Banque de données de juriprudence
Leitsatz:
Zur Bewertung von Zeugenaussagen, wenn die zur Havarie führenden Ereignisse nur von Besatzungsmitgliedern der beteiligten Schiffe beobachtet und geschildert worden sind und sich zwei Gruppen von Zeugenaussagen unvereinbar einander gegenüberstehen.
Urteil der Berufungskammer der Zentralkommission für die Rheinschiffahrt
vom 30. Januar 1980
117 Z - 1/80
(Rheinschiffahrtsgericht Duisburg-Ruhrort)
Zum Tatbestand:
Im Januar 1976 fuhr das bei der Klägerin versicherte MS F etwa 400 m hinter einem Schubverband (bestehend aus Schubboot M der Streithelferin und 4 leeren Schubleichtern) bei Dunkelheit, aber etwa 900 m Sicht bei Orsoy zu Tal. Zu Berg fuhr das der Beklagten zu 1 gehörende, vom Beklagten zu 2 geführte MS H. Es kam zu einer Kollision zwischen dem Schubboot und MS F. Die Klägerin verlangt Erstattung des von ihr regulierten Schadens in Höhe von ca. 25000,- DM mit der auch von der Streithelferin unterstützten Begründung, daß MS H entgegen der vorgeschriebenen geregelten Begegnung auf dem Niederrhein das rechtsrheinische Ufer angehalten habe, statt linksrheinisch zu fahren und die Begegnung backbords zu ermöglichen. In einer Entfernung von 500 m vor M habe der Beklagte zu 2 begonnen, den Kurs seines Schiffes nach linksrheinisch zu verlegen, wodurch der Schubverband gezwungen worden sei zu stoppen und wegen der Kurskreuzung Rückwärts-Kommando zu geben. Darauf sei ein Zusammenstoß mit MS H zwar vermieden worden, aber das Auflaufen von MS F auf M nicht zu vermeiden gewesen.
Die Beklagten behaupten, daß ihr Schiff linksrheinisch zu Berg gefahren sei. Die Backbordbegegnung habe - ebenso wie bei einem zuvor zu Tal gekommenen Schiff - risikolos auch mit dem zunächst Mitte des Fahrwassers fahrenden Schubverband erfolgen können, der jedoch - wie in einer Entfernung von 300 m zu erkennen gewesen sei - plötzlich gestoppt habe und in Schräglage zum linksrheinischen Ufer geraten sei. MS H habe auf Rückwärtsgang gestellt, sei schließlich bis auf 30 bis 40 m an das linksrheinische Ufer gegangen und in etwa 20 m Abstand vom Schubverband passiert worden.
Nach Aufhebung einer Entscheidung des Rheinschifffahrtsgerichts, das dem Beklagten zu 2 eine Geldbuße von 150,- DM auferlegt hatte, wurde dieser von der Berufungskammer freigesprochen, weil ein Verstoß gegen die Anordnung der geregelten Begegnung als zweifelhaft angesehen wurde.
Das Rheinschiffahrtsgericht hat der Klage im vorliegenden Rechtsstreit nach Heranziehung der Akten des Bußgeldverfahrens und unter Berücksichtigung der von der Klägerin vorgetragenen Tatbestände und Argumente stattgegeben. Die Berufungskammer hat auch dieses Urteil aufgehoben und die Klage abgewiesen.
Aus den Entscheidungsgründen:
Die zur Havarie führenden Ereignisse sind nur von Mitgliedern der Besatzungen der beteiligten Schiffe beobachtet und geschildert worden. Andere Personen haben darüber nichts aussagen können. Jede Schiffsbesatzung hat die entscheidenden Ereignisse in einem für das eigene Schiff günstigen Licht dargestellt. Die Darlegung eines jedes Prozeßbeteiligten über die zur Havarie führenden Ereignisse wird deshalb durch die Besatzung seines Schiffes bestätigt mit der Folge, daß zwei Gruppen von Zeugenaussagen unvereinbar einander gegenüberstehen.
Diese Erwägungen haben zur Folge, daß in einem Falle wie dem vorliegenden, das Gericht die Aussagen einer Gruppe von Zeugen seiner Entscheidung nur dann zugrunde legen kann, wenn objektive Umstände für ihre Richtigkeit sprechen. Ein solcher Umstand kann z. B. der Verlauf der zum Unfall führenden Ereignisse sein, wenn dieser durch die Aussagen einer Gruppe von Zeugen vernünftig erklärt werden kann, während die Aussagen der zweiten Zeugengruppe eine solche Erklärung nicht zu liefern vermögen. Solche objektiven Umstände fehlen im vorliegenden Falle. Hier kann insbesondere der Unfall mit Hilfe der Aussagen einer jeden Gruppe von Zeugen vernünftig erklärt werden. Seine Ursache kann einmal darin liegen, daß das MS H zunächst verbotswidrig in der Nähe des rechtsrheinischen Ufers zu Berg gefahren ist und in kurzem Abstand zu M eine Kurskorrektur zum linksrheinischen Ufer hin unternommen hat. Dabei kann es den Kurs von M mit der Folge gekreuzt haben, daß der Schubverband stoppen mußte. In diesen ist dann das MS F hineingefahren. Andererseits kann die Havarie aber auch dadurch herbeigeführt worden sein, daß der Schubverband in der starken Rechtskrümmung des Rheines in der Nähe der Unfallstelle die Position des MS H in der Dunkelheit falsch beurteilte, deshalb ohne objektiven Grund stoppte und dabei in Schräglage geriet. Hierauf hat die Berufungskammer bereits in ihrem im Bußgeldverfahren ergangenen Urteil hingewiesen.
Schon diese Erwägungen zwingen dazu, die Klage unter Aufhebung des Urteils des Rheinschiffahrtsgerichtes abzuweisen, da es auf einer Würdigung der durchgeführten Beweisaufnahme beruht, die nicht bestätigt werden kann. Hinzu kommt der Umstand, daß die Aussagen der Besatzung des MS F, auf denen das ergangene Urteil mitberuht, aus anderen Gründen als Erkenntnismittel ausscheiden (wird ausgeführt).
Das gleiche gilt aus anderen Gründen für die Aussage des Zeugen E. von der Besatzung des MS F. Dieser Zeuge ist erstmals fast 3 Jahre nach dem Unfall vernommen worden. Die zu ihm führenden Ereignisse hat er mit großer Genauigkeit geschildert. Er hat den Bergfahrer zunächst am rechtsrheinischen Ufer fahren sehen, dann beobachtet, daß er seinen Kurs zum linksrheinischen hin verlegte und dabei denjenigen des Mannesmannschubzuges kreuzte, weiter erkannt, daß diese Kursänderung in kurzem Abstand vor dem Schubverband erfolgte, schließlich, daß dieser dann in eine Schräglage geraten sei. Diese genaue Schilderung der entscheidenden Ereignisse erweckt aus mehreren Gründen Mißtrauen. Einmal erscheint es fraglich, ob die Erinnerung des Zeugen fast 3 Jahre nach dem Unfall noch so genau sein konnte. In der Regel ist dies nach einer so langen Zeit nicht mehr der Fall. Umstände, die für eine Ausnahmesituation bei dem Zeugen sprechen, sind nicht erkennbar. Zum anderen erscheint es fraglich, ob der Zeuge bei der herrschenden Dunkelheit mit bloßem Auge so genau beobachten konnte. Nach seiner Erklärung war die Sicht nur „einigermaßen gut". Er stand auf dem Vorschiff F und konnte von dort aus das Fahrwasser nicht besser beobachten, als es vom Ruderhaus aus möglich war. Es erscheint deshalb nicht einleuchtend, daß der Zeuge mehr sehen konnte, als der im Ruderhaus stehende Schiffsführer, der, wie bereits dargelegt, die Kursänderung des Bergfahrers nicht beobachtet hat. Von besonderer Wichtigkeit für die Bewertung der Zeugenaussage ist der folgende Gesichtspunkt. Wenn der Zeuge die Beobachtungen machte, die er geschildert hat, so sah er etwas, das für das eigene Schiff zu einer Gefahr werden konnte. Ihm kam nämlich in der Dunkelheit ein Bergfahrer mit falschem Kurs entgegen, der dazu noch eine Querfahrt machte. Auf diese mögliche Gefahr hätte der Zeuge seinen Schiffsführer hinweisen müssen. Der hat es jedoch nicht getan, wie seine Aussage zeigt. Dieser Umstand rechtfertigt Zweifel daran, daß der Zeuge die von ihm geschilderten Beobachtungen gemacht hat. Aus diesen Gründen vermag die Berufungskammer seiner Aussage keine Bedeutung beizumessen.
Als einzige; die Darstellung der Klägerin bestätigende Zeugenaussage bleibt unter diesen Umständen diejenige des Schiffsführers 0. vom Schubboot M. Von ihrer subjektiven Richtigkeit ist die Berufungskammer überzeugt. Der insgesamt dreimal vernommene Zeuge hat stets die gleiche Aussage gemacht. Ihr entspricht sein von anderen Zeugen mitgehörtes Verhalten bei der Wahrschau über Sprechfunk, aus der die Überzeugung sprach, ein Bergfahrer kreuze unmittelbar vor seinem Schubzug dessen Kurs und zwinge ihn zum Stopp. Zweifelhaft ist aber die objektive Richtigkeit der Zeugenaussage angesichts der Tatsache, daß ihr die Erklärungen von Mitgliedern der Besatzung des MS H entgegenstehen, an deren subjektiver Richtigkeit zu zweifeln ebenfalls kein Anlaß besteht. Sie haben stets erklärt, am linksrheinischen Ufer entlang zu Berg gefahren zu sein und den Kurs des Schubzuges nicht gekreuzt zu haben. Auch hier drängen sich Zweifel an der objektiven Richtigkeit der Aussagen auf.
Die voraufgegangenen Darlegungen zeigen, daß ein Fehler des Beklagten zu 2) bei der Festlegung des Kurses seines Schiffes nicht bewiesen ist. Für die Folgen der umstrittenen Havarie haben deshalb die Beklagten nicht einzustehen.