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Leitsätze:
1) Zum Beweis des ersten Anscheins für ein Verschulden und zu den Erfordernissen einer Widerlegung dieser Vermutung.
2) Der übliche Haftungsausschluß in Turnverträgen zugunsten des turnenden Schiffes erstreckt sich, sofern keine anderweitigen Vereinbarungen getroffen worden sind, nur auf den Vorgang des Turnens, nicht auf die nachfolgende Verschleppung des Iosgeturnten Schiffes.
Berufungskammer der Rheinzentralkommission für die Rheinschiffahrt
Urteil
vom 18. April 1985
(Rheinschiffahrtsgericht St. Goar)
Zum Tatbestand:
Das bei der Klägerin versicherte MTS L hatte sich bei Rhein-km 583 infolge auf Kurbelwellenbruch beruhenden Maschinenausfalls in Ufernähe festgefahren. Das manövrierunfähige Schiff sollte von den Motorschleppern B - Eigentümer: Beklagter zu 1; Schiffsführer: Beklagter zu 3 - und P - Eigentümer: Beklagter zu 2; Schiffsführer: Beklagter zu 4 - abgezogen und anschließend in den Hafen von Koblenz-Wallersheim geschleppt werden. Das Losturnen des MTS L verlief glatt. Die Verschleppung in den Hafen Koblenz-Wallersheim mißlang, da das Schiff gegen die östliche Spundwand des Hafenkopfes stieß und Schäden erlitt, die die Klägerin ersetzt hat.
Die Klägerin verlangt Regreß in Höhe von 18800,- DM mit dem Hinweis, daß die Verantwortung für das Verschleppen des völlig manövrierunfähigen Schiffs allein bei den Beklagten liege. Auf deren Schiffen müssten Fehler begangen worden sein. Diese gegen sie sprechende Vermutung hätten die Beklagten nicht durch die Darlegung und den Nachweis zu widerlegen vermocht, daß sie nautisch richtig manövriert hätten.
Die Beklagten bestreiten dies und führen den Unfall auf die Abladung und die Strömungsverhältnisse in der Hafeneinfahrt zurück. Außerdem berufen sie sich auf den nach ihrer Ansicht im Turnauftrag vereinbarten Haftungsausschluß. In der fraglichen Klausel heißt es:
„Jegliche Ansprüche gegenüber dem Eigentümer beziehungsweise Ausrüster oder der Besatzung des turnenden Schiffes für Schäden, welche während der Turnarbeit an dem loszuturnenden Schiff und/oder dessen Ladung entstehen, sind ausgeschlossen."
Das Rheinschiffahrtsgericht hat der Klage in vollem Umfang stattgegeben; die Berufungskammer der Rheinzentralkommission hat die Berufung der Beklagten zu 1-4 zurückgewiesen.
Aus den Entscheidungsgründen:
„... 1. Es ist ungeklärt, welche Ursache oder welche Ursachen dazu geführt haben, daß das bei der Klägerin versicherte Schiff gegen eine Spundwand des Hafenkopfs von Koblenz-Wallersheim gestoßen ist. Diese Frage bedarf aber keiner Klärung, da diese Ursachen nur in einem Bereich liegen können, für den die Beklagten zu 3 und 4 verantwortlich waren. Das Rheinschiffahrtsgericht hat richtig festgestellt, daß das bei der Klägerin versicherte MTS L völlig manövrierunfähig war und weder seinen Kurs noch seine Geschwindigkeit selbst bestimmen konnte. Seine funktionsfähigen Bugstrahlruder änderten nach der weiteren richtigen Feststellung des Rheinschiffahrtsgerichtes hieran nichts, da sie allein den Kurs des Schiffes nicht festlegen und halten konnten. Das MTS L mußte also von den Schiffen der Beklagten bugsiert werden. Nur sie bestimmten seinen Kurs und seine Geschwindigkeit. Angesichts dieser Situation und angesichts des Unfalles - Anstoß gegen eine Spundwand - spricht ein Beweis des ersten Anscheins für ein Verschulden der Beklagten zu 3 und 4, oder eines von ihnen.. Auch hier sind präzisere Feststellungen nicht erforderlich, da nach § 830 1 2 BGB jeder von mehreren Tatbeteiligten für den bei der Tat entstandenen Schaden verantwortlich ist, wenn nicht festgestellt werden kann, wer von ihnen ihn durch seine Handlung verursacht hat.
Es war deshalb die Aufgabe der Beklagten einen Sachverhalt darzulegen und notfalls zu beweisen, welcher einen Fehler der Beklagten zu 3 und 4 als, Unfallursache ausschloß. Das haben sie nicht vermocht. Ihr Hinweis auf die Abladung von MTS L und auf die Strömungsverhältnisse in der Hafeneinfahrt ist nicht geeignet, sie zu entlasten. Das Rheinschiffahrtsgericht hat mit Recht darauf hingewiesen, daß beide Faktoren den Beklagten zu 3 und 4 bekannt gewesen seien. Man mußte und konnte ihnen deshalb bei der Festlegung des Kurses des Verbandes Rechnung tragen. Nur falsche Kursfestlegung bei der Einfahrt in den Hafen erklärt auch unter Berücksichtigung der genannten Faktoren den Unfall. Deshalb steht das Verschulden der Beklagten zu 3 und 4 als der für den Kurs verantwortlichen Personen fest. Die Haftung aller Beklagten für die Folgen der Havarie ergibt sich aus den §§ 823, 830 BGB, 3, 4,114 BSchG.
2. Eine Freizeichnung von, dieser Haftung ist nicht erfolgt. Im einzelnen ist hierzu folgendes zu sagen:
a) Die im vorliegenden Falle geschlossenen, als „Turnauftrag" bezeichneten Verträge hatten einen doppelten Inhalt. Nach ihm war einmal das unter Wasser festsitzende MTS L freizuziehen, also loszuturnen. Zum anderen war das freigezogene Schiff in den Hafen Koblenz-Wallersheim zu verschleppen. Beide Vorgänge konnten natürlich Inhalt ein und desselben Vertrages sein, dieser aber für jeden von ihnen - zum Beispiel in der Frage der Haftung - unterschiedliche Vereinbarungen enthalten. Nach dem Wortlaut der vorliegenden „Turnaufträge" sind Ersatzansprüche und „für Schäden während der Turnarbeit an dem loszuturnenden Schiff und/oder dessen Ladung" ausgeschlossen. Diese Formulierung ist sehr klar und erfordert keine Auslegung. Nur die eigentliche Turnarbeit kann nicht zu Ansprüchen auf Schadensersatz führen. Daraus ist zu folgern, daß das folgende Verschleppen des losgeturnten Schiffes solche Ansprüche zur Folge haben kann.
Diese Unterscheidung hat einen guten Sinn. Das Losturnen eines festsitzenden Schiffes setzt meist eine Gewaltanwendung des turnenden Schiffes voraus, die u. a. Schäden an dem loszuturnenden zur Folge haben kann. Solche Schäden werden um des Erfolges der Turnarbeit willen als unvermeidbar in Kauf genommen, Auch ohne Freizeichnung würde deshalb die Turnarbeit eine Haftung des turnenden Schiffes für Schäden an dem loszuturnenden nicht zur Folge haben, da es an einem Verschulden fehlen würde. Die Freizeichnung stellt nur eine ohnehin bestehende Rechtslage klar.
Die Verschleppung des losgeturnten Schiffes ist dagegen, wenn sie mit der gehörigen Sorgfalt ausgeführt wird, ohne Beschädigung des geschleppten Schiffes möglich. Hier entfallen alle Faktoren, die beim Turnen nicht zu vermeidbaren Schäden führen können.
Es war deshalb sinnvoll, die Haftung für beide Vorgänge unterschiedlich zu vereinbaren. Man würde der Vereinbarung Gewalt antun, wenn man den Haftungsausschluß für die Turnarbeit entgegen dem Vertragswortlaut auch auf die Schlepparbeit erstrecken würde.
b) Die Beklagten sehen allerdings die tatsächlichen Vorgänge und die aus ihnen abzuleitenden rechtlichen Folgerungen anders. Sie gehen davon aus, daß das MTS L durch den Ausfall seiner Maschine infolge Bruchs der Kurbelwelle und das Festsitzen auf dem Grund des Rheines in eine hilfsbedürftige Lage gekommen war. Zweck der geschlossenen Verträge war es nach der Ansicht der Beklagten, diese Hilfsbedürftigkeit dadurch zu beheben, daß das Schiff Iosgeturnt und daran anschließend in den Hafen von Koblenz-Wallersheim geschleppt würde, wo es zu entladen war. Hieraus leiten sie ab, daß die geschlossenen Verträge eine rechtliche Einheit bilden, die es unmöglich mache, sie in zwei Teile mit unterschiedlicher Regelung des Haftungsausschlusses zu zerlegen. Nach Ansicht der Beklagten gilt deshalb der vereinbarte Haftungsausschluß für die gesamte einheitliche Tätigkeit ihrer Schiffe, die erst abgeschlossen war, als das MTS L im Hafen lag.
Nun ist die geschilderte Hilfsbedürftigkeit der MTS L nicht zu verkennen. Anzuerkennen ist auch, daß sie erst behoben war, als das Schiff im Hafen lag. Das ändert aber nichts daran, daß die Hilfsbedürftigkeit in zwei Etappen - Iosturnen und verschleppen - zu beheben war. Beides waren unterschiedliche Maßnahmen, die von der Natur der Sache her rechtlich unterschiedlich zu regeln waren, wie es unter Ziffer a) dargelegt worden ist. Hätten die Partner der Verträge die beiden genannten Vorgänge was die Haftung der Schiffe der Beklagten betrifft rechtlich in der gleichen Weise regeln wollen, so hätte dies klar zum Ausdruck gebracht werden müssen. Gerade daran fehlt es aber, denn dem Wortlaute nach ist der Haftungsausschluß nur für die Turnarbeit vereinbart worden. Es fehlt jeder Anhalt dafür, daß er auch für die Schlepparbeit gelten sollte. In diesem Zusammenhange ist darauf hinzuweisen, daß die Verträge erst unterzeichnet worden sind, als die gesamte Arbeit beendet war. Es hätte deshalb sehr nahe gelegen, den formularmäßigen Text des Haftungsausschlusses dahin zu ändern, daß er die gesamte Tätigkeit umfassen sollte, wenn man dies gewollt hätte. Die Beibehaltung des Textes zeigt, daß ein solcher Wille nicht vorhanden war. Hinzuweisen ist weiter darauf, daß Iosturnen und schleppen getrennt berechnet worden sind. Auch dies spricht für die rechtliche Trennung beider Vorgänge.
c) Selbst wenn man aber die Klarheit des Wortlautes der Turnaufträge bezweifeln würde, käme man zu keinem anderen Ergebnis. Die Formulare der Turnaufträge sind nach dem deutschen Gesetz zur Regelung des Rechts der allgemeinen Geschäftsbedingungen (AGBGes.) zu beurteilen. Sie sind allgemeinen Geschäftsbedingungen, die hier nicht nebem einem Vertrage bestehen, sondern in ihn hineingearbeitet sind (AGBG 1). Für solche Geschäftsbedingungen gilt die sogenannte Unklarheitenregel (AGBG 5), die besagt:
„Zweifel bei der Auslegung allgemeiner Geschäftsbedingungen gehen zu Lasten des Verwenders."
Verwender sind im vorliegenden Fall die Beklagten zu 1 und 2. Eine Auslegung der erwähnten Haftungsbeschränkung zu ihren Lasten würde es notwendig machen, dabei eng bei dem Wortlaut des Formulars zu bleiben, um so die Haftungsbeschränkung auf das geringste Maß einzugrenzen. Das Ergebnis wäre auch hier die Beschränkung des Haftungsausschlusses auf die Turnarbeit.
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