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Leitsätze:
1) Versagt eine nach Konstruktion und Einbau taugliche und in ordnungsgemäßem Zustand befindliche Autopilotanlage eines Binnenschiffs für den Schiffsführer unvorhersehbar und ist ihm nicht vorzuwerfen, daß er einen zum Ausfall der Anlage führenden Bedienungsfehler begangen oder nach dem Ausfall der Anlage nicht so schnell wie möglich auf Handruder umgestellt hat, trifft ihn kein Verschulden daran, daß das Schiff aus dem Ruder läuft.
2) Verschleißerscheinungen einer Autopilotanlage kann ein Schiffsführer nicht feststellen. Auch kann er nicht schon aus sprunghaften Bewegungen des Ruderlagenanzeigers darauf schließen, daß dies Auswirkungen auf die Pilotanlage hat oder daß hierdurch überhaupt eine Gefahr für die Sicherheit des Schiffs besteht, wenn solche Störungen zum ersten Mal auftreten. Auf eine Warnanlage, die von einer Fachfirma eingebaut und von einer Schiffsuntersuchungskommission abgenommen worden ist, die auch bei einer früheren Störung angeschlagen hat, kann sich ein Schiffsführer verlassen.
3) Aus nautischer Sicht ist es sinnvoll, nach dem Ausfall einer Autopilotanlage auf das elektrische Notruder und, wenn dieses ebenfalls nicht funktioniert, erst danach auf mechanische Steuerung umzuschalten.
Urteil des Oberlandesgerichts (Rheinschiffahrtsobergerichts)
vom 07.05.1993
3 U 213/90
(Rheinschiffahrtsgericht St. Goar)
Zum Tatbestand:
Die Klägerin, Eignerin von MTS L, macht gegen die Beklagten, die Schiffsmiteigentümer von MS T sind, Schadensersatzansprüche aus einer Schiffskollision geltend, die sich am 17.03.1989 im Revier von Bad Salzig, ereignet hat. MTS L befand sich auf der Talfahrt von Frankfurt nach Rotterdam und fuhr etwa in der Strommitte. MS T, das von dem Beklagten zu 1. verantwortlich geführt wurde, fuhr mit eingeschaltetem Funkellicht, das von MTS L erwidert wurde. rechtsrheinisch zu Berg. Auf MS T war die Autopilotanlage eingeschaltet. Während der Begegnung lief MS T nach Steuerbord aus dem Ruder. Es kam zu einer Kollision der Schiffe, deren Ursache zwischen den Parteien streitig ist.
Die Klägerin hat die Auffassung vertreten, in dein von dem Beklagten eingeleiteten Verklarungsverfahren sei nicht erwiesen worden, daß der Unfall auf einem Ausfall des Autopiloten beruhe; jedenfalls seien die dort festgestellten Verschmutzungen der Potentiometer den Beklagten zuzurechnen. Die Klägerin behauptet, der Matrose H habe MS T nicht rasch genug aufgestreckt und das Ruder auf Handbetrieb umgestellt.
Die Beklagten haben behauptet, MS T sei plötzlich nach Steuerbord ausgelaufen, weil die Autopilotanlage ausgefallen sei. Wegen des geringen Abstandes zwischen den beiden Schiffen sei es trotz Zurückschaltens der Maschine auf volle Kraft zurück und des Einschaltens des elektrischen Notrudersystems sowie des Umstellens auf das mechanische Notruder nicht gelungen, den richtigen Begegnungskurs zu halten. Der Unfall sei durch den nicht vorhersehbaren Ausfall des Autopiloten verursacht worden. Der nach dem technischen Defekt verbliebene Zeitraum habe für eine zum Erfolg führende Maßnahme des letzten Augenblicks nicht ausgereicht.
Das Rheinschiffahrtsgericht hat die Klage dem Grunde nach für gerechtfertigt erklärt. Die Berufung der Beklagten hatte Erfolg.
Aus den Entscheidungsgründen:
„....Die Beklagten sind für die Kollision ihres Schiffes mit MTS L nicht verantwortlich. Ihnen gereicht der Umstand, daß MS T aus dem Ruder lief, nicht zum Verschulden. Zwar ist zwischen den Parteien unstreitig, daß MS T bei der vereinbarten Begegnung Steuerbord/ Steuerbord aus dem Ruder lief und gegen MTS L geriet. Unter diesen Umständen spricht der Anscheinsbeweis für ein nautisches Fehlverhalten des Beklagten zu 1. Dieser muß sich dahin entlasten, daß
- die Ruderanlage zur Unfallzeit versagt hat,
- sie nach Konstruktion und Einbau tauglich war,
- sie sich vor der Kollision in ordnungsgemäßem Zustand befand,
- er unmittelbar vor dem Unfall keinen Ausfall führenden Bedienungsfehler begangen hat und
- er nach dem Ausfall der Anlage so schnell wie möglich auf Handruder umgestellt hat
(vgl. Bemm/Kortendick, Rheinschiffahrtspolizeiverordnung, Einführung Randziffer 117 und § 1.08 Randziffer 12 ff.).
Nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme steht fest, daß die Ruderanlage zur Unfallzeit versagt hat. Der Sachverständige K hat in seinem Gutachten gut nachvollziehbar dargelegt, daß die Potentiometer des Steuerhebels und des Ruderlagenrückmelders Verschmutzungen in der Form mechanischen Abriebs aufwiesen. Dadurch bedingt wurden von dem Ruderlagenrückmelder falsche Informationen über die Ruderlage an die Zentraleinheit im Steuerhaus gegeben. Die Zentraleinheit wiederum leitete falsche Reaktionen an den Elektromotor und die Ruder weiter.
Entgegen den Ausführungen in dem angefochtenen Urteil war der Beklagte zu 1. nach Auffassung des Senates vor dem Unfall nicht verpflichtet, das Schiff stillzulegen. Die von dem Sachverständigen festgestellte Fehlfunktion der Ruderanlage in ganz erheblichem Umfang war für ihn vorher nicht hinreichend vorhersehbar. Die Verschmutzungen der Potentiometer waren äußerlich nicht erkennbar. Sie konnten erst nach dem Öffnen der Gehäuse und dem Lösen von Schrauben festgestellt werden. Wie der Sachverständige K in dem in dem Verklarungsverfahren erstatteten Gutachten ausgeführt hat, ist ein Schiffsführer nicht in der Lage, derartige Verschleißerscheinungen selber festzustellen. Der Beklagte zu 1. war auch nicht gehalten, das Schiff wegen möglicherweise vor dem Unfall aufgetretener sprunghafter Bewegungen des Zeigers des Ruderlagenanzeigers oder Unregelmäßigkeiten bezüglich der Ruderlage um die Neutralstellung des Steuerhebels herum einer gründlichen Überprüfung durch eine Fachfirma oder einen Sachverständigen zu unterziehen. Die Anlage hat in der Vergangenheit mit Ausnahme einer Störung, die durch das Auswechseln eines Relais behoben worden ist und nicht zu Schäden geführt hat, ohne Beanstandungen funktioniert. Es ist nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme zwar nicht auszuschließen, daß ein Rucken des Ruderlagenanzeigers vor dem Unfall aufgetreten ist. Ein Schiffsführer kann aber daraus auch bei Anwendung der gehörigen Sorgfalt, wie der Sachverständige V in seinem Gutachten und in der mündlichen Verhandlung im einzelnen ausgeführt hat, nicht den Schluß ziehen, daß dies Auswirkungen auf die Pilotanlage hat oder überhaupt hierdurch eine Gefahr für die Sicherheit des Schiffes ausgelöst werden könnte. Hierfür bedarf es vielmehr elektrotechnischer Fachkenntnisse, über die ein durchschnittlicher Schiffsführer nicht verfügt. Ein Schiffsführer muß hei einem Rucken des Ruderlagenanzeigers nach Auffassung des Senates das Schiff jedenfalls dann nicht stillegen, wenn eine gravierende Störung wie ins vorliegenden Fall zum ersten Male aufgetreten ist.
Die Beklagten haben sich weiter dahin entlastet, daß die Ruderanlage nach Konstruktion und Einbau tauglich war. Nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme steht zwar fest, daß die Warnanlage bei dem Auftreten der Störung nicht angeschlagen hat und auch nicht anschlagen konnte. Bei der Anlage handelte es sich von der Konstruktion her um eine solche, die die Stromzufuhr vom Elektromotor der Ruderanlage und Autopiloten überwacht. Die Stromzufuhr war aber vor und bei Unfallgeschehen nicht unterbrochen. Bei der ersten Besichtigung nach dem Unfall ist die Zufuhr zum Fahrhebelpotentiometer durch das Ablöten des entsprechenden Kabels unterbrochen worden. Bei dem dadurch verursachten Stromausfall hat die Warnanlage angeschlagen. Sie war danach auch im Unfallzeitpunkt im Grundsatz funktionsfähig, konnte jedoch die aufgetretene Störung, die nicht mit einem Stromausfall einherhing. nicht erfassen und damit auch nicht melden. Es kann dahinstehen, oh eine solche Alarmanlage als konstruktionsbedingt mangelhaft anzusehen ist. Dies gereicht den Beklagten jedenfalls nicht zum Verschulden. Die Anlage ist von einer Fachfirma eingebaut und von der holländischen Schiffsuntersuchskommission abgenommen worden. Damit konnten sich die Beklagten auch in Ansehung des Umstandes, daß die Warnanlage bei einer früheren Störung angeschlagen hat, auf deren Funktionsfähigkeit verlassen.
Die Ruderanlage war vor dein Unfall, wie die Beweisaufnahme ergeben hat, auch im übrigen nach Konstruktion und Einbau in einem ordnungsgemäßen Zustand. Dein steht nicht entgegen, daß das Schiff mit Hydraulikruderanlage ausgerüstet ist. Auch eine elektrische Ruderanlage ist, wie der Sachverständige K in der mündlichen Verhandlung im einzelnen dargelegt hat, durchaus funktionstauglich. Wegen der im Vergleich zu einer hydraulischen Anlage geringeren Kraft des Elektromotors, der üblicherweise mit 1,36 bis 2 PS ausgelegt ist, ist es lediglich erforderlich, bei einem großen Ausschlag des Ruders die Kraft der Maschine zurückzunehmen. Es steht auch fest, das MS T mit einem gültigen Schiffsattest der Commissie van Deskundigen, Rotterdam, versehen war, das auch die Autopilotanlage umfaßt. Diese findet zwar in dem Schiffsattest keine ausdrückliche Erwähnung. Ausweislich eines Schreibens des Ministerie van Verkeer en Waterstaat vom 18.01. 1990 tragen die niederlländischen Behörden den Autopiloten nicht gesondert in das Schiffsattest ein. Der Autopilot von MS „Tivano" ist nach Mitteilung des Ministeriums von der Commissie van Deskundigen voor de Rijnvaart Rotterdam überprüft worden.
Nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme steht schließlich fest, daß der Zeuge H die Anlage nach dem Ausfall sofort auf das elektrische Notruder und - als dies nicht funktionierte - der Beklagte zu 1. das Ruder auf mechanische Steuerung ausgestellt hat. Das folgt aus den Bekundungen des Zeugen H und denen des Beklagten zu 1. im Verklarungsverfahren. Der Umstand., dass der Schiffsführer von MS „Tivano" zunächst das elektrische Notruder betätigt hat, ist nicht geeignet, ein Fehlverhalten zu begründen. Es ist, wie der Sachverständige K in der mündlichen Verhandlung erläutert hat, im Gegenteil aus nautischer Sicht sinnvoll, bei einem Ausfall des Autopiloten zunächst auf die elektrische Anlage umzuschalten, weil diese über mehr Kraft verfügt als das handbetriebene Notruder.
Nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme steht schließlich nicht fest, daß der Beklagte zu 1. nach dem Ausfall des Autopiloten andere nautische Fehler begangen hat. Das von ihm neben dein Umschalten auf Handruder veranlaßte Zurückschlagen der Maschine stellt kein nautisches Fehlverhalten dar. Zwischen den Parteien ist unstreitig, daß MS..Tivano", als es aus dem Ruder lief, einen Abstand von etwa 100 bis 150 in zu MTS L hatte. MS T fuhr mit einer Geschwindigkeit von etwa 10 km/ h. Die Geschwindigkeit von MTS L, das zu Tal und damit schneller fuhr. hat der Sachverständige K auf 20 km/h geschätzt. Diese Schätzung ist von den Parteien nicht angegriffen worden. Hierauf hat der Sachverständige gut nachvollziehbar einen Zeitraum zwischen dein Beginn des Ausschwenkens des Bugs von MS T und der Kollision von etwa 23 Sekunden errechnet, Allein das Umschalten beider Ruder nahm nach den Feststellungen des Sachverständigen einen Zeitraum von etwa 20 Sekunden in Anspruch, so daß auch durch das Zurückschalten der Maschine die Kollision weder verhindert noch deren Auswirkungen verringert werden konnten. Auch andere Manöver standen dem Schiffsführer von MS T als wirksame Maßnahme des letzten Augenblicks nicht zur Verfügung. Wie der Sachverständige K in seinem Gutachten vom 05.1 1.199 1 ausgeführt hat, hätte der eingetretene Schaden auch durch eine Verkleinerung der Motorendrehzahl und Verbringen der Ruder in Backbordhartlage sowie anschließendes Beschleunigen des Hauptmotors nicht verhindert werden können, weil der zur Verfügung stehende Zeitraum zu kurz war. Im Gegenteil konnte der Sachverständige nicht ausschließen, daß der Schadensumfang sich wegen der dann höheren Geschwindigkeit von MS T vergrößert hätte......."
Ebenfalls abrufbar unter ZfB 1994 - Nr.20 (Sammlung Seite 1498 f.); ZfB 1994, 1498 f.