Banque de données de juriprudence
Leitsatz:
Auch nach einer Abnahme durch die Schiffsuntersuchungskommission kann ein Schiffsführer nicht auf den ordnungsgemäßen Zustand der Ruderanlage vertrauen, wenn besondere Umstände dem entgegenstehen, z. B. die Ruderanlage von Beginn an unzuverlässig war und immerwiedererhebliche Störungen aufgetreten sind. Tritt eine Störung erneut auf, gebietet die Sorgfalt eines ordentlichen Schiffsführers, die Ruderanlage durch einen Sachverständigen völlig überprüfen zu lassen und bis zum Ergebnis der Überprüfung die Reise zu unterbrechen.
Urteil des Oberlandesgerichts (Rheinschiffahrtsobergerichts) Köln
vom 27.4.1993
3 U 54/92
(Rheinschiffahrtsgericht Duisburg-Ruhrort)
Zum Tatbestand:
Die Klägerin ist Versicherer des MS R und macht aus übergegangenem Recht Ansprüche aus einem Schiffsunfall geltend, bei dem MS H gegen MS R geriet. Die Beklagte zu 1 ist Eignerin von MS H, das im Unfallzeitpunkt von dem Beklagten zu 2 als Schiffsführer verantwortlich geführt wurde. MS R fuhr am 8. Mai 1991 auf dem Rhein in Höhe der Reeser Schanz zu Berg. MS H überholte MS R an der Backbordseite. Während des Überholvorganges lief MS H wegen eines Ausfalls der gesamten Ruderanlage nach Steuerbord aus und kollidierte mit MS R. Anschließend liefen beide Schiffe ins Land.
Die Beklagte zu 1 hatte die Ruderanlage im März 1990 gebraucht erworben. Die Anlage wies seit dem Einbau vor dem Unfall folgende Störungen auf:
Schon bei der ersten Reise nach dem Einbau der Anlage im April 1990 funktionierte die Anlage nur bei gleichzeitig laufender Hauptmaschine, weil ein Relais defekt war. Die Reparatur erfolgte am 14. April 1990. In der Folgezeit lief das Ruder nicht gleichmäßig - es „ruckte" - und der Autopilot hielt den Kurs nicht. Am 6. August 1990 lief das Schiff bei Linz ins Land; Hauptruder und das pneumatische Luftruder waren infolge eines abgebrochenen Hydraulikarmes ausgefallen. Danach wurde der Hydraulikantrieb ausgetauscht. Nach dieser Reparatur ruckte das Ruder in unregelmäßigen Abständen. Im Oktober 1990 hielt der Autopilot den Kurs nicht und wurde repariert. Am 18. Januar 1991 konnte der Beklagte zu 2 nur mit dem elektrischen Notruder steuern, weil sich sowohl das Hauptruder als auch das pneumatische Luftruder kaum bewegen ließen. Unter dem 1. Februar 1991 wurde ein neuer Wendeanzeiger eingebaut. Ami. Februar 1991 lief das Schiff unterhalb von St. Goar bergfahrend nach Steuerbord aus, konnte aber noch aufgefangen werden. Unter dem 4. Februar 1991 - auch das Notruder war ausgefallen - lief MS H bei Gernsheim auf Grund. Ursächlich hierfür waren nach den Feststellungen des Experten J. Verschmutzungen im 01 der Hydraulikanlage. Kurze Zeit darauf, am 20. Februar 1991, lief das Schiff erneut bei Karlsruhe ins Land. Hauptruder und Luftruder hatten nicht richtig funktioniert. Ursache des Ausfalls der Ruder war das Hängenbleiben des Schalterstücks des Hauptrudersteuerknüppels. Unter dem 26. April 1991 lief die Ruderfunktion - wie bereits zwei Mal in der Vergangenheit vorgekommen - ganz langsam ab; das rote Licht flackerte auf. Der Beklagte zu 2 reiste bis Boppard weiter und informierte einen Mitarbeiter der Lieferfirma der Ruderanlage telefonisch von dem Vorfall. Hierbei äußerte er den Verdacht, daß die Hydraulikpumpe für die Störung verantwortlich sein könnte.
Das Rheinschiffahrtsgericht hat die Schadensersatzklage dem Grunde nach für gerechtfertigt erklärt. Die Berufung hatte keinen Erfolg.
Aus den Entscheidungsgründen:
"... Das Rheinschiffahrtsgericht hat zu Recht die Verantwortlichkeit der Beklagten für die Kollision von MS H mit MS R bejaht. Das Begehren der Klägerin findet seinen rechtlichen Grund in §§ 823 BGB, 3, 4 BSchG in Verbindung mit § 67 VVG. Unstreitig lief MS H während des Überholvorganges nach Steuerbord aus und kollidierte mit MS R. Zwar liegt, wie zwischen den Parteien unstreitig ist, kein nautisches Fehlverhalten des Beklagten zu 2 vor. Ursächlich für den völligen Ausfall des elektrisch betriebenen Hauptruders, des pneumatisch betriebenen Luftruders und des elektrischen Notruders war vielmehr ausweislich der im Verklarungsverfahren erstatteten Gutachten des Sachverständigen K. die Beschädigung der Hydraulikpumpe. An dem Bronzering, der die Führung für die Druckventile sicherstellt, waren, wie der Sachverständige K. im Verklarungsverfahren überzeugend dargelegt hat, Verschleißerscheinungen festzustellen. Der dadurch hervorgerufene Abrieb ist aller Wahrscheinlichkeit nach ebenso wie das herausgeschlagene Material der Anschlußplatte Nr. 1 in den Ölkreislauf der Kolbenpumpe und sodann in den Bereich des Schockventils geraten. Nach dem Ergebnis des Verklarungsverfahrens haben sich die Beklagten somit dahin entlastet, daß die Ruderanlage zur Unfallzeit versagt hat. Die Beklagten müssen sich aber zur Erschütterung des zunächst gegen sie streitenden Anscheinsbeweises weiter dahin entlasten, daß
- die Ruderanlage nach Konstruktion und Einbau tauglich war
- sie sich vor der Kollision in ordnungsgemäßem Zustand befand
- der Schiffsführer unmittelbar vor dem Unfall keine zum Ausfall führenden Bedienungsfehler begangen hat und
- er nach dem Ausfall der Anlage so schnell wie möglich auf Handruder umgestellt hat
(vgl. Bemm/Kortendick, RhSchPVO, Einführung Randnr. 117 und § 1.08 Randnr. 12 ff).
Vorliegend steht nicht fest, daß sich die Ruderanlage vor der Kollision in einem ordnungsgemäßen Zustand befand. Im Gegenteil spricht alles dafür, daß der in dem Verklarungsverfahren festgestellte Mangel bereits zuvor bestand. Wie zwischen den Parteien unstreitig ist, lief am 26. April 1991 die Ruderfunktion ganz langsam ab; auch flackerte das rote Warnsignal auf. Die Beklagten haben nicht schlüssig dargetan und unter Beweis gestellt, daß hierfür nicht die ordnungsgemäße Führung der Druckventile, die nach den überzeugenden Feststellungen des Sachverständigen K. zu zeitweiligen Ruderausfällen geführt hat, ursächlich war. Sie tragen vielmehr selbst vor, daß sich der Metallspan bereits einige Zeit in dem Schockventil befand, weil er in den Dichtungsring fest eingebettet war.
Es kann dahinstehen, ob - wie die Beklagten behaupteten - das Schiff am 4. Februar und 20. Februar 1991 durch die Schiffsuntersuchungskommission abgenommen worden ist. In Anbetracht des neuerlichen Vorfalls am 26. April 1991 hätten sich die Beklagten auch bei einer unterstellten Abnahme nicht auf die Fahrtüchtigkeit von MS H verlassen dürfen. Wie das Schifffahrtsgericht zutreffend ausgeführt hat, kann ein Schiffsführer auch bei einer Abnahme durch die SUK dann nicht auf den ordnungsgemäßen Zustand der technischen Einrichtungen vertrauen, wenn besondere Umstände dem entgegenstehen. So verhält es sich hier. Die Ruderanlage war von Beginn an unzuverlässig. Es kam immer wieder zu Störungen und Ausfällen in derart gravierendem Umfang, daß das Schiff aus dem Ruder und ins Land lief. Dies gilt insbesondere für den Zeitraum vor dem hier streitigen Vorfall. Am 18. Januar 1991 ließen sich Haupt- und Luftruder kaum drehen. Unter dem 3. Februar 1991 lief MS H unterhalb von St. Goar bergfahrend nach Steuerbord aus, konnte aber gerade noch aufgefangen werden. Am Tage danach ereignete sich das gleiche, allerdings lief das Schiff auf Grund. Kurze Zeit darauf, nämlich am 20. Februar 1991 - dies trotz der von dem Beklagten behaupteten Abnahme durch die SUK am 4. Februar 1991 - lief das Schiff zu Berg fahrend erneut ins Land. Wegen der aufgetretenen Störungen in ganz erheblichem Umfang waren die Beklagten verpflichtet, auch im Falle einer Abnahme durch die SUK nach dem zuletzt genannten Unfall das Schiff nach dem neuerlichen Vorfall vom 26. April 1991 einer gründlichen Überprüfung durch einen Sachverständigen zu unterziehen und bis zu dem Ergebnis dieser Überprüfung die Reise zu unterbrechen. Die Fortsetzung der Reise ohne eine solche Maßnahme ist mit der Sorgfalt eines ordentlichen Schiffsführers nicht vereinbar und begründet den Vorwurf der Fahrlässigkeit. Dem steht nicht entgegen, daß sich der Beklagte zu 2 am 26. April 1991 fernmündlich an den Sachverständigen K. gewandt hat und diesen auf die Verlangsamung des Hauptruders angesprochen hat. Die Beklagten behaupten zum einen nicht, den Sachverständigen auch über das Aufflackern des roten Lichtes und die Verlangsamung der Ruderfunktion in zwei weiteren Fällen in Kenntnis gesetzt zu haben. Zum anderen hat der Sachverständige die Beklagte auch ihrem vorbringen nach darauf hingewiesen, daß er die Ursache der erneuten Störung am Telefon nicht feststellen könne. Zur Feststellung dieser Ursache waren die Beklagten wegen der früheren Vorfälle aber gehalten. Das Verschulden der Beklagten entfällt auch nicht deshalb, weil der Sachverständige ihrer Behauptung nach geäußert hat, sie könnten mit der elektrischen Pumpe weiterfahren. In der Vergangenheit hat es der Beklagte zu 2 wiederholt nicht vermocht, das Schiff trotz der Funktionsfähigkeit des elektrischen Notruders auf Kurs zu halten. Damit war er verpflichtet, jeder auch nur anscheinend geringfügigen Störung der Ruderanlage nachzugehen. Dies war dem Beklagten zu 2 im Grundsatz auch bewußt. Denn er hat unstreitig am Abend des 26. April 1991 den Zeugen P. auf den neuerlichen Vorfall angesprochen und den Verdacht geäußert, die Pumpe sei hierfür verantwortlich.
Nach alledem hat der Beklagte zu 2 den gegen ihn sprechenden Anscheinsbeweis nicht erschüttert. Er hat darüber hinaus gegen die im Verkehr erforderliche Sorgfalt verstoßen, indem er die Reise am 27. April 1991 fortgesetzt hat, ohne die Ruderanlage einer völligen Überprüfung zu unterziehen...."
Ebenfalls abrufbar unter ZfB 1993 - Nr.15, 16 (Sammlung Seite 1436 f.)