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Leitsatz:
Wenn infolge einer durch ein Schiff verursachten Schleusenbeschädigung andere Schiffe in einem Hafen „eingesperrt" sind, haben deren Schiffseigner wegen der Ausschaltung der Schiffe als Transportmittel und der darin zu erklickenden Beeinträchtigung der Eigentumsnutzung Anspruch auf Ersatz des Ausfallschadens. Es kommt nicht auf den Verlust jeder Bewegungsmöglichkeit an, sondern darauf, ob eine sinnvolle wirtschaftliche Verwendung der Fahrzeuge unmöglich wird.
Urteil des Oberlandesgerichts - Schiffahrtsobergericht - in Köln
vom 29. April 1975
3 U 168/74
(Schifffahrtsgericht Duisburg-Ruhrort)
Zum Tatbestand:
Ein der Beklagten zu 1 gehörendes, vom Beklagten zu 2 geführtes Motortankschiff war am 7. 8. 1972 gegen die Schiebetorbrücke und das Untertor der Schleuse Raffelberg gefahren. Weil die dadurch beschädigte Schleusenanlage vom 8. bis 22. August 1972 nicht benutzt werden konnte, war mehreren im Hafen Mülheim/Ruhr befindlichen Schiffen die Ausfahrt nicht möglich. Verschiedene Eigner erhoben Schadensersatzklagen gegen die Beklagten wegen Nutzungsverlustes.
U. a. verlangt die Klägerin als Schiffseignerin des im Hafen beladenen, aber an der Ausfahrt gehinderten MS „Poney" einen Betrag von über 4500,- DM.
Die Beklagten haben die Schadensersatzpflicht bestritten, weil die zeitweilige Nichtbenutzbarkeit des klägerischen Schiffes weder auf einer Eigentumsverletzung noch auf einem entschädigungspflichtigen Eingriff in den Gewerbebetrieb beruhe.
Der Gemeingebrauch an der Schleuse sei zwar beeinträchtigt, gehöre aber nicht zu den Rechtsgütern im Sinne des § 823 Abs. 1 BGB. Außerdem habe das Schiff noch ca. 10 km Bewegungsfreiheit auf der Ruhr behalten und die Möglichkeit zu Transporten auf dieser Strecke gehabt. Auch liege kein nautischer Fehler bei der Anfahrt des Schleusentores vor, die vielmehr auf das plötzliche Versagen der Umsteuervorrichtung zurückzuführen sei.
Schiffahrts- und Schiffahrtsobergericht haben der Klage stattgegeben. Letzteres hat die Zulassung der Revision abgelehnt, weil die Entscheidung der Rechtsprechung des BGH entspreche und der Rechtsstreit nicht von grundsätzlicher Bedeutung sei.
Aus den Entscheidungsgründen:
„...
Das Schiff als solches ist zwar nicht beschädigt worden. Es ist jedoch anerkannten Rechts, daß die Verletzung des Eigentums an einer Sache nicht nur durch eine Beeinträchtigung der Sachsubstanz, sondern auch durch eine sonstige die Eigentümerbefugnisse treffende tatsächliche Einwirkung auf die Sache erfolgen kann (vgl. Soergel-Zeuner, BGB, 10. Aufl., § 823 Rdnr. 24; BGB-RGRK, 11. Aufl., § 823 Anm. 15; Larenz, Lehrbuch des Schuldrechts II Bd., 9. Aufl., S. 407). So hat der Bundesgerichtshof in seinem Urteil vom 21. 12. 1970 - 11 ZR 133/68 - (ZfB 1/72 = NJW 1971, 886) eine Eigentumsverletzung darin erblickt, daß ein Schiff infolge eines von dem Unterhaltspflichtigen des schiffbaren Gewässers verursachten Hindernisses für längere Zeit in einem Teil des Gewässers eingeschlossen und damit „als Transportmittel praktisch ausgeschaltet" war. Eine entsprechende Sachlage ist hier gegeben.
...
Für die Frage der Eigentumsverletzung ist es ohne Belang, daß nicht - wie in dem vom BGH konkret entschiedenen Fall - der Träger der Unterhaltungspflicht an dem schiffbaren Gewässer, sondern ein Hafenbenutzer das Hindernis herbeigeführt hat. Eine Eigentumsverletzung durch Herbeiführen eines Hindernisses, das einem Schiff für längere Zeit die Möglichkeit der Weiterfahrt nimmt, kann selbstverständlich nicht nur von dem Unterhaltspflichtigen des jeweiligen Gewässers, sondern auch von einem Dritten, insbesondere von einem Teilnehmer am Schiffsverkehr, begangen werden. Die Eigentumsverletzung ist immer dem zuzurechnen, der das Hindernis verursacht hat. Das ist hier der Zweitbeklagte.
Zu Unrecht meinen die Beklagten, der Kläger sei nur in der Ausübung des jedem Schiffahrttreibenden zustehenden, aber nicht als „sonstiges Recht" im Sinne des § 823 Abs. 1 BGB anerkannten Gemeingebrauchs an der Wasserstraße beeinträchtigt worden. Dieser Gesichtspunkt trifft bei der Sperrung einer Schleuse für die Schiffe zu, die sich außerhalb des Schleusenbereichs befinden und nun wegen der Sperrung die Schleuse nicht anfahren können und daher eine andere Route wählen müssen (vgl. BGH a.a.O.). Der Kläger aber befand sich mit seinem Schiff in dem der Schleuse vorgelagerten Hafen, den er wegen der unfallbedingten Sperrung der Schleuse nicht mehr verlassen konnte. Er war also nicht bloß an der Ausübung des Gemeingebrauchs an dem schiffbaren Gewässer, sondern am Verlassen des Hafens und damit an der wirtschaftlichen Nutzung seines Fahrzeugs gehindert.
Die Beklagten können dem nicht mit Erfolg entgegenhalten, daß der Kläger nach der Sperrung der Schleuse noch eine schiffbare Strecke von etwa 10 km zur Verfügung gehabt habe. Die Nutzbarkeit eines Frachtschiffs beurteilt sich nicht nach theoretisch-physikalischen, sondern nach praktisch-wirtschaftlichen Gesichtspunkten. Wenn in der erwähnten Entscheidung des BGH von dem Verlust „jeder Bewegungsmöglichkeit" die Rede ist, so darf das nicht buchstäblich verstanden werden. Es kann nicht darauf ankommen, ob das eingesperrte Schiff sich innerhalb der Einsperrung noch ein paar Meter, ein paar hundert Meter oder gar ein paar Kilometer bewegen kann. Entscheidend ist vielmehr, ob eine sinnvolle wirtschaftliche Verwendung des Schiffs möglich bleibt. Der Massengüterverkehr, dem die Frachtschiffahrt dient, findet nicht auf derart kurze Entfernungen statt. Das Schiffahrtsgericht hat sich mit dieser Erfahrungstatsache nicht begnügt, sondern konkret ermittelt, welche Betriebe in dem Hafengebiet ansässig sind, in dessen Bereich der Kläger sich nach der Sperrung der Schleuse mit seinem Fahrzeug noch bewegen konnte. Es hat sich nichts dafür ergeben, daß zwischen einzelnen dieser Firmen Handelsbeziehungen bestehen, die innerhalb des Hafens auf dem Wasserwege abgewickelt werden. Sollte eine der Firmen die andere beliefern, so kann nur angenommen werden, daß dies auf dem Landwege durch Lastkraftwagen oder über die vorhandenen Gleisanschlüsse durch die Hafenbahn geschieht. Dagegen ist schon wegen der Kosten und der technischen Schwierigkeit des Beladens und Entladens mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit auszuschließen, daß jemand Güter innerhalb des Hafenbereichs für nur wenige Kilometer zu Schiff befördern läßt. Die Beklagten haben nichts vorgetragen, um ihre Behauptung, der Kläger hätte das Schiff innerhalb der 10-km-Strecke wirtschaftlich sinnvoll nutzen können, näher zu substantiieren.
Die in der „Einsperrung" des Schiffs zu erblickende Beeinträchtigung der Eigentümerbefugnisse des Klägers geht angesichts ihrer Dauer wesentlich über das Maß derjenigen Beeinträchtigungen hinaus, die ein Schiffahrttreibender unter den heutigen Verhältnissen gewissermaßen als „verkehrs-adäquat" in Kauf nehmen muß. Es wäre unbillig, die wirtschaftlichen Folgen eines mehrwöchigen Nutzungsausfalls nicht dem Verursacher, sondern dem betroffenen Schiffseigner aufzubürden.
Der Zweitbeklagte hat die schädigende Einwirkung auf das Eigentum des Klägers zu vertreten (§§ 276 BGB, 7 Abs. 1 BSchG). Er hat - selbst wenn man ein plötzliches Versagen der Umsteueranlage unterstellt - fahrlässig die in § 6.288 BSchSO normierte Pflicht verletzt, bei der Einfahrt in die Schleusenkammer dafür zu sorgen, daß das Fahrzeug auch ohne Maschinenkraft rechtzeitig angehalten werden konnte. In der Berufungsverhandlung haben die Beklagten ein entsprechendes Verschulden des Zweitbeklagten nicht mehr in Abrede gestellt, so daß dieser Punkt als unstreitig angesehen werden kann.