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Leitsatz:
Im Geltungsbereich der „geregelten Begegnung" (§ 9.02 RheinSchPVO) sind nicht nur die Kurse so weit nach Steuerbord zu richten, daß die Vorbeifahrt ohne Gefahr Backbord an Backbord stattfinden kann; es gilt auch und erst recht das Verbot der plötzlichen Kursänderung (§ 6.03 Nr. 3 RheinSchPVO).
Urteil des Oberlandesgerichts (Rheinschiffahrtsobergerichts) Köln
vom 23.2. 1990
3 U 13/88
(Rheinschiffahrtsgericht Duisburg-Ruhrort)
Zum Tatbestand:
Der klagende Versicherungsverein macht aus übergegangenem Recht Schadensersatzansprüche der Interessenten von KMS „S" aus einer Begegnungskollision mit MTS „E" geltend, die sich am 27. 2. 1985 auf dem Rhein im Revier oberhalb von Emmerich kurz vor 21.00 Uhr ereignet hat. MTS „E" befand sich auf der Bergfahrt, KMS „S" fuhr zu Tal. Vor KMS „S" lief der Schubverband „H" mit 4 leeren Leichtern zu Tal, hinter KMS „S" folgte KMS „K". Zur Unfallzeit herrschten Dunkelheit und Nebel mit Sichtweiten zwischen 50 und 300 m. Die genannten Fahrzeuge navigierten daher mit Radar.
Die linksrheinische Grünreede von Emmerich und das linke Ufer weiter stromaufwärts bis über km 851 waren von Stilliegern in 1-2 Breiten besetzt, so daß die Strombreite für die durchgehende Schiffahrt verengt war.
Nachdem MTS „E" und der Schubverband „H" einander Backbord an Backbord in einem seitlichen Abstand von 50-80 m begegnet waren, kam es zum Zusammenstoß zwischen MTS „E" und KMS „S", wobei beide Schiffe schwer beschädigt wurden und MTS „E" noch gegen das linksrheinisch vor Anker liegende MS „E" ankam, während KMS „S" in die rechtsrheinischen Kribben geriet.
Der Kläger hat behauptet, das vom Lotsen „M" - verantwortlich geführte KMS „S" habe sich bei der Talfahrt rechtsrheinisch gehalten und sei ebenso wie das ihm folgende KMS „K" in Kiellinie des Schubverbandes gefahren; das entgegenkommende MTS „E" habe sich linksrheinisch zunächst auf einem Kurs genähert, der eine problemlose Begegnung ermöglicht hätte; kurz vor der Begegnung aber habe MTS „E" plötzlich aus seiner Richtung nach Backbord und damit in den Kurs der Talfahrt gehalten; auf mehrere Anfragen seitens des Lotsen „M" über Kanal 10 sei keine Reaktion erfolgt.
Die Beklagten, Eigner und Schiffsführer von TMS „E" haben vorgetragen, MTS „E" habe zu den linksrheinischen Stilliegern, die bis zu 120m aus dem Ufer gelegen hätten, einen Abstand von 40-50m eingehalten; als sich das Schiff etwa bei km 851, 6-6 befunden habe, habe sich aus den weiter oberhalb liegenden Stilliegern ein Echo gelöst, das noch mehr linksrheinisch gewesen sei als ein Teil der dortigen Stillieger; das Echo habe sich langsam talwärts bewegt, so daß der Schiffsführer von MTS „E" angenommen habe, es handele sich um einen Bergfahrer, der die Fahrt aufnehme und sich zunächst etwas zu Tal sacken lasse; er habe deshalb leicht Kurs nach Backbord genommen, um Platz zu machen; plötzlich sei aber das Echo mit hartem Steuerbordkurs in den Kurs von MTS „E" hineingefahren; dessen Schiffsführer habe versucht, wieder aufzustrecken und deshalb auch die zunächst reduzierte Geschwindigkeit wieder verstärkt; da aber das Echo, welches sich als von KMS „S" ausgehend herausgestellt habe, immer weiter nach Steuerbord gekommen sei, seien die Schiffe in Strommitte kollidiert.
Das Rheinschiffahrtsgericht hat die Klage wegen Beweisfälligkeit des Klägers abgewiesen. Die Berufung hatte Erfolg.
Aus den Entscheidungsgründen:
„Der aus übergegangenem Recht geltend gemachte Klageanspruch ist dem Grunde nach gerechtfertigt. Die Beklagten haben gemäß §§ 3, 4 BSchG, § 823 BGB als Gesamtschuldner für den Schaden einzustehen, der den Interessen von KMS „S" infolge der Kollision des Küstenmotorschiffes mit MTS „E" vom 27.2. 1985 entstanden ist; dabei haftet die Beklagte zu 1) außer mit der dringlichen Haftung mit MTS „E" im Rahmen des Binnenschiffahrtsgesetzes auch persönlich, da sie das Schiff in Kenntnis der Gläubigerrechte zu neuen Reisen ausgesandt hat.
Der Beklagte zu 2) hat als verantwortlicher Schiffsführer von MTS „E" den Unfall schuldhaft verursacht, weil er den Unfall durch eine unzulässige plötzliche Kursänderung herbeigeführt hat - Verstoß gegen § 6.03 Nr. 3 RhSchPVO -, während KMS „S" ordnungsgemäß rechtsrheinisch zu Tal fahrend (§ 9.02 Nr. lb, Nr. 2 RhSchPVO) sich auf problemlosem Begegnungskurs genähert hatte.
Dies sieht der Senat nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme als erwiesen an. Dabei sind folgende Erwägungen maßgebend gewesen:
KMS „S" - und das wenige hundert Meter dahinter fahrende KMS „K" - hatten sich dem vor ihnen fahrenden Schubverband „H" genähert und waren diesem in Höhe des Biermannshofes soweit aufgelaufen, daß der Schiffsführer „H" vom Schubverband das Küstenmotorschiff im Radarbild bereits hinter sich auftauchen sah; wie der
Zeuge „H" noch bekundet hat, ist mit ihm über Kanal 10 auch ein Überholmanöver abgesprochen worden.
Das Überholmanöver hat der Lotse „M" der KMS „S" verantwortlich geführt, dann aber zunächst zurückgestellt, da ihm dies wegen der Stillieger in Höhe der Reede Emmerich nicht angeraten erschien. Dies wird bestätigt durch den Lotsen „D", des verantwortlichen Schiffsführers von KMS „K", der bekundet hat, sein Vordermann habe ihm mitgeteilt, er wolle langsam machen, er wolle auf der Emmericher Reede nicht mehr an „H" vorbei. Während der Zeuge „D" die vorher gefahrene Geschwindigkeit auf etwa 21 km/h schätzt, kann er die nunmehr gewählte langsamere Geschwindigkeit zwar nicht mehr genau einschätzen; allerdings ergibt sich eindeutig aus seiner Bekundung, daß man weiter in der bisherigen Reihenfolge hinter „H" hergefahren ist, und zwar in Kiellinie mit dem Abstand vom rechtsrheinischen Ufer von - wie der Zeuge meint - "rund 40 m aus den Kribben"; der entgegenkommende Bergfahrer, MTS „E", habe zwar die linksrheinischen Stillieger gut freigefahren, gleichwohl aber zunächst einen unbedenklichen Begegnungskurs eingehalten; auf den plötzlichen Anruf von KMS „S" über Kanal 10 an MTS „E", was der Bergfahrer da mache, er fahre ihm ja voll in die Seite, habe er genauer auf den Radarschirm geschaut und gesehen, daß der Bergfahrer eine Schräglage auf KMS „S" zu gehabt habe; diese Schräglage habe sich dann zur Querlage verstärkt; dabei hat sich der Zeuge die abrupte Kursänderung und die schnell erfolgende Querlage nur durch einen Ruderausfall erklären können.
Diese Beobachtung konnte der Zeuge zuverlässig machen, auch wenn er den Radarschirm zunächst nicht mit gesteigerter Aufmerksamkeit, sondern eher routinemäßig im Auge behalten hatte. Es erscheint im übrigen lebensnah und es spricht für die Aufrichtigkeit des Zeugen, wenn er bei seiner Vernehmung einräumt, er habe „natürlich das Radarbild beobachtet; wenn man aber Vorderleute" habe, tue „man das ja nicht so intensiv, wie wenn man selbst als erster mit einem Bergfahrer begegnet"; jetzt - bei dem Anruf an den Bergfahrer über Kanal 10 - habe er genauer hingeschaut. Dem Umstand, daß der Zeuge sich bezüglich des Abstandes von der Kribbenlinie um mindestens 40m verschätzt haben muß, wie der Sachverständige ausgeführt hat, mißt der Senat keine ausschlaggebende Bedeutung bei der Beurteilung der Zuverlässigkeit der Bekundung im übrigen bei.
Auch aus der Bekundung des ebenfalls unbeteiligten Zeugen „G", des Kapitäns des KMS „K", ergibt sich, daß KMS „S" die Fahrt bis zum Zusammenstoß mit MTS „E" klar rechtsrheinisch fortgesetzt hatte und sich keinesfalls etwa zwischenzeitlich mitten unter die linksrheinischen Stillieger begeben hatte, wie die Beklagten behaupten. Ein solcher Abstecher hätte dem Zeugen „G" ebenso wie dem Zeugen „D" nicht entgehen können. Er hat zwar, wie er bei seiner Schilderung realitätsnah zu erkennen gibt, nicht jede Einzelheit bewußt beobachtet, da die Schiffsführung beim Lotsen lag, er hat aber den Fahrtverlauf in den wesentlichen Zügen mitbekommen. Den Abstand zu der Kribbenlinie hat er im übrigen, wie der Sachverständige „H" festgestellt hat, von allen Talfahrern am realistischsten eingeschätzt.
In diesem Sinne ist auch die Bekundung des Kapitäns „W" zu werten, der neben dem Lotsen „M" im Steuerhaus des KMS „S" saß. Er hat ebenfalls bekundet, daß das Überholmanöver für den Bereich der Emmericher Reede zurückgestellt worden sei und daß man deshalb hinter dem Schubverband geblieben sei; das sei über Funk KMS „K" durchgegeben und von diesem auch bestätigt worden; der Bergfahrer habe einen normalen Kurs für eine problemlose Begegnung mit dem Talfahrer gehabt; von diesem Kurs sei er dann plötzlich abgewichen, und dann sei er schnell in eine Querlage geraten und auf KMS „S" zugelaufen.
Der Zeugenaussage des Beklagten zu 2) im Parallelverfahren mißt der Senat keinen besonderen Stellenwert bei: Dieser Zeuge ist zum einen, ebenso wie auf der Gegenseite der Zeuge „M", am Ausgang des Rechtsstreits interessiert. Zum andern finden sich Ungereimtheiten und Auffälligkeiten in der Schilderung, die Zweifel daran erwecken, ob der Beklagte zu 2) das Radarbild damals richtig gedeutet hat. So muß ein erfahrener Schiffsführer an sich im Laufe von 2-3 Umdrehungen des Radarbildes feststellen können, ob ein Schiff in Fahrt ist oder stilliegt. Wenn der vermeintliche Stillieger sich aber treiben ließ, hätte sofort eine Verständigung über Kanal 10 versucht oder ein Schallsignal abgegeben werden müssen. Völlig verfehlt aber war, wie der Sachverständige überzeugend ausgeführt hat, in jedem Falle das Backbordruderlegen.
Demgegenüber kommt den Aussagen der Zeugen „D", „G" und „W", die die Unfallschilderung des Lotsen „M" bestätigen, ein’ hoher Stellenwert zu. Für das Verhalten des Lotsen „M", wie es sich aus diesen Zeugenaussagen ergibt, spricht eine hohe innere Wahrscheinlichkeit: KMS „S" fuhr in der Absicht hinter dem Schubverband „H" her, diesen bei günstiger Gelegenheit zu überholen; nachdem der Bereich der Emmericher Reede hierfür als ungünstig angesehen wurde und das Vorhaben in Absprache mit dem nachfolgenden KMS „K" zunächst aufgeschoben wurde, entstanden durch das erforderlich werdende Verringern der Geschwindigkeit keine Probleme, zumal der Schubverband noch rund 600 m vorauslief und die Geschwindigkeitsdifferenzen nicht sonderlich groß waren: während der Schiffsführer „H" die Geschwindigkeit seines Verbandes auf rund 18 bis 20 km/h schätzt, belief sich die von den beiden Küstenmotorschiffen vor der Verlangsamung von gefahrene Geschwindigkeit auf rund 21 bis höchstens 23 km/h; hinzu kommt, daß der rund 600m voraustahrende Schubverband einen klaren rechtsrheinischen Kurs fuhr, der problemlose Begegnungen zuließ, und daß KMS „S" und KMS „K" diesem im Radar eindeutig auszumachenden Vordermann in Kiellinie folgen wollten. Unter diesen Umständen bestehen für den Senat keine vernünftigen Zweifel daran, daß die Sachverhaltsschilderung von Schiffsführer „S" von MTS „E" falsch ist, daß KMS „S" unter die linksrheinischen Stillieger geraten sei und tatsächlich stillgelegen habe oder auch nur - relativ zur Stromgeschwindigkeit - jede Fahrt herausgenommen und dann plötzlich Steuerbordkurs genommen hätte.
Im übrigen hat auch das überzeugende Gutachten des Sachverständigen „H" einen rechtsrheinischen Kurs von KMS „S" sogar als wahrscheinlicher angesehen als die Sachverhaltsschilderung der Beklagten. Der Sachverständige hat die Grundlagen für seine Beurteilung sorgfältig herausgearbeitet, wobei er Details aus Zeugenaussagen nur insoweit als feststehend zugrundegelegt hat, als sie außer Zweifel stehen; die übrigen Teile hat er nur in den verschiedenen Varianten behandelt. Als Grenzbetrachtungen dienen die Varianten „R" und „L", innerhalb deren die praktisch mögliche Fahrtroute liegt. Dabei hält der Sachverständige anhand überzeugender Plausibilitätserwägungen, in die er auch die Zeugenaussagen einbezieht, eine Fahrtroute von KMS „S" mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit für gegeben, die rechts von der in Anlage 14 des Gutachtens eingetragenen Mittellinie liegt.. .
Anhaltspunkt für ein Mitverschulden der Schiffsbesatzung von KMS „S" sind nicht gegeben. Nach dem Beweisergebnis war der Kurs klar rechtsrheinisch, er ließ eine problemlose Begegnung zu. Das Unterlassen eines Schallsignals ist nicht unfallursächlich geworden. Denn bei dem plötzlichen Kurswechsel von MTS „E" hätte ein Schallsignal schon deshalb keine tatsächlichen Auswirkungen mehr gehabt, weil Schiffsführer „S" den Entgegenkommer und die Gefahrlage erkannt hatte und - wenn auch ungeeignete - Notmaßnahmen ergriffen hatte, die bei Abgabe eines Schallsignals auch nicht anders ausgefallen wären. Auch eine andere Reaktion als die von KMS „S" gewählte hätte nicht mehr Erfolg versprochen.
Da die Beklagten die Höhe des geltend gemachten Schadens bestritten haben, war entsprechend der Anregung des Klägers über den Grund vorab zu entscheiden . . . "
Ebenfalls abrufbar unter ZfB 1991 - Nr.24 (Sammlung Seite 1349 f.); ZfB 1991, 1349 f.