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Leitsatz:
Der deutsche Gesetzgeber kann die Zuständigkeit der deutschen Rheinschifffahrtsgerichte nicht über den durch die Rheinschiffahrtsakte abgesteckten Rahmen ausdehnen. In die Zuständigkeit der Rheinschiffahrtsgerichte gehören keine Strafsachen wegen eines Vergehens, sondern nur Zuwiderhandlungen gegen Schifffahrts- und Strompolizeiliche Vorschriften.
Urteil der Berufungskammer der Zentralkommission für die Rheinschiffahrt
vom 7. Dezember 1987
209 S - 15/87
(Rheinschiffahrtsgericht Mainz)
Zum Tatbestand:
Der Betroffene war vom Rheinschiffahrtsgericht durch Urteil vom 10. 12. 1986 wegen unbefugter Ableitung von Altöl in den Rhein (Vergehen gegen §§ 324, 326 Abs. 1 Nr. 3 und Abs. 4, 53 StGB) zu einer Geldstrafe von DM 3000,— (150 Tagessätze zu je DM 20,—) verurteilt worden.
Der Betroffene legte Berufung ein mit dem Antrag, die Sache der Berufungskammer der Rheinzentralkommission vorzulegen. Das Rheinschiffahrtsgericht hat diese Berufung jedoch durch Beschluß vom 30.3. 1987 als unzulässig verworfen.
Die Berufungskammer der Rheinzentralkommission hat die ergangenen Entscheidungen wegen ihrer Nichtigkeit aufgehoben und entschieden, daß der Betroffene keine Kosten des bisherigen Verfahrens zu tragen und das Rheinschiffahrtsgericht Mainz die dem Betroffenen zu erstattenden Auslagen festzusetzen hat.
Aus den Entscheidungsgründen:
„...
Die Entscheidungsfrist des Rheinschiffahrtsgerichts ist wie folgt begründet worden.
Die Berufungskammer der Zentralkommission für die Rheinschiffahrt vertrete in ihrer Rechtsprechung den Standpunkt, daß die Rheinschiffahrtsgerichte gemäß Artikel 34.1 der Revidierten Rheinschiffahrtsakte in Strafsachen nur zuständig für die Untersuchung und Bestrafung aller Zuwiderhandlungen gegen die schiffahrts- und strompolizeilichen Vorschriften seien, nicht dagegen für die Untersuchung und Bestrafung von Verbrechen und Vergehen im Zusammenhang mit der Rheinschiffahrt.
Demgegenüber seien im § 14 Abs. 2 des deutschen Gesetzes über das gerichtliche Verfahren in Binnenschiffahrtssachen als Rheinschiffahrtssachen solche Straf- und Bußgeldsachen bezeichnet worden, die sich auf Vorgänge auf dem Rhein beziehen. Dieses Gesetz verweise also in die Zuständigkeit der Rheinschiffahrtsgerichte auch echte Strafsachen. Aus beiden genannten Bestimmungen sei zu folgern, daß die Berufung in Rheinschiffahrtssachen, die Strafsachen seien, nur an die deutschen Rheinschiffahrtsobergerichte gerichtet werden könne. Der Betroffene habe aber seine Berufung ausdrücklich an die Berufungskammer der Zentralkommission gerichtet. Sie sei unwirksam und vom Rheinschiffahrtsgericht gemäß § 319 I StPO zu verwerfen.
I.
Die eingelegte Berufung ist rechtzeitig begründet worden. Zwar ist die Berufungsschrift am 13. 12. 1986 bei Gericht eingeganeingegangen, die Berufungsbegründung am 18. 3. 1987, also nach Ablauf der Frist des Artikels 37 Abs. 3 der Revidierten Rheinschiffahrtsakte (30 Tage ab Anmeldung der Berufung); trotzdem ist die Berufungsbegründung nicht verspätet Es ist nämlich zu bedenken, daß das Urteil des Rheinschiffahrtsgerichts vom 10. 12. 1986 erst am 12. 2 1987 zugestellt worden ist. Die Berufungsfrist von 30 Tagen beginnt nach Artikel 37 Abs. 2 der Revidierten Rheinschiffahrtsakte mit der Zustellung der Entscheidung. Die Berufung konnte deshalb innerhalb der genannten Frist nach. der Zustellung erneut eingelegt werden. Diese erneute Einlegung ist durch die Berufungsbegründungsschrift erfolgt, denn jede Berufungsbegründung bestätigt die Berufung bzw. legt sie neu ein, falls dies, wie im vorliegenden Falle, notwendig ist, um die Begründung formell wirksam zu machen. Die Berufungsfrist ist auch gewahrt, da die Schrift am letzten Fristtage bei Gericht eingegangen ist. Berufung und Berufungsbegründung sind also wirksam in der gleichen Schrift enthalten.
II.
Für die Berufungskammer sind alle genannten Entscheidungen aus den folgenden Gründen unhaltbar.
1. Die Zuständigkeit der Rheinschiffahrtsgerichte, der Rheinschiffahrtsobergerichte und der Berufungskammer der Zentralkommission für die Rheinschiffahrt ist durch die Revidierte Rheinschiffahrtsakte, also durch einen völkerrechtlichen Vertrag, geregelt. Änderungen eines solchen Vertrages durch nationale Gesetzgeber sind nicht möglich. Dazu ist vielmehr eine Umgestaltung des völkerrechtlichen Vertrages durch die an ihm beteiligten Staaten erforderlich. Der deutsche Gesetzgeber konnte deshalb in dem Gesetz über das gerichtliche Verfahren in Binnenschiffahrtssachen die Zuständigkeit der deutschen Rheinschiffahrtsgerichte nicht über den durch die Revidierte Rheinschiffahrtsakte abgesteckten Rahmen hinaus ausdehen. Aus den dargelegten Gründen bleibt die Berufungskammer bei ihrer Ansicht, daß die Zuständigkeit der Rheinschiffahrtsgerichte in Strafsachen allein durch Art. 34 I der Revidierten Rheinschifffahrtsakte geregelt ist. Der vorliegende Fall gehört deshalb nicht in diese Zuständigkeit, weil er ein Vergehen und keine Zuwiderhandlung gegen schiffahrts- und strompolizeiliche Vorschriften betrifft. Das Rheinschiffahrtsgericht ist also auf der ganzen Linie in einer Sache tätig geworden, die nicht in seine Zuständigkeit fällt.
2. Unabhängig davon ist seine Verwerfung der eingelegten Berufung als unzulässig aus den folgenden Gründen unhaltbar. Die Entscheidung über eine bei ihr eingelegte Berufung steht allein der Berufungskammer der Zentralkommission für die Rheinschiffahrt zu. Das gilt auch für die Entscheidung über die Zulässigkeit der Berufung oder über formelle Mängel. Artikel 37 Abs. 4 der Revidierten Rheinschiffahrtsakte bestimmt, daß eine Berufung, deren Formen nicht beachtet wurden, als nicht angebracht zu erachten ist. Berücksichtigt man, daß Artikel 37 insgesamt die Formalitäten der Einlegung und Begründung der Berufung regelt, so weist sein Absatz 4 die Entscheidung über deren Beobachtung allein der Berufungskammer zu. Eine andere dafür zuständige Instanz kennt die Revidierte Rheinschiffahrtsakte nicht. Entgegen der Ansicht des Rheinschiffahrtsgerichtes kennt das deutsche Recht in seiner derartigen Form gegen Entscheidungen der Rheinschiffahrtsgerichte keine Berufung an ein deutsches Rheinschiffahrtsobergericht, sondern nur die Rechtsbeschwerde. Diese ist mit Zustimmung aller Vertragsstaaten der Revidierten Rheinschiffahrtsakte anstelle der ursprünglich auch hier allein zulässigen Berufung eingeführt worden.
3. Der Beschluß des Rheinschiffahrtsgerichts Mainz vom 10. 12. 1986 ist also die Entscheidung eines Gerichtes, dem in der Sache, in der es tätig geworden ist, die rechtliche Handlungsmacht fehlte. Die Entscheidung ist deshalb nichtig.
...
Ebenfalls abrufbar unter ZfB 1989 - Nr.3 (Sammlung Seite 1252); ZfB 1989, 1252