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3 U 201/95 BSchRh - Oberlandesgericht (Rheinschiffahrtsobergericht)
Date du jugement: 27.09.1996
Numéro de référence: 3 U 201/95 BSchRh
Type de décision: Urteil
Language: Allemande
Juridiction: Oberlandesgericht Köln
Section: Rheinschiffahrtsobergericht

Leitsatz:

Beim Ausfall oder bei einer Störung des Hauptrudersystems muß der Schiffsführer unverzüglich das nach § 6.02 RheinSchUO vorgeschriebene zweite unabhängige Rudersystem - Notruder - betätigen.

Urteil des Oberlandesgerichts (Rheinschiffahrtsobergerichts) Köln

vom 27.09.1996

3 U 201/95 BSchRh

(Rheinschiffahrtsgericht Duisburg-Ruhrort)

Zum Tatbestand:

Die Klägerin ist Kaskoversicherer des TMS L (1.326 t, 925 PS). Sie macht aus abgetretenem Recht bzw. aufgrund gesetzlichen Forderungsübergangs nach Zahlung gemäß § 67 VVG Schadensersatzansprüche gegen den Beklagten aus einem Schiffsunfall vom 07:05.1993 geltend. Der Beklagte ist Eigner des MS A (600 t, 365 PS).
Am 07.05.1993 fuhr TMS L rechtsrheinisch mit blauer Seitentafel zu Berg. Bei der Ortslage Stürzelberg leitete es ein Überholmanöver zu dem MS R ein, dem es aufgelaufen war. Als beide Schiffe etwa auf gleicher Höhe waren, kam ihnen MS A als Talfahrer entgegen. Es war beladen und fuhr einen klaren Kurs zur Begegnung Steuerbord an Steuerbord, erwiderte auch die blaue Tafel des TMS „Lorette". Plötzlich verfiel MS „Atalante" nach Steuerbord und kam zu TMS L herüber. Dessen Schiffsführer versuchte noch ein Ausweichmanöver nach Backbord, konnte aber nicht verhindern, daß MS A mit seinem Steuerbordbug mittschiffs gegen die Steuerbordwand des TMS L stieß.
Der plötzliche Kursverfall von MS A war darauf zurückzuführen, daß die Kupplung des hydraulischen Ruderantriebs schadhaft war. Als der Beklagte dies bemerkte, schaltete er zunächst von Autopilotsteuerung auf Servolenkung um und als dies keine Wirkung zeigte, auf die elektrische Wegesteuerung und sodann auf Handbetrieb. Kurz vor der Kollision will er auch noch die elektrische Hilfspumpe eingeschaltet und die Maschine auf „voll zurück" gestellt haben.
Das Rheinschiffahrtsgericht hat die Schadensersatzklage abgewiesen. Die Berufung der Klägerin hatte Erfolg.

Aus den Entscheidungsgründen:

„Die Klage ist dem Grunde nach gerechtfertigt, was durch Grundurteil (§ 304 ZPO) auszusprechen war. Wegen des Höheverfahrens war die Sache gemäß § 538 Abs. 1 Ziff. 3 ZPO ans Rheinschiffahrtsgericht zurückzuverweisen; denn der Streit über den Betrag des Anspruchs ist noch nicht entscheidungsreif, da sich die Verhandlung bisher - wie in Schiffahrtssachen üblich - auf den Anspruchsgrund beschränkt hat.
Der Klägerin steht der geltend gemachte Schadensersatzanspruch gegen den Beklagten gemäß §§ 3, 4, 92 f., 114 BSchG, 823 BGB aus dem Grunde nach zu; denn der Beklagte hat den Schiffsunfall schuldhaft verursacht.

Wenn ein Schiff aus dem Kurs gerät, spricht bei einer darauf beruhenden Begegnungskollision der Anscheinsbeweis für falsche Ruderlegung bzw. mangelnde Wartung der versagenden Schiffseinrichtungen. Der Schiffsführer muß sich daher nach herrschender Meinung dahin entlasten, daß a) eine elektrische Ruderanlage nach Konstruktion und Einbau tauglich war, b) sie sich auch in der Zeit vor der Havarie in einem Zustand befunden hat, der es erlaubte, sie in Betrieb zu nehmen, c) bei ihrer Bedienung unmittelbar vor der Havarie keine Fehler gemacht worden sind, die zu ihrem Ausfall geführt haben,d) nach dem Ausfall der Anlage das Ruder so schnell wie möglich auf Handbetrieb umgestellt und in geeigneter Weise versucht worden ist, die Havarie mit Hilfe des handbetriebenen Ruders abzuwenden (vgl. Vortisch/Bemm, Binnenschiffahrtsrecht, 4. Aufl., § 92 a Rdnr. 9 sowie Bemm/von Waldstein, Rheinschiffahrtspolizeiverordnung, 3. Aufl., § 1.08 Rdnr. 12).
Diesen Entlastungsbeweis hat der Beklagte entgegen der Auffassung des Rheinschiffahrtsgerichts nicht geführt.
Allerdings war die Ruderanlage von MS A nach Konstruktion und Einbau tauglich. Der Vorratsbehälter des hydraulischen Systems war mit 60 % ausreichend gefüllt. Dem Beklagten kann auch - wie das Rheinschiffahrtsgericht zutreffend ausgeführt hat - nicht vorgeworfen werden, daß er die Schadhaftigkeit der Kupplung vor ihrem Ausfall nicht bemerkt hat.
Der Beklagte hat sich jedoch nicht entlastet, soweit es die Funktionstüchtigkeit der Notruderanlage und sein Verhalten nach der Feststellung des Ruderausfalls betrifft. Ob die elektrische Hilfspumpe mangelfrei war, konnte nicht festgestellt werden, weil der Beklagte kurz nach der Havarie eine neue leistungsstärkere Hilfspumpe hatte einbauen lassen. Das Rheinschiffahrtsgericht führt insoweit zu Recht aus, der Beklagte müsse sich die Unaufklärbarkeit des Zustandes des Hilfssystems nach den Grundsätzen der Beweisvereitelung zurechnen lassen. Der Senat vermag ihm allerdings nicht darin zu folgen, daß dem Beklagten ein Fehler der Hilfssteuerungsanlage nicht angelastet werden könne, weil diese von einem Fachunternehmen eingebaut und von der zuständigen Schiffsuntersuchungskommission abgenommen worden sei. Die Klägerin weist zutreffend darauf hin, daß die Anlage nach der Abnahme durch die Schiffsuntersuchungskommission verändert worden sein kann und erst die Feststellung eines konkreten Fehlers die Klärung ermöglicht, ob dieser dem Beklagten angelastet werden kann. Der Senat neigt auch der von dem Sachverständigen E vertretenen Meinung zu, daß das Notrudersystem in regelmäßigen Abständen auf seine Funktionsfähigkeit hin hätte kontrolliert werden müssen, da bei einem Ausfall der Hauptruderanlage gewährleistet sein muß, daß jedenfalls das Notsystem funktioniert und mit seiner Hilfe die drohende Havarie noch vermieden werden kann. Gerade deshalb ist in der RhSchUO zwingend vorgeschrieben, daß das Schiff über ein zweites unabhängiges Rudersystem verfügen muß, das unverzüglich - nach der derzeit gültigen Fassung der RhSchUO innerhalb von fünf Sekunden - in Betrieb gesetzt werden kann. Der Beklagte hat seinen Angaben zufolge die elektrische Hilfspumpe in den vergangenen Jahren nur ein einziges Mal benutzt, als das Hauptruder geschmiert wurde. Der Sachverständige hält dies nicht für ausreichend. Ob und in welchen Abständen das Notrufsystem hätte kontrolliert werden müssen, braucht der Senat im vorliegenden Fall aber nicht zu entscheiden, da die Kollision nicht auf einem Versagen des Notrudersystems beruht. Es ist nämlich davon auszugehen, daß der Beklagte die elektrische Hilfspumpe vor der Kollision überhaupt nicht eingeschaltet hat. Bei seiner polizeilichen Vernehmung am 08.05.1993 - also einen Tag nach der Havarie - hat er ausgesagt, er habe keine Zeit mehr gehabt, auf die elektrische Hilfspumpe umzuschalten. Auch die Ehefrau des Beklagten hat seinerzeit nichts über die Betätigung des Hilfssystems erwähnt. Erstmals im Verklarungsverfahren haben der Beklagte und seine Ehefrau angegeben, die Notruderanlage sei eingeschaltet worden. Die zeitliche Nähe spricht für die Richtigkeit der polizeilichen Aussagen. Der Beklagte hat anläßlich der Demonstration des Unfallhergangs bei der vom Senat vorgenommenen Versuchsfahrt auch eingeräumt, die elektrische Hilfspumpe wohl überhaupt nicht oder erst unmittelbar vor dem Zusammenstoß eingeschaltet zu haben, als sie - ihre Funktionstauglichkeit unterstellt - nichts mehr bewirken konnte.
Der Senat ist übereinstimmend mit dem Sachverständigen E der Auffassung, daß der Beklagte das Notrudersystem direkt nach dem Bemerken des Ruderversagens hätte in Betrieb nehmen müssen. Das in der RhSchUO vorgeschriebene, der Sicherheit des Schiffsverkehrs auf dem Rhein dienende zweite unabhängige Rudersystem hat nur einen Sinn, wenn es im Ernstfall - bei Feststellung des Ruderversagens und drohender Kollision mit einem anderen Schiff - auch benutzt wird, und zwar unverzüglich. Die Vorgehensweise des Beklagten, zunächst sämtliche Steuerungssysteme der Hauptruderanlage durchzuprobieren, ist fehlerhaft, da hierbei kostbare Zeit verloren geht, wie gerade auch die Berechnungen des Sachverständigen K in dem von dem Beklagten eingeholten Privatgutachten zeigen. Zwar mögen Schiffsführer dazu neigen, den Fehler zuerst in der Elektrik des Hauptrudersystems zu suchen. Dies vermag den Beklagen jedoch nicht zu entlasten, denn ein Schiffsführer muß im schlimmsten Fall damit rechnen, daß ein Fehler vorliegt, der zum Totalausfall des Hauptrudersystems geführt hat. Dann aber kann allein mit dem Notrudersystem gesteuert werden. Von daher erscheint es allein sachgerecht, dieses sofort einzusetzen, auch wenn es nicht so stark ist wie der Hauptantrieb; denn nach den Vorschriften der RhShUO muß es jedenfalls so leistungsfähig sein, daß eine genügende Manövrierfähigkeit des Schiffes sichergestellt ist.
Im vorliegenden Fall wären mit dem Einsatz der Hilfspumpen ohnehin keine derartigen Nachteile verbunden gewesen, da sie nach den eigenen Angaben des Beklagten und den bei der Versuchsfahrt getroffenen Feststellungen nicht etwa nur alternativ zur Hauptmaschine funktioniert, sondern lediglich zugeschaltet werden kann. Für den Fall, daß der Öldruck noch vom Hauptmotor aufgebaut werden konnte, der für den Ruderausfall ursächliche Fehler etwa im Bereich der Autopilotanlage aufgetreten war, hätte die bloße Zuschaltung der Hilfspumpe keine Einbuße hinsichtlich der Manövrierfähigkeit bewirkt. Allerdings kann das Notrudersystem nur mit dem vorgenannten „Handruder", dem großen Hebel links vom Steuerstand, bedient werden. Dieser wirkt aber auch auf das Hauptruder. Nach den bei der Versuchsfahrt getroffenen Feststellungen tritt auch bei Betätigung dieses Hebels die Wirkung auf das Ruder ohne nennenswerte Verzögerung ein. Nach alledem sind keine plausiblen Gründe zu erkennen, die einen Verzicht auf den alsbaldigen Einsatz des Notrudersystems rechtfertigen könnten.
Der Senat weicht mit seiner dargelegten Auffassung nicht von seiner bisherigen Rechtsprechung ab. Der seiner Entscheidung vom 07.05.1993 (ZfB 94, 1498 ff.) zugrunde liegende Sachverhalt weicht von dem vorliegenden Fall ab. Dort war nach dem Ausfall des Autopiloten zunächst auf das elektrische Notruder und erst danach auf das handbetriebene mechanische Notruder umgeschaltet worden, was aus nautischer Sicht als sinnvoll erachtet wurde. Bei dem auf MS A vorhandenen Notrudersystem handelt es sich aber gerade um eine elektrische Anlage, die nach den mit dem Sachverständigen E getroffenen Feststellungen über Batterien gespeist wird, und nicht etwa um ein rein mechanisch wirkendes Rudersystem. Der Beklagte hat hier somit nicht die in der damaligen Entscheidung als sachgerecht bezeichnete Maßnahme ergriffen. Dies gereicht ihm zum Verschulden.
Soweit sich der Beklagte darauf beruft, er habe über die Wirksamkeit der elektrischen Hilfspumpe mangels praktischer Erfahrungen keine genauen Vorstellungen gehabt, vermag ihn dies nicht zu entlasten. Es gehört zu den Pflichten des Schiffsführers, sich über die Bedienung und Wirkungsweise des auf seinem Schiff vorhandenen Notrudersystems genau zu informieren. Insbesondere muß er sich mit ihm so vertraut machen, daß er es bei einem plötzlichen Ruderausfall unverzüglich in Betrieb setzen kann. Dies hat der Beklagte seinem eigenen Vorbringen zufolge unterlassen.
Nach alledem ist davon auszugehen, daß der Beklagte die Kollision schuldhaft verursacht hat. Unter diesen Umständen trifft den Beklagten die Darlegungs- und Beweislast dafür, daß der Schiffsunfall auch dann nicht vermieden worden wäre, wenn es direkt nach Erkennen des Ruderausfalls die elektrische Hilfspumpe eingeschaltet hätte. Dieser Entlastungsbeweis ist ihm nach dem Ergebnis der Versuchsfahrt und den überzeugenden Ausführungen des Sachverständigen E nicht gelungen. Nach den eigenen Angaben des Beklagten betrug die Entfernung zwischen MS A und TMS L von Bug zu Bug ca. 200 m, bis zur Kollisionsstelle mitschiffs von TMS L also ca. 250 m, als der Beklagte den Ruderausfall bemerkte. Der Seitenabstand im Kurs betrug etwa 25 m. Bei einer Geschwindigkeit des zu Tal fahrenden MS A von 18 km/h und des Bergfahrers TMS L von 9 km/h näherten sich die Schiffe einander mit insgesamt 27 km/h. Nach den Berechnungen des Sachverständigen E vergingen daher bis zur Kollision noch 33,3 Sekunden. Nach Darstellung des Beklagten benötigte das damalige schwächere Hilfssystem von hart-Backbord bis hart-Steuerbord, also für insgesamt 100°, 50 Sekunden. Demgemäß hätte die hier zum Zeitpunkt des Ruderausfalls vorhandene Ruderlage von 10° Steuerbord binnen 5 Sekunden auf Null ausgeglichen werden können. Bei der Simulation des Unfallgeschehens, bei der mit Servolenkung gefahren wurde, weil das Notrudersystem nicht für sich allein ohne Abschaltung der Hauptmaschine in Betrieb genommen werden kann, wurde der geringeren Leistungsfähigkeit der damaligen Hilfspumpe dadurch Rechnung getragen, daß der Beklagte nach dem angenommenen Zeitpunkt des Bemerkens des Ruderausfalls die Position 10° Steuerbord 5 Sekunden beibehielt, bis er den Hebel auf Null zurückstellte. Bei beiden durchgeführten Versuchen wurde festgestellt, daß sich das Schiff nach Erreichen der Ruderlage Null innerhalb von nur wenigen Sekunden wieder auf altem Kurs befand. Nach Mitteilung der Wasserschutzpolizei betrug der seitliche Versatz des Buges von MS „Atalante` beim ersten Versuch ca. 40 - 50 m, beim zweiten Versuch ca. 25 m. Es kann offen bleiben, welcher der beiden Versuche exakt an der damaligen Unfallstelle vorgenommen worden ist; denn auch dann, wenn man annehmen wollte, daß der Bug von MS A bis zum Wirksamwerden des Notruders etwa 50 m nach Steuerbord verfallen wäre, hätte der Beklagte nicht den Nachweis erbracht, daß er den Unfall auch bei rechtzeitigem Einsatz des Notruders nicht hätte vermeiden können. Im Gegenteil hält es der Senat für wahrscheinlich, daß es dann nicht zu der Kollision gekommen wäre.
Hierbei ist zu berücksichtigen, daß sich die Havarie in der starken Rechtskurve des Rheins bei Stürzelberg ereignet hat, in der eine starke Strömung nach linksrheinisch herrscht und in der die Talfahrt ohnehin mit Steuerbordkurs fahren muß. Zudem hätte der Beklagte innerhalb der zur Verfügung stehenden Zeit von ca. 30 Sekunden mit dem Hilfssystem das Ruder nicht lediglich auf Null stellen, sondern darüber hinaus Backbordkurs geben können, was zu einer zusätzlichen Aufstreckung des Schiffes geführt hätte. Bedenkt man, daß der Bug von MS A erst mittschiffs mit TMS L kollidiert ist, so leuchtet ein, daß es entsprechend den Ausführungen des Sachverständigen E nur einer geringfügigen Gegensteuerung bedurft hätte, um eine berührungslose Begegnung der Schiffe zu ermöglichen.
Nach alledem hat der Beklagte den ihm obliegenden Entlastungsbeweis nicht geführt. Die Klägerin kann daher von ihm Ersatz der durch die Anfahrung von TMS L entstandenen Schäden beanspruchen. Dementsprechend war unter Abänderung des angefochtenen Urteils ein Grundurteil zu erlassen, wobei die Entscheidung über die Kosten des Berufungsverfahrens dem Rheinschiffahrtsgericht vorzubehalten war....."

Ebenfalls abrufbar unter ZfB 1997 - Nr.4 (Sammlung Seite 1623 ff.); ZfB 1997, 1623 ff.