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Leitsätze:
1) Verfallen im Strom abgelegte Schubleichter, spricht der Beweis des ersten Anscheins für den Schuldvorwurf, daß die Leichter nicht nach § 7.01 Nr. 4 RheinSchPVO ordnungsgemäß abgelegt worden sind. Dieser Anscheinsbeweis ist seitens des Schubboots, von dem die Leichter abgelegt worden sind, zu entkräften.
2) Bilden die verfallenen Schubleichter ein Hindernis für die durchgehende Schiffahrt, besteht eine adäquat haftungsbegründende Kausalität zwischen dem Verfallen der nicht ordnungsgemäß abgelegten Schubleichter und der Kollision von Fahrzeugen, die dem Hindernis ausweichen wollen.
Urteil der Berufungskammer der Zentralkommission für die Rheinschiffahrt
vom 17.06.1993
286 Z 10/93
(Rheinschiffahrtsgericht Duisburg-Ruhrort)
Zum Tatbestand:
Die Parteien streiten um die Folgen eines Schiffsunfalls, der sich am 13.12.1989 auf dem Rheinstrom oberhalb Schwelgern ereignet hat. Die Klägerin, Versicherer des MS L, klagt aus übergegangenem Recht. Die Beklagte zu 1 ist Eigentümerin des Hafenschubboots T1, das vom Beklagten zu 2 verantwortlich geführt wurde. Streithelferin ist die Eigentümerin der Schubleichter V27 und V49.
Am 13.12.1989 etwa gegen 23.00 Uhr hatte das Hafenschubboot T2 bei Dunkelheit und stark windigem Wetter den Schubleichter V27 gegenüber der Ausfahrt des Hafens Schwelgern linksrheinisch auf dem Strom abgelegt. Danach fuhr dieses Boot in den Hafen zurück. Alsbald darauf kam das Hafenschubboot T1 mit dem Schubleichter V49 zu dem dortigen Schubleichterliegeplatz und koppelte V49 in Flashformation an V27 an. Anschließend fuhr das Boot weiter zu Berg, weil es dem Schubboot M beim Ablegen helfen wollte. Kurz darauf löste sich der auf V ausgebrachte Anker und beide Leichter trieben in Schräglage in den Strom. Schubboot T fuhr, nachdem es von dem Verfallen der Leichter informiert worden war, zurück und legte die Leichter wieder stromrecht.
Zu der Zeit, als die beiden Leichter in den Strom verfallen waren, näherten sich ihrer Liegestelle zu Tal mehrere Schiffe, und zwar in der Reihenfolge MS J, MS F, MS J, SB Fl mit zwei nebeneinander gekoppelten Leichtem und schließlich MS „Labora". MS JW drehte kurz vor den Leichtem auf. MS F, MS J und der Schubverband F machten ständig. Bei seinem Manöver verfiel der durch einen rechtsrheinisch befindlichen Stillieger zusätzlich behinderte Schubverband F zur Strommitte hin. MS L versuchte, den Schubverband F mit Backbordkurs freizufahren, was jedoch nicht gelang. MS L kollidierte mit seiner Steuerbordseite etwa mittschiffs mit der Backbordseite des Schubbootes Fl und wurde dabei beschädigt.
Die Klägerin hat behauptet, der Schubverband Fl habe wegen der verfallenden Leichter abstoppen müssen. Dabei habe es sich um ein Notmanöver gehandelt. Das Ausweichmanöver von L sei dadurch zusätzlich erschwert worden, weil gerade der Schubverband M zu einer Begegnung Backbord/Backbord mit L zu Berg gekommen sei.
Die Beklagten und ihre Streithelferin haben behauptet, die beiden Leichter seien dicht am Ufer ordnungsgemäß abgelegt worden. Infolge des aufgekommenen Windes habe offensichtlich der auf dem Schubleichter V49 als Achteranker gesetzte Buganker nicht gehalten. Zwischen den schrägliegenden Leichtem und dem rechtsrheinischen Ufer sei ein erster Talfahrer vorbeigefahren. Der dem MS F in großem Abstand folgende Schubverband Fl sei rechtzeitig durch den Schiffsführer des MS F davon in Kenntnis gesetzt worden, daß man ständig mache. Obwohl Fl von dem linksrheinisch befindlichen Schubverband M noch 500 m und den schrägliegenden Leichtem noch 1200 m entfernt gewesen sei, habe der Schubverband unverzüglich zurückgeschlagen. Dadurch sei das dem Schubverband Fl in dichtem Abstand folgende MS L dem Schubverband aufgefahren.
Das Rheinschiffahrtsgericht hat die Schadensersatzklage dem Grunde nach für gerechtfertigt erklärt. Die Berufung hatte keinen Erfolg.
Aus den Entscheidungsgründen:
„Das Rheinschiffahrtsgericht hat die Klage mit Recht dem Grunde nach für gerechtfertigt erklärt (§§ 3, 4, 114 BinSchG, § 7.01 Nr. 4 RheinSchPVO, §§ 823, 249 BGB, § 304 Abs. 1 ZPO).
Das Auffahren des MS L auf den Schubverband Fl beruht auf einem schadensursächlichen Verschulden des Beklagten zu 2. Dieser hat den Schubleichter V49 nicht unter Berücksichtigung der Wind- und Wasserstandsschwankungen sowie Sog und Wellenschlag so verankert oder festgemacht, daß er seine Lage nicht in einer Weise verändern konnte, die andere Fahrzeuge gefährdete oder behinderte. Durch das Verfallen des Leichters wurde die durchgehende Schiffahrt behindert und der Schubverband Fl zu Manövern gezwungen, denen MS L nicht ausweichen konnte, wodurch es zur Anfahrung zwischen diesen Fahrzeugen kam.
1. Für ein Verschulden des Beklagten zu 2 an dem Verfallen der in Flash-Formation gekoppelten Leichter V27 und V49 spricht der Beweis des ersten Anscheins und zwar geht der Schuldvorwurf dahin, daß die Leichter nicht ordnungsgemäß abgelegt worden sind. Denn ein ordnungsgemäß abgelegter Schubleichter verfällt erfahrungsgemäß nicht in den Strom und bildet kein Hindernis. Den Beklagten oblag es daher, diesen gegen sie sprechenden Anscheinsbeweis zu entkräften und Umstände aufzuzeigen und zu beweisen, die den für den Anscheinsbeweis sprechenden typischen Geschehensablauf widerlegen. Diesen Entlastungsbeweis haben die Beklagten und ihre Streithelferin nicht führen können.
Der von den Beklagten benannte Zeuge S. hat zu der Frage, mit wieviel Kette der als Heckanker dienende Buganker des Schubleichters V49 ausgebracht worden ist, lediglich erklärt, er habe „ausreichend Kette gesteckt", in Metern könne er das allerdings nicht sagen. Da es sich insoweit lediglich um eine Beurteilung und nicht um die Darstellung einer Tatsache handelt, ist nicht - auch nicht durch Sachverständige - nachprüfbar, ob der in Rede stehende Heckanker tatsächlich angesichts der witterungsbedingten und örtlichen Verhältnisse auf dem Schubleichterliegeplatz oberhalb von Schwelgern bei windigem Wetter ordnungsgemäß ausgebracht worden ist. Der Nachteil dieser Beweislosigkeit geht zu Lasten der Beklagten und ihrer Steithelferin, ohne daß es für die Frage der Befestigung der Leichter auf die sonstigen von dem Rheinschiffahrtsgericht angeführten Umstände weiter hätte ankommen können.
2. Das Rheinschiffahrtsgericht hat mit Recht eine haftungsbegründende Kausalität zwischen dem Verfallen der nicht ordnungsgemäß abgelegten Schubleichter und der Kollision zwischen dem Schubboot Fl und MS L angenommen. Für die Annahme eine adäquaten Kausalität zwischen einem Ereignis oder einem Verhalten und den Folgen kommt es nicht entscheidend darauf an, in welchem Abstand sich ein Ereignis oder ein Verhalten schädigend auswirkt, sondern ausschließlich darauf, ob es im allgemeinen und nicht nur unter besonders eigenartigen, unwahrscheinlichen und nach dem gewöhnlichen Verlauf der Dinge außer Betracht zu lassenden Umständen geeignet ist, einen Erfolg der eingetretenen Art herbeizuführen. Ein solcher Zurechnungszusammenhang ist unter den hier gegebenen Umständen anzunehmen. Denn durch das Verfallen der Leichter wurde auf dem Rheinstrom ein Hindernis für die durchgehende Schiffahrt bei Nacht und stürmischem Wetter geschaffen. Die sich den Leichtem zu Tal nähernden Schiffe wurden zu Reaktionen gezwungen, um nicht die Leichter oder das jeweils vorausfahrende Schiff anzufahren. So hat das erste zu Tal kommende Schiff, das MS JW, aufgedreht, und die beiden folgenden Motorschiffe F und J sind ständig geworden.
Auch der dem MS L Schiffe und nach der Überzeugung der Berufungskammer auch durch die Durchsagen über Kanal 10 veranlaßt, abzustoppen, zumal das nächste Schiff, wie der Zeuge W. ausgesagt hat, nur noch 50 - 60 m unterhalb war. Nach den weiteren Bekundungen des Zeugen W. hat der Schiffsführer des Schubverbandes Fl, der inzwischen verstorbene Schiffsführer L., die Fahrt aus dem Verband herausgenommen, zurückgeschlagen und rückwärts gemacht, wobei sich dieser Schubverband bis auf etwa 5 - 10 m einem rechtsrheinisch liegenden Stillieger näherte. Durch dieses Manöver wollte der Schiffsführer des Schubverbandes Fl den Verband nach Angaben des Zeugen W. aufstrecken, was dafür spricht, daß der Verband, wie das auch der Zeuge P. ausgesagt hat, seinerseits im Strom verfallen war und nicht mehr stromrecht lag. In dieser Situation kam es zur Kollision zwischen Fl und MS L. Der Schiffsführer des MS L, der Zeuge P., hatte nach seinen Bekundungen im Radarbild gesehen, daß sich sein Abstand zu seinem Vordermann verringerte und hat daraufhin sofort zurückgeschlagen. Er sah, daß sich der Abstand zu dem Schubverband gleichwohl verringerte und hat dann versucht, noch auszuweichen. Nach seinem Eindruck kam gleichzeitig noch der Schubverband M zu Berg, der tatsächlich aber, wie dessen Schiffsführer, der Zeuge Sch., ausgesagt hat, linksrheinisch stillag. Beim Zurückmachen verfiel nunmehr der Schubverband Fl und geriet mitschiffs gegen L, nachdem P. die Schiffsführung des Schubverbandes noch aufgefordert hatte, aufzustrecken, weil er dann noch vorbeikomme, worauf ihm geantwortet worden war, das ginge nicht, vor dem Schubverband sei ein Stillieger. Bei dieser Situation kann nicht zweifelhaft sein, daß sich das durch die verfallenden Leichter gebildete Hindernis sowohl auf Fl als auch auf L adäquat-kausal ausgewirkt hat.
Weder die Fahrweise des Schubverbandes Fl noch die des MS L weisen „besonders eigenartige oder ungewöhnliche Umstände" auf, die geeignet wären, den Kausalzusammenhang zu verneinen, wie die Beklagten und ihre Streithelferin meinen. Der Schubverband Fl hatte sich, wie ausgeführt, seinem Vordermann bis auf 50 - 60 m genähert und mußte infolge des Schiffsstaus zurückmachen. Daß er dabei sich einem rechtsrheinisch liegenden Stillieger nährte, war nicht ungewöhnlich, im übrigen auch unschädlich. Wenn der Schubverband dann nach rechtsrheinisch hin verfiel, beruhte auch das auf dem eingetretenen Schiffsstau auf dem Strom. Denn die Leichter wurden als die Folge des Zurückschlagen von dem stürmischen Wind aus westlicher Richtung erfaßt, sodaß der Verband nach rechtsrheinisch hin verfiel. Auch diese Folge konnte durch Zurückschlagen und Aufstrecken beherrscht werden. Hierbei wurde aber der Seitenabstand zu MS L verringert, und es kam zur Kollision.
Möglicherweise hatte Schiffsführer L. die Kollision mit MS L verhindern können, wenn er seinerseits den Schiffsführer dieses Schiffes rechtzeitig über die bestehende Gefahrenlage und seine eigenen beabsichtigten Manöver frühzeitig unterrichtet hätte. In einer Gefahrenlage, wie sie hier durch die Leichter geschaffen wurde, ist das Unterbleiben einer solchen Warnung nachfolgender Verkehrsteilnehmer nicht ungewöhnlich, weil jeder Schiffsführer in einer Gefahrenlage zunächst die Risiken für das eigene Schiff erwägt und mit den notwendigen eigenen Maßnahmen und Manöver voll beschäftigt ist. Unter diesen Umständen kommt einer unterbliebenen Warnung des MS L für die Frage der Kausalität keine Bedeutung zu.
3. Für Schiffsführer P. kam nach seinen Bekundungen die schwierige Verkehrssituation ersichtlich überraschend. Es bedarf keiner Ausführungen, daß Schiffsführer P. verpflichtet war, sein Funksprechgerät in Tätigkeit zu halten, schon weil er mit Hilfe von Radar fuhr. Nach seinen Bekundungen hat er aber über Funk keine Ansage über die unterhalb eingetretene Verkehrssituation erhalten. Daraus können unter den hier gegebenen Umständen aber keine ihm nachteiligen Schlußfolgerungen gezogen werden; denn die beiden Leichter waren nach Darstellung der Berufung mindestens 2,5 km unterhalb seines Standorts verfallen. Schon ein solcher Abstand läßt es zweifelhaft erscheinen, ob bei der Reichweite der Funksprechgeräte der Empfang einer Durchsage möglich war. Berücksichtigt man weiter, daß über Kanal 10 laufend Durchsagen erfolgen und die Sprechdisziplin der Schiffahrt nicht selten gering ist, kann nicht ausgeschlossen werden, daß durch sonstige Durchsagen - auch von oberhalb befindlichen Schiffen - der Empfang einer Warnung verhindert worden ist. Auch die Durchsagen der L vorausfahrenden Schiffe kann wegen unklarer Äußerungen und durch die Überlagerung infolge anderer Durchsagen für Schiffsführer P. als Warnung unverständlich gewesen sein. Das Gegenteil läßt sich jedenfalls nicht feststellen.
Schiffsführer P. kann auch nicht vorgeworfen werden, in der gegebenen Situation nautisch falsch gehandelt zu haben. Was zunächst den Abstand angeht, den er bei der Annäherung an die Unfallstelle zu dem vorausfahrenden Schubverband eingehalten hat, kann darin nichts Ungewöhnliches gesehen werden. Wenn der Zeuge P. mit MS L in einer Kette von Talfahrern mit 300 m Abstand zu dem vorausfahrenden Schubverband Fl fuhr, entsprach diese Fahrweise der schiffahrtsüblichen Praxis, zumal das Fahrwasser auf dem Niederrhein fast überall eine Überholung zuläßt. Lief MS L einem anderen Schiff auf, habe der Zeuge P. jederzeit überholen können. Daß er mit seinem leeren Schiff gegenüber anderen Schiffen beim Zurückschlagen nur mit verringerter Kraft drehen konnte, konnte er, falls notwendig, durch ein Überholmanöver ausgleichen. Daß plötzlich ein Schiffsstau eintreten und ihm der Fahrweg bei einem Überholmanöver in Höhe des stilliegenden Schubverbandes M verlegt werden könnte und insbesondere weiter auch der vorausfahrende Schubverband seinerseits durch einen Stillieger behindert ohne vorherige Warnung seinerseits zurückschlagen und verfallen könnte, brauchte der Zeuge P. bei der Fahrt im Anschluß an vorausfahrende Schiffe bei einem Abstand von 300 m nicht zu besorgen, auch wenn ihm die leeren Leichter des Schubverbandes Fl die Sicht nach Unterstrom hin behinderten. Sein Versuch, durch die Lücke zwischen dem stilliegenden Schubverband „Mosel" und den Schubverband Fl durchzufahren, kann nach alledem auch nicht beanstandet werden. Als Fl den Abstand zu L durch Zurückschlagen verkürzte und dazu noch verfiel, hatte der Zeuge P. keine Möglichkeit mehr, die Kollision zu vermeiden, nachdem er vergeblich den Schubverband Fl zum Aufstrekken aufgefordert hatte. Da die Schiffsführung des MS L kein Verschulden trägt, kommt eine Schadensverteilung nach § 92 c BinSchG nicht infrage. Es kann deshalb dahingestellt bleiben, ob der Schiffsführung des Schubverbandes Fl - aus welchen Gründen auch immer - ein schadensursächliches Verschulden angelastet werden kann. Die Berufung der Beklagten und ihres Streithelfers mußte nach alledem in entsprechender Anwendung der §§ 97 Abs. 1, 100 Abs. 4, 101 Abs. 2 ZPO auf ihre Kosten als unbegründet zurückgewiesen werden...."
Ebenfalls abrufbar unter ZfB 1993 - Nr.22 (Sammlung Seite 1448 f.), ZfB 1993, 1448 f.