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2 BvR 708/65 - Bundesgerichtshof (-)
Date du jugement: 27.04.1971
Numéro de référence: 2 BvR 708/65
Type de décision: Beschluss
Language: Allemande
Juridiction: Bundesgerichtshof Karlsruhe
Section: -

Leitsätze:

1) Art. 19 Abs. 4 GG eröffnet den Rechtsweg nur demjenigen, der durch die öffentliche Gewalt in seinen Rechten verletzt ist. Es genügt weder die Verletzung nur wirtschaftlicher Interessen noch die Verletzung von Rechtssätzen, in denen der Einzelne nur aus Gründen des Interesses der Allgemeinheit begünstigt wird, die also reine Reflexwirkung haben.
2) Aus den gleichlautenden Vorschriften der §§ 8 AEG, 7 GüKG und 33 BSchVG ergibt sich kein Recht eines zu einem bestimmten Verkehrsträger gehörenden Unternehmens, die Aufhebung der Genehmigung eines Tarifs eines anderen Verkehrsträgers wegen unbilligen Wettbewerbs zu verlangen.

Beschluss

des Bundesverfassungsgerichts 

vom 27. April 1971

Am 15. Januar 1962 genehmigte der Bundesminister für Verkehr auf Antrag der Deutschen Bundesbahn den Ausnahmetarif AT 14 B 13, durch den für Heizöltransporte Tarifermäßigungen bis zu 60 % gegenüber den bisherigen Tarifen eingeführt wurden. 38 Unternehmen der Binnenschifffahrt erhoben daraufhin gegen den Bundesverkehrsminister Klage im Verwaltungsstreitverfahren, weil der Minister den daraus entstandenen unbilligen Wettbewerb entgegen § 8 Abs. 2 Allgemeines Eisenbahngesetz (AEG) nicht verhindert und dadurch die betroffenen Binnenschifffahrtsbetriebe in eine existenzbedrohende Lage gebracht habe. Der unbillige Wettbewerb sei vor allem darin zu erblicken, dass durch die billi¬gen Bahntarife die Wettbewerbslage völlig verschoben sei, die Tarife für die Bahn selbst nicht mehr kostendeckend Seien und die Bahn, soweit sie durch andere Tarife keinen internen Ausgleich erreiche, zur Kostendeckung staatliche Subventionen erhalte. Die Unternehmen der Binnenschifffahrt seien nicht in der Lage, durch ähnliche Maßnahmen den mit dem AT 14 B 13 erzeugten wirtschaftlichen Druck aufzufangen.

Zu einer Sachentscheidung über diese Fragen ist es niemals gekommen. Vielmehr wurde die Klage in allen 3 Instanzen des Verwaltungsrechtsweges zurückgewiesen. Das Verwaltungsgericht verneinte die Zulässigkeit des Rechtsweges, Oberverwaltungsgericht und Bundesverwaltungsgericht erkannten zwar an, dass es sich bei der ministeriellen Genehmigung um einen anfechtbaren Verwaltungsakt handele und die Klage daher zulässig sei, vertraten jedoch die Auffassung, dass die einzelnen Transportunternehmen nicht in ihren Rechten verletzt seien, weil ihnen § 8 Abs. 2 AEG keinen gerichtlich verfolgbaren, subjektiv öffentlich-rechtlichen Anspruch auf Verhinderung unbilligen Wettbewerbs verleihe. Ein konkretes Rechtsverhältnis zwischen dem einzelnen Unternehmen und dem Bundesverkehrsminister bestehe nicht; etwaige Ansprüche der betroffenen Unternehmen gegen andere Verkehrsträger seien im Zivilrechtswege zu verfolgen.

Ende 1965 haben 10 der an der Klage beteiligt gewesenen Unternehmen sowohl gegen die Genehmigung des AT 14 B 13, der inzwischen (31. 5. 1966) auf Antrag der Bahn außer Kraft getreten ist, als auch gegen die vorgenannten Urteile Verfassungsbeschwerden eingelegt. Diese wurden nunmehr zurückgewiesen.

Aus den Entscheidungsgründen:

Die Verfassungsbeschwerden sind zulässig. Sie sind jedoch nicht begründet.

1. Die angefochtenen Urteile haben über die Rechtmäßigkeit der Genehmigung des Bundesministers für Verkehr zur Einführung des AT 14 B 13 keine Entscheidung getroffen. Insoweit können die Beschwerdeführer durch diese Urteile auch nicht in Ihren Rechten aus Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 20 Abs. 3, Art. 3 Abs. 1, 12 Abs. 1 und 14 GG verletzt sein.

Die angefochtenen Urteile haben vielmehr nur die Oberprüfbarkeit der Genehmigung des Bundesministers für Verkehr in dem von den Beschwerdeführern gegen die Bundesrepublik Deutschland, vertreten durch den Bundesminister für Verkehr, anhängig gemachten Verwaltungsstreitverfahren verneint.

Es ist also im vorliegenden Verfassungsbeschwerdeverfahren lediglich zu prüfen, ob die angefochtenen Urteile deshalb, weil sie die Nachprüfung der Genehmigung verweigert haben, die Rechte der Beschwerdeführer aus Art. 19 Abs. 4 GG verletzen.

2. Art. 19 Abs. 4 GG ist nicht verletzt. Diese Vorschrift eröffnet den Rechtsweg nur demjenigen, der durch die öffentliche Gewalt in seinen Rechten verletzt ist. Es genügt weder die Verletzung nur wirtschaftlicher Interessen noch die Verletzung von Rechtssätzen, in denen der Einzelne nur aus Gründen des Interesses der Allgemeinheit begünstigt wird, die also reine Reflexwirkungen haben (Maunz-Dürig, Grundgesetz, Rdnr. 35 und 36 zu Art. 19 Abs. 4).

Die Beschwerdeführer machen geltend, solche eigene Rechte unmittelbar gegen den Bundesminister für Verkehr gewähre ihnen § 8 Abs. 1 und 2 AEG, der wie folgt lautet:

Mit dem Ziel bester Verkehrsbedienung hat die Bundesregierung darauf hinzuwirken, dass die Wettbewerbsbedingungen der Verkehrsträger angeglichen werden und dass durch marktgerechte Entgelte und einen lauteren Wettbewerb der Verkehrsträger eine volkswirtschaftlich sinnvolle Aufgabenteilung ermöglicht wird.

Die Leistungen und Entgelte der verschiedenen Verkehrsträger hat der Bundesminister für Verkehr insoweit aufeinander abzustimmen, als es die Verhinderung eines unbilligen Wettbewerbs erfordert.

a) Schon der Wortlaut dieser Vorschrift lässt erkennen, dass sie eine Tätigkeit der Bundesregierung oder des Bundesministers für Verkehr im Auge hat, die nicht auf konkret bestimmbare Einzelinteressen, sondern nur auf das Allgemeininteresse Bezug hat. Dieses Tätigwerden im Allgemeininteresse kann sich auf die Beschwerdeführer nur mittelbar begünstigend oder benachteiligend auswirken. § 8 Abs. 1 und 2 AEG begründet keinen rechtlich verfolgbaren Anspruch der Beschwerdeführer gegen den Bundesminister für Verkehr auf Verhinderung unbilligen Wettbewerbs.

b) Zu diesem Ergebnis führen auch die folgenden Erwägungen: Die Entgelte für Verkehrsleistungen der einzelnen Verkehrsträger - Binnenschifffahrt, Eisenbahn und Güterkraftverkehr - werden in verschiedener Weise festgesetzt.

Nach dem Gesetz über den gewerblichen Binnenschiffsverkehr vom 1. Oktober 1953 in der Fassung des Änderungsgesetzes vom 1. August 1961 (BGBI. 1 S. 1163) - BSchVG - sind für die Festsetzung der Entgelte für Verkehrsleistungen der Schifffahrt und Flößerei zwischen deutschen Lade- und Löschplätzen sogenannte Frachtenausschüsse der Binnenschifffahrt zuständig (§ 21 BSchVG), deren Mitglieder auf Vorschlag der beteiligten Verbände der Binnenschifffahrt von der Aufsichtsbehörde für die Dauer von drei Jahren ernannt werden (§ 25 BSchVG). Sie sind an Aufträge und Weisungen nicht gebunden. Die Beschlüsse der Frachtenausschüsse bedürfen der Genehmigung des Bundesministers für Verkehr, der im Einvernehmen mit dem Bundesminister für Wirtschaft entscheidet. Er erlässt die genehmigten Beschlüsse als Rechtsverordnungen (§ 28, § 29 BSchVG). Eine ähnliche Regelung gilt für den Güterkraftverkehr. Hier werden die Beförderungsentgelte durch besondere Tarifkommissionen festgesetzt (§ 20 a des Gesetzes über den Güterkraftverkehr in der Fassung vom 22. Dezember 1969) (BGBI. 1970 1, S. 2) - GüKG), die sich aus Tarifsachverständigen der beteiligten Zweige des Güterfernverkehrs zusammensetzen. Die Mitglieder werden vom Bundesminister für Verkehr auf die Dauer von drei Jahren aus dem Kreise der Personen berufen, die ihm von den Angehörigen oder Verbänden des Güterfernverkehrsgewerbes vorgeschlagen werden (§ 21 Abs. 2 GüKG). Der Bundesminister für Verkehr muss die Beschlüsse der Tarifkommission im Einvernehmen mit dem Bundesminister für Wirtschaft genehmigen. Er erlässt die genehmigten Tarife ebenfalls durch Rechtsverordnung (§ 20 a Abs. 2 und 6 GüKG). Die einzelnen Unternehmen haben hier nur mittelbar Einfluss auf die Tarifgestaltung über ihre Verbände, die bei der Zusammensetzung der Frachtenausschüsse und Tarifkommissionen beteiligt sind.

Anders ist das Verfahren bei den dem öffentlichen Verkehr dienenden Eisenbahnen. Sie stellen nach § 6 Abs. 1 der Eisenbahnverkehrsordnung vom 8. September 1938 in der Fassung der Verordnung vom 7. November 1961 (BGBI. II, S. 1655) - EVO - ihre Tarife selbst auf. Diese bedürfen zu ihrer Gültigkeit gemäß § 6 Abs. 6 der EVO der Veröffentlichung. Außerdem müssen sie nach § 6 Abs. 3 AEG von den dafür nach Bundes- und Landesrecht zuständigen Verkehrsbehörden genehmigt werden. Nach § 16 Abs. 1 BbG ist die für die Deutsche Bundesbahn zuständige Genehmigungsbehörde der Bundesminister für Verkehr.
Die Befugnis des Bundesministers für Verkehr zur Erteilung oder Verweigerung der Genehmigung ist Ausfluss seines allgemeinen Aufsichtsrechts über die Deutsche Bundesbahn (§ 16 steht im vierten Abschnitt des Bundesbahngesetzes: "Aufsicht"). Die Genehmigung ist nur für das Innenverhältnis zwischen dem Bundesminister für Verkehr und der Deutschen Bundesbahn bedeutsam, sie ist auch nicht Gültigkeitsvoraussetzung für den ordnungsgemäß veröffentlichten Tarif; durch diese Genehmigung werden Unternehmen, die zu einem anderen Verkehrsträger gehören, rechtlich nicht berührt. Dasselbe gilt auch für die vom Bundesminister für Verkehr nach dem Güterkraftverkehrsgesetz und dem Binnenschiffsverkehrsgesetz erteilten Tarifgenehmigungen, gegen die sich wiederum die Deutsche Bundesbahn nicht wenden könnte.

Noch viel weniger ergibt sich aus den gleichlautenden Vorschriften der §§ 8 AEG, 7 GuKG und 33 BSchVG ein Recht eines zu einem bestimmten Verkehrsträger gehörenden Unternehmens, die Aufhebung der Genehmigung eines Tarifs eines anderen Verkehrsträgers wegen unbilligen Wettbewerbs zu verlangen. Diese Bestimmungen verpflichten die Bundesregierung und den Bundesminister für Verkehr zur Koordinierung der einzelnen Verkehrsträger mit dem Ziel bester Verkehrsbedienung und der Verhinderung unbilligen Wettbewerbs; sie statuieren damit nur eine Pflicht der betreffenden Organe zum Handeln im Interesse des gemeinen Wohls, aber kein Recht für einzelne Verkehrsunternehmen.

3. § 8 Abs. 1 und 2 AEG verstoßen nicht gegen das Rechtsstaatsprinzip. Die dort ebenso wie In § 7 GüKG und § 33 BSchVG verwendeten unbestimmten Rechtsbegriffe "beste Verkehrsbedienung", "marktgerechte Entgelte", volkswirtschaftlich sinnvolle Aufgabenteilung", "unbilliger Wettbewerb" halten sich im Rahmen des rechtsstaatlich Zulässigen. Die Grundsätze des Rechtsstaates verwehren es dem Gesetzgeber nicht schlechthin, Generalklauseln und unbestimmte Rechtsbegriffe zu verwenden. Gerade im Bereich des Wirtschaftsrechts kommt der Gesetzgeber nicht ohne sie aus (vgl. BVerfGE 13, 153 [161]).

4. Aus den unter Nr. 1 bis 3 dargelegten Erwägungen sind auch die unmittelbar gegen die Genehmigung des Bundesministers für Verkehr vom 15. Januar 1962 gerichtlichen Verfassungsbeschwerden unbegründet."