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Leitsatz:
Zur Bewertung von Zeugenaussagen über den Hergang eines Schiffszusammenstoßes.
Berufungskammer der Zentralkommission für die Rheinschiffahrt
vom 21. September 1987
207 B - 8/87
(Rheinschiffahrtsgericht Mainz)
Zum Tatbestand:
Das vom Betroffenen zu Berg geführte MS „Ulm" war im November 1985 gegen 20.00 Uhr in dichtem Nebel bei Mainz mit einem zu Tal fahrenden Verband, bestehend aus MS „Mon Désire und dem backbords befestigten MS „Twiod", zusammengestoßen.
Den Betroffenen wird vorgeworfen, daß er — aus Unachtsamkeit oder Übermüdung — den Kurs seines Schiffes aus der linksrheinischen Stromhälfte nach Backbord in denjenigen des zu Tal fahrenden Verbandes verlegt habe. Der Betroffene bestreitet die Kursabänderung und wirft seinerseits dem Talfahrer vor, seinen Kurs nach Backbord verändert und dadurch den Zusammenstoß herbeigeführt zu haben.
Das Rheinschiffahrtsgericht hat den Betroffenen zu einer Geldbuße von DM 250,— verurteilt. Die Berufungskammer der Rheinzentralkommission hat ihn freigesprochen.
Aus den Entscheidungsgründen:
...
1. Der später zu Tal fahrende Verband „Mon Desir-Twiod" ist im linksrheinisch liegenden Winterhafen von Mainz zusammengestellt worden. Um den Kurs der Talfahrt in der rechtsrheinischen Stromhälfte zu erreichen, mußte er also nach der Ausfahrt aus dem Hafen zum Wenden zu Tal über Backbord einen Teil des Rheins queren. Der Verband war also notwendigerweise nach der Ausfahrt aus dem Hafen im linksrheinisch liegenden Kurse der Bergfahrt. In dem Kurse muß er eine Zeitlang geblieben sein, denn es ist unstreitig, daß sein Kapitän Bosman mit dem zu Berg fahrenden Motorschiff „St. Antonius" eine Begegnung Steuerbord an Steuerbord vereinbart hat, da der Bergfahrer in den Main fahren wollte. Eine solche Begegnung setzte voraus, daß der genannte Verband Backbord-Kurs fuhr, also in der linksrheinischen Stromhälfte blieb. Beide Umstände sprechen über die Möglichkeit eines Zusammenstosses des zu Tal fahrenden Verbandes mit dem Bergfahrer MS „Ulm" in der linksrheinischen Stromhälfte, also im Kurse der Bergfahrt. Sie entlasten deshalb den Betroffenen.
2. Auf der anderen Seite sprechen die Aussagen von drei Beamten der Wasserschutzpolizeit für einen Zusammenstoß in der rechtsrheinischen Stromhälfte in einem nicht genau feststehenden Abstande vom rechtsreinischen ufer. Bei der Bewertung dieser Aussage ist jedoch folgendes zu bedenken. Die Beobachtungen der Zeugen erfassen nur die Zeit nach der Havarie, denn sie beginnen, als die zusammengestoßenen Schiffe einen Knäuel in Form eines T bildeten, der sich später über ein V in drei Schiffseinheiten auflöste. Es ist deshalb nicht sicher, ob die Zeugen die Stelle des Zusammenstoßes oder diejenige Position beim Beginn ihrer Beobachtungen gesehen haben, in welche die Schiffe unter der Wirkung des Zusammenstoßes geraten waren. Die genannten Aussagen schließen also nicht aus, daß sich der Zusammenstoß in der linksrheinischen Stromhälfte ereignet hat, und daß erst die zusammengestoßenen Schiffe als Folge der Havarie in die rechtsrheinische Hälfte geraten sind.
3. Zusammenfassend ist festzustellen, daß die bisherigen Darlegungen es nicht erlauben, dem Betroffenen vorzuwerfen, in den Kurs der Talfahrt geraten zu sein und dort einen Zusammenstoß herbeigeführt zu haben. Eine solche Feststellung könnte allein auf die Aussagen der Besatzung des zu Tal fahrenden Verbandes gestützt werden. Dabei müßte die zu ihnen im Widerspruch stehende Einlassung des Betroffenen für unzutreffend erklärt werden, wie es das Rheinschiffahrtsgericht getan hat.
Die Berufungskammer kann dies nicht gutheißen. Die genannten Aussagen der Besatzungen zeigen, wie fast stets, die Tendenz, das eigene Schiff auf Kosten anderer zu entlasten. Sie sind deshalb allein für eine zutreffende Bewertung der Ursachen eines Schiffszusammenstoßes unbrauchbar, worauf in Urteilen immer wieder hingewiesen wird. Nur im Zusammenhang mit anderen, für ihre Richtigkeit sprechenden Tatsachen können sie Bedeuhing gewinnen. Solche Tatsachen fehlen aber im vorliegenden Falle, wie dargelegt wurde.
..."
Ebenfalls abrufbar unter ZfB 1989 - Nr.5 (Sammlung Seite 1260 f.); ZfB 1989, 1260 f.