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3 U 55/91 - Oberlandesgericht (Schiffahrtsobergericht)
Date du jugement: 10.01.1992
Numéro de référence: 3 U 55/91
Type de décision: Urteil
Language: Allemande
Juridiction: Oberlandesgericht Köln
Section: Schiffahrtsobergericht

Leitsatz:

Die Aufklärungspflicht nach § 45 BinSchG gebietet, den Frachtführer vor Vertragsabschluß auf gefährliche Eigenschaften des Frachtgutes hinzuweisen, die geeignet sind, Schiff, Besatzung oder andere Frachtgüter zu gefährden, auch wenn es sich nicht um Gefahrgut im Sinne des ADNR handelt. Diese Pflicht obliegt auch dem Hauptfrachtführer gegenüber dem Unterfrachtführer.

 

Urteil des Oberlandesgerichts (Schiffahrtsobergerichts) Köln

vom 10. Januar 1992

3 U 55/91

(Schiffahrtsgericht Duisburg-Ruhrort)

Zum Tatbestand:

Beide Parteien betreiben Binnenschiffahrtsunternehmen. Durch Vertrag vom 29.1.1988 hatte die Beklagte der Klägerin den Transport von 7200-9600 Jahrestonnen Pech (lose) zu einer Tonnenfracht von 9,50 DM abzgl. 5 % Provision übertragen, wobei nach der ursprünglichen Vereinbarung, die später dann abgeändert wurde, die einzelnen Partiegrößen zwischen 1250 und 1280 t liegen sollten. Die Laufzeit des Vertrages war festgelegt vom 1.2. bis 31.12. 1988.

Zu zwei Abnahmeterminen, am 22.9.1989 und 3.11.1988, legte die Klägerin keine Schiffe vor. Die Beklagte schloß Ersatzschiffsraum ab und rechnete die Mehrkosten von 4488,54 DM und 4741,69 DM gegen unstreitige Frachtlohnansprüche der Klägerin auf.

Die Klägerin hat behauptet, bereits bei einem der ersten Schiffe sei es wegen der Schiffsgröße (1800 t) und der dafür ungeeigneten Ladestelle zu Problemen gekommen. Später hätten sich weitere Schwierigkeiten herausgestellt, da die Ladung extrem gesundheitsgefährlich sei und sich dies bei den Schiffern herumgesprochen habe. Dies habe dazu geführt, daß schon nach kurzer Zeit keiner mehr bereit gewesen sei, diese Ladung zu übernehmen. Es seien an der Verladestelle Merkblätter ausgegeben worden, aus denen sich ergeben habe, daß die Besatzungsmitglieder die Haut mit einer bestimmten Creme einreiben und mit Atemschutzgeräten arbeiten müßten. Die getragene Wäsche habe anschließend, und zwar getrennt von anderer Wäsche, gewaschen werden müssen. Trotz Beachtung dieser Vorsichtsmaßnahmen seien bei mehreren Schiffern Erkrankungen aufgetreten. Das Produkt sei auch krebserzeugend.
Die Klägerin hat die Auffassung vertreten, wegen der außerordentlichen Gefährlichkeit für Leib und Leben der Schiffer sei die Beklagte nach § 45 BSchG hinweispflichtig gewesen und könne wegen Nichtbeachtung dieser Hinweispflicht aus der unterlassenen Vorlage weiterer Schiffe durch die Klägerin keine Ersatzansprüche geltend machen.

Die Beklagte hat behauptet, zwar staube loses Pech stark, und deshalb seien Schutzmaßnahmen erforderlich. Bei Beachtung dieser in Merkblättern enthaltenen Maßnahmen sei Pech aber durchaus nicht gefährlich. Dies ergebe sich auch daraus, daß es sich nicht um ein gefährliches Gut im Sinne des ADNR handle.
Die Gesundheitsbedenken der Klägerin hätten ausschließlich wirtschaftliche Hintergründe. Sie seien erst nach der 6. Reise und zu einem Zeitpunkt aufgetreten, als der Markt für Frachtraten angezogen habe und deshalb die Klägerin zunehmend Schwierigkeiten gehabt habe, Transportraum zu stellen. Zu höheren Frachtraten sei es ohne Schwierigkeiten möglich gewesen, anderweitigen Frachtraum zu beschaffen.
Das Schiffahrtsgericht hat der Klage auf Zahlung der Fracht stattgegeben. Die Berufung der Beklagten hatte keinen Erfolg.

Aus den Entscheidungsgründen:

Der Klägerin steht eine unstreitige Frachtlohnforderung aus §§ 425 HGB, 305, 241 BGB in Höhe von 9230,23 DM zu. Diese Forderung ist nicht durch Aufrechnung mit einem Schadensersatzanspruch der Beklagten aus §§425 HGB, 325 BGB erloschen.
Zwar hat die Klägerin entgegen dem am 29.1.1988 geschlossenen Frachtvertrag es am 22.9. 1988 und 3.11.1988 abgelehnt, zwei Transporte mit Pech auszuführen, so daß der Beklagten an sich ein Schadensersatzanspruch wegen Nichterfüllung der vertraglich übernommenen Transportverpflichtung zustünde. Die Klägerin ihrerseits kann aber von der Beklagten die Freistellung von dieser Schadensersatzverpflichtung verlangen oder mit einem gleichhohen Schadensersatzanspruch aufrechnen, weil die Beklagte ihre vorvertraglichen Sorgfaltspflichten verletzt hat und daher aus c.i.c. haftet. Hierauf hat sich die Klägerin mit Erfolg berufen.
Die Beklagte hat den Schaden, den sie ersetzt verlangt, selbst schuldhaft herbeigeführt. Sie war verpflichtet, die Klägerin auf die besonderen Risiken, die der Pechtransport mit sich bringt, vor Vertragsabschluß hinzuweisen. Diese Hinweispflicht ergibt sich aus der Gefährlichkeit des Transportgutes und der der Beklagten daraus erwachsenden Verkehrssicherungspflicht, die durch § 45 BSchG konkretisiert wird. Danach ist der Absender verpflichtet, die Fracht genau zu bezeichnen und die transporterforderlichen Angaben über sie zu machen. Hierzu gehört der Hinweis auf die bedeutungsvollen Eigenschaften des Frachtgutes (vgl. Vortisch/Bemm, Binnenschifffahrtsrecht, 4. Aufl. § 45 Rdn. 2). Zu diesen bedeutungsvollen Eigenschaften zählen alle diejenigen, die geeignet sind, Schiff, Besatzung oder andere Frachtgüter zu gefährden (vgl. Vortisch/Bemm, Binnenschiffahrtsrecht, 4. Aufl. § 45 Rdn. 2). Diese Aufklärungspflicht besteht grundsätzlich nicht nur gegenüber den am Transport unmittelbar beteiligten Personen, sondern auch gegenüber dem Frachtführer, und zwar auch schon vor Abschluß des Frachtvertrages, weil eben die Frachteigenschaften, falls diese ein Schadensrisiko darstellen, unter anderem für die Höhe der zu vereinbarenden Fracht von Bedeutung sind.

Im vorliegenden Fall war das Transportgut - Pech (lose) - gefährlich und verpflichtete die Beklagte zur Aufklärung über die Materialeigenschaften und die einzuhaltenden Vorsichtsmaßnahmen. Zwar ist Pech (lose) kein Gefahrgut im Sinne der ADNR. Pech (lose) ist aber ein Gefahrstoff, dessen gefährliche Eigenschaften in dem DIN-Sicherheitsdatenblatt der Herstellerin dargestellt sind. Danach ist Pech (lose) unter anderem giftig und kann Krebs, vererbbare Schäden und Mißbildungen verursachen. Der Pechstaub darf nicht eingeatmet werden. Eine Berührung mit der Haut ist zu vermeiden. Bei Einwirkung von Pechstaub können Hautreizungen entstehen, die je nach dem, wie intensiv und andauernd der Kontakt mit dem Pechstaub war, auch zu chronischen Schäden führen können. Das Be- und Entladen von Pechstaub erfordert die Einhaltung einer Reihe von Sicherheitsvorkehrungen wie unter anderem die Abdichtung von Fenstern und Türen im Schiffsraum und die Benutzung von Schutzkleidung (Einmal-Overall, Arbeitshandschuhen und anderem mehr).

Der Versuch der Beklagten, ihre sich aus der Gefährlichkeit des Transportguts ergebende Aufklärungspflicht mit dem Hinweis in Zweifel zu ziehen, der Klägerin seien die Transportgutrisiken bekannt gewesen, hat keinen Erfolg. Die Klägerin hat ihre Kenntnis von den mit dem Pechtransport verbundenen Gefahren bestritten. Für die Richtigkeit ihres Vortrags sprechen eine Reihe von objektiven Gesichtspunkten, die in ihrem Zusammentreffen nach Auffassung des Senats den sicheren Schluß auf die Unkenntnis der Klägerin von dem übernommenen Risiko zulassen. Die Klägerin hat, wie sich aus den Kosten für den beschafften Ersatzraum ergibt, zu - gemessen an der Risikolage - sehr niedrigen Frachtraten den Transportvertrag geschlossen. Ein solches Verhalten ist unerklärbar vor dem Hintergrund sicherer Kenntnis der Gefährlichkeit des Transportgutes. Auch das Schreiben der Beklagten vom 29.12.1988 bestätigt die Unwissenheit der Klägerin vom übernommenen Risiko. In diesem Schreiben nämlich wird es als gemeinsames Versäumnis bezeichnet, „daß wir nicht sofort bei Bekanntwerden der Abweichungen den Kontrakt gekündigt haben." Die hier angesprochenen Abweichungen sind gefahrstoffbedingte Transportzuschläge, die auf dem Markt für Frachtraum bestanden und die nach Darstellung der Beklagten selbst erst nachträglich, das heißt nach Vertragsabschluß den Vertragspartnern bekannt geworden sind. Waren aber die Gefahrstoffzuschläge im konkreten Einzelfall nicht bekannt, so spricht dies dafür, daß sich die Klägerin auch nicht über die Gefährlichkeit der Fracht bei Vertragsschluß im Klaren war. Letztlich ist auch der anhängige Rechtsstreit nur verständlich, wenn sich die Klägerin bei Vertragsschluß in Unkenntnis über die Gefährlichkeit des Transportgutes befunden hat. Wollte man nämlich der gegenteiligen Behauptung der Beklagten folgen, so hätte die Klägerin - mit einer völlig mutwilligen und frei erfundenen Schutzbehauptung - einen Rechtsstreit angestrengt, um Unrecht in Recht umzumünzen, ein Verhalten, das nach den Gesamtumständen nicht wahrscheinlich erscheint.
Soweit die Beklagte die Kausalität ihrer Aufklärungspflichtverletzung mit dem Hinweis zu bestreiten trachtet, die Frachtraten hätten zur Jahresmitte 1980 allgemein angezogen, so daß die von der Klägerin behaupteten Risikozuschläge im Pechtransport in Wahrheit auf eine allgemeine Teuerung im Transportbereich, nicht aber auf die Gefährlichkeit des Transportgutes zurückzuführen seien, ist ihr Vorbringen nicht glaubhaft. Allgemeine Tarifverteuerungen im Transportwesen bewegen sich überlicherweise im Bereich einiger Prozentpunkte, nicht aber in der Größenordnung von ca. 40 %, um die der Ersatzfrachtraum teurer war als die Frachtraten der Klägerin. Anhaltspunkte dafür, daß im Jahre 1988 eine ,abweichende Marktsituation auf dem Transportmarkt mit besonders hoher Teuerungsrate vorgelegen haben könnte, bestehen nicht. Solche Anhaltspunkte sind auch von der Klägerin nicht aufgezeigt worden. Ihr Vortrag stellt daher eine durch nichts erhärtete, bloße Schutzbehauptung dar.
Im Rahmen der der Beklagten obliegenden Schadensersatzpflicht hat diese die Klägerin so zu stellen, wie sie gestanden hätte, wenn sie ihrer Aufklärungs- und Hinweispflicht genügt hätte. Dann aber wäre der Transportvertrag zu erhöhten Frachtraten - entsprechend der Marktüblichkeit - abgeschlossen worden. Die Klägerin hätte dann ihrer Verpflichtung genügen können, Schiffsraum zum Transport auch am 22.9. 1988 und 3. 11. 1988 vorzulegen, weil sie sich diesen durch einen entsprechenden Frachtlohn hätte beschaffen können. Letzteres steht zur Überzeugung des Senats nach der Vernehmung des Zeugen R. fest. Dieser Zeuge hat bekundet, er wäre bereit, Pech (lose) in Kenntnis der bestehenden Risiken zu transportieren, allerdings nicht zu den damaligen niedrigen Frachtraten, sondern nur dann, wenn der Frachtlohn stimmt, d. h. den mit dem Transport verbundenen Risiken angepaßt ist. Der von der Beklagten geltend gemachte Schaden wäre daher bei Einhaltung der ihr obliegenden Sorgfaltspflichten nicht entstanden ... "


Ebenfalls abrufbar unter ZfB 1993 - Nr.1/2 (Sammlung Seite 1405); ZfB 1993, 1405