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Leitsätze:
1) Der Umfang der behördlichen Verkehrssicherungspflicht im Falle der Abfahrung ausgelegter Tonnen zur Kennzeichnung des Fahrwassers.
2) Kosten eines Vorprozesses gegen einen erfolglos Verklagten sind nur erstattungsfähig, wenn der Geschädigte den Verklagten bei verständiger Würdigung der vorhandenen Erkenntnismittel ohne vermeidbaren Irrtum für den Schuldigen halten durfte.
Urteil des Oberlandesgerichts - Moselschiffahrtsobergericht
vom 15. Januar 1980
3 U 117/79
(Moselschiffahrtsgericht St. Goar)
Zum Tatbestand:
Nachdem der Koppelverband KK am 9. Oktober 1975 abends die bei Moselkm 76,2 ausgelegte rote Tonne abgefahren hatte, geriet am anderen Morgen gegen 7.35 Uhr das von der Klägerin versicherte MS K auf der Bergfahrt im genannten Revier infolge der fehlenden Tonne aus dem Fahrwasser und erlitt eine Grundberührung mit Leckage. Die Klägerin hat zunächst von dem Eigner und Schiffsführer des Koppelverbandes Schadensersatz verlangt, weil die Abfahrung der Tonne nicht sofort der zuständigen Behörde gemeldet worden sei. In dem Rechtsstreit ist die Klägerin unterlegen, weil die Beweisaufnahme die Tatsache der sofort erstatteten Meldung an die Schleuse St. Aldegund ergeben hat.
Nunmehr verlangt die Klägerin von der beklagten Wasser- und Schiffahrtsverwaltung wegen Verletzung der Verkehrssicherungspflicht Zahlung von 23692,55 DM; in diesem Betrag sind Kosten des Vorprozesses von 6062,55 DM enthalten.
Die Beklagte behauptet, MS K habe sich z. Z. der Grundberührung außerhalb der Fahrrinne befunden. Seine Schiffsführung habe von dem Festfahren des Koppelverbandes Kenntnis gehabt. MS K habe von der Abfahrung der Tonne nicht mehr unterrichtet werden können, weil das Schiff die Schleuse Fankel schon vorher passiert habe.
Das Moselschiffahrtsgericht hat der Klage zur Hälfte stattgegeben. Mit der Berufung wendet sich die Beklagte erfolgreich dagegen, daß sie zur Zahlung auch der Hälfte der Vorprozeßkosten verurteilt worden ist. Die Klage ist daher auch in Höhe von 3031,27 DM abgewiesen worden.
Aus den Entscheidungsgründen:
„...
Die Kosten eines Vorprozesses sind nur dann eine adäquate Unfallfolge und als mittelbarer Schaden erstattungsfähig, wenn der Geschädigte den von ihm zunächst und erfolglos Verklagten bei verständiger Würdigung der vorhandenen Erkenntnismittel ohne vermeidbaren Irrtum für den Schuldigen halten durfte (Wassermeyer, Der Kollisionsprozeß, 4. Aufl., S. 373 m. w. N.).
Diese Voraussetzungen sind hier nicht erfüllt.
Schon bei einer verständigen Würdigung des Schreibens des Wasser- und Schiffahrtsamtes Koblenz-Mosel vom 6. November 1975 hätte die Klägerin zu dem Ergebnis gelangen müssen, daß ausschließlich die Beklagte für den Schadensfall einzustehen hatte.
Nach dem Schreiben hat die Beklagtenseite erst gegen 22.10 Uhr von der Tonnenabfahrung erfahren. Sie hat daraufhin sämtliche Bergfahrer durch die Schleuse Fankel auf die fehlende Tonne hinweisen lassen und veranlaßt, daß in den Vormittagsstunden des nächsten Tages (10. 10. 1975) eine Ersatztonne ausgelegt wurde.
Daß die Beklagtenseite mit diesen Maßnahmen ihrer Verkehrssicherungspflicht nicht genügt hatte, lag auf der Hand. Denn alle Fahrzeuge, die wie MS K die Schleuse Fankel schon vor 22.10 Uhr passiert hatten, konnten dort nicht mehr gewahrschaut werden. Das mußte aber geschehen, weil die rote Tonne bei Moselkilometer 76,2 die Fahrrinne zum rechten Ufer begrenzt und deswegen eine wichtige Orientierungshilfe für die Schiffahrt ist. Die Beklagtenseite hätte deshalb dafür Sorge tragen müssen, daß auch die bereits oberhalb der Schleuse Fankel befindlichen Bergfahrer vor der Gefahrenstelle gewarnt wurden. Die Möglichkeit dazu bestand und war zumutbar. Es brauchte nur ein Boot der Wasserschutzpolizei etwas unterhalb der Gefahrenstelle postiert und von ihm aus die ankommende Bergfahrt auf das Fehlen der Tonne hingewiesen werden. Wäre dies von der Beklagtenseite umgehend veranlaßt worden, hätte sich der hier in Rede stehende Unfall nicht ereignet, weil MS K erst am nächsten Morgen gegen 7.30 Uhr an die Gefahrenstelle kam.
Fraglich konnte allenfalls sein, ob nicht die Haftung der Beklagten, die sich entgegen der Meinung des Moselschiffahrtsgerichts nicht aus den §§ 31, 89, 823 BGB, sondern aus § 839 BGB i. V. m. Art. 34 GG ergibt, deshalb entfiel, weil sich die Klägerin bei den Interessenten von KK schadlos halten konnte. Das war aber auch nach dem Schreiben vom 6. November 1975 zu verneinen. Selbst wenn der Koppelverband KK die Tonnenabfahrung nicht sofort, sondern erst gegen 22.10 Uhr gemeldet haben sollte, hatte sich das nicht unfallursächlich ausgewirkt. Denn nachdem die Beklagte von der Tonnenabfahrung Kenntnis erlangt hatte, gebot es die ihr obliegende Verkehrssicherungspflicht, die Schiffahrt unverzüglich von dem Fehlen der Tonne zu unterrichten oder in anderer Form auf die Gefahrenstelle aufmerksam zu machen. Das aber ist nicht in der erforderlichen Weise geschehen wie bereits dargelegt wurde. Unfallursächlich war deshalb nicht die angeblich verspätete Meldung der Tonnenabfahrung durch den Koppelverband KK, sondern die ungenügende Erfüllung der Verkehrssicherungspflicht durch die Beklagtenseite. Daß diese in dem Schreiben vom 6. November 1975 eine andere Rechtsauffassung vertreten hatte, ist unerheblich. Entscheidend war allein, welche Rechtslage sich bei objektiver Würdigung der bekannten Tatsachen ergab. Diese hätten die Klägerin eigenverantwortlich prüfen und schon aufgrund des Schreibens der Beklagtenseite vom 6. November 1975 zu dem Ergebnis gelangen müssen, daß nicht die Interessenten von K, sondern die Beklagte für den Schadensfall einzustehen hatte.
Unabhängig davon können die Kosten des Vorprozesses auch deshalb nicht als adäquate Unfallfolge angesehen werden, weil die Klägerin nicht alle vorhandenen Erkenntnismittel zur Klärung des Schadensfalls ausgeschöpft hatte. Hätte sie nämlich bei den Interessenten von K nachgefragt, wann die Tonnenabfahrung der Beklagtenseite gemeldet worden ist, dann hätte sich alsbald die Unrichtigkeit der Darstellung der Beklagtenseite herausgestellt, und der Vorprozeß wäre vermieden worden.
Aus den dargelegten Gründen war der erstinstanzliche Urteilsbetrag um die hälftigen Kosten des Vorprozesses (3031,27 DM) zu kürzen und wie geschehen zu erkennen.
...“