Schiffsführerin von MS W nicht anspruchsmindernd anzulasten, dass sie in einem seitlichen Abstand zum überholten Schiff von weniger als 30 m gefahren ist. Denn bei Einhaltung eines Sicherheitsabstandes von 30 m hätte es eine folgenschwerere Kollision mit dem entgegenkommenden Schubverband X N gegeben, wie sich aus den obigen Ausführungen ergibt.
d)
Das Rheinschifffahrtsgericht hat rechtsfehlerfrei festgestellt, dass die von der Klägerin geltend gemachten Schäden an MS W bei dem streitgegenständlichen Unfall entstanden sind. Insoweit wird auf die zutreffenden Ausführungen im angefochtenen Urteil Bezug genommen. Der Zeuge T hat eine plausible Begründung dafür gegeben, warum er in seinem Havariebericht vermerkt hat, MS W habe keine Schäden erlitten. Zu jenem Zeitpunkt war MS W noch nicht leergestellt, so dass ein Schaden noch nicht sichtbar war.
II.
Die gegen die Beklagte zu 2) als Eignerin des Schubverbandes X N gerichtete dingliche Klage ist zulässig und begründet.
Das Rheinschifffahrtsgericht hat zu Recht und mit zutreffender Begründung das Rechtsschutzbedürfnis für die Klage bejaht. Das Rechtsschutzbedürfnis für eine dingliche Klage gegen den Eigentümer würde nur dann fehlen, wenn der Schiffsgläubiger einen dinglichen Titel gegen den Ausrüster hätte, weil aufgrund eines solchen Titels die Befriedigung aus dem entstandenen Pfandrecht in das Schiff erfolgt und dann ein weiterer Titel gegen den Eigentümer nicht erforderlich ist, weil dieser nach § 2 BSchG den Schiffsgläubiger nicht an der Durchführung der Zwangsvollstreckung hindern kann. So lag der im Urteil der Berufungskammer der Zentralkommission Strasbourg vom 10.05.2001 (ZfB 2001, SaS 828) entschiedene Fall, auf den die Beklagte zu 2) sich für ihre Rechtsauffassung bezieht. Davon zu unterscheiden ist aber der Fall, in dem gegen den Ausrüster nur ein Zahlungstitel erwirkt wurde. In diesem Fall kann der Schiffsgläubiger nicht gehindert sein, einen dinglichen Titel gegen den Eigentümer zu erwirken. Weder aus § 2 BSchG noch aus § 103 BSchG ergibt sich, dass der Schiffsgläubiger beim Bestehen eines Ausrüstungsverhältnisses nicht den Schiffseigner auf Feststellung der dinglichen Haftung verklagen darf. § 103 Abs. 2 BSchG erweitert vielmehr die Befugnisse des Schiffsgläubigers über die Rechte gegen den Eigentümer aus den allgemeinen Vorschriften über das gesetzliche Pfandrecht (§§ 1257, 1204 ff BGB) hinaus, indem das Pfandrecht – auch – gegen jeden dritten Besitzer verfolgbar ist. Auch das Urteil der Berufungskammer der Zentralkommission Strasbourg vom 10.05.2001 hält im Falle eines Ausrüstungsverhältnisses nicht etwa die Erwirkung eines dinglichen Titels gegen den Eigentümer für grundsätzlich unzulässig, sondern lediglich für nicht erforderlich, falls bereits ein dinglicher Titel gegen den Ausrüster vorliegt.
III.
Die Berufung der Beklagten war daher mit der Kostenfolge aus § 97 Abs. 1 ZPO zurückzuweisen.
Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit folgt aus §§ 708 Nr. 10, 713 ZPO.
Die Revision gegen dieses Urteil wird nicht zugelassen, da die Voraussetzungen des § 543 Abs. 2 ZPO nicht vorliegen.
Berufungsstreitwert: 11.130,50 €