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Leitsatz:
Einander widersprechende Darstellungen von Besatzungen der an Unfällen beteiligten Schiffe müssen im einzelnen bewertet werden (§ 286 ZPO), auch wenn das Gericht daraus keine sicheren Feststellungen treffen kann.
Urteil der Berufungskammer der Zentralkommission für die Rheinschiffahrt
vom 29. Mai 1989
227 Z - 7/89
(Rheinschiffahrtsgericht Duisburg-Ruhrort)
Zum Tatbestand:
Das bergwärts auf die Schleuse Rheinau zufahrende MS „C" der Klägerin stieß mit dem aus der Schleuse kommenden Koppelverband „G" der Beklagten zu 1, dessen Schiffsführer der Beklagte zu 2 war, bei der Begegnung zusammen. Die Klägerin begehrt von den Beklagten gesamtschuldnerisch Ersatz des am MS „C" entstandenen Schadens. Jedes der beteiligten Schiffe wirft dem anderen vor, in seinen Kurs hineingefahren zu sein und so den Zusammenstoß herbeigeführt zu haben. Die Klägerin hat u. a. vorgetragen, ihr Schiff habe im Zusammenhang mit der Kollision einen Buganker verloren, dessen Lage die Schiffsführung durch eine Boje markiert habe. Dort sei der Anker später gehoben worden. Er habe in der Kurslinie des MS „C" gelegen, was zeige, daß der Verband „G" in diese Linie hineingefahren sein müsse. Dem haben die Beklagten mit der Behauptung widersprochen, der Anker sei nicht bei der Kollision, sondern später verloren gegangen. Er habe nämlich mit der daran hängenden Kette talwärts gelegen. „C" sei aber bei dem Zusammenstoß zu Berg gefahren. Das Rheinschiffahrtsgericht hat die Klage abgewiesen, da es der Ansicht war, die Unfallursache sei deshalb nicht feststellbar, weil dazu nur Mitglieder der Besatzungen der beteiligten Schiffe hätten gehört werden können. Jede Besatzung habe das andere Schiff belastet. Es bestehe kein Anlaß, einer der einander widersprechenden Darstellungen den Vorzug zu geben. Auch der Fundort des verlorenen Ankers erhelle die Unfallursache nicht, zumal es zweifelhaft sei, ob er beim Unfall verloren gegangen sei.
Die Berufung der Klägerin hatte keinen Erfolg.
Aus den Entscheidungsgründen:
„1. Der Klägerin ist zuzugestehen, daß die Würdigung der Zeugenaussagen durch das Rheinschiffahrtsgericht nicht hingenommen werden kann. Selbst wenn man berücksichtigt, daß die Aussagen von Mitgliedern der Besatzungen von an Unfällen beteiligten Schiffen fast immer die Schuldlosigkeit des eigenen Schiffes darlegen und deshalb mit größter Vorsicht zu bewerten sind, bleibt eine ins einzelne gehende Bewertung der Aussagen notwendig. Sie fehlt aber im Urteil des Rheinschiffahrtsgerichts. Es stellt lediglich fest, daß die Aussagen jeder Schiffsbesatzung dem Vortrag der jeweiligen Partei dieses Rechtsstreites entsprechen, und daß kein Anlaß bestehe, einer Darstellung den Vorzug zu geben. Das ist überhaupt keine Bewertung der Aussagen, sondern nur deren Gegenüberstellung. In dieser Behandlung der Aussagen liegt ein Verstoß gegen § 286 der deutschen Zivilprozeßordnung, nach dem das Gericht unter Berücksichtigung des gesamten Ergebnisses einer Beweisaufnahme nach freier Überzeugung zu entscheiden hat, ob eine tatsächliche Behauptung für wahr oder für unwahr zu erachten ist.
2. Die Berufungskammer ist in der Lage, auf der Grundlage der beigezogenen Verklarungsakten diese bisher unterlassene Würdigung vorzunehmen. Von besonderer Bedeutung sind dabei . . . Irgendwelche sicheren Feststellungen lassen beide Aussagen nicht zu, so daß sie die Unfallursache nicht aufhellen können.
3. Die Fundstelle des Ankers „C" könnte den Ort des Zusammenstoßes markieren, wenn feststünde, daß der Anker bei diesem Zusammenstoß ins Wasser gefallen ist. Diese Gewißheit besteht aber nicht. In seinem dem Rheinschiffahrtsgericht erstatteten Gutachten hat der Sachverständige dargelegt . . .
Es ist nicht zu beanstanden, daß sich das Rheinschiffahrtsgericht der überzeugend begründeten Ansicht des Sachverständigen angeschlossen hat. Nicht zu beanstanden ist auch, daß es aufgrund des Schriftsatzes der Klägerin vom 20.4. 1988 keine erneute Anhörung des Sachverständigen angeordnet hat. Der Schriftsatz kritisiert das Gutachten auf der Grundlage von Vermutungen und Unterstellungen. Diese Kritik bot weder Anlaß, noch Material für eine erneute Anhörung des Sachverständigen. Dessen Gutachten zeigt, daß die Lage des Ankers auf der Flußsohle keinen Hinweis auf die Stelle der Kollision gibt und deshalb auch nichts darüber aussagt, welches der am Unfall beteiligten Schiffe in den Kurs des anderen gefahren ist."
Anmerkung des Redaktion:
In der eingehenden Würdigung der Aussagen fehlt leider ein Hinweis darauf, daß auf der Strecke, in der die Schleuse Rheinau liegt, Rechtsfahrt vorgeschrieben ist. Vielleicht hätte sich unter Berücksichtigung der Vorschriften des § 9.01 Nr. 3 und Nr. 4 RheinSchPV0 klären lassen, wer den Unfall schuldhaft verursacht hat.
Ebenfalls abrufbar unter ZfB 1991 - Nr.4 (Sammlung Seite 1308); ZfB 1991, 1308