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Leitsatz:
Ohne eindeutigen Nachweis einer überhöhten Fahrstufe während eines Überholvorgangs muß zugunsten eines beschuldigten Schiffsführers angenommen werden, daß er mit einer niedrigeren, zur sicheren Steuerung des Schiffes unbedingt erforderlichen Fahrstufe gefahren ist.
Urteil der Berufungskammer der Zentralkommission für die Rheinschiffahrt
vom 13. Oktober 1982
(Rheinschiffahrtsgericht Mainz)
Zum Sachverhalt:
Gegen den Betroffenen war eine Geldbuße von 100,- DM verhängt worden, weil er als Führer des Motorfahrgastschiffes D auf der Talfahrt bei Hattenheim während der Überholung des Koppelverbandes H schädlichen Sog und Wellenschlag verursacht haben sollte. Sein Einspruch beim Rheinschiffahrtsgericht blieb erfolglos, das ihm zum Vorwurf machte, daß sein Schiff bei der Überholung des Koppelverbandes mit der Fahrtstufe 6-8 von 10 möglichen gefahren sei und dadurch das Achterschiff des Verbandes Grundberührung erlitten habe.
Der Betroffene hat Berufung eingelegt und dargelegt, daß sich sein Schiff mit der zur sicheren Steuerung erforderlichen Fahrstufe 6-4 genähert habe. Wenn der Koppelverband Grundberührung gehabt habe, liege dies an zu tiefer Abladung. Im übrigen habe die Reederei des Verbandes zunächst nur zivilrechtliche Ansprüche gestellt und bei der Wasserschutzpolizei gewohnheitsmäßig angefragt, ob ein Ermittlungsverfahren schwebe, was zunächst verneint worden sei. Eine andere nicht befragte Stelle der WSP habe mitgeteilt, daß mit der Bearbeitung des Unfalls begonnen worden sei, nachdem man von ihm Kenntnis erhalten habe (nach fast 2 Monaten!).
Die Berufungskammer hat das Urteil aufgehoben und den Betroffenen freigesprochen.
Aus den Gründen:
„...
Die Ermittlungen haben am 15. November 1981 mit der Vernehmung von zwei Besatzungsmitgliedern des Koppelverbandes begonnen. Das war knapp zwei Monate nach dem aufzuklärenden Vorfall. Dieser späte Ermittlungsbeginn rechtfertigt Zweifel daran, daß die vernommenen Personen noch in der Lage waren, die entscheidenden Ereignisse zeitlich exakt festzulegen. Gerade auf diese Festlegung kommt es aber entscheidend an. Der Fahrtenschreiberabdruck des Schiffes des Betroffenen zeigt nämlich, daß er in der Zeit zwischen 9.33 und 10.14 Uhr, in welcher die Überholung fällt, nur fünf Minuten lang mit Fahrtstufe 8 gefahren ist, nämlich von 9.59 bis 10.04 Uhr. Sonst lag die Fahrtstufe zwischen 4 und 6. Weiter zeigt ein vom Betroffenen zu den Akten gereichtes Diagramm über die Leistungsaufnahme des Voith-Schneider-Propellers seines Schiffes, daß dieser bei den Fahrtstufen 4-6 10-20% der Maschinenhöchstleistung abnimmt. Zweifel an der Richtigkeit dieser Unterlagen bestehen nicht, da keine sie rechtfertigenden Gründe vorgetragen worden sind. Das gleiche gilt von der Feststellung des Betroffenen, er müsse mit Fahrtstufe 4-6 fahren, damit sein Schiff sicher steuerbar sei. Ist dem aber so, so dürfte der Betroffene mit diesen Fahrtstufen den Koppelverband überholen. Ein Vorwurf wäre ihm nur dann zu machen, wenn sicher feststände, dass er während der Überholung die Fahrtstufe auf 8 erhöht und dadurch die Grundberührung des Koppelverbandes herbeigeführt hätte. Es wurde bereits dargelegt, daß diese Erhöhung um 9.59 Uhr vorgenommen und bis 10.04 Uhr beibehalten wurde. Es steht aber nicht sicher fest, daß die Überholung gerade in diese Zeit fällt. Die beteiligten Schiffsführer haben die Unfallzeit beziehungsweise diejenige der Überholung mit 10.00 Uhr und gegen 10.00 Uhr benannt. Beide Angaben beruhen nicht auf exakter Zeitnahme, sondern auf Schätzungen längere Zeit nach dem Unfall, die notwendigerweise ungenau sind. Sie erlauben es deshalb nicht, festzustellen, daß der Gebrauch der Fahrtstufe 8 durch den Betroffenen in die Zeit zwischen 9.59 Uhr und 10.04 Uhr und damit in die Überholung falle. Er kann vielmehr auch vor oder nach derselben liegen. Zugunsten des Betroffenen ist deshalb davon auszugehen, daß die Überholung mit Fahrtstufe 4-6 vorgenommen worden ist. Das war aber notwendig, um das Schiff des Betroffenen sicher steuern zu können. Ein Verstoß gegen die §§ 6.20 und 1.04 RhSchPVO ist mithin dem Betroffenen nicht nachzuweisen.
...“