Banque de données de juriprudence
Leitsätze:
1. Schiffseigner und Schiffsführer eines Tankschiffes müssen sich Mängel im Sicherheitssystem einer Verladeanlage insoweit als Verschulden gegen sich selbst zurechnen lassen, als sie es versäumen, in Kenntnis solcher Mängel Maßnahmen zur Schadensvermeidung zu treffen.
2. Ein Fehlverhalten Dritter unterbricht den Zurechnungszusammenhang nur dann, wenn der weitere Schaden durch ein völlig ungewöhnliches und unsachgemäßes Verhalten des Dritten ausgelöst worden ist, da unter solchen Voraussetzungen zwischen zwei Schadensbeiträgen bei wertender Betrachtung nur ein äußerlicher, gleichsam „zufälliger" Zusammenhang besteht und dem Erstschädiger ein Einstehenmüssen auch für diese Folgen deshalb billigerweise nicht mehr zugemutet werden kann.
(Von der Schriftleitung formulierte Leitsätze)
Urteil des Oberlandesgerichts (Rheinschifffahrtsobergericht) Köln
vom 07.02.2006
3 U 159/05 BSchRh; (Vorinstanz: AG Duisburg-Ruhrort, Rheinschifffahrtsgericht, vom
12.09.2005 — 5 C 4/04 BSch)
Vorschriften: BGB §§ 254, 823 Abs. 1 und 2; RheinSchPV §§ 6.20 Nr. 1 b), 7.08;
BinSchG; §§ 3, 92 Abs. 2, 92 b), 92 c), 92 f)
Im vorliegenden Rechtsstreit geht es u.a. um die Zurechenbarkeit eines Schadens, der auf einem Tankmotorschiff eintrat, als ein Festmachedraht während des Löschvorgangs im Zuge der Vorbeifahrt eines Talfahrers riss.
Tatbestand und Entscheidungsgründe:
Die Klägerin, Eignerin des MTS „W.", macht Schadensersatz in Höhe von 110.449,13 € gegen die Beklagte zu 1) als Ausrüsterin des MTS „L." und den Beklagten zu 2) als dessen Schiffsführer aus einem Unfall am 21.04.2003 an der Verladeanlage der Firma B. in Krefeld-Uerdingen bei Rhein-km 766 geltend. Zur Unfallzeit lagen im Bereich der linksrheinisch in einer Rheinkrümmung gelegenen Verladeanlage MTS „W." und vier weitere Tankschiffe. Bei MTS „W." wurde eine Ladung Anilin gelöscht, als gegen 15.00 Uhr das beladene MS „H.H." und weiter rechtsrheinisch MTS „L". zu Tal vorbeifuhren. Im Zuge dieser Vorbeifahrt riss bei MTS „W." ein Draht; der Verladearm der Verladeanlage wurde aufgrund der Bewegung des Schiffes im Wege der Nottrennung automatisch vom Schiff getrennt. Dabei schloss sich der an dem Verladearm im Bereich der Trennstelle befindliche Kugelarm und damit die Rohrleitung zum Land hin. Der auf der Tankleitung des Schiffes verbliebene Kugelhahn blieb bis zu 3/4 geöffnet, so dass Anilin in hoher Fontäne auf das Schiff, die Verladebrücke und auf die angrenzende Straße gesprüht wurde, bis der Schiffsführer „H." nach 39 Sekunden im Vorschiff die Stromzufuhr für die Pumpe abgestellt und den Generator ausgeschaltet hatte. Obwohl er sich — als Wache eingeteilt und mit einem Schutzanzug bekleidet — im Unfallzeitpunkt nur zwei Meter entfernt von einem Notausschalter aufhielt, lief er nicht durch den Anilinregen zu diesem Schalter, sondern zum Vorschiff. Infolge des Anilinaustritts waren erhebliche Reinigungs- und Reparaturmaßnahmen an MTS „W." erforderlich. Die hierfür entstandenen Kosten gem. kontradiktorischer Schadenstaxe sowie Expertisekosten, Nutzungsverlust und Parteiauslagen sind Gegenstand der Klage.
Die Klägerin hat im 1. Rechtszug ihren Anspruch mit dem Hinweis auf die ihres Erachtens überhöhte und dem herrschenden Niedrigwasser nicht angepasste Geschwindigkeit des zu Tal fahrendenMTS „L." begründet. Die Fahrweise habe den Bruch des Laufdrahts bei MTS „W." und die Nottrennung des Verladearms ausgelöst.
Gegenüber diesem Vortrag der Klägerin und ihrer Streithelfer haben die Beklagten eine nachteilige Wirkung des von ihrem Schiff ausgehenden Sogs und Wellenschlags auf MTS „W." bestritten. Das MS „H.H.", das von MTS „L." auf seiner Steuerbordseite überholt worden sei, habe wie eine Barriere gegen den von MTS „L." erzeugten Wellenschlag gewirkt. Außerdem hielten die Beklagten der Umschlagsanlage einen schweren Organisationsmangel vor; weil die Nottrennvorrichtung nur den landeitigen, nicht aber zugleich den schiffseitigen Teil des Verladearms verschlossen habe. Ferner warfen sie der Klägerin vor, dass der Schiffsführer des MTS „W." die Schiffspumpen nicht rechtzeitig abgestellt habe.
Das Rheinschifffahrtsgericht hat den Vortrag der Klägerin und ihrer Streithelfer durch die Aussagen der Zeugen im Verklarungsverfahren bestätigt gesehen und der Klage, die Beklagten gesamtschuldnerisch zum Ersatz des durch das Unfallereignis vom 21.04.03 an MTS „W." entstandenen
Schadens zu verpflichten, dem Grunde nach stattgegeben. Die gegen das Grundurteil eingelegte Berufung blieb ohne Erfolg.
Der erkennende Senat bejaht gem. § 823 Abs. 1, 2 BGB iVm. § 6.20 Nr. 1 b) Rhein- SchPV die Haftung des Beklagten zu 2) für den am Schiff entstandenen Schaden. Diesen habe der Beklagte zu 2) durch überhöhte Geschwindigkeit des von ihm geführten MTS „L." schuldhaft verursacht. Das Berufungsgericht kommt aufgrund des Ergebnisses des Verklarungsverfahrens und der im Parallelverfahren durchgeführten Beweisaufnahme zu der Überzeugung, dass die Beklagte zu 2) die Gefahrenlage vorhersehen konnte und die Folgen der überhöhten Geschwindigkeit während der Vorbeifahrt für das mit der Verladeanlage verbundene Schiff in Rechnung stellen musste. Das Berufungsgericht schließt ein Mitverschulden der Klägerin gern. § 254 BGB bzw. §§ 92 Abs. 2, 92 c, 92 f BinSchG aus.
Das MTS „W." sei ordnungsgemäß befestigt gewesen. Ein etwaiger Mangel des Sicherheitssystems der Umschlagsanlage könne der Klägerin als Schiffseignerin nicht zugerechnet werden, weil — so das Berufungsgericht — auch der schiffsseitige Anschluss an den Verladearm und die an Bord installierten Notausschalter zu der Verladeanlage der B.
gehörten und damit in deren Verantwortungsbereich fielen. Ein insoweit von den Beklagten geltend gemachtes Verschulden der B. habe der Klägerin nicht angelastet werden dürfen. Dagegen habe sich die Klägerin Mängel im Sicherheitssystem der Verladeanlage insoweit als Verschulden gegen sich selbst zurechnen lassen müssen, als sie in Kenntnis solcher Mängel Maßnahmen zur Schadensvermeidung treffen musste.
Ein solches Verschulden hält das Berufungsgericht aber auch nach dem Beklagtenvortrag
nicht für gegeben. Denn die Beklagten selbst hätten es grundsätzlich als ausreichend angesehen, dass an Bord von MTS „W." drei Notausschalter installiert waren und ein Wachmann eingeteilt war, der sich - mit Schutzausrüstung bekleidet - in einer Entfernung von zwei Metern von einem Notausschalter aufzuhalten hatte, um die Pumpen in einer Zeit von 1-2 Sekunden abschalten zu können.
Das Berufungsgericht verneint ebenso ein zurechenbares Mitverschulden des Schiffsführers „H.". Der Senat vermochte nicht mit der erforderlichen Sicherheit festzustellen, dass der Schiffsführer in der Lage gewesen wäre, die Gefahr so rechtzeitig zu erkennen, um den Notausschalter vor der Nottrennung des Verladearms noch rechtzeitig bedienen zu können. Das Berufungsgericht stützt sich bei dieser Würdigung auf die Aussagen des Schiffsführers
im Verklarungsverfahren. Danach habe er sich zur Unfallzeit in dem Bereich des Schiffes aufgehalten, in dem sich die Manometer befinden. Er sei deshalb dort gewesen, weil eine Kammer fast geleert und auf dem Manometer der Zeitpunkt der Vollendung der Leerung erkennbar gewesen sei, so dass dann die Pumpen hätten abgestellt werden müssen. Er habe von dort gesehen, wie sich MS „H.H." in ca. 700 m Entfernung in Talfahrt genähert habe. Er habe dann beobachtet, wie ein leeres Schiff (MTS „L.") auf der Steuerbordseite des MS „H.H." zum Überholen angesetzt habe. Weil MTS „W." nach seiner Meinung so festgemacht war, dass nichts passieren konnte, habe er diesem Vorgang zunächst keine Bedeutung beigemessen.
Als beide Schiffe in Höhe von MTS „W." gewesen seien und der Bug von MS „H.H." sich etwa in der Mitte von MTS „L." befunden habe, habe er eine deutliche Heckwelle von MTS „L." beobachtet, das in einem seitlichen Abstand von ca. 60-70 m zu MTS „W." gefahren sei. Beim Auftreffen der Heckwelle auf MTS „W." sei sein Schiff nach seiner Einschätzung ein
Meter hochgegangen und dann wieder heruntergefallen. Das hätte den Bruch des Laufdrahts und im selben Moment den Abriss des Ladearms verursacht. Daraufhin sei er zum Vorschiff gelaufen und habe dort die Stromzufuhr für die Pumpe und den Generator abgestellt.
Das Berufungsgericht sieht auch darin, dass der Schiffsführer nicht bereits bei Annäherung der Heckwelle die Notausschalter bedient habe, keine Verletzung der Sorgfaltspflicht. Er habe auf die ordnungsgemäße Befestigung seines Schiffes vertrauen dürfen. Es erkennt keine Anhaltspunkte dafür, dass der Schiffsführer den weiteren Ablauf des Geschehens zu diesem Zeitpunkt bereits vorhersehen konnte. Es sieht sich ferner außerstande festzustellen, ob der Schiffsführer nach der durch die Welle verursachte Auf- und Abbewegung seines Schiffes und nach dem akustischen Warnsignal bis zur Nottrennung des Verladearms noch mehr Zeit als die ihm zuzubilligende „Schrecksekunde" und eine Reaktionszeit zur Verfügung hatte, um den zwei Meter entfernten Notausschalter vor dem Einsetzen des Anilinregens zu bedienen. Das Berufungsgericht stützt sich dabei auf die Beobachtung eines Steigerwarts an Land, demzufolge sich der Vorfall vom Auslösen des Alarms bei der ersten Schiffsbewegung bis zur Trennung des Verladearms im Sekundenbereich abgespielt habe. Der vom Zeugen wiedergegebene Eindruck, der Schiffsführer sei zunächst „wie versteinert" stehengeblieben, lässt nach Ansicht des Berufungsgerichts nicht den Schluss zu, dass der Schiffsführer schuldhaft gezögert habe, vor Austritt des Anilinregens den Notausschalter zu betätigen. Der Senat hält es daher nicht für ausgeschlossen, dass der Schiffsführer bis zum Austritt des Anilinregens keine Möglichkeit hatte, den Notausschalter zu betätigen. Dass er während des Produktaustritts nicht durch den Anilinregen gelaufen sei, um den Schalter zu erreichen, sondern sofort zum Vorschiff, um nach ca. 35 Sekunden die Pumpe dort abzuschalten, sei ihm mit Blick auf die plötzlich auftretende Gefahrenlage nicht vorzuwerfen. Dem stark ätzenden Produktregen ausgesetzt zu sein, hätte für ihn trotz des Schutzanzuges eine erhebliche Gesundheitsgefährdung dargestellt.
Das Berufungsgericht kommt damit zu dem Ergebnis, dass weder ein Verstoß des Schiffsführers gegen § 7.08 Rhein- SchPV noch gegen § 40 AHVO (Allgemeine Hafenverordnung) bewiesen sei
Der erkennende Senat führt weiter aus:
Die Haftung für die an MTS „W." infolge des Austritts von Anilin entstandenen Schäden sei - entgegen der Auffassung der Beklagten - nicht wegen einer Unterbrechung des Zurechnungszusammenhangs ausgeschlossen. Dies gelte auch dann, wenn das Sicherheitssystem der Anlage lückenhaft war, weil es nicht verhindert habe, dass bei der Nottrennung Anilin ungehindert austreten konnte. In der Regel unterbreche ein Fehlverhalten Dritter den Zurechnungszusammenhang nicht. Eine Unterbrechung sei nur dann anzunehmen, wenn der weitere Schaden durch ein völlig ungewöhnliches und unsachgemäßes Verhalten des Dritten ausgelöst worden ist, da unter solchen Voraussetzungen zwischen den beiden Schadensbeiträgen bei wertender Betrachtung nur ein äußerlicher, gleichsam „zufälliger" Zusammenhang bestehe und dem Erstschädiger ein Einstehenmüssen auch für diese Folgen deshalb billigerweise nicht mehr zugemutet werden könne (vgl. BGH NJW 2000, 947, 948). Diese Voraussetzungen seien hier nicht erfüllt. Ein grobes Verhalten der B. bei der Sicherung der Entladung des gefährlichen Anilins könne
nicht angenommen werden, da die Anlage nach Feststellungen des beteiligten Sachverständigen behördlich genehmigt gewesen sei und ordnungsgemäß funktioniert habe. Auch das Verhalten des Schiffsführers „H." sei keineswegs völlig ungewöhnlich, sondern komme erfahrungsgemäß in solchen plötzlich auftretenden gefährlichen Situationen vor.
Da gerade diese Gefahrensituation von dem Beklagten zu 2) geschaffen worden sei, habe er den dadurch entstandenen Schaden zurechenbar verursacht. Die Adäquanz des Kausalverlaufs auch hinsichtlich der durch das ausgetretene Anilin verursachten Schäden sei damit zu bejahen.
Die Haftung der Beklagten zu 1) für das Verschulden des Beklagten zu 2) folge aus §§ 3, 92 Abs. 2, 92 b) BinSchG.
Die Voraussetzungen des § 92 c) Bin-SchG verneint der Senat, da aus den dargelegten Gründen ein Mitverschulden des Schiffsführers H. nicht bewiesen sei.
Ebenfalls abrufbar unter ZfB 2006 - Nr.3 (Seite 53f.); ZfB 2006, 53 f.