Banque de données de juriprudence
Leitsätze:
1) Eine umfassende Haftungsbegrenzung auf Vorsatz und grobe Fahrlässigkeit in Allgemeinen Benutzungsbedingungen für Häfen ist nicht zulässig. Diese Freizeichnung verstößt gegen die Verbotsnorm des § 9 AGBG. Sie gefährdet die Erreichung des Vertragszwecks erheblich, denn es gehört zu einem Beladungsvertrag, das zu transportierende Gut ordnungsgemäß zu verladen und bei dem Ladevorgang Beschädigungen zu vermeiden. Der Auftraggeber und der in den Schutzbereich des Vertrags einbezogene Schiffseigner darf darauf vertrauen, daß der Verlader dieser Verpflichtung nachkommt.
2) Die Wirksamkeit einer umfassenden Freizeichnungsregelung läßt sich nicht mit Branchenüblichkeit.begründen, wenn die Regelung nicht von einer Vielzahl von Hafenbetrieben verwendet wird. Die Wirksamkeit ergibt sich auch nicht daraus, daß die Umschlagtätigkeit im Massengeschäft abgewickelt wird, wenn nicht ersichtlich ist, daß bei einer anderen Haftungsverteilung die mit der Verladetätigkeit verbundenen Risiken nicht mehr beherrschbar sind, sie vielmehr z. B. über eine Versicherung oder durch die Bildung entsprechender Rücklagen abgedeckt werden können.
Urteil der Oberlandesgerichts (Schiffahrtsobergerichts) Köln
vom 18.12.1998
3 U 45/98 BSch
(Schiffahrtsgericht Duisburg-Ruhrort)
Zum Tatbestand:
Der Kläger, Eigentümer des MS H, befand sich mit seinem Schiff im Auftrag der Befrachtungsfirma C am 14.11.1996 zur Beladung mit Stahlspänen im Rheinhafen D. Die Beladung erfolgte durch die Beklagte, die hierzu durch die Firma R beauftragt worden war. R war Vertragspartner der C. In einem Mietvertrag zwischen der Beklagten und der Firma R vom 11.10.1991 hatte letztere unter Ziffer 12.2. des Mietvertrages die „Allgemeinen Benutzungsbedingungen (ABB) für die Hafenanlagen" der D als verbindlich anerkannt, in denen es unter Ziffer 7 unter anderem heißt:
„7. Zusätzliche Haftungsbestimmungen
7.1 Der Aufenthalt im Hafengebiet erfolgt auf eigene Gefahr. Für Schäden, welche durch Hafenanlagen, durch Umschlag mit hafeneigenen Umschlageinrichtungen, durch die Verletzung von Verkehrssicherungspflichten oder in sonstiger Weise entstehen, haften die Hafenbetriebe der Stadtwerke nur bei Vorsatz oder grober Fahrlässigkeit".
Während der Beladung wurden die Aluminiumlukenabdeckungen am Vorder- und am Achterschiff gestapelt. Der in Diensten der Beklagten stehenden Kranführer belud das Schiff mittels einer Krananlage, die mit einem Polypgreifer ausgestattet war. Der Kläger war zur Zeit der Beladung nicht anwesend. Als das Schiff schon fast vollständig beladen war, stieß der Polypgreifer beim Öffnen gegen den hinteren Lukenstapel, wobei ein Teil der Ladung aus dem Polyp auf die gestapelten Lukenabdeckungen fiel. Dabei wurde eine Abdeckung beschädigt.
Der Kläger hat die Auffassung vertreten, der Kranführer habe grob fahrlässig gehandelt. Dieser habe wegen der empfindlichen Schiffsaufbauten besonders sorgfältig arbeiten müssen.
Die Beklagte hat die Auffassung vertreten, dem Kranführer sei nur leichte Fahrlässigkeit anzulasten, als er die Entfernung zwischen dem Greifer und den gestapelten Lukenabdeckungen falsch eingeschätzt habe. Insoweit hat sie sich auf die Haftungsbegrenzung in Ziffer 7.1 ihrer AB Bs berufen.
Das Schiffahrtsgericht hat die Schadensersatzklage abgewiesen. Die Berufung des Klägers hatte Erfolg.
Aus den Entscheidungsgründen:
„1. Dem Kläger steht der mit seiner Klage verfolgte Schadensersatzanspruch in Höhe von 4.915,00 DM zu.
Der Senat stimmt dem Schiffahrtsgericht zu (§ 543 Abs. 1 ZPO), daß das Verhalten des von der Beklagten eingesetzten Kranführers lediglich als leichte Fahrlässigkeit zu werten ist. Grobe Fahrlässigkeit liegt vor, wenn die im Verkehr zu beachtende Sorgfalt in besonders schwerem Maße verletzt worden ist, schon einfache, ganz naheliegende Überlegungen nicht angestellt wurden oder das nicht beachtet worden ist, was im gegebenen Fall jedem hätte einleuchten müssen (st. Rspr.; vgl. z. B. BGHZ 89, 153 ff. (161); BGH NJW-PR 1998, 1426 ff. (1427); Palandt-Heinrichs, BGB, 57. Auflage, § 277 Rdnr. 2 mit weiteren umfangreichen Nachweisen). Diese Voraussetzungen sind unter Berücksichtigung des zwischen den Parteien unstreitigen Hergangs des Vorfalls nicht gegeben. Ein Verschätzen des Kranführers hinsichtlich des Abstandes des von ihm bedienten Polypgreifers von den am Achterschiff gestapelten Lukenabdeckungen stellt ein kurzzeitiges - leichtes - Fehlverhalten des Kranführers im Rahmen des Massenbetriebes dar.
Für dieses Verschulden des von ihr eingesetzten Kranführers haftet die Beklagte. Sie kann nicht die in Ziffer 7 ihrerABBs enthaltene Haftungsbeschränkung auf grobe Fahrlässigkeit und Vorsatz geltend machen.
Zwar kann sich die Beklagte grundsätzlich auch im Verhältnis zu dem Kläger auf die Allgemeinen Benutzungsbedingungen für die Hafenanlage berufen. Dabei kann es dahinstehen, ob zwischen den Parteien konkludent ein Vertrag über die Nutzung der Hafenanlage geschlossen worden ist und ob in dieses Vertragsverhältnis die Allgemeinen Benutzungsbedingungen einbezogen sind, weil die Verwendung entsprechender Allgemeiner Geschäftsbedingungen branchenüblich ist (vgl. hierzu allgemein: BGH, LM AGB Nr. 21 a für kommunale Hafenbetriebe; Palandt-Heinrichs, a.a.O., Rdnr. 29 m.w.N.). Auch wenn man davon ausgeht, daß zwischen den Parteien kein eigenes Vertragsverhältnis besteht und der Kläger in den Schutzbereich des unstreitig zwischen der Beklagten und der Firma R abgeschlossenen Umladevertrages einbezogen worden ist, müßte sich der Kläger die Einbeziehung der ABB in dieses Vertragsverhältnis entgegenhalten lassen.
Die Beklagte hat jedoch ihre Einstandspflicht für ein fahrlässiges Verschulden ihres Kranführers nicht wirksam durch die Allgemeinen Benutzungsbedingungen ausgeschlossen. Die umfassende Freizeichnung in Ziffer 7.1 der ABBs verstößt gegen die Verbotsnorm des § 9 AGBG, an der ihre Wirksamkeit in den Fällen des kaufmännischen Verkehrs allein zu messen ist (§ 24 Abs. 2 AGBG). Nach dieser Vorschrift sind Bestimmungen in Allgemeinen Geschäftsbedingungen unwirksam, wenn sie den Vertragspartner des Verwenders entgegen den Geboten von Treu und glauben unangemessen benachteiligen. Das ist im Zweifel anzunehmen, wenn eine Bestimmung mit wesentlichen Grundgedanken der gesetzlichen Regelung, von der abgewichen wird, nicht zu vereinbaren ist (§ 9 Abs. 2 Nr. 1 AGBG) oder wenn sie wesentliche Rechte und Pflichten, die sich aus der Natur des Vertrages ergeben, so einschränkt, daß die Erreichung des Vertragszweckes gefährdet ist (§ 9 Abs. 2 Nr. 2AGBG).
Ziffer 7.1 der ABB hält einer an diesen Maßstäben ausgerichteten Inhaltskontrolle nicht stand. Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes, der sich der Senat anschließt, kann die Haftung für jedes Verschulden „einfacher" Erfüllungsgehilfen des Klauselverwenders auch im kaufmännischen Geschäftsverkehr nicht formularmäßig ausgeschlossen werden, wenn sich der Haftungsausschluß auf die Verletzung von sogenannten „Kardinal"- oder von Hauptpflichten oder auch auf die Verletzung von Nebenpflichten (z. B. Schutzpflichten) bezieht, sofern die Freizeichnung die angemessene Risikoverteilung empfindlich stören würde (vgl. hierzu z. B.: BGH, NJW 1982, 1694 ff. (1695); BGH, NJW 1984, 1350 f. (1350); BGH, NJW 1985, 914 ff. (916); BGH, NJW 1985, 3016 f£ (3018); BGH, NJW 1988, 1785 f£ (1786); BGH, NJW RR 1998, 1426 ff. (1427); Palandt-Heinrichs, a.a.O., § 9 AGBG Rdnr. 41 ff. m.w.N.; Ulmer/Brandner/Hensen/Schmidt, AGBGesetz, B. Auflage 1997, § 9 Rdnr. 150 ff.).
Aufgrund der Regelung in Ziffer 7.1 der ABB wird die Erreichung des Vertragszwecks erheblich gefährdet. Es gehört zu dem Ladungsvertrag, das zu transportierende Gut ordnungsgemäß zu verladen und bei dem Ladevorgang Beschädigung zu vermeiden. Letztere Pflicht ist auch für eine ordnungsgemäße Erfüllung des Ladevertrages von erheblicher Bedeutung. Insoweit darf der Auftraggeber und der in den Schutzbereich des Vertrages einbezogene Schiffseigner darauf vertrauen, daß der Verlader dieser Verpflichtung nachkommt.
Dabei kann es dahinstehen, welche aus einem Beladungsvertrag resultierenden Pflichten zu den vertragswesentlichen im Sinne des § 9 Abs. 2 Nr. 2AGBG gehören, da die Beklagte in Ziffer 7.1 ihrer ABB nicht nur die Haftung für vertragsuntypische, sondern, in den Fällen einfacher Fahrlässigkeit, eine vollständige Freistellung von jeglicher Haftung für sämtliche Schäden ausgeschlossen hat, welche durch Hafenanlage, durch Umschlag mit hafeneigenen Umschlageinrichtungen, durch die Verletzung von Verkehrssicherungspflichten oder in sonstiger Weise entstehen, und zwar unabhängig von der Person des Verletzers, der Höhe des eingetretenen Schadens und der Art der verletzten Rechtsgüter.
In einem derartigen Fall ist eine Rückführung unwirksamer Klauseln auf ihren zulässigen Inhalt auch im kaufmännischen Geschäftsverkehr grundsätzlich ausgeschlossen (vgl. hierzu BGH, NJWRR 1998, 1426 ff. (1427) mit weiteren umfangreichen Nachweisen aus der Rechtsprechung; Ulmer/Brandner/Hensen/Schmidt, a.a.O., § 9 Rdnr. 150). Die von der Rechtsprechung ausnahmsweise anerkannten Einschränkungen für ein Verbot der geltungserhaltenden Reduktion sind vorliegend nicht gegeben, da die Regelungen ausschließlich auf den Hafenbetrieb der Beklagten zugeschnitten sind (vgl. allgemein BGH, NJW-RR 1998, 1426 ff. (1427) für die Betriebsordnung der Bremer Lagerhaus-Gesellschaft.
Der Haftungsausschluß für einfache Fahrlässigkeit stellt nicht etwa deshalb keine unangemessene Benachteiligung dar, weil der durch eine Beschädigung des Schiffes entstehende Sachschaden durch eine Kaskoversicherung abgedeckt werden kann. Soweit der Bundesgerichtshofes den Haftungsausschluß für einfache und grobe Fahrlässigkeit dann als zulässig erachtet hat, wenn das Risiko typischerweise beim Verwendungsgegner unter einem praktisch lückenlosen Versicherungsschutz steht (vgl. BGH, NJW 1988, 1785 ff. (1787 f)), sind diese für den Werftwerkvertrag aufgestellten Grundsätze (BGH, NJW 1988, 1785 ff(1787)) auf einen Umschlagvertrag nicht übertragbar. Der Bundesgerichtshof hat in der vorstehend zitierten Entscheidung im Rahmen der Wirksamkeitskontrolle maßgeblich auf die branchentypischen Besonderheiten eines Werftwerkvertrages und die im Geschäftsverkehr zwischen dem Schiffseigner und Werftunternehmer bestehende Branchenüblichkeit abgestellt.
Diese bestehe insbesondere darin, daß der Werftkunde an seinem Schiff, auch wenn er es zur Reparatur in die Obhut des Werftbetriebs gebe, den Gewahrsam behalte, weil die Schiffsmannschaft während der Werftliegezeiten in der Regel an Bord bleibe. Damit habe für die Schiffsleitung und Mannschaft die Möglichkeit, sich davon zu überzeugen, ob etwa den Sorgfaltsanforderungen, namentlich bei der Durchführung gefahrengeneigter Arbeit, Genüge getan werde. Der Werkkunde könne auf die ihm bekannte Gefahrenlage hinweisen und auf geeignete Abwehrmaßnahmen hinwirken (BGH, NJW 1988, 1785 ff. (1787)).
Vorliegend besteht für den Kläger als Schiffseigner keine derartige Möglichkeit der Einflußnahme, zumal er nicht Auftraggeber der Beladungsarbeiten ist. Auch sonstige Umstände von gleichem Gewicht, die einer Gefährdung des Vertragszwecks wegen Verlust oder Beschädigung des Guts hinreichend entgegenwirken können, sind bei den Verladearbeiten nicht ersichtlich. Dabei kann es dahinstehen, inwieweit vorliegend überhaupt im Hinblick auf die Franchise und den eingetretenen Verdienstausfallschaden ein umfassender Versicherungsschutz besteht.
Die Wirksamkeit der von der Beklagten verwandten Freizeichnungsregelung läßt sich auch nicht mit einer Branchenüblichkeit begründen. Selbst wenn entsprechend dem Vorbringen der Beklagten in den - nicht näher bezeichneten - Nachbarhäfen entsprechende Regelungen existieren sollten, reicht dies zur Annahme einer Branchenüblichkeit nicht aus. Dagegen spricht bereits, daß nicht ersichtlich ist, daß nach Inkrafttreten des ABG-Gesetztes und unter Berücksichtigung der von der Rechtsprechung aufgestellten strengen Anforderungen an die Zulässigkeit eines umfassenden Haftungsausschlusses eine umfassende Freizeichnungsklausel von einer Vielzahl von Hafenbetrieben verwendet wird. So sind dem Senat als Rheinschiffahrtsober-gericht, Moselschiffahrtsobergericht und Schifffahrtsobergericht in seiner Entscheidungspraxis in den letzten Jahren keine Fälle eines umfassenden Haftungsausschlusses für Fahrlässigkeit in den allgemeinen Benutzungsbedingungen für Häfen bekannt geworden.
Die Wirksamkeit des umfassenden Haftungsausschlusses ergibt sich entgegen den Ausführungen der Beklagten in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat auch nicht daraus, daß die Beklagte die Umschlagtätigkeit im Massengeschäft abwickelt. Es ist nicht ersichtlich, daß bei einer anderen Haftungsverteilung die mit der Verladetätigkeit verbundenen Risiken nicht mehr beherrschbar sind. So sind nach dem eigenen Vortrag der Beklagten im Jahre 1997 bei einem Güterumschlag von 2.164.017 t lediglich in einer einstelligen Anzahl von Fällen Schäden eingetreten, die auf ein fahrlässiges Verschulden des Kranführers zurückzuführen sind. Die Beklagte hat insoweit die Möglichkeit, diese Risiken ihrerseits zum Beispiel über eine Versicherung oder durch die Bildung von entsprechenden Rücklagen abzudecken.
2. Die Revision war zuzulassen. Der Sache kommt grundsätzliche Bedeutung im Sinne des § 546 Abs. 1 Nr. 1 ZPO zu. Zu beurteilen ist die Rechtsfrage, ob eine in den allgemeinen Benutzungsbedingungen eines kommunalen Hafenbetriebes enthaltene umfassende Haftungsbegrenzung auf Vorsatz und grobe Fahrlässigkeit zulässig ist.
Diese ist von allgemeiner Bedeutung und - soweit ersichtlich - nach Inkrafttreten des Gesetzes zur Regelung des Rechts der allgemeinen Geschäftsbedingungen nicht höchstrichterlich entschieden worden ....."
Ebenfalls abrufbar unter ZfB 1999 - Nr. 3 (Sammlung Seite 1729 ff.); ZfB 1999, 1729 ff.