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Leitsatz:
Hat eine zur Kennzeichnung der Fahrrinne ausgelegte Tonne die herausragende Bedeutung einer Orientierungsmarkierung für die Navigation, gebietet die Verkehrssicherungspflicht, den Schiffsverkehr zu warnen, wenn eine markante Verlegung der Tonne erfolgt, die geeignet ist, den Schiffsverkehr zu gefährden. Die Warnung ist durch entsprechende Warntafeln im Bereich der nächstgelegenen Schleuse vorzunehmen oder durch den Schleusenmeister. Ein Schiffsführer, der die Verlegung der Tonne weder kannte noch hätte kennen müssen, kann davon ausgehen, bei derartigen Veränderungen von Schifffahrtszeichen unaufgefordert informiert zu werden.
Urteil des Oberlandesgerichts (Moselschiffahrtsobergerichts) Köln
vom 25.7.1997
3 U 135/95 BSchMo
(Moselschiffahrtsgericht St. Goar)
Zum Tatbestand:
Wegen der von der Beklagten, der Bundesrepublik Deutschland, durchgeführten Baggerarbeiten zur Fahrrinnenvertiefung zwischen Mosel-km 64 und 78 hatte das WSA K. unter dem 30.5.1994 eine schifffahrtpolizeiliche Anordnung nach § 1.22 MoselSchPV mit u. a. folgendem Wortlaut erlassen:
„In der jeweiligen Baggerstrecke wird der Baggerbereich gesperrt. Dieser Bereich wird durch an den Schleusen Fankel und St. Aldegund aufgestellte Hinweistafeln bekanntgegeben.
Das Befahren der gesperrten Wasserfläche ist nur den eingesetzten Baggerfahrzeugen erlaubt.
In diesen Baggerbereichen
- ist die Fahrrinne bis auf 20 m Breite eingeschränkt.
- das Begegnen und Überholen verboten. Jeweils ober- und unterhalb der Baggerfelder werden Schiffahrtszeichen A 4 (Anlage 7 MoselSchPV) zur Kennzeichnung der Begegnungs- und Überholverbotsstrecken aufgestellt.
- Die Schiffahrt wird gebeten - über Funkkanal 20 - Information über die jeweilige Verkehrslage im Baustellenbereich an den Schleusen Fankel oder St. Aldegund einzuholen. Im Zuge der Bauarbeiten verlegte die Beklagte in der Zeit vom 26.8. bis 5.9.1994 die bei Mosel-km 76,1 auf der rechten Moselseite ausgelegte rote Tonne nach Mosel-km 76,2. Diese Tonne bezeichnet stromabwärts den rechten Fahrrinnenrand vor der Einfahrt in den Bremmer Bogen. Die zweite im Bereich des Bremmer Bogens verlegte roten Tonne folgt stromabwärts bei Moselkilometer 75, 313.
Im Unkenntnis der Tonnenverlegung hielt Schiffsführer P des der Klägerin gehörenden 172 m langen Schubverbands „Dillingen" am 2.9.1994 in der nächtlichen Radarfahrt zu Tal die bei Mosel-km 76,2 ausgelegte Tonne entsprechend seiner üblichen Orientierung und Fahrweise an der sonst bei Mosel-km 76,1 ausgelegten Tonne in einem Seitenabstand von 5 bis 10 m hart an und drehte den Verband mit Steuerbordruder in den Bremmer Bogen. Der Schubverband geriet außerhalb der Fahrrinne und fuhr sich mit einem der beladenen Leichter bei Mosel-km 76,085 am rechten Ufer fest.
Das Mosclschiffahrtsgericht hat der Klage auf Ersatz des durch die Festfahrung entstandenen Schadens dem Grunde nach in vollem Umfang stattgegeben.
Die Berufung hatte teilweise Erfolg.
Aus den Entscheidungsgründen:
„Die Berufung der Beklagten ist zulässig und hat in der Sache teilweise Erfolg, soweit ihre Verpflichtung zum Schadensersatz dem Grunde nach auf 2/3 reduziert wird wegen eines dem Schiffsführer der Klägerin anzulastenden Mitverschuldens bei der Schadensentstehung
Die Beklagte war verpflichtet, der Schifffahrt die Verlegung der Tonne wegen deren für die Orientierung der Schiffahrt insbesondere bei Radarfahrt herausragenden Stellung als „Einzeltonne" mitzuteilen.
Die Beklagte kann sich nicht erfolgreich darauf berufen, die Tonne diene lediglich der Fahrrinnenmarkierung und könne deshalb nicht als verbindlicher Markierungspunkt für das Steuermanöver zur Einfahrt in den Bremmer Bogen herangezogen werden. Diese Auffassung wird der Bedeutung der bei Moselkilometer 76,1 ausgelegten roten Tonne nicht gerecht und verkennt die exponierte Lage vor der Flußkrümmung.
Diese Tonne bezeichnet stromabwärts den rechten Fahrrinnenrand vor der Einfahrt in den Bremmer Bogen und kennzeichnet warnend die im dortigen Bereich vorhandene Felsformation, auf die der Verband mit seinem Leichter aufgelaufen ist. Danach weitet sich.... die Fahrrinne ab etwa Moselkilometer 75,95 in der Weise, daß der rechte Fahrrinnenrand in gleicher Weise wie am linksseitigen Ufer nahe am Ufer verläuft. Erst bei etwa Moselkilometer 75,3 tritt das rechte Ufer wieder etwas zurück. Diese Stelle ist mit der zweiten im Bereich des Bremmer Bogens verlegten roten Tonne bei Moselkilometer 75, 313 gekennzeichnet.... Im Hinblick auf die starke Flußkrümmung gewinnt die Tonne bei Moselkilometer 76,1 als letzte bis zu Moselkilometer 75,313 erforderliche Fahrrinnenmarkierung zwangsläufig die Bedeutung einer Orientierungsmarkierung zur Einfahrt in den Bremmer Bogen. Nach Passieren dieser Tonne ist das Einlenken eines auf der rechten Seite des Flusses fahrenden größeren Schiffes oder Verbandes erst möglich, wegen der Erweiterung der Fahrrinne zum rechten Ufer hin aber für einen größeren Verband auch angezeigt, um mit dem Heck nicht nach Backbord zu weit in die Außenkrümmung des Flusses zu verfallen.
Daß unter diesen Gegebenheiten der mit Radarreflektoren ausgestatteten Tonne insbesondere für die Fahrt bei Nacht mit Radar für größere Schubverbände eine herausragende Bedeutung zur Orientierung zukommt, wird auch dadurch belegt, daß sie dem Schiffsführer P in der von ihm beschriebenen Weise schon vor dem Unfallgeschehen in der Radarfahrt zur Orientierung diente und offensichtlich in der Vergangenheit stets ein problemloses Passieren des Bremmer Bogens erlaubte. Auch dürfte nicht zweifelhaft sein, daß dies am 2.9.1994 ebenfalls geschehen wäre bei beibehaltener Lage der Tonne hei Moselkilometer 76, 1.
Wie nach der Rechtsprechung des erkennenden Senats (vgl. ZtB 83, 1006 f.; 88, 1220) es der Beklagten im Rahmen ihrer Verkehrssicherungspflicht grundsätzlich obliegt, den Schiffsverkehr zu warnen, wenn zur Kennzeichnung hochgradiger Gefahrenstellen ausgelegte Fahrwasserzeichen nicht mehr sichtbar sind. so gilt dies auch bei markanten Verlegungen von Fahrwasserzeichen, die - wie im vorliegenden Fall - geeignet ist, den Schiffsverkehr zu gefährden.
Die Beklagte ist ihrer Hinweispflicht nicht mit der schiffahrtspolizeilichen Anordnung vom 30.5.1994 nachgekommen. Diese bezog sich nicht auf die Verlegung von Fahrrinnentonnen, sondern auf die Sperrung von Baggerstrecken und die dadurch bedingte Beeinträchtigung des Schiffsverkehrs, auf die durch entsprechende zusätzliche Schiffahrtszeichen (A 4, Anlage 7 MoselSchPV) hingewiesen werden sollte. Soweit die Anordnung die Schifffahrt anhielt, an den Schleusen Informationen einzuholen, betraf das „die jeweilige Verkehrslage im Baustellenbereich".
Mit dem Begriff „jeweilige Verkehrslage" wird nach dem Wortlaut und dem Kontext der Anordnung nur die durch die Schifffahrt gebildete Verkehrslage erfaßt, nach der zu erkundigen sich wegen der ggfl. bestehenden Begegnungs- und Überholverbote sinnvoll gewesen ist. Der Hinweis läßt sich aber zugunsten der Beklagten nicht sinngemäß dahin erweitern, daß mit ihm auf die Möglichkeit geänderter Fahrrinnenmarkierungen hingewiesen wurde, nach denen sich die Schiffahrt erkundigen sollte.
Deshalb teilt der Senat uneingeschränkt die Auffassung des Moselschiffahrtsgerichts, daß es der Beklagten obliegen hätte, insbesondere die Nacht-Talfahrer durch ihren Schleusenmeister unterrichten zu lassen oder aber entsprechende Warntafeln im Bereich der Schleuse aufzustellen Das nach der Darstellung der Beklagten an der Schleuse Fankel aufgestellte Hinweisschild wies nur einen Hinweis auf eine halbseitige Sperrung der Fahrrinne auf, die in der Nacht zum 2.9.1994 aber offensichtlich ohnehin nicht bestand. Jedenfalls enthielt das Hinweisschild keine Warnung hinsichtlich der verlegten Tonne, auf die es angekommen wäre.
Die Beklagte kann sich schließlich auch nicht erfolgreich auf die sich aus den im Westdeutschen Schiffahrts- und Hafenkalender (WESKA) jährlich abgedruckten „Hinweise für die Fahrt auf der Mosel" berufen, in denen es unter Nr. 4 heißt:
"Es kann keine Gewähr für das Vorhandensein und die richtige Lage der Schiffahrtzeichen geleistet werden,...". Wie sich aus der weiteren Begründung ergibt („weil die Gefahr besteht, daß die Schiffahrtszeichen durch Fahrzeuge beschädigt, zerstört oder verschleppt werden.") bezieht sich der Gewährausschluß auf von der Beklagten nicht zu vertretende Veränderungen, nicht aber auf Fälle, in denen die Beklagte selber die Fahrwasserzeichen verändert.
Die Klägerin kann aber nur 2/3 ihres Schadens ersetzt verlangen, weil sie sich das Mitverschulden ihres Schifführers P anrechnen lassen muß, das mit 1/3 zu bewerten ist.
Entgegen der Auffassung des Moselschifffahrtsgerichts trifft diesen ein Mitverschulden an der Unfallverursachung. Dies ergibt sich nicht daraus, daß er es unterlassen hat, sich an der Schleuse Fankel nach der Verkehrslage zu erkundigen. Hierzu hatte er aus den oben genannten Gründen keine Veranlassung, konnte er doch davon ausgehen, bei derartigen Veränderungen von Schiffahrtszeichen unaufgefordert informiert zu werden. Auch kann ihm aus den im angefochtenen Urteil genannten Gründen nicht angelastet werden, die Verlegung der Tonne gekannt beziehungsweise aufgrund vorhergehender Vorbeifahrten hätte kennen müssen.
Dem Schiffsführer P kann auch nicht der Vorwurf einer Sorgfaltspflichtverletzung gemacht werden, weil er die Tonne „hart" angefahren hat, obwohl ein hartes Anfahren der Fahrwasserzeichen auf der Mosel mit der Gefahr des Auffahrens verbunden ist, die sich daraus ergibt, daß die Zeichen im allgemeinen etwas außerhalb der Fahrrinne liegen (vgl. die bereits zitierten „Hinweise für die Fahrt auf der Mosel, WESKA 97, Seite 797). Mit der Umschreibung „hart anfahren" hat die Klägerin wie ihr Schiffsführer im Verklarungsverfahren stets ausdrücken wollen, daß er die Tonne in einem Seitenabstand von ca. 5 - 10 m passierte. Damit aber hat er jedenfalls den für die Tonnen auf der Mosel erforderlichen Sicherheitsabstand eingehalten (vgl. auch Entscheidung des Senats in VersR 1980, 841 f.).
Ein Mitverschulden des Schiffsführers P ist jedoch darin zu sehen, daß er sich offensichtlich ausschließlich oder zumindest vorwiegend an der Tonne orientiert und dabei den aus dem Radarbild erkennbaren Flußverlauf außer Acht gelassen hat....
Ausgehend von der Erkennbarkeit der Örtlichkeit auf dem Radarbild ist dem Schiffsführer P vorzuwerfen, daß er bei der gebotenen Sorgfalt neben der roten Tonne auch die anderen zur Orientierung verfügbaren und auf dem Bildschirm sichtbaren geografischen Merkmale hätte berücksichtigen müssen, um den Verband in den Bremmer Bogen zu lenken. Hätte er dies getan, wäre ihm die Diskrepanz zwischen der von ihm angenommenen Lage der Tonne und dem Flußverlauf aufgefallen, die ihn zu einer an den geografischen Gegebenheiten ausgerichteten Fahrweise hätte führen müssen, wodurch das Verlassen der Fahrrinne und damit das Auffahren vermieden worden wäre.
Unter Berücksichtigung der besonderen Bedeutung der roten Tonne bei Moselkilometer 76,1 als Orientierungspunkt, wie sie oben erläutert worden ist, und dem Fehlen eines Hinweises auf die Verlegung der Tonne, den die Schiffahrt hätte erwarten können, ist es auf der anderen Seite nachvollziehbar, daß der Schiffsführer von vornherein gedanklich nicht auf die Möglichkeit der Tonnenverlegung eingestellt war und deshalb in der für ihn bewährten Manier die Tonne anhielt, um in den Bogen einzufahren. Dabei ist auch dem Umstand Rechnung zu tragen, daß die Verlegung der Tonne aus dem Radarbild zwar erkennbar ist, insbesondere aus der Überprüfung der Entfernungsringe, auf der anderen Seite aber nicht als auffällige Anormalität des sonstigen Bildes, das das Radarbild von der Örtlichkeit zeigt, ins Auge springt.
Unter Berücksichtigung auch aller sonstiger Besonderheiten und der beiderseitigen Verantwortlichkeit bemißt der Senat den Grad des den Schiffsführer treffenden Mitverschuldens mit einem Drittel......."
Ebenfalls abrufbar unter ZfB 1997 - Nr. 24 (Sammlung Seite 1668 f.); ZfB 1997, 1668 f.