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Berufungskammer der Zentralkommission für die Rheinschiffahrt
Urteil
vom 7. Mai 1974
(auf Berufung gegen das Urteil des Rheinschifffahrtsgerichts Duisburg-Ruhrort vom 14.12.73 - 5 C 129/72 BSch -)
Zum Tatbestand:
Die Klägerin ist die Eigentümerin des Schubmotorschiffs "R107", das 1570 t fasst, 80 m lang und 9,50 m breit ist sowie durch 2 Schottelnavigatoren von je 600 PS angetrieben wird. Es war auf der zum noch zu schildernden Unfall führenden Fahrt auf 1,50 m Tiefgang abgeladen. Die Klägerin ist weiter die Eignerin des Tankleichters "R26", der 2814 t fasst, 76,50 m lang und 11,40 m breit ist. Er war ebenfalls beladen und ging deshalb 1,50 m tief. Am 9.11.1971 fuhren beide Schiffe aus dem Hafenkanal vom Duisburg-Ruhrort auf den Rhein. Sie waren so nebeneinander gekoppelt, dass der Leichter an der Backbordseite des Motorschiffes lag. Ihnen entgegen kam vom Rhein her das MTS "E", dessen Eignerin die Beklagte zu 1) ist, und das vom Beklagten zu 2) geführt wurde. Das Schiff, dessen Masse nicht bekannt sind, hatte 702 t Heizöl geladen und ging 1,80 m tief, und zwar einem Stande des Ruhrorter Pegels von damals 1,61 m. Bei der Begegnung stieß das Backbordvorschiff von "E" gegen die Backbordseite des Schubleichters und beschädigte diesen. Die Klägerin verlangt Ersatz des entstandenen Schadens in Höhe von angeblich 12.850,50 DM. Sie hat behauptet: Ihre Schiffe hätten in langsamer Fahrt einen Kurs beobachtet, der die Gefahr eines Zusammenstosses ausgeschlossen habe. Das zu tief abgeladene TMS "E" habe sich in der Mündung des Hafenkanals festgefahren und versucht, wieder frei zu kommen. Die Führung ihrer Schiffe habe die schwierige Lage von "E" bemerkt und deshalb die Maschinen rückwärts laufen lassen. Außerdem seien ihre Schiffe nach Steuerbord ausgewichen. Zum Unfall sei es dadurch gekommen, dass das TMS "E" plötzlich freigekommen und unter der Wirkung der voll eingesetzten Maschinenkraft nach Backbord geschossen sei. Dabei sei das Schiff gegen den Leichter gestoßen.
Die Klägerin hat beantragt,
die Beklagten als Gesamtschuldner zu verurteilen, an sie 12.285,50 DM nebst 4 % Zinsen seit dem 7.12.1971 zu bezahlen und auszusprechen, dass die Beklagte zu 1) dinglich mit dem MTS "E" und persönlich im Rahmen des Binnenschifffahrtsgesetzes hafte.
Die Beklagten haben den Antrag gestellt,
die Klage abzuweisen, hilfsweise ihnen Vollstreckungsnachlass zu gewähren.
Sie haben behauptet: Der Kurs des Koppelverbandes der Klägerin habe sofort, nachdem er erkennbar gewesen sei, einen Zusammenstoss bei der Begegnung befürchten lassen. Deshalb habe der Beklagte zu 2) mit der Führung des Verbandes Verbindung über Sprechfunk aufgenommen, und auf die bestehende Gefahr hingewiesen. Daraufhin habe der Verband mit voller Kraft rückwärts zu fahren, versucht und sei dabei nach Backbord verfallen. Der Beklagte zu 2) habe die Maschine von "E" ebenfalls mit voller Kraft rückwärts laufen lassen, um einen Zusammenstoß zu vermeiden. Hierbei sei das Vorschiff nach Steuerbord gegen die Böschung der Hafenmole gefallen. Im Verlaufe dieser Manöver sei der Schubleichter gegen "E" gestoßen. Die Beklagten haben bestritten, dass ihr Schiff sich festgefahren hätte. Weiter haben sie die Hohe des behaupteten Schadens bestritten. Das Rheinschifffahrtsgericht Duisburg-Ruhrort hat die Kapitäne des Koppelverbandes der Klägerin und einen Matrosen von "E" als Zeugen gehört. Sodann ist die Klage mit der Begründung abgewiesen worden, die Ursache des Zusammenstosses sei ungewiss. Deshalb finde nach § 734 HGB ein Ersatz des Schadens der Klägerin nicht statt. Die, Klägerin hat gegen das Urteil, Berufung eingelegt mit der Maßgabe, dass die Entscheidung der Berufungskammer der Zentralkommission für die Rheinschifffahrt verlangt werde. Die Parteien wiederholen ihren Vortrag aus dem ersten Rechtszuge und nehmen zu den Ausführungen des Rheinschifffahrtsgerichts Stellung Beide Parteien tragen insbesondere ihre Würdigung der durchgeführten Beweisaufnahme vor.
Es beantragen:
Die Klägerin,
nach, ihren Schlussanträgen aus der ersten Instanz zu erkennen.
Die Beklagten,
die Berufung zurückzuweisen, eventuell Vollstreckungsnachlass zu bewiliigen.
Aus den Entscheidungsgründen:
Die in formeller Hinsicht nicht zu beanstandende Berufung hat Erfolg. Sie führt zum Erlass eines Grundurteil nach §304 abs. I der deutschen Zivilprozessordnung, da die Klage zwar dem Grund, aber nicht der Höhe nach entscheidungsreif ist. Im Gegensatz zum Rheinschifffahrtsgericht hält die Berufungskammer die Ursache des umstrittenen Unfalles für geklärt.
Im einzelnen ist zu sagen: Alle vom Rheinschifffahrtsgericht vernommenen Zeugen, auch der Matrose B. vom MTS "Elisabeth", haben ausgesagt, dass die ursprünglichen Kurse der am Unfall beteiligten Schiffe die Gefahr eines Zusammenstoßes bei der Begegnung ausgeschlossen hätten. Nach den Aussagen der beiden Kapitäne des Koppelverbandes hatte "E" als Bergfahrer zunächst die blaue Seitenflagge gesetzt und damit eine Begegnung Steuerbord auf Steuerbord verlangt. Später sei diese Flagge eingezogen und so eine Backbordbegegnung verlangt worden. Das ist, aber auf ausreichende Entfernung geschehen. Die Signale des Bergfahrers sind deshalb zur Kursfestlegung rechtzeitig erwidert worden. Berücksichtigt man diese Ausgangslage, so hat die Klägerin darzulegen und zu beweisen, wie es trotzdem zum Unfall kommen konnte. Ihre einleuchtende Darlegung geht dahin, das TMS "E" habe sich in der Mündung des Hafenkanals festgefahren und versucht, durch vollen Einsatz seiner Maschine wieder frei zu kommen. Als dies gelungen sei, sei das Schiff nach Backbord geschossen und gegen ihrem Leichter gestoßen. Diese Unfallerklärung ist deshalb einleuchtend, weil das Schiff der Beklagten unstreitig um 19 cm über den damaligen Stand des Ruhrorter Pegels hinaus abgeladen war. Wenn es auch deshalb nicht unbedingt auf Grund geraten musste, so bestand doch eine nicht unerhebliche Gefahr dieser Art. Sie macht die Aussage der Kapitäne der Klägerin, "E" sei in der Hafeneinfahrt auf Grund geraten, glaubhaft. Natürlicherweise versucht ein Schiff in einer solchen Lage zunächst, aus eigener Kraft wieder freizukommen, was auch oft gelingt. Natürlich ist auch, dass solche Versuche den Einsatz der vollen Maschinenkraft des festsitzenden Schiffes erfordern, die je nach Zweckmäßigkeit im Vorwärts- oder im Rückwärtsgang eingesetzt wird. Es ist einleuchtend, dass dies auch auf "E." geschah, wie die Kapitäne der Klägerin ebenfalls bekundet haben. Die Erfahrung zeigt schließlich, dass, wenn ein festsitzendes Schiff auf diese Weise freikommt, es ruckartig unter der Wucht des vollen Maschineneinsatzes vorwärts oder rückwärts schießt und dabei auch. zur Seite hin geraten kann, weil nicht rechtzeitig Gegenruder gegeben wird. Deshalb passt in den Rahmen einer einleuchtenden Unfallerklärung die Aussage der Kapitäne der Klägerin, "E" sei plötzlich freigekommen und nach Backbord gegen ihren Schubleichter geschossen. Schließlich haben diese auch einleuchtend geschildert, wie sie selbst auf die von ihnen erkannten Schwierigkeiten des Schiffes der Beklagten reagiert haben. Sie haben die Maschinen rückwärts laufen lassen und versucht, nach Steuerbord auszuweichen. Nun könnte diese einleuchtende Unfallerklärung entwertet werden, weis die Beklagten eine andere, aber ähnlich einleuchtende geben, könnten. Das ist ihnen aber nicht gelungen. Ihre Behauptung, der Kurs des Verbandes der Klägerin habe von Anfang an die Gefahr eines Begegnungsunfalles heraufbeschworen, ist durch die Aussage des Matrosen B. von "E" widerlegt worden. Diese Aussage ist aber auf der anderen Seite keine einleuchtende Unfallerklärung. Der Zeuge hat nämlich gesagt, "E" habe sich nicht festgefahren. Zum Unfall sei es deshalb gekommen, weil der Verband der Klägerin "auf einmal" nach Backbord auf "E" zugefahren sei. Nach dieser Aussage ist also der Unfall die Folge eines völlig unverständlichen, da durch nichts veranlassten Manövers des Verbandes der Klägerin. Eine solche Erklärung ist ohne Überzeugungskraft, wenn sie durch nichts bestätigt wird und einer anderen Unfallerklärung gegenübersteht, die feststehende Tatsachen für sich hat (zu tiefe Abladung von "E") und mit diesen Tatsachen in Einklang steht.
Aus den dargelegten Gründen hält die Berufungskammer für bewiesen, dass
1) das TMS "E" in der Mündung des Hafenkanals von Duisburg auf Grund geraten ist, weil es zu tief abgeladen war, dass
2) es den Versuch gemacht hat, durch vollen Einsatz seiner Maschine freizukommen, dass
3) dieser Versuch schließlich gelang, das Schiff dabei aber nach Backbord schoss und gegen den Leichter der Klägerin stieß, dass
4) man auf dem Verband der Klägerin die Schwierigkeiten des festsitzenden Schiffes der Beklagten erkannte und durch umschalten auf Rückwärtsgang und Verlegung des Kurses darauf zu reagieren versuchte.
Alleinige Unfallursache ist mithin die zu tiefe Abladung des Schiffes der Beklagten. Hierin liegt ein Verstoß gegen § 1.06 RSchPVO. Der Unfall geht also zu Lasten der Beklagten, so dass die Klage entsprechend den §§ 823 BGB, 3,4, 114 BSchG gerechtfertigt ist mit der Maßgabe, dass über die Höhe des Schadens das Rheinschifffahrtsgericht noch entscheiden muss.
Es wird deshalb für Recht erkannt:
Auf die Berufung der Klägerin hin wird das am 14. Dezember 1973 verkündete Urteil des Rhein-Schifffahrtsgerichts Duisburg-Ruhrort dahin abgeändert, dass die Klage dem Grunde nach für gerechtfertigt erklärt wird.
Zur Entscheidung über die Hohe wird der Rechtsstreit an das Rheinschifffahrtsgericht Duisburg-Ruhrort zurückverwiesen.
Die Kosten des Berufungsverfahrens tragen die Beklagten.
Die Festsetzung der Kosten unter Berücksichtigung von Artikel 39 der Revidierten Rheinschifffahrtsakte erfolgt durch das Rheinschifffahrtsgericht Duisburg-Ruhrort.
Der Gerichtskanzler Der Vorsitzende