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Urteil des Oberlandesgerichts – Schiffahrtsobergericht Köln
vom 15.04.1997
3 U 122/96 Bsch
Tatbestand:
In der Nacht zum 13. B. 1993 hatte der Beklagte zu 2. als verantwortlicher Schiffsführer das Schubboot SB P der Beklagten zu 1. zusammen mit den Leichtern SL 40 und 24 als Päckchen im Hafen „Haus Aden" im Datteln-Hamm-Kanal am Ufer befestigt.
Die Befestigung bestand darin, daß allein der beladene SL 24 an Land vorne mit einem 18-mm-Draht und hinten mit einem 28-mm-Draht festgemacht war, während die miteinander verbundenen SB P und SL 40 längsseits an SL 24 angelegt hatten ohne eigene Befestigung zum Land hin.
In der Nacht brach der vordere Draht von SL 24. Der Verband, der bis auf ein Liegelicht an der Steuerbordseite des SB P unbeleuchtet war, fiel im Kanal quer und versperrte die Durchfahrt. Gegen 3.15 Uhr fuhr MS A auf den Verband. Hierdurch entstanden Schäden an beiden Leichtern sowie an MS A.
In Kenntnis des Schadensfalls sandte die Beklagte zu 2) das SB P danach zu neuen Reisen aus.
Die Klägerin, die als Versicherer der Schubleichter, den an diesen sowie an MS A entstandenen Schaden beglichen hat, verlangt aus übergegangenem beziehungsweise abgetretenem Recht Erstattung der gezahlten Beträge unter Berufung darauf, das Päckchen sei unzureichend befestigt gewesen.
Die Klägerin und ihr Streithelfer haben beantragt,
die Beklagten als Gesamtschuldner zu verurteilen, an die Klägerin 73.063,10 DM nebst 7% Zinsen seit dem 1.2.1994 zu zahlen, mit der Maßgabe, daß die Beklagte zu 1. wegen dieser Forderung nicht nur dinglich mit dem ihr gehörenden SB P, sondern im Rahmen des Binnenschiffahrtsgesetzes auch persönlich hafte.
Die Beklagten haben beantragt, die Klage abzuweisen.
Sie haben behauptet, das von dem Streithelfer geführte MS Pa habe in zu schneller Vorbeifahrt das ordnungsgemäß befestigte Päckchen losgerissen. Auch MS A sei zu schnell gefahren und habe deshalb die Kollision nicht vermeiden können.
Das Schiffahrtsgericht hat mit Urteil vom 8.7.1996, auf dessen Inhalt verwiesen wird, der Klage nach Beweisaufnahme dem Grunde nach stattgegeben. Gegen das ihnen am 17.7.1996 zugestellte Urteil haben die Beklagten mit bei Gericht am 16.8.1996 eingegangenen Schriftsatz Berufung eingelegt und diese rechtzeitig begründet.
Die Beklagten beantragen,
unter Abänderung des angefochtenen Urteils die Klage abzuweisen.
Die Klägerin und der Streithelfer beantragen, die Berufung zurückzuweisen.
Wegen des weiteren Vorbringens der Parteien wird auf den Inhalt ihrer im Berufungsverfahrens gewechselten Schriftsätze verwiesen.
Die Akten des Bußgeldverfahrens A 5-311.3/1291-93 WSD West sind zum Gegenstand der mündlichen Verhandlung gemacht worden.
Entscheidungsgründe:
Die Berufung ist zulässig, hat in der Sache aber keinen Erfolg.
Das Schiffahrtsgericht hat der Klage dem Grunde nach zu Recht und mit zutreffender Begründung, auf die zur Vermeidung von Wiederholungen vollinhaltlich Bezug genommen wird, stattgeben.
Das Berufungsvorbringen rechtfertigt keine andere Bewertung.
Der Senat teilt die Auffassung des Schiffahrtsgerichts, daß die Beklagten sich nicht nur den ersten Anschein einer unzureichenden Befestigung entgegenhalten lassen müssen, sondern aufgrund der unstreitigen Umstände sogar nicht zweifelhaft sein kann, daß die Befestigung unzureichend war.
Wie dem Senat unter anderem aus dem in dem Verfahren 3 U 19/95 BSchG eingeholten und den Parteien des vorliegenden Verfahrens zugänglich gemachten Gutachten des Sachverständigen Kocks bekannt ist, besteht die übliche Befestigung von Stilliegern aus Vor- und Achterdraht sowie Laufdrähten (Spring), die es ermöglichen, die von der Sogwirkung passierender Schiffahrt ausgehende Voraus- und Zurückbewegungen aufzufangen.
Diesen Anforderungen genügte die vorhandene zweifache Befestigung nicht, da sie lediglich aus zwei „rack" gesetzten „Beidrähten" bestand, wie der Aussage des Zeugen G und der von ihm gefertigten Skizze (Anlage zum Protokoll vom 18.6.1996, Bl. 97 d. A.) zu entnehmen ist. Soweit in der Skizze zusätzlich ein Vorausdraht eingezeichnet ist, kann von dessen Vorhandensein nicht ausgegangen werden. Diesen hat der Zeuge nicht verläßlich bestätigen können (vgl. Bl. 94). Auch geht die Berufung nicht von einem zusätzlichen Vorausdraht aus. Der Beklagte zu 2. hat selber bei seiner Vernehmung vor der WSP nur die zwei „als Spring gesetzten" 18 mm und 28 mm Drähte angegeben (B1. 6 d.BA.).
Die gewählte Befestigung mag im Kanal auch unter Berücksichtigung der passierenden Schiffahrt unter normalen Umständen ausreichend für einen Schubleichter sein, schwerlich aber, wenn an dem Schubleichter ein weiterer beladener Schubleichter und an diesem zusätzlich noch das Schubboot festgemacht wird. Es liegt auf der Hand, daß diese ihrerseits nicht auch noch direkt zum Land hin festgemachten Schwimmkörper eine zu hohe Belastung für die Befestigung des innen liegenden Schubleichters darstellten und damit eine hinreichende Befestigung nicht gegeben war, wie durch das Losbrechen des Drahtes bestätigt worden ist.
Der Versuch der Berufung, eine angeblich zu schnelle Vorbeifahrt von MS P für das Reißen des Drahtes allein verantwortlich zu machen, ist erfolglos angesichts des Umstands, daß die Befestigung des Päckchens ersichtlich unzureichend war.
Wenn der Zeuge D in diesem Zusammenhang ausgesagt hat, MS P sei regelmäßig zu schnell gefahren, so daß gelegentlich schon vorher Taue gerissen seien, so hat er das dahin relativiert, regelmäßig seien auch andere Schiffe zu schnell gefahren. Es drängt sich der Eindruck auf, daß der Zeuge die Haltbarkeit der Befestigungen zum Maßstab genommen hat, ob die Schiffahrt seine Arbeitsstelle zu schnell passierte, und nicht darüber nachgedacht hat, ob die Befestigungen regelmäßig unzureichend gewesen sind.
Davon abgesehen ist die Frage, ob MS P zu schnell gefahren ist und das Abreißen gegebenenfalls mitverschuldet hat, letztlich unerheblich, weil ein entsprechendes Mitverschulden nicht der Klägerin entgegengehalten werden könnte und bei der dann anzunehmenden Nebentäterschaft der Schiffsführungen von MS Pa und SB P diese jeweils auf das Ganze haften würden (vgl. Palandt/Thomas § 830 Rdn.1).
Die Beklagten können sich auch nicht erfolgreich auf ein Mitverschulden der Schiffsführung von MS A berufen. Es gibt keine hinreichenden Anhaltspunkte dafür, daß die Besatzung von MS A zu schnell oder nicht mit der gebotenen Aufmerksamkeit gefahren ist und deshalb das ein Hindernis darstellende Schubleichterpäckchen zu spät gesehen hat.
Nach den Angaben des Bootsmanns E vor der Wasserschutzpolizei ist die Geschwindigkeit auf MS A von vorher 7 km/h schon weit vor dem Hafen deutlich reduziert worden. Andere Aussagen über die Geschwindigkeit liegen nicht vor.
Was die nächtlichen Sichtverhältnisse betrifft, so waren diese offensichtlich gut, wie man der Aussage des als Zeugen vernommenen Streithelfers entnehmen kann, der angegeben hat, wegen des Mondlichts habe man fast die Zeitung lesen können. Dies rechtfertigt aber nicht den Vorwurf, die Besatzung von MS A hätte das Hindernis frühzeitig erkennen und deshalb rechtzeitig anhalten können. Zu berücksichtigen ist nämlich, daß im Zeitpunkt der Kollision der die Kanalbreite blockierende Leichterverband auf der MS A zugewandten Seite keinerlei Lichter aufwies. Die Hafenbeleuchtung, die zudem von dem Zeugen D nicht als „übermäßig hell" beschrieben worden ist, muß sich dabei nicht als eine Verbesserung der Sicht auf den Leichterverband dargestellt haben. Vielmehr kann diese sogar eine Verschlechterung infolge Blendwirkung und damit erzeugter ungleichmäßiger Kontrastbildung bewirkt haben.
Folgt man der Aussage des bereits erwähnten Bootsmanns E, der sich jedenfalls im Hafen als Ausguck auf dem Vorschiff aufhielt, so wurde der Verband in einer von ihm geschätzten Entfernung von 300 m sichtbar und die Maschine darauf sofort voll zurückgestellt. Ungeachtet der Unzuverlässigkeit derartiger Entfernungsschätzungen erlauben diese Angaben jedenfalls weder den Schluß auf eine unangepaßte Geschwindigkeit noch auf eine Unaufmerksamkeit der Besatzung, was die Streckenbeobachtung oder die Maßnahmen bei Erkennen des Hindernisses angeht. Unter den gegebenen Umständen und unter weiterer Berücksichtigung, daß sich der Zeitpunkt, in dem sich der Leichterverband vom Ufer löste und den Kanal versperrte, nicht verläßlich festlegen läßt, ist dem Schiffahrtsgericht zuzustimmen, daß es für die von den Beklagten beantragte Gutachteneinholung über eine zu hohe Geschwindigkeit von MS A keine hinreichend tragfähigen Anknüpfungspunkte gibt.
Der durch Gutachteneinholung unter Beweis gestellte pauschale Vortrag der Beklagten, die Kollision als solche beweise, daß die Schiffsführung von MS A zu schnell und nicht mit der erforderlichen Sorgfalt gefahren sei, läßt sich weder auf einen anerkannten Erfahrungssatz stützen noch ist er - mangels aussagekräftiger objektiver Gegebenheiten - einer Beweisaufnahme durch Gutachteneinholung zugänglich.
Soweit bei einer Schiffskollision ein erster Anschein für das Verschulden des Auffahrenden spricht, betrifft dies nur den Fall, daß sich das andere Schiff entweder als vorausfahrendes in Bewegung befunden (vgl. OLG Köln VersR 1979, 439) oder an einer erlaubten Stelle stillgelegen hat (vgl. BGH VersR 1966, 466; 484). Der Umstand, daß ein Schiff auf ein plötzlich auftauchen des oder bei Nacht unbeleuchtetes, die ganze Fahrstraße versperrendes Hindernis auffährt, läßt einen derartigen Schluß nicht zu. In der Schiffahrt ist es durch die naturgemäß langen Anhaltewege auf dem Wasser auch nicht grundsätzlich vorwerfbar, wenn man bei hinreichenden Sichtverhältnissen seine Geschwindigkeit nicht so eingestellt hat, daß man vor plötzlich auftauchenden oder sichtbar werdenden Hindernissen nicht anhalten kann. Eine solchermaßen geforderte Geschwindigkeit, welche die Wirtschaftlichkeit der Schiffahrt in Frage stellen dürfte, ließe sich beispielsweise für Talfahrer auf dem Rhein wegen der Strömung nur durch andauerndes Rückwärtssetzen der Maschine erreichen.
Schließlich rechtfertigt auch die unterlassene Benutzung des Radars keinen Schuldvorwurf gegen die Schiffsführung von MS A.
Die von den Beteiligten beschriebenen Sichtverhältnisse erforderten offensichtlich keine Radarfahrt. So ist bezeichnenderweise auch MS Pa ohne Radar gefahren. Die Verpflichtung zur Radarfahrt ergibt sich nur bei unsichtigem Wetter, wenn andernfalls die Fahrt eingestellt werden müßte. Diese Voraussetzungen lagen zweifelsohne nicht vor. Zudem hatte die Schiffsführung von MS A jedenfalls im fraglichen Bereich einen Ausguck aufgestellt und damit - neben der nicht widerlegten angemessenen Geschwindigkeitsreduzierung - den sich aus § 80 Binnenschiffahrtsstraßenordnung ergebenden Anforderungen an die Fahrt bei unsichtigem Wetter Rechnung getragen. Grundsätzlich ist den Beklagten zuzustimmen, daß auf dem Schiff vorhandene Einrichtungen zu benutzen sind, wenn damit die Gefährdung von Menschenleben, das Entstehen von Sachschäden oder eine Behinderung der Schiffahrt vermieden werden. Dieses der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs entsprechende Postulat, das etwa für den in der Binnenschiffahrt üblichen Gebrauch des Sprechfunks gilt (BGH VersR 1991, 605), läßt sich nicht in gleichem Maße auf den Gebrauch des Radars übertragen. Solange - wie im vorliegenden Fall anzunehmen ist - die Sichtverhältnisse eine Fahrt ohne Radar ohne Schwierigkeit ermöglichen, wäre der gleichzeitige Gebrauch des Radargerätes verfehlt. Abgesehen davon, daß die Auswertung des Radarbildes an den Schiffsführer naturgemäß weit höhere Anforderungen stellt als die Wahrnehmung in natürlicher Sicht, ist bereits das deutliche Erkennen des Radarbilds bei Helligkeit und nicht abgedunkeltem Raum nicht gewährleistet. Die gleichzeitige Benutzung des Radargerätes kann darüber hinaus zu ungenauen Beobachtungen, Mißverständnissen und Unklarheiten führen. Deshalb ist ein Schiffer, der nach Sicht fährt, grundsätzlich nicht gehalten, daneben das Radargerät zu benutzen (BGH VersR 1974, 1122, 1124; Bemm/von Waldstein Rheinschiffahrtspolizeiverordnung, § 6.30, Rdn. 8).
Soweit der Bundesgerichtshof in BGHZ 65, 305 ff. den Gebrauch von Radar aus allgemeiner Sorgfaltspflicht für geboten gehalten hat, „wenn sich damit die Gefährdung anderer Fahrzeuge durch das eigene Schiff verringern oder beseitigen läßt", betraf diese Entscheidung ein bei dichtem Nebel an gefährdeter Stelle ankerndes Seeschiff. Damit nicht vergleichbar ist der zusätzliche Radargebrauch bei Sichtfahrt unter ausreichenden Sichverhältnissen. Hier kommt hinzu, daß die Schiffsführung von ihrer vorhandenen Sprechfunkeinrichtung Gebrauch gemacht hat, wie sich aus ihrer Absprache über Kanal 10 mit MS Pa vor der Einfahrt in den Kanal ergibt. Gerade diese, von den meisten Schiffern geübte Handhabung, ermöglicht es, sich über die Anzahl und den Standort sowie Kurs der in der Nähe befindlichen Schiffe zu informieren und den von diesen ausgehenden etwaigen Gefährdungen Rechnung zu tragen. Daß ein Leichterverband einschließlich Schubboot mit schlafender, und deshalb zur Warnung unfähiger Besatzung quer in der Fahrrinne lag, stellte sich letztlich für die Schiffsführung von MS A als ein derartig außergewöhnliches Ereignis dar, daß mit dessen Eintritt nicht zu rechnen war, so daß sich auch der Vorwurf schuldhaft unterlassener Vorkehrungen verbietet.
Nach alledem war die Berufung mit der Kostenfolge aus §§ 97 Abs. 1, 101 Abs. 1 ZPO zurückzuweisen.
Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf §§ 708 Nr. 10, 711 ZPO.
Streitwert des Berufungsverfahrens und Beschwer für die Beklagten: 73.063,10 DM