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3 U 179/90 - Oberlandesgericht (Moselschiffahrtsobergericht)
Date du jugement: 29.10.1991
Numéro de référence: 3 U 179/90
Type de décision: Urteil
Language: Allemande
Juridiction: Oberlandesgericht Köln
Section: Moselschiffahrtsobergericht

Leitsätze:

1) § 6.28 Nr. 6 MoselSchPVO gilt für die „Einfahrt in die Schleuse" und also nicht für die gesamteAnnäherung an Schleusen im Ober- und Unterwasser.
2) Ein Schiffsführer braucht nicht mit schlechthin jedem Umsteuerversagen zu rechnen, insbesondere nicht mit einem solchen, bei dem das Fahrzeug entgegen dem Steuerbefehl nicht nur nicht rückwärts, sondern sogar voraus macht.

Urteil des Oberlandesgerichts (Moselschiffahrtsobergerichts) Köln

vom 29.10.1991

3 U 179/90 

(Moselschiffahrtsgericht St. Goar)

Zum Tatbestand:

Die Klägerin ist Eigentümerin der zur Bundeswasserstraße Mosel gehörenden Schleuse Zeltingen. Der Beklagten zu 1) gehört das Motorschiff B, das sich am 9. April 1988 unter der Führung des Beklagten zu 2) auf der Talfahrt auf der Mosel befand. Gegen 16.25 Uhr geriet das Fahrzeug im Oberwasser der Schleuse Zeltingen gegen das Schleusentor, das erheblich beschädigt wurde.

Die Klägerin nimmt die Beklagten auf Ersatz der Schäden in Anspruch und hat dazu wie folgt vorgetragen: Der Beklagte zu 2) habe nicht, obwohl er dazu die Möglichkeit gehabt habe, sein Fahrzeug frühzeitig so langsam an die Spundwand der Trennmole herangefahren, daß er durch Belegung der Poller mit Drähten sein Schiff habe abstoppen können, er habe erst unmittelbar am Halteschild das Umsteuer- bzw. Abstoppmanöver mit der Maschine eingeleitet. Er hätte bemerken müssen, daß die Schraube trotz des Rückwärtsmanövers voraus gedreht habe, auch habe er versäumt, sein Schiff auf den Ankern ständig zu machen.
Die Kosten für die Beschaffung eines neuen Schleusentores sowie für die Auswechslung hat die Klägerin auf 334 338,22 DM berechnet.

Die Beklagten haben behauptet, zu dem Unfall sei es nur gekommen, weil sich eine - funktionslose - Schraube im Getriebe gelöst und dieses beim Umsteuern blockiert habe. Deshalb sei das Fahrzeug, als der Beklagte zu 2) es rechtzeitig durch Zurücksteuern habe ständig machen wollen, mit verstärkter Fahrt gegen das Schleusentor gestoßen.

Das Moselschiffahrtsgericht hat die Klage dem Grunde nach für gerechtfertigt erklärt. Die Berufung der Beklagten hatte Erfolg.

Aus den Entscheidungsgründen:

„Das angefochtene Grundurteil kann keinen Bestand haben. Die Klage ist vielmehr abzuweisen, denn das für eine Haftung der Beklagten erforderliche Verschulden des Beklagten zu 2) (§§ 823 BGB, 3 BSchG) ist nicht festzustellen.

1. Das Versagen des Wendegetriebes - die Ursachen sind im einzelnen dargestellt im Gutachten des Sachverständigen Dr. E. im Verklarungsverfahren - gerät dem Beklagten zu 2) unstrittig nicht zum Vorwurf.

2. Es läßt sich entgegen der Darstellung der Klägerin aber auch nicht etwa feststellen, daß sich der Beklagte zu 2) - unter Verstoß gegen § 6.28 Nr. 1 MoSchPolVO - mit zu hoher Geschwindigkeit dem Schleusenvorhafen genähert hat; auch ist er nicht mit zu hoher Geschwindigkeit in den Schleusenvorhafen hineingefahren. Der Schiffsführer R. des nachfolgenden MS A, gegen dessen Glaubwürdigkeit Bedenken nicht bestehen, hat vor der Wasserschutzpolizei ausgesagt, daß MS B ungefähr in der Mitte der Fahrrinne des Vorkanals „sehr langsam" eingefahren sei. Dem entspricht es, daß die beiden Schiffe schon vorher „langsam" zu Tal gefahren sind, weil die Schiffsführer - so der Zeuge und auch der Beklagte zu 2) - über Funk erfahren hatten, daß die Schleuse Zeltingen nicht klar war.

3. Auch aus der Art des Anlegemanövers kann dem Beklagten zu 2) kein Vorwurf gemacht werden. Eine übermäßige Geschwindigkeit bei der Annäherung an die Mole und an den Poller ist nicht festzustellen. Der Zuruf seines Sohnes (über die Sprechanlage), er - der Beklagte zu 2) - solle doch „zurückmachen", gibt keinen Hinweis auf ein nautisches Fehlverhalten des Beklagten zu 2), weil sich daraus zum Maß der Geschwindigkeit nichts herleiten läßt. Das gilt - anders als die Klägerin meint - auch für die anschließende Wahrnehmung des Beklagten zu 2), daß die Maschine auf das Zurückschlagen des Schalthebels nicht oder nicht genügend auf rückwärts kam. Der nachfolgende Anstoß des Fahrzeugs an die Spundwand läßt Rückschlüsse auf die vor dem Anlegemanöver gefahrene Geschwindigkeit ebenfalls nicht zu, weil der Anstoß schon eine Folge des inzwischen eingetretenen technischen Versagens der Umsteueranlage war. Ohne den technischen Fehler hätte das Fahrzeug auf den vom Beklagten zu 2) ausgelösten Umschaltvorgang reagiert und wäre ausreichend ständig geworden, so daß der Sohn des Beklagten zu 2) den Draht hätte festmachen können; jedenfalls läßt sich das Gegenteil nicht feststellen. Der Zuruf des Sohnes und die Reaktion des Beklagten zu 2) während des Anlegemanövers bewegten sich im üblichen Rahmen eines solchen Vorgangs. - Der Sachverständige K. beurteilt die Verhältnisse insgesamt sogar dahin, daß MS B ohne weiteres durch kurzes Rückschlagen - die gewöhnliche Art des Abstoppens - ständig geworden wäre und bei Stillstand der Maschine auch per Draht hätte abgestoppt werden können.

4. Eine gesteigerte Sorgfaltspflicht des Beklagten zu 2), die er verletzt haben könnte, bestand hier nicht. Der Beklagte zu 2) brauchte nicht mit schlechthin jedem Umsteuerversagen zu rechnen, insbesondere nicht mit einem solchen, bei dem das Fahrzeug entgegen dem Steuerbefehl nicht nur nicht rückwärts, sondern sogar voraus machte.
Ob innerhalb der Schleusenkammer ein Schiffsführer seine Manöver unter „absolut" allen Umständen darauf einrichten muß (und überhaupt kann), daß er sein Fahrzeug mittels Drahtseilen oder Tauen sicher abzustoppen vermag, also unter Berücksichtigung auch der ungewöhnlichsten technischen Fehler, kann hier unentschieden bleiben. Die Klägerin stützt ihre dahingehende, in der letzten mündlichen Verhandlung geäußerte Auffassung auf § 6.28 Nr. 6 MoSchPo1VO. Die Vorschrift gilt indes nach ihrem Wortlaut für die „Einfahrt in die Schleuse" und also nicht für die gesamte Annäherung an die Schleusentore innerhalb von Oberund Unterwasser. Eine extensive Auslegung der Vorschrift und ihrer Ausdehnung auch auf diese Annäherungsbereiche, wie sie das Moselschiffahrtsgericht im angefochtenen Urteil vorgenommen hat, verbieten sich bereits deshalb, weil die Vorschrift vor der Schleusenkammer nicht praktizierbar wäre, wollte man nicht jedes Schiff, einen Mann mit den Drähten außenbords, eng an den Molen entlangschicken. Dem entspricht es, daß die Klägerin selbst in der Berufungserwiderung die Meinung vertreten hat, daß dem Schutzzweck, den § 6.28 Nr. 6 MoSchPolVO für die Schleusentore verfolge, im Bereich der Vorschleuse mit dem Gebot des § 6.28 Nr. 1 MoSchPolVO hinreichend Rechnung getragen werde; vor Stößen von außerhalb würden die Schleuseneinrichtungen bereits damit ausreichend geschützt, daß die Fahrzeuge bei der Annäherung an die Schleusenvorhäfen ihre Fahrt verlangsamen müßten und, sofern sie nicht sogleich in die Schleuse einfahren dürften, wenn am Ufer das Tafelzeichen B 5 aufgestellt sei, vor diesem anzuhalten hätten; der Schutz der Schleuseneinrichtungen sei bei Beachtung der Bestimmungen des § 6.28 Nr. 1 MoSchPolVO bereits dadurch hinreichend gewährleistet, daß sich das Halteschild in ausreichend sicherer Entfernung vom Schleusentor befinde, so daß eine Gefährdung der Einrichtung der Schleuse bei Beachten dieses Haltegebotsschildes ausgeschlossen sei. - Im vorliegenden Fall betrug diese Entfernung, entlang der Mole gemessen, mindestens 96 Meter.

5. Die mehrfache Betätigung des Schalthebels auf die Stellung „Fahrt rückwärts" gereicht dem Beklagten zu 2) ebenfalls nicht zum Vorwurf. Die Auswirkungen des vom Sachverständigen Dr. E. festgestellten Schadens (Blockierung des Wendegetriebes) waren weder - wie regelmäßig bei anderen Schäden an Maschine oder Getriebe - akustisch noch visuell wahrnehmbar. Der Sachverständige K. berichtete aufgrund langjähriger Praxis und für jedermann einleuchtend, daß in diesen anderen Fällen nicht zu überhörende Geräusche dem Schiffsführer sofort zeigen, was geschehen ist. Daran fehlte es hier. Aber auch die von der Klägerin vermuteten anderen Hinweise auf die falsche Drehrichtung von Welle und Schraube gab es hier nicht. Weil die - nicht umsteuerbare - Maschine selbst unverändert in derselben Richtung (weiter-)dreht, ist das Geräusch- und Vibrationsverhalten des Schiffes selbst bei hoher Tourenzahl (750 Touren) für Voraus- und für Rückwärtsfahrt gleich. Auch die beim Wechsel der Schraubendrehung außerhalb des Schiffkörpers im Wasser auftretenden Strömungsänderungen wurden hier nicht in einer Weise oder innerhalb eines solchen kurzen Zeitraums für den Beklagten zu 2) sichtbar, daß er bei seinen kurzzeitigen Stößen auf „zurück" aus dem Fehlen der seitlichen Aufwirbelungen im Wasser seine Situation sogleich hätte erkennen können und deshalb - wie die Klägerin es meint - nur ein- oder zweimal hätte zurückschlagen dürfen. Der Sachverständige hat in seinem Gutachten festgehalten, daß bei halber Kraft zurück das Schraubenwasser erst nach 45 Sekunden an der Seite sichtbar wurde. Daß der Beklagte zu 2) mit „voller Kraft" umgesteuert hätte, will die Klägerin inhalts der Berufungserwiderung selbst nicht behaupten.

6. Dem Beklagten zu 2) kann schließlich nicht zur Last gelegt werden, daß er nach dem infolge des technischen Versagens des Wendegetriebes mißlungenen Anlegemanöver sein Schiff nicht doch noch vor dem Schleusentor hat ständig bekommen oder jedenfalls seine Fahrt hat verlangsamen können.
Für den Beklagten zu 2) gab es nach dem Abprallen des Schiffes von der Spundwand schon objektiv keine Möglichkeit mehr, das Fahrzeug ständig zu machen. Das bloße Abschalten der Maschine bewirkte keine Veränderung gegenüber dem Weiterlaufen der Maschine im Leerlauf. Theoretisch blieb danach als Möglichkeit allenfalls ein Ankermanöver. Nach den überzeugenden Ausführungen des Sachverständigen K., denen die Klägerin auch in diesem Punkte nicht entgegengetreten ist, hätte jedoch jedes Ankersetzen wegen der Beschaffenheit des Ankergrundes vor dem Schleusentor (im vorderen Bereich Steinpflasterung, im hinteren Steinschüttung) nicht zum Erfolg geführt, sondern allenfalls zu einer gewissen Fahrtverminderung, welche aber nicht zu ermitteln ist. Danach kann es offenbleiben, ob bei besserem Ankergrund das Unterlassen des Ankermanövers als Fahrlässigkeit des Beklagten zu 2) zu werten gewesen wäre, da der Beklagte zu 2) möglicherweise doch die Wirkung des Bugankers wegen der erwarteten geringen Wassertiefe als unwirksam und jedes Ankersetzen überhaupt wegen des erheblichen zeitlichen und technischen Aufwandes (vgl. die diesbezügliche eingehende Darstellung im Gutachten des Sachverständigen) als von vornherein sinnlos hätte ansehen dürfen...."


Ebenfalls abrufbar unter ZfB 1992- Nr.22 (Sammlung Seite 1396 f.); ZfB 1992, 1396 f.