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Leitsatz:
Entschuldigungsgründe bei verspäteter Einreichung der Berufungsbegründung im Rheinschiffahrtsgerichtsverfahren. Zum Nachweis strafrechtlichen Verschuldens hinsichtlich Geschwindigkeit und seitlichen Abstandes bei Vorbeifahrt an stilliegenden Schiffen.
Berufungskammer der Zentralkommission für die Rheinschiffahrt
Urteil
vom 9. Mai 1988
(auf Berufung gegen den Beschluss des Rheinschifffahrtsgericht Kehl vom 21.7.1987-4 OWi 126/87 -)
Tatbestand und Entscheidungsgründe:
Der Betroffene führte am 10.10.1986 gegen 11 Uhr 45 das MS "N" aus der Schleuse Iffezheim und passierte in deren Unterwasser den dort stilliegenden Koppelverband MS-Schu "W19"/SL "W17". Die Vorbeifahrt erfolgte in einem seitlichen Abstände von etwa 15 m. Dabei riss der achtere Beidraht des Koppelverbandes.
Dem Betroffenen wird vorgeworfen, mit zu hoher Geschwindigkeit gefahren zu sein und dadurch den Drahtriss verursacht zu haben. Er behauptet, die zur sicheren Steuerung seines Schiffes erforderliche Mindestgeschwindigkeit eingehalten zu haben. Er legt weiter im Einzelnen dar, den Riss eines Drahtes des Koppelverbandes nicht verursacht haben zu können.
Gegen den Betroffenen ist zunächst ein Bußgeldbescheid über DM 150.— ergangen. Auf seinen Einspruch hin hat das Rheinschifffahrtsgericht eine Geldbusse von DM. 100.— festgesetzt.
Hiergegen wendet sich die Berufung des Betroffenen, die aus den folgenden Gründen Erfolg hat:
1. Zu den Formalitäten der Berufung:
Hier ist festzustellen, dass die gemäß Artikel 37 Absatz 3 der Revidierten Rheinschifffahrtsakte einzuhaltende Berufungsbegründungsfrist von 30 Tagen ab Anmeldung der Berufung nicht gewahrt ist. Die Berufungsschrift ist am 7.10.1987 rechtzeitig bei Gericht eingegangen, die Berufungsbegründungsschrift dagegen erst am 16.11.1987, also später als 30 Tage nach dem 7.10.1987. Entschuldigungsgründe hat der Betroffene nicht vorgetragen. Sie gehen aber aus den Akten hervor. Der Verteidiger des Betroffenen hat in der Berufungsschrift darum gebeten, ihm die Akten zur Einsichtnahme zu übersenden. Die Übersendung erfolgte unter dem 4.11.1987. Erst nach diesem Zeitpunkt war dem Verteidiger des Betroffenen, der ihn vor dem Rheinschifffahrtsgericht nicht vertreten hatte, die Anfertigung der Berufungsbegründungsschrift möglich, da sie die Kenntnis des Akteninhaltes voraussetzt. Unter diesen Umständen konnte die Berufungsbegründung nicht bis zum 7.11.1987 bei Gericht eingehen. Der verspätete Eingang ist also entschuldigt.
2. Die Berufungskammer stellt fest, dass einiges dafür spricht, dass der Betroffene die ihm angelastete Ordnungswidrigkeit begangen hat.
Dafür spricht entgegen der Ansicht des Betroffenen der Drahtbruch während seiner Vorbeifahrt am Stillieger. Entscheidend ist dabei, dass ein nach achtern stehende Draht des stilliegenden Koppelverbandes gerissen ist. Dieser wird nämlich bei einer Vorbeifahrt sofort einer Belastung ausgesetzt, weil die Bugwelle des vorbeifahrenden Schiffes den Stillieger nach vorne und zur Seit schiebt und dadurch einen nach achtern stehenden Draht spannt. Erfolgt die Vorbeifahrt mit zu hoher Geschwindigkeit oder in zu geringem seitlichen Abstände, so kann die Spannung so stark werden, dass der Draht reißt, und zwar notwendigerweise während der Vorbeifahrt. Weiter spricht für die Schuld des Betroffenen die Tatsache, dass der gebrochene Draht nach den Feststellungen der Wasserschutzpolizei "relativ neu" war. Der Bruch kann also nicht auf den schlechten Zustande des Drahtes beruhen.
Auf der anderen Seite steht aber nicht fest, ob die von dem Betroffenen gefahrene Geschwindigkeit zu hoch war. Der Betroffene und der Lotse seines Schiffes behaupten, langsam gefahren zu sein. Der Schiffsführer des Stilliegers spricht von "hoher Fahrstufe" des vorbeifahrenden Schiffes. Eine sichere Feststellung ist nicht möglich. Der Seitenabstand während der Vorbeifahrt wird mit etwa 15 m angegeben.
Das erscheint ausreichend. Genaue Feststellungen über die Art der Befestigung des stilliegenden Schiffes sind nicht getroffen worden. Es kann deshalb nicht ausgeschlossen werden, dass die Ursache des Drahtbruches in der Befestigung lag.
Bei einer Gesamtschau halten sich die für und die gegen den Betroffenen sprechenden Umstände die Waage. Es ist deshalb zweifelhaft, ob er die ihm vorgeworfene Ordnungswidrigkeit begangen hat. Dieser Zweifel gebietet den Freispruch des Betroffenen, den auch der Vertreter der Anklagebehörde beantragt hat.
Aus den dargelegten Gründen wird für Recht erkannt:
1. Auf die Berufung des Betroffenen wird der Beschluss des Rheinschifffahrtsgerichts Kehl vom 21.9.1987 dahin abgeändert, dass der Betroffene freigesprochen wird.
2. Der Betroffene hat keine Verfahrenskosten zu tragen.
3. Die Festsetzung der ihm zu erstattenden Kosten und notwendigen Auslagen erfolgt durch das Rheinschifffahrtsgericht Kehl gemäß Artikel 39 der Revidierten Rheinschifffahrtsakte.
Ebenfalls abrufbar unter ZfB 1990 - Nr.1 (Sammlung Seite 1277 f.); ZfB 1990, 1277 f.