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Leitsätze:
Hat der Kurs eines Bergfahrers dem Talfahrer keinen Raum für eine gefahrlose Vorbeifahrt gelassen (§§ 1.04, 6.04 Nr. 1 RheinSchPVO), kann offen bleiben, ob der Bergfahrer auch nach § 6.24 Nr. 1 i.V.m. § 6.07 1 c RheinSchPVO gehalten gewesen ist, unterhalb eines als Fahrwasserenge anzusehenden Brückenbogens die Durchfahrt des Talfahrers abzuwarten.
Ein Schiffsführer ist nach § 6.32 Nr. 3 RheinSchPVO in der Lage, eine Radarfahrtgefahrlosfortzusetzen, ohne einen Ausguck nach § 6.30 Nr. 1 Satz 2 RheinSchPVO aufstellen zu müssen, wenn er davon ausgehen kann, daß seinem Fahrzeug genügender Raum für eine gefahrlose Begegnung gelassen wird, z. B. bei einer Brückendurchfahrt die volle Breite eines Brückenbogens.
Urteil der Berufungskammer der Zentralkommission für die Rheinschiffahrt
vom 23. April 1992
255 Z 1/92
(Rheinschiffahrtsgericht Mannheim)
Zum Tatbestand:
Am 17. 11. 1988 geriet der an der Backbordseite von MTS R18 gekuppelte TSL R50 während der Talfahrt dieses im Eigentum der Klägerin stehenden Koppelverbandes (KV) durch den rechten Bogen der Konrad-Adenauer-Brücke zwischen Mannheim und Ludwigshafen mit der Backbordseite gegen den Vorfuß des linken Pfeilers des Brückenbogens. Der TSL riß ab. Beide Fahrzeuge des KV erlitten Schäden, den die Klägerin von dem Beklagten ersetzt verlangt, dessen MS A unter seiner Führung zur Unfallzeit unterhalb der Brücke rechtsrheinisch zu Berg fuhr, weil er ebenfalls den rechten Brückenbogen für die Brückendurchfahrt benutzen wollte. Wegen starken Nebels und Sichtweiten um 100m fuhren der KV und das MS mit Radar. Der Beklagte hatte mit dem Schiffsführer B. des KV eine Steuerbordbegegnung vereinbart und nach dessen Behauptung außerdem zugesagt, unterhalb der Brücke die Durchfahrt des KV abzuwarten. Der Beklagte sei aber in den Brückenbogen mit einem Seitenabstand von ca. 20-25m zum rechten Ufer eingefahren, so daß der KV unmittelbar vor und in der Brückendurchfahrt nach Backbord habe ausweichen müssen. Zwar sei es ihm gelungen, die Steuerbordseite des MS A auf 5-8 m freizufahren. Jedoch habe das Ausweichmanöver die Anfahrung des Vorfußes des linken Pfeilers des Brückenbogens zur Folge gehabt. Dessen Durchfahrtsbreite habe bei dem zur Unfallzeit vorhandenen Wasserstand unter 65 m gelegen. Der Beklagte hat behauptet, er habe nur erklärt, daß er etwas langsamer machen werde. Demgemäß habe er sich der Brücke mit verminderter Geschwindigkeit und einem Seitenabstand von ca. 10m zum rechter Ufer genähert.
Das Rheinschiffahrtsgericht hat den Klageanspruch dem Grunde nach für gerechtfertigt erklärt. Die Berufung hatte keinen Erfolg.
Aus den Entscheidungsgründen:
„1. Es ist unbestritten, daß der Beklagte dem Führer des KV über Sprechfunk die Weisung erteilt hat, an der Steuerbordseite des MS A vorbeizufahren. Kein Streit besteht zwischen den Parteien auch darüber, daß Berg- und Talfahrt die Konrad-Adenauer-Brücke durch den rechten Brückenbogen passieren wollten. Streitig ist hingegen, ob der Beklagte mit dem Führer des KV abgesprochen hat, mit seinem Fahrzeug unterhalb der Brücke die Durchfahrt des KV abzuwarten, so daß es zwischen ihnen zu keiner Begegnung im Brückenbereich kommen konnte. Umstritten ist ferner, wo sich MS A befunden hat, als der KV den rechten Brückenbogen passiert hat.
a) Die Berufungskammer ist nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme überzeugt, daß der Beklagte mit dem Schiffsführer B. des KV abgesprochen hat, mit seinem Fahrzeug unterhalb der Brücke zu warten, um eine Begegnung zwischen der Berg- und Talfahrt in der Brücke zu vermeiden. Eine solche Absprache hat nicht nur B. bei seiner Vernehmung durch das Rheinschiffahrtsgericht bezeugt. Vielmehr hat das auch der an dem Unfall unbeteiligte Zeuge K., der als Lotse des hinter dem KV zu Tal fahrenden MS Ar den Sprechfunkverkehr zwischen dem Beklagten und B. mitgehört hat, bekundet. Überdies ist den Aussagen des Beklagten (vor der Wasserschutzpolizei) und seiner Ehefrau (vor dem Rheinschiffahrtsgericht) zu entnehmen, daß sich der Beklagte zumindest dem Sinne nach gegenüber B. dahin geäußert hat, unterhalb der Brücke zu verbleiben, bis der KV sie passiert hatte. So hat der Beklagte nach seiner Schilderung der Führung des KV, den er allerdings für einen Einzelfahrer gehalten hat, über Sprechfunk mitgeteilt, „für die Talfahrt oberhalb der Konrad-Adenauer-Brücke Begegnung Steuerbord/Steuerbord, die Bergfahrt macht ein bißchen langsamer". Alsdann habe er die Maschine so weit zurückgenommen, daß sein Fahrzeug gerade noch manövrierfähig gewesen sei. Ähnlich hat sich die Ehefrau des Beklagten, die ebenfalls den Radarschirm beobachtet hat, geäußert. Zwar hat sie in Abrede gestellt, daß der Beklagte gesagt habe, er werde unterhalb der Brücke warten. Jedoch hat sie die Angabe des Beklagten bestätigt, er werde langsamer machen. Außerdem hat sie bemerkt, daß, wenn jemand sage, ich mache langsam, „dann hat das auch schon den Sinn, daß Talfahrer und Bergfahrer nicht gleichzeitig im Brückenbogen sind". Ferner hat sie gemeint, die Bergfahrt lasse normalerweise die Talfahrt zuerst durch den Brückenbogen, da sie eine größere Geschwindigkeit habe und schwerer manövrieren könne.
b) Die Berufungskammer ist nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme außerdem überzeugt, daß der Beklagte in den rechten Brückenbogen in dessen mittleren Bereich eingefahren ist, ehe der KV diesen passiert hatte. Allerdings hat er bekundet, daß der Abstand seines Schiffes zum rechten Ufer zuletzt ca. 10 m betragen und sich dieses noch ca. 100 m unterhalb der Brücke befunden habe, als er ein lautes Krachen gehört habe. Diese Angaben hat außerdem seine Ehefrau im wesentlichen bestätigt. Demgegenüber hat Schiffsführer B. ausgesagt, er habe etwa 200 m von der Brücke entfernt festgestellt, daß das Echo des Bergfahrers im Streufeld der Brücke verschwunden sei, und zwar mitten in der Durchfahrt vom rechten Joch, wohin auch der Kurs seines KV gerichtet gewesen sei. Diese Aussage wird gestützt von den Bekundungen des an dem Unfall unbeteiligten und am Prozeßergebnis ersichtlich nicht interessierten Zeugen B. Dieser hat mit seinem Schiff (MS G) etwa 370-400m unterhalb der Brücke auf der linksrheinischen Seite gelegen. Er hat sich zur Unfallzeit im Ruderhaus seines Schiffes aufgehalten, weil er ablegen wollte und deshalb die Vorgänge auf dem Strom mit dem Radargerät beobachtete. Nach seinen Angaben vor der Wasserschutzpolizei hat er auf dem Radarschirm bemerkt, daß der Abstand des MS A zum rechten Ufer 400 m vor der Brücke ca. 40m betragen habe und für eine gefahrlose Begegnung mit dem KV zu groß gewesen sei. Allerdings habe der Bergfahrer danach die Fahrt verlangsamt, jedoch dem KV keinen Raum für eine gefahrlose Begegnung gelassen. Nach seiner weiteren Aussage vor dem Rheinschiffahrtsgericht hat die Begegnung mit dem KV „unter der Brücke stattgefunden". In diesem Moment hätten die Fahrzeuge (nur) ein Echo gezeichnet, weshalb sie (nach dem Auflösungsvermögen seines Radargeräts) nunmehr weniger als 6m voneinander entfernt hätten gewesen sein müssen.
c) Danach ist davon auszugehen, daß der Beklagte abredewidrig in den rechten Brückenbogen vor dem Passieren des KV eingefahren ist und einen Kurs innegehabt hat, der dem Verband keinen Raum für eine gefahrlose Vorbeifahrt gelassen hat. Vielmehr mußte dieser, wie den auch insoweit glaubhaften Bekundungen des Schiffsführers B. zu entnehmen ist, nach Backbord ausweichen, wobei er mit dem backbords gekuppelten Leichter des KV gegen den Vorfuß des linken Pfeilers geraten ist. Der Beklagte ist deshalb in Höhe des Havarieschadens der Klägerin ersatzpflichtig (§§ 1.04, 6.04 Nr. 1 RheinSchPV, § 823 BGB, § 92 Abs. 2, § 92 b BinSchG), allerdings nur beschränkt im Rahmen des § 4 Abs. 2 Satz 2, § 114 BinSchG. Im Hinblick darauf kann offen bleiben, ob der Beklagte (wie das Rheinschiffahrtsgericht meint und von der Berufung entschieden in Abrede gestellt wird) auch deshalb der Klägerin gegenüber zum Schadensersatz verpflichtet ist, weil er aus § 6.24 Nr. 1 i.V.m. § 6.07 Nr. 1 c RheinSchPV ebenfalls gehalten gewesen sei, unterhalb des nach den Gegebenheiten des Falles als Fahrwasserenge anzusehenden rechten Brückenbogens die Durchfahrt des KV abzuwarten.
2. Entgegen der Ansicht der Berufung läßt sich ein Mitverschulden von Schiffsführer B. an dem Schiffsunfall nicht feststellen.
a) Es kann zugunsten des Beklagten unterstellt werden, daß es die Fahrwasserverhältnisse zum Unfallzeitpunkt dem unbeladenen KV erlaubt hätten, anstatt des rechten, den mittleren Brückenbogen zu durchfahren. Daß er das nicht getan hat, kann B. aber nicht zum Vorwurf gereichen. Die Talfahrt darf, was unbestritten ist, beide Brückenbogen benutzen. Bei der Fahrt durch den mittleren Brückenbogen bestehen für sie aber ungünstige Fahrwasserverhältnisse, wie der damit erfahrungsgemäß vertraute Lotse K. als Zeuge bestätigt hat. Um so weniger kann es deshalb beanstandet werden, daß Schiffsführer B. für die Brückendurchfahrt den rechten Brückenbogen gewählt hat, zumal er die Zusage des Beklagten hatte, mit seinem Fahrzeug unterhalb der Brücke zu warten, außerdem, wie die Berufung selbst dargelegt hat, die gewählte Brückendurchfahrt auch für Talfahrer „durch das Radargerät unbeherrschbar ist".
b) Es ist richtig, daß Schiffsführer B. und Steuermann M. von MTS R18 vor dem Rheinschiffahrtsgericht bekundet haben, daß der KV, so wie er zusammengestellt gewesen ist, einen leichten Hang nach Backbord hatte. Beide Zeugen haben aber auch bestätigt, daß das beim Steuern des KV ausgeglichen worden ist. Ferner besteht kein Anhalt dafür, daß B. den Ausgleich unmittelbar vor oder während der Brückendurchfahrt unterlassen hat und deshalb der Tankleichter gegen den Vorfuß des Pfeilers geraten ist.
c) Zutreffend ist weiter, daß Schiffsführer B. keinen Ausguck aufgestellt hatte, wie es § 6.30 Nr. 1 Satz 2 RheinSchPV für die Fahrt bei unsichtigem Wetter vorschreibt. Radarfahrer sind jedoch von dem Befolgen der Vorschrift befreit, sofern der Schiffsführer in der Lage ist, die Fahrt gefahrlos fortzusetzen (§ 6.32 Nr. 3 RheinSchPV). Ein solcher Fall war hier auch für die Brückendurchfahrt gegeben, nachdem der Beklagte dem Schiffsführer B. zugesagt hatte, mit seinem Fahrzeug unterhalb der Brücke zu warten, so daß B. davon ausgehen konnte, daß ihm der rechte Brückenbogen für die Durchfahrt seines KV in voller Breite zur Verfügung stehen werde und, wie den Ausführungen der Berufung zu entnehmen ist, die gesamte Brücke, also auch der rechte Brückenbogen, „im Radar ganz klar in seinen Abgrenzungen erscheint".
d) Auch wenn man mit der Berufung davon ausgeht, daß Schiffsführer B. jedenfalls dann, als der Bergfahrer für ihn im Echostreufeld der Brücke verschwand, ein Achtungssignal hätte geben müssen, so läßt sich nicht feststellen, daß dadurch der Unfall noch hätte vermieden werden können. Das gilt ebenso für den Vorwurf, B. habe es unterlassen, für die Brückendurchfahrt das Bugstrahlruder des Tankleichters einzusetzen..."