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Leitsätze:
1) Im Dispachefeststellungsverfahren können ausschließlich Einwendungen gegen die Dispache erhoben werden. Die Schuldfrage wird im Dispachefeststellungsverfahren nicht beurteilt. Die Beiträge zur Havarie-grosse sind von den Beteiligten zunächst unabhängig von der Schuldfrage zu zahlen. Der Schuldeinwand ist Sache des Hauptverfahrens.
2) Kosten zur vorläufigen Sicherung von Schiff und Ladung nach der Bergung sind als Havarie-grosse Kosten zu qualifizieren.
3) Auch die Kosten für Bergungsversuche sind Havarie-grosse Kosten, wenn ein sorgfältiger und redlich handelnder Schiffsführer diese Maßnahmen ergreifen durfte.
Urteil des Gerichtshofs Den Haag
vom 17. Dezember 2013
200.117.851/01
(Rechtbank Rotterdam, Az: 396565)
Aus dem Tatbestand:
Der Schiffseigentümer des SL »Maasdijk« beantragt die Feststellung der Dispache. Dem Antrag liegt folgender Sachverhalt zu Grunde:
CM hat eine Ladung Ferrochrome von C AG gekauft. Diese Ladung wurde transportiert an Bord des Seeschiffes »Anastasia K« von Maputo, Mozambique, nach Rotterdam. H war der führende Gütertransportversicherer für diesen Transport. Am 6. Juli 2011 begann im St. Laurenshaven zu Rotterdam das Löschen der Ladung Ferrochrome aus der »Anastasia K«, welche durch den Stauereibetrieb European Bulkservices mit einem Kran in den Schubleichter »Maasdijk« geladen wurde. Die Antragsstellerin hatte die »Maasdijk« zu diesem Zeitpunkt vermietet an W. W hatte einen Frachtvertrag geschlossen mit E für den Transport der Ladung von Rotterdam nach Moerdijk. E hatte den Transportauftrag empfangen von I. B.V., die ihrerseits den Auftrag erhalten hatte von CM. Während der Beladung des SL »Maasdijk«, war dieser mit dem SB »Mover 3« verbunden. Am 7. Juli 2011 knickte der SL »Maasdijk« bei der Beladung in der Mitte und sank. Die Antragsstellerin beauftragte das Bergungsunternehmen M, die »Maasdijk« und die darin befindliche Ladung Ferrochrome zu bergen. Die Ladung wurde größtenteils mit Kränen aus der »Maasdijk« geholt und in den SL »Maasbommel« geladen. Ein erster Versuch zur Bergung der »Maasdijk« mit der darin noch befindlichen Restladung mißlang. Daraufhin wurde mehr Ladung aus dem SL »Maasdijk« geborgen und in die »Maasbommel« geladen. Anschließend wurde die »Maasdijk« in der Mitte durchgeschnitten und in zwei Teilen mit Hilfe von Schwimmkränen geborgen. Die Antragsstellerin erklärte Havarie-grosse und benannte Herrn S zum Dispacheur. Am 13. Februar 2012 hat S die Dispache fertig gestellt. Aus der Dispache folgt ein Ladungsanteil für CM in Höhe von € 560.548,90. CM reagiert weder auf Aufforderungen des Dispacheurs zu Vorschußzahlungen noch auf die Aufforderung den festgestellten Havarie-grosse Anteil der Ladung zu zahlen. Daraufhin beantragt die Antragsstellerin die Feststellung der Dispache bei der Rechtbank Rotterdam. Die Rechtbank Rotterdam gab dem Antrag statt mit der Bestimmung, daß die Antragsstellerin der Antragsgegnerin eine Garantie zu stellen hat für eventuelle Rückforderungsansprüche. Gegen diese Entscheidung hat die Antragsgegnerin form- und fristgerecht Berufung eingelegt.
Aus den Gründen:
Die Berufung ist unbegründet. Das Berufungsgericht bestätigt die erstinstanzliche Entscheidung und verurteilt CM zur Zahlung gesetzlicher Zinsen über den Ladungsanteil als Schadensersatz wegen der verspäteten Zahlung des Anteils. Auf die in Rede stehende Havarie-grosse ist niederländisches Recht anwendbar über die gesetzliche Vorschrift Artikel 8:1022 Burgerlijke Wetboek (BW) sind dabei die Havarie-grosse Regeln der IVR Stand 1996 anwendbar. Aus III der IVR Regeln folgt, daß der Dispacheur die Havarie-grosse berechnet, ohne Berücksichtigung der Schuldfrage. In dem Feststellungsverfahren zur gerichtlichen Feststellung der Dispache, können nur Einwendungen gegen die Dispache erhoben werden. Da die Schuldfrage in der Dispache nicht behandelt wird, kann der Einwand des entgegenstehenden Ver-schuldens des Antragsstellers im Feststellungsverfahren nicht berücksichtigt werden. Entgegen der Auffassung von CM ergibt sich aus der jüngeren Rechtsprechung auch keine andere Beurteilung. CM zitiert insoweit Entscheidungen in Hauptverfahren, in denen es um Zahlungs- oder Feststellunganträge zu Havarie-grosse Anteilen geht. Regel III der Rheinregeln (1996) lautet genau so wie Regel III Rheinregeln (2006). Nach der Erläuterung der letztgenannten Fassung bestimmt Regel III das unabhängig von der Frage, ob die Gefahr durch eine der beteiligten Parteien verursacht ist, die Opfer und Ausgaben dennoch die Erstellung einer Dispache rechtfertigen. Die Erläuterung (2006) ergänzt insoweit, daß eine solche Bestimmung auf den ersten Blick unbillig erscheint, aber das nicht zu vergessen ist, daß die Havarie-grosse in das See- und Binnenschifffahrtsrecht aufgenommen ist zur Schadlosstellung desjenigen, der Opfer gebracht hat für das allgemeine Interesse von Schiff und Ladung. Hierbei ist nicht zu klären, ob die Ursache der Opfer möglicherweise durch ein Verschulden eines Beteiligten entstanden ist. Hieraus folgt, daß die Verfasser der anwendbaren Reglungen die Interessen desjenigen, der einen Havarie-grosse Anteil zu zahlen hat, ohne Schuldeinwendungen erheben zu können, abgewogen hat gegen die Interessen desjenigen, der Opfer erbracht hat, und bei der Abwägung zum Vorteil des letztgenannten entschieden haben. Hierdurch wird verhindert, daß derjenige, der die Maßnahmen zur Rettung von Schiff und Ladung ergreift, sich dabei zu sehr beschäftigen muß mit der Frage, ob diese Kosten auch ersetzt werden. Etwas anderes ergibt sich auch nicht aus den Erläuterungen des Gesetzgebers. Aus der Gesetzgebungsgeschichte folgt die Verwerfung des Standpunkts der Klägerin, daß ein Beteiligter, der die Gefahr schuldhaft verursacht hat, keine Bezahlung von Havarie-grosse Anteilen fordern kann. In der Erläuterung zu den Rheinregeln (2006) befindet sich die Anmerkung, daß einerseits der Ursprung der Gefahr für die Qualifizierung der Maßnahmen als Havarie-grosse nicht relevant ist, andererseits die Möglichkeit der Rückforderung gegenüber dem Verursacher aufgrund der gesetzlichen oder vertraglichen Bestimmungen unberührt bleibt. Dementsprechend ist der Gerichtshof der Ansicht, daß die Rheinregeln die Möglichkeit bieten, erst das Dispachefeststellungsverfahren durchzuführen und soweit gewünscht anschließend oder unabhängig davon in einem gesonderten Verfahren die Schuldfrage beurteilen zu lassen. Auch schließt sich der Gerichtshof der Auffassung der Rechtbank Rotterdam an, daß die Reglung nicht gegen das Verfahrensgrundrecht auf rechtliches Gehör gemäß Artikel 6 EMRK verstößt. Im Dispacheverfahren wird beurteilt ob das Geschehen als Havarie-grosse zu beurteilen ist und die in die Dispache aufgenommenen Berechnungen der Kosten und der Beiträge korrekt sind. Ausschließlich Einwendungen bezüglich der Schuldfrage werden in diesem Verfahren nicht berücksichtigt, dem Antragsgegner wird aber nicht das Recht genommen, diese in einem gesonderten Verfahren zu erheben. Der Gerichtshof schließt sich der Auffassung der Rechtbank an,daß zu den Havarie-grosse Kosten auch die in Redlichkeit gemachten Kosten zu rechnen sind, welche dazu dienen, Schiff und Ladung nach der Bergung in Sicherheit zu bringen. In dieser Sache bestanden die Maßnahmen in dem Anmieten eines Schubleichters, um in diesem die Ladung zu bewahren und vor unbefugtem Zugriff zu schützen. Die Rechtbank hat auch die Frage beurteilt, ob die Kosten für den ersten misslungenen Hebeversuch von Schiff und Ladung als Havarie-grosse Kosten anzusehen sind. Hierbei ist als Maßstab das normale Verhalten eines aufmerksamen, gutgläubig handelnden Schiffers zugrundegelegt. Danach ist beurteilt, ob M nach diesem Maßstab gehandelt hat, als er einen Hebeversuch unternommen hat, ohne die Ladungsspezifikation zu kennen. Die Rechtbank ist zu dem Urteil gelangt, daß dies zu bejahen ist, weil vor dem ersten Versuch, bereits 1.300 t der Ladung geborgen waren und nicht deutlich war, wieviel Ladung noch in dem Schubleichter zurückgeblieben war und daß ein Teil der Ladung in den Zwischenraum zwischen Laderaumboden und Schiffsboden gelangt war. CM hat diesen Geschehensverlauf nicht substantiiert bestritten. Der Gerichtshof schließt sich daher der Auffassung an, daß M sorgfältig und in gutem Glauben handelte.
Anmerkung:
Zur Entscheidung stand insbesondere die Frage, ob ein Havarie-grosse Beteiligter die Einforderung des von ihm zu entrichtenden Anteils blockieren kann mit der Behauptung, der Frachtführer habe die Gefahr selbst verursacht. Wenn der Frachtführer damit rechnen muß, daß er auf den Aufwendungen zur Rettung von Schiff und Ladung sitzen bleibt, wird er eher geneigt sein Rettungsversuche zu unterlassen. Dies gilt insbesondere angesichts der Tatsache, daß die vertragliche Haftung des Frachtführers grundsätzlich auf einen Höchstbetrag beschränkt ist und Bergungskosten nicht umfasst. Die rechtskräftige Entscheidung stellt klar, daß der Frachtführer für sofortiges Zupacken belohnt wird, wenn er sorgfältig und umsichtig handelt. Es ist zu begrüßen, daß die Dispachefeststellung unabhängig von der Schuldfrage behandelt wird. Dies begünstigt sofortige Maßnahmen zur Rettung der Sachwerte und liegt damit im allgemeinen Interesse. Zu der Entscheidung ist anzumerken, daß im niederländischen Recht die Havarie-grosse Regeln der IVR über einen Verweis im Gesetz anwendbar sind. Nach deutschem Recht ist dies anders, es ist eine vertragliche Vereinbarung erforderlich. Bei Anwendbarkeit deutschen Rechts empfehlt es sich daher ausdrücklich die Geltung der IVR Havarie-grosse Regeln zu vereinbaren. Eine entsprechende Reglung enthalten beispielsweise die IVTB.
Advocaat und Rechtsanwalt
J.C. van Zuethem, Breda, Niederlande
Ebenfalls abrufbar unter ZfB 2015 - Nr. 3 (Sammlung Seite 2349 f.); ZfB 2015, 2349 f.