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Leitsatz:
Zur Beweisführung bezüglich einer Unfallursache, wenn feststehenden Tatsachen, z. B. einer als nachgewiesen anzusehenden Festfahrung, nur Erklärungen gegenüberstehen, die für bestimmte Vorgänge oder Verhaltensweisen ohne Überzeugungskraft sind.
Urteil der Berufungskammer der Rheinzentralkommission
vom 7. Mai 1974
27 Z - 3/74
(Rheinschiffahrtsgericht Duisburg-Ruhrort)
Zum Tatbestand:
Bei der Ausfahrt aus dem Ruhrorter Hafenkanal und einem Ruhrorter Pegel von 1,61 m hatte das der Klägerin gehörende Schubmotorschiff R an seiner Backbordseite den ihr gleichfalls gehörenden Tankleichter R - beide auf 1,50 Tiefgang - längsseits genommen. Bei der Begegnung mit dem beladenen, der Beklagten zu 1 gehörenden und vom Beklagten zu 2 geführten, 1,80 m tiefgehenden MTS E stieß dieses Schiff im Mündungsbereich des Kanals mit seinem Backbordvorschiff gegen die Backbordseite des Tankleichters. Die Klägerin verlangt Ersatz der an R entstandenen Schäden von über 12 000,- DM mit der Begründung, daß das in der Mündung des Hafenkanals festgefahrene TMS E sich wegen zu tiefer Abladung festgefahren habe und beim Versuch, wieder frei zu fahren, plötzlich losgekommen und dann mit voller Maschinenkraft gegen den Leichter geschossen sei. Die Beklagten haben ein Festfahren bestritten. Als der Kurs des Koppelverbandes die Gefahr eines Zusammenstoßes schon habe erkennen lassen, habe der Beklagte zu 2 über Sprechfunk darauf hingewiesen, worauf der Verband beim Versuch, mit voller Kraft rückwärts zu fahren, nach Backbord verfallen sei. Das MTS E sei, als es gleichfalls mit voller Kraft rückwärts habe fahren wollen, mit dem Vorschiff nach Steuerbord gegen die Böschung der Hafenmole gefallen. Das Rheinschiffahrtsgericht hat die Klage abgewiesen, weil die Ursache des Zusammenstoßes - auch nach Vernehmung verschiedener Zeugen - ungewiß geblieben sei. Auf die Berufung der Klägerin hat die Berufungskammer das erstinstanzliche Urteil aufgehoben und die Klage dem Grunde nach für gerechtfertigt erklärt.
Aus den Entscheidungsgründen:
Alle vom Rheinschiffahrtsgericht vernommenen Zeugen, auch der Matrose B. vom MTS E, haben ausgesagt, daß die ursprünglichen Kurse der am Unfall beteiligten Schiffe die Gefahr eines Zusammenstoßes bei der Begegnung ausgeschlossen hätten. Nach den Aussagen der beiden Kapitäne des Koppelverbandes hatte „Elisabeth" als Bergfahrer zunächst die blaue Seitenflagge gesetzt und damit eine Begegnung Steuerbord auf Steuerbord verlangt. Später sei diese Flagge eingezogen und so eine Backbordbegegnung verlangt worden. Das ist aber auf ausreichende Entfernung geschehen. Die Signale des Bergfahrers sind deshalb zur Kursfestlegung rechtzeitig erwidert worden. Berücksichtigt man diese Ausgangslage, so hat die Klägerin darzulegen und zu beweisen, wie es trotzdem, zum Unfall kommen konnte. Ihre einleuchtende Darlegung geht dahin, das TMS E habe sich in der Mündung des Hafenkanals festgefahren und versucht, durch vollen Einsatz seiner Maschine wieder frei zu kommen. Als dies gelungen sei, sei das Schiff nach Backbord geschossen und gegen ihren Leichter gestoßen. Diese Unfallerklärung ist deshalb einleuchtend, weil das Schiff der Beklagten unstreitig um 19 cm über den damaligen Stand des Ruhrorter Pegels hinaus abgeladen war. Wenn es auch deshalb nicht unbedingt auf Grund geraten mußte, so bestand doch eine nicht unerhebliche Gefahr dieser Art. Sie macht die Aussage der Kapitäne der Klägerin, E sei in der Hafeneinfahrt auf Grund geraten, glaubhaft. Natürlicherweise versucht ein Schiff in einer solchen Lage zunächst, aus eigener Kraft wieder freizukommen, was auch oft gelingt. Natürlich ist auch, daß solche Versuche den Einsatz der vollen Maschinenkraft des festsitzenden Schiffes erfordern, die je nach Zweckmäßigkeit im Vorwärts- oder im Rückwärtsgang eingesetzt wird. Es ist einleuchtend, daß dies auch auf E geschah, wie die Kapitäne der Klägerin ebenfalls bekundet haben. Die Erfahrung zeigt schließlich, daß, wenn ein festsitzendes Schiff auf diese Weise freikommt, es ruckartig unter der Wucht des vollen Maschineneinsatzes vorwärts oder rückwärts schießt und dabei auch zur Seite hin geraten kann, weil nicht rechtzeitig Gegenruder gegeben wird. Nun könnte diese einleuchtende Unfallerklärung entwertet werden, wenn die Beklagten eine andere, aber ähnlich einleuchtende geben könnten. Das ist ihnen aber nicht gelungen (wird ausgeführt). Nach dieser Aussage ist also der Unfall die Folge eines völlig unverständlichen, da durch nichts veranlaßten Manövers des Verbandes der Klägerin. Eine solche Erklärung ist ohne Oberzeugungskraft, wenn sie durch nichts bestätigt wird und einer anderen Unfallerklärung gegenübersteht, die feststehende Tatsachen für sich hat (zu tiefe Abladung von „Elisabeth") und mit diesen Tatsachen in Einklang steht.
Aus den dargelegten Gründen hält die Berufungskammer für bewiesen, daß
1. das TMS E in der Mündung des Hafenkanals von Duisburg auf Grund geraten ist, weil es zu tief abgeladen war, daß
2. es den Versuch gemacht hat, durch vollen Einsatz seiner Maschine freizukommen, daß
3. dieser Versuch schließlich gelang, das Schiff dabei aber nach Backbord schoß und gegen den Leichter der Klägerin stieß, daß
4. man auf dem Verband der Klägerin die Schwierigkeiten des festsitzenden Schiffes der Beklagten erkannte und durch Umschalten auf Rückwärtsgang und Verlegung des Kurses darauf zu reagieren versuchte.
Alleinige Unfallursache ist mithin die zu tiefe Abladung des Schiffes der Beklagten. Hierin liegt ein Verstoß gegen § 1.06 RSchPVO.