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Leitsatz:
Ein Strangbruch bedeutet für einen abtreibenden Kahn - selbst auf der Gebirgsstrecke - allein noch keine Schifffahrtsgefahr im Sinne des § 93 BSchG. Die Annahme einer solchen Schiffahrtsgefahr hängt von den besonderen Umständen des Einzelfalles ab.
Urteil des Oberlandesgerichts - Rheinschiffahrtsobergericht -
vom 22. Oktober 1959
Zum Tatbestand:
Der Schleppkahn A" der Beklagten riß, an letzter Stelle des mit 3 Anhängen zu Berg fahrenden Bootes ,.B", oberhalb Trechtingshausen infolge Strangbruches ab. Zu Tal treibend wurde der Kahn von seinem Lotsen nach linksrheinisch gesteuert und es wurden sodann beide Anker geworfen. Das zu Tal fahrende Boot C" der Klägerin nahm auf Zuruf des Kapitäns von B" den Kahn A" auf, nachdem es den Kahn zu Tal passiert, ihn unterhalb umfahren und auf der Steuerbordseite des Kahnes diesem einen Strang übergeben hatte. Boot C" schleppte den Kahn A" bis Bingen. Die Klägerin hat den tarifmäßigen Schlepplohn erhalten, verlangt jedoch mit der Klage einen angemessenen Hilfslohn, da sich Kahn A" in einer Schiffahrtsgefahr im Sinne des § 93 BSchG befunden habe.
Die Klage wurde vom Rheinschiffahrtsgericht abgewiesen. Auch der Berufung blieb der Erfolg versagt.
Aus den Entscheidungsgründen:
Es kommt in der Rheinschiffahrt nicht selten vor, daß ein Kahn infolge Strangbruches abreißt und abtreibt. Nach der allgemeinen Erfahrung bedeutet das allein jedoch noch keine Schiffahrtsgefahr, und zwar auch nicht auf der Gebirgsstrecke. Vielmehr hängt es von den Umständen des Einzelfalles ab, obschon das Abreißen und Abtreiben eine solche Gefahr bedeutet bzw. ob sie sich daraus entwickelt. Wenn andere Schiffe oder Schifffahrtshindernisse sieh in unmittelbarer Nähe und gefährlicher Position befinden, kann schon ein geringfügiges Abtreiben große Gefahr bedeuten. Besonders ungünstige Strömungsverhältnisse können ein Ständigwerden des Kahnes hinter seinen Ankern ebenso als wenig wahrscheinlich erscheinen lassen wie ein besonders ungünstiger Ankergrund. Liegen aber im Einzelfalle solche oder ähnliche besondere Umstände nicht vor, dann bedeutet das Abreißen und Abtreiben eines Kahnes auch im Gebirge nur einen - nicht seltenen - Vorfall, dem rein routinemäßig begegnet wird, und zwar in aller Regel durch Setzen des oder der Anker. Erst wenn sich herausstellen sollte, daß die Anker nicht halten, wird die Lage des Kahnes gefährlich.
Das Abreißen und Abtreiben eines Kahnes im Gebirge begründet somit keine Vermutung für das einer Schifffahrtsgefahr. Besondere Umstände des vorliegenden Einzelfalles aber, aus denen sich eine solche Gefahr hätte ergeben können, hat die Klägerin nicht dargetan. Die Behauptung, daß der Grund hier hart und felsig sei, genügt hierzu nicht. Denn auch im harten und felsigen Grund ist ein Ankern durchaus möglich. Dazu kommt, daß - wie gerichtsbekannt ist - gerade bei Trechtinghausen linksrheinisch oft geankert wird. Die Klägerin hat auch - wie der erste Richter in zutreffender Würdigung des Beweisergebnisses festgestellt - nicht beweisen können, daß die Anker des Kahnes nicht gehalten hätten und der Kahn noch nach dem Setzen der Anker, insbesondere bei der Übernahme des Stranges vom Boot C", im Abtreiben gewesen wäre. Ebensowenig hat die Klägerin beweisen können, daß der Kahn wegen der Stelle-, an der er lag, in einer Schifffahrtsgefahr gewesen wäre.
Nach alledem ist das objektive Vorliegen einer solchen Gefahr für keinen Zeitpunkt des Geschehens bewiesen. Ebensowenig aber steht fest, daß bei dem Vorbeifahren des Bootes und bei der Übernahme des Kahnes auch nur der - unrichtige - Schein einer solchen Gefahr bestanden hätte. Denn ob der Kahn festlag oder triebe und wo er lag, war in diesen Zeitpunkten eindeutig erkennbar, und zwar auch für den Kapitän der Klägerin. Bei der Erteilung des Auftrages an ihn durch den Kapitän des Bootes ,B" ist zwar wahrscheinlich der Kahn A" noch im Abtreiben gewesen. Das aber bedeutet allein - wie oben ausgeführt - noch keine Schiffahrtsgefahr und konnte also auch dem in der Rheinschiffahrt erfahrenen Kapitän der Klägerin bei vernünftiger - in diesem Zusammenhang allein anzuerkennender - Uberlegung keinen Anlaß zu der Annahme geben, der Kahn befinde sich bereits in einer Schiffahrtsgefahr. Sonstige objektiven Umstände, die eine solche Annahme zu irgendeinem Zeitpunkt hätten rechtfertigen können, hat die Klägerin nicht dargetan. Es kann deshalb dahingestellt bleiben, ob, wenn solche Umstände vorgelegen hätten, eine nur scheinbare Hilfsbedürftigkeit - sei es im Zeitpunkt der Erteilung des Auftrages oder später - im vorliegenden Falle überhaupt von Bedeutung wäre. Da somit die Voraussetzung von § 93 BSchG nicht dargetan sind, hat der erste Richter die Klage mit Recht abgewiesen.