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Berufungskammer der Zentralkommission für die Rheinschiffahrt
Urteil
vom 21. September 1987
(Auf Berufung gegen das Urteil des Rheinschifffahrtsgerichts Duisburg-Ruhrort vom 10. April 1986 - 5 OWi/16 c 968/85 (126/85) -)
Tatbestand und Entscheidungsgründe:
Am 27.2.1985 fuhren auf dem Rhein in der Höhe von Emmerich gegen 21 Uhr die folgenden Einheiten in dieser Reihenfolge zu Tal:
Der Schubverband "HIV", das Küstenmotorschiff "S" und das Küstenmotorschiff "K". Zu Berg fuhren das Tankmotorschiff "E14" und hinter ihm das Tankmotorschiff "A". Alle Schiffe benutzten ihre Radargeräte, denn zu der herrschenden Dunkelheit trat noch Nebel hinzu. Bei der Vorbeifahrt kam es zu einem Zusammenstoss zwischen "S" und "E14", bei dem beide Schiffe schwer beschädigt wurden. Die Führung eines jeden von ihnen beschuldigt diejenige des anderen Schiffes, den Zusammenstoss dadurch herbeigeführt zu haben, dass sie von ihrem eingeschlagenen Kurs abgewichen sei und das eigene Schiff in den Kurs des anderen hineingesteuert habe. Das sei, so wird weiter behauptet, so plötzlich geschehen, dass der Zusammenstoss nicht habe verhindert werden können.
Die Wasserschutzpolizei und das Rheinschifffahrtsgericht Duisburg-Ruhrot sind aufgrund durchgeführter Zeugenvernehmungen zu der Ansicht gelangt, diese Kursveränderung habe die Führung von "E14" vorgenommen. Gegen den Kapitän dieses Schiffes, den Betroffenen, ist deshalb eine Geldbusse von DM 150 verhängt worden, die das Rheinschifffahrtsgericht Duisburg-Ruhrort auf den Einspruch des Betroffenen hin durch Urteil vom 10.4.86 bestätigt hat.
Der Betroffene hat Berufung eingelegt mit dem Ziele, freigesprochen zu werden.
Die Berufung ist formell nicht zu beanstanden.
In der Sache hat sie Erfolg.
Die Berufungskammer hat erwogen:
1. Die besten Positionen zur Beobachtung der zur Havarie führenden Ereignisse hatten Mitglieder der Besatzungen der Schiffe "K" und "A". Diese fuhren nämlich hinter denjenigen die zusammengestoßen sind, her. Die mit ihrer Führung betrauten Personen übersahen deshalb von den Ruderhäusern aus das gesamte Revier, in dem sich die Havariesituation entwickelte. Ihre Aussagen müssten deshalb die zuverlässigsten sein, wenn man aufmerksame Beobachtung unterstellt. Daran scheint es aber gefehlt zu haben, denn die in Betracht kommenden Aussagen erweisen sich bei kritischer Wertung als wenig besagend. Insbesondere hat der Lotse D. vom "K" die zur Havarie führenden Bewegungen der zusammengestoßenen Schiffe offensichtlich nicht wahrgenommen, denn in seinem der Wasserschutzpolizei am 8.5.85 übergebenen schriftlichen Zeugenbericht heißt es: "Auf dem Radarbild sah ich nur, dass das KMS "S" nach Steuerbord in Land lief und dabei sah ich auch, dass der Bergfahrer nicht mehr auf seinem normalen Bergkurs lag, sondern quer zum Revier mit dem Vorschiff gegen "S". Es hatte also eine Kollision stattgefunden, bei welcher der Bergfahrer total aus seinem Kurs gekommen und eine Querfahrt über das Revier gemacht haben muss". Das ist eine Schilderung der Situation nach der Havarie, und nicht eine solche der Schiffsbewegungen, die zu ihr geführt haben. Auf die Havarieursache schließt der Zeuge nur aus den Bewegungen der schon zusammengestoßenen Schiffe mit der Bemerkung, der Bergfahrer (E 14) müsse total aus seinem Kurs gekommen sein und eine Querfahrt über das Revier gemacht haben. Diese Schlussfolgerung ist schon deshalb nicht zwingend, weil aus den Folgen einer Havarie nicht immer sicher auf deren Ursache geschlossen werden kann. Hinzu kommt, dass eine Querfahrt des Bergfahrers durch das Revier dem Zeugen, der ja dieses Revier zu beobachten hatte, kaum hätten entgehen können. Gesehen hat er aber nichts davon, wie seine Aussage zeigt. Bei ihr ist der Zeuge auch bei seiner Vernehmung durch das Rheinschifffahrtsgericht geblieben.
Ähnlich unergiebig sind die Aussagen des Zeugen J., des Schiffsführers von "A" vor der Wasserschutzpolizei und dem Rheinschifffahrtsgericht. Er schildert zunächst den Kurs seines Schiffes und den des vor ihm fahrenden "E14" an den Ankerliegern am linksrheinischen Ufer entlang, sodann das Erscheinen von "S" auf seinem Radarbild in Höhe von "E14" und fuhr dann fort:
"Plötzlich sah ich auf dem Radarbild beide Echo zusammenkommen und den Talfahrer nach Steuerbord ausscheren" (Vor der Wasserschutzpolizei). Vor dem Rheinschifffahrtsgericht hat der Zeuge hinzugefügt, das Echo des Talfahrers habe sich demjenigen von "E14" vor der Havarie auf seinem Radarbild genähert.
Auch dieser Zeuge hat also eine Änderung des Kurses von "E14" vor der Havarie nicht beobachtet. Seine Aussage vor dem Rheinschifffahrtsgericht kann aber dabei verstanden werden, eine solche Kursänderung habe der Talfahrer vorgenommen, der sich nach der Meinung des Zeugen "E14" genähert hat.
Zusammenfassend sind deshalb die bisher besprochenen Zeugenaussagen nicht nur unzureichend zur Erklärung der Havarieursache, sondern auch widersprüchlich. Sie erlauben mithin keine sicheren Feststellungen. Weiter verwertbare Zeugenaussagen von Besatzungsmitgliedern von an der Havarie nicht beteiligten Schiffen gibt es nicht.
2. Eindeutig sind allein die Aussagen des Lotsen M. von "S" und des Betroffenen über die Ursache der Havarie. Danach hat jeweils der Andere sein Schiff in den Kurs des eigenen Schiffes hineingefahren. Diese Aussagen sind einmal deshalb mit Vorsicht zu bewerten, weil sie von Personen stammen, die von dem Bestreben nach Selbstrechtfertigung durch Schuldzuweisung an den Anderen geleitet sein können. Zum anderen sind sie so gegensätzlich, dass sie sich aufheben. Feststellungen auf ihrer Grundlage verbieten sich also.
3. Die Erwägungen, mit dessen das Rheinschifffahrtsgericht die bestehenden Beweislücken zu schließen versucht hat, überzeugen die Berufungskammer nicht. Wenn der Betroffene z.B. den Talfahrer "S" zunächst für einen Stillieger gehalten hat, so musste das nicht zur Havarie führen. Auch das Rheinschifffahrtsgericht vermag nicht darzulegen, dass der genannte Irrtum diese Folge hatte. Wenn das Rheinschifffahrtsgericht weiter meint, es sei nicht ersichtlich, warum das rechtsrheinisch fahrende "Sea Merlan" sich plötzlich linksrheinisch befunden haben solle, so muss es sich entgegenhalten lassen, dass es ebenso wenig einsichtig ist, dass der linksrheinisch fahrende "E 14" sich schließlich rechtsrheinisch befinden haben solle. Schliesslich können auch einige vom Rheinschifffahrtsgericht erwogene Denkmodelle nicht mögliche Tatsachenfeststellungen nicht ersetzen.
Abschließend ist festzustellen, dass aus den dargelegten Gründen nicht bewiesen ist, dass die Havarieursache in einem falschen Verhalten des Betroffenen liegt.
Es wird deshalb für Recht erkannt:
1. Auf die Berufung des Betroffenen hin wird das Urteil des Rheinschifffahrtsgerichts Duisburg-Ruhrort vom 10.4.1986 dahin abgeändert, dass der Betroffene freigesprochen wird.
2. Die Feststellung der dem Betroffenen für beide Instanzen des rheinschifffahrtsgerichtlichen Verfahrens zu erstattenden Kosten, wird dem Rheinschifffahrtsgericht Duisburg-Ruhrort übertragen.